JudikaturOGH

5Ob37/02f – OGH Entscheidung

Entscheidung
23. April 2002

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Klinger als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Floßmann und Dr. Baumann und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Hurch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Sabine W*****, geboren am 19. Oktober 1984, vertreten durch Ulrike W*****, diese vertreten durch Dr. Klaus Dorninger, Rechtsanwalt in Linz, infolge Revisionsrekurses des Vaters Dr. Rudolf P*****, vertreten durch Dr. Günther Tews und Mag. Christian Fischer, Rechtsanwälte in Linz, gegen den Beschluss des Landesgerichtes Wels als Rekursgericht vom 15. November 2001, GZ 21 R 381/01f-93, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Wels vom 12. Oktober 2001, GZ 17 P 43/00b-89, bestätigt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs über den Antrag des Obersten Gerichtshofs vom 20. Dezember 2001, 6 Ob 262/01z, den § 12a Familienlastenausgleichsgesetz 1967 idF BGBl 1977/646 als verfassungswidrig aufzuheben, unterbrochen.

Text

Begründung:

Die mj Sabine W***** ist das Kind der obsorgeberechtigten Mutter Ulrike W***** und des Dr. Rudolf P*****. Das Kind lebt bei der Mutter.

Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Wels vom 2. 2. 2001 wurde der vom Vater für seine mj Tochter zu leistende monatliche Unterhaltsbeitrag ab 1. 11. 2000 von S 9.400 auf S 11.275 (d.i. das 2,5fache des Regelbedarfs für Kinder im Alter zwischen 15 und 19 Jahren) erhöht, wobei dieser Unterhaltsfestsetzung ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen des Vaters von rund S 63.800 und eine Unterhaltspflicht für eine einkommenslose Ehegattin zugrundelag. Mit Antrag vom 9. 5. 2001 begehrt der Vater, die Unterhaltsverpflichtung rückwirkend ab 1. 1. 2001 auf S 6.171 monatlich herabzusetzen, was ua damit begründet wurde, aufgrund der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs vom 27. 6. 2001, B 1285/00, könne die bisherige Judikatur des Obersten Gerichtshofes nicht mehr aufrecht erhalten werden, wonach § 12a FLAG die auch nur teilweise Anrechnung der Familienbeihilfe auf den Unterhaltsanspruch verbiete.

§ 12a FLAG sei zur Vermeidung einer Verfassungswidrigkeit einschränkend auszulegen, wobei es sich im vorliegenden Fall durch die Anrechnung der Familienbeihilfe eine Kürzung des Unterhalts um monatlich S 1.905 ergebe.

Die mj Unterhaltsberechtigte beantragte die gänzliche Abweisung des Unterhaltsherabsetzungsantrags des Vaters und verwies zum streitentscheidenden Punkt darauf, dass die bisherige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Nichtanrechnung der Familienbeihilfe durch die zitierte Verfassungsgerichtshofentscheidung keine Änderung erfahre.

Das Erstgericht wies den Unterhaltsherabsetzungsantrag des Vaters ab. Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 27. 6. 2001, B 1285/00, biete keinen Anlass, von der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Nichtanrechnung der Familienbeihilfe abzugehen. Die maßgebliche Bestimmung des § 12a FLAG laute dahin, dass die Familienbeihilfe nicht als eigenes Einkommen des Kindes gelte und nicht dessen Unterhaltsanspruch mindere und nicht etwa dahin, dass die Familienbeihilfe bei getrennter Haushaltsführung eigenes Einkommen des Kindes (iSd § 140 Abs 3 ABGB) sei bzw angemessen auf die vom geldunterhaltspflichtigen Elternteil geschuldete Unterhaltsleistung anzurechnen sei. Die nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs verfassungsrechtlich gebotene steuerliche Entlastung des Unterhaltsschuldners (im Umfang von 20 % des geschuldeten Unterhalts) könne nach Ansicht des Rekursgerichtes nicht durch teilweise und auch nicht durch vollständige Anrechnung der dem anderen Elternteil für das Kind zustehenden staatlichen Transferleistungen (Familienbeihilfe, Kinderabsetzbetrag) auf den Kindesunterhalt bewirkt werden, wenn ein derartiger Konnex in den maßgeblichen steuerrechtlichen, sozialrechtlichen und zivilrechtlichen Vorschriften überhaupt nicht zum Ausdruck komme. Es könne auch nicht Aufgabe der ordentlichen Gerichte sein, die in ihrem Wortlaut völlig eindeutige Bestimmung des § 12a FLAG nur deshalb mit einem anderen Sinngehalt zu versehen, als vom historischen Gesetzgeber beabsichtigt, weil es der Gesetzgeber bisher unterlassen habe, im Steuerrecht den Vorgaben des Verfassungsgerichtshofs bezüglich der notwendigen steuerlichen Entlastung von Unterhaltspflichtigen zu entsprechen und zugrundezulegen, der Gesetzgeber hätte von der ihm offenstehenden Möglichkeit, durch eine teilweise Anrechnung von Transferleistungen einen Ausgleich der überhöhten Steuerbelastung herbeizuführen, ohnedies durch die bezogene Bestimmung Gebrauch gemacht. Wenn § 12a FLAG nicht zwischen getrennter und gemeinsamer Haushaltsführung unterscheide, so könne es auch keinen gerechtfertigten Grund dafür geben, im ersten Fall den haushaltsführenden Elternteil für das Kind zustehende Familienbeihilfe über den Umweg einer Anrechnung auf die Unterhaltspflicht diesem bzw dem Kind ganz oder teilweise wegzunehmen, nur weil der geldunterhaltspflichtige Vater über ein überdurchschnittliches Einkommen verfüge. Maßgeblich sei auch noch, dass kein Eigenanspruch eines nicht volljährigen Kindes auf Familienbeihilfe bestehe, was ganz grundsätzlich einer Anrechnung auf Unterhaltsansprüche entgegenstehe. Schließlich stecke nach einhelliger Rechtsprechung der äußerst mögliche Wortsinn die Grenze jeglicher Auslegung ab, sodass auch eine verfassungskonforme Auslegung sich am noch möglichen Wortsinn zu orientieren habe. Ferner könnte eine Wertentscheidung des Gesetzgebers nur dann zu einer teleologischen Reduktion zwingen, wenn die Regelung geradezu willkürlich erscheine, ein schwerwiegender Wertungswiderspruch oder eine offenbare Ungerechtigkeit sonst nicht vermieden werden könnte, die Gesetzesanwendung somit unerträglich, d.i. ungerecht, sinnwidrig nicht konfliktbewältigend und nicht funktionsgerecht wäre. Das Rekursgericht lehne daher unter Zustimmung der Ausführungen von Barth (in RZ 2001/248 ff) eine Bindung an das zitierte Erkenntnis des VfGH ausdrücklich ab. Wenn der Verfassungsgerichtshof im zitierten Erkenntnis eine gebotene steuerliche Entlastung von Unterhaltspflichtigen gefordert habe, so richte sich dies an den Gesetzgeber. Nur der könne Abhilfe schaffen.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs an den Obersten Gerichtshof gemäß § 14 Abs 1 AußStrG in Hinblick auf die dargestellte unterschiedliche Judikatur der Höchstgerichte zur Frage der Anrechnung der Familienbeihilfe zulässig sei.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Revisionsrekurs des Vaters, worin geltend gemacht wird, dass § 12a FLAG im Sinne des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 27. 6. 2001, B 1285/00, auszulegen sei.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat mit Beschluss vom 20. 12. 2001, 6 Ob 262/01z, gemäß § 89 Abs 2 B-VG (Art 140 B-VG) beantragt, § 12a FLAG 1967 idF BGBl 1977/646 als verfassungswidrig aufzuheben. Diesem Antrag sind weitere Anträge gefolgt, sodass schon derzeit zahlreiche Verfahren beim Verfassungsgerichtshof anhängig sind. Es ist davon auszugehen, dass sich die Frage der Verfassungsgemäßheit des § 12a FLAG noch in vielen Verfahren stellen wird, weil sich die in dieser Bestimmung verfügte Nichtberücksichtigung der Familienbeihilfe bei der Bemessung des Geldunterhalts in der weitaus überwiegenden Zahl der Unterhaltsbemessungsverfahren auswirkt.

Der Verfassungsgerichtshof hat in ähnlich gelagerten Fällen gemäß § 140 Abs 7 zweiter Satz B-VG ausgesprochen, dass die angefochtene und von ihm aufgehobene Gesetzesbestimmung nicht mehr anzuwenden sei (s VfGH 1. 10. 2001, G 224/01). Es wäre eine unsachliche Verschiedenbehandlung, würde der Verfassungsgerichtshof, sollte er § 12a FLAG aufheben, nicht auch in den bereits anhängigen Verfahren aussprechen, dass die Bestimmung nicht nur im jeweiligen Anlassfalls, sondern auch in allen übrigen Fällen nicht mehr anzuwenden sei. Ist aber davon auszugehen, dass der Verfassungsgerichtshof im Fall einer Aufhebung des § 12a FLAG die Anlassfallwirkung auf die rechtlich gleichgelagerten anhängigen Verfahren erstrecken wird, sind die beim Verfassungsgerichtshof anhängigen Verfahren präjudiziell für das vorliegende Verfahren, weil sich bei einer Aufhebung des § 12a FLAG der Unterhaltsbeitrag durch Berücksichtigung der Familienbehilfe entsprechend vermindern würde.

Gemäß § 190 Abs 1 ZPO kann ein Rechtsstreit unterbrochen werden, wenn die Entscheidung ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses oder Rechts abhängt, welches Gegenstand eines anderen Rechtsstreits ist oder welches in einem anhängigen Verwaltungsverfahren festzustellen ist. Eine derartige Unterbrechungsmöglichkeit ist weder bei einem vor dem Verfassungsgerichtshof anhängigen präjudiziellen Verfahren noch für das Außerstreitverfahren vorgesehen. Diese planwidrige Gesetzeslücke ist durch analoge Anwendung des § 190 ZPO zu schließen, weil der Zweck der Bestimmung - widersprechende Entscheidungen im Sinn der Einheit der Rechtsordnung zu verhindern - auch auf den vorliegenden Fall zutrifft (vgl 4 Ob 42/02h ua).

Das Verfahren war daher bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs über die Anfechtung des § 12a FLAG zu unterbrechen.

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