9Ob3/02k – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Unterbringungssache Sabine M*****, über den Revisionsrekurs des Patientenanwalts Dr. Rudolf S***** gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 9. November 2001, GZ 54 R 89/01m-10, mit dem über Rekurs des Patientenanwalts der Beschluss des Bezirksgerichts Innsbruck vom 8. Oktober 2001, GZ 27 Ub 699/01g-5, bestätigt wurde, folgenden
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird mangels einer erheblichen Rechtsfrage (§ 14 Abs 1 AußStrG) zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Sabine M***** wurde auf Grund einer schizoaffektiven Psychose, die zu einer erheblichen Selbst- und Fremdgefährdung führte, in die Universitätsklinik für Psychiatrie in Innsbruck eingeliefert und dort nach Erstellung der zwei fachärztlichen Zeugnisse im Sinne des § 10 Abs 1 UbG am 4. 10. 2001 auf der geschlossenen Abteilung untergebracht. Auf Grund einer Überbelegung dieser Abteilung wurde sie über ärztliche Veranlassung am 5. 10. 2001 in den geschlossenen Bereich des Psychiatrischen Krankenhauses Hall, das nur wenige Kilometer von der Innsbrucker Universitätsklinik entfernt ist, überstellt. Der Patientenanwalt verlangte die gerichtliche Überprüfung dieses Transports, da die Patientin "gegen ihren erklärten Willen" vom Rettungsdienst und Polizeibeamten in ein anderes Krankenhaus verbracht worden sei; dass der Transport wegen eines Überbelags aus organisatorischer Notwendigkeit erfolgt ist, werde nicht in Frage gestellt.
Das Erstgericht sprach aus, dass der Transport zulässig war. Es stellte fest, dass trotz der Verwendung zusätzlicher Zimmer - an der Frauenstation sind an sich nur sechs Betten systemisiert - überbelegt war, weshalb der Patientin am 5. 10. 2000 in der Früh mitgeteilt wurde, dass die wegen des Überbelages in das PKH Hall überstellt werde, was die Patientin vorerst ablehnte. Nachdem ihr vom Oberarzt erklärt worden war, dass der Transport notwendig sei, stimmte sie "vordergründig" zu. Um vollkommen sicher zu sein, dass es zu keinen Komplikationen kommt, sofern die Patientin ihre Zustimmung widerruft, ersuchte der Oberarzt die Polizei, das Rettungsfahrzeug bei der Überstellungsfahrt zu begleiten. Für die Überstellung ist in erster Linie die Sicherheit der Patientin maßgeblich gewesen. Bei einem Überbelag steht zu wenig Pflegepersonal zur Verfügung, um eine lückenlose Überwachung der Patientinnen im geschlossenen Bereich zu gewährleisten; am 5. 10. 2000 sind einige Patienten auf der geschlossenen Abteilung gewesen, die eine intensive Betreuung und Beobachtung gebraucht hatten.
Gemäß § 37 UbG sei die (nach § 36 Abs 1 UbG sonst erforderliche) Zustimmung des Patienten und die gerichtliche Genehmigung nicht erforderlich, wenn die Behandlung so dringend notwendig ist, dass der mit der Einholung der Zustimmung oder der Genehmigung verbundene Aufschub das Leben des Kranken gefährden würde oder mit der Gefahr einer schweren Schädigung der Gesundheit des Kranken verbunden wäre; über die Notwendigkeit und Dringlichkeit einer Behandlung entscheide der Abteilungsleiter. Im vorliegenden Fall habe der Transport zwar insoweit keine medizinischen Gründe gehabt, als auch im PKH Hall keine besondere medizinische Behandlung durchgeführt werden sollte; eine Überstellung sei jedoch insoweit aus medizinischer Sicht notwendig gewesen, als sonst die gebotene ärztliche Behandlung und Betreuung nicht gewährleistet gewesen wäre. Wende man die Bestimmungen der "einfachen Heilbehandlung" analog auf die Frage des Transports an, genüge eine nachträgliche Überprüfung. Auch bei einer "besonderen Heilbehandlung" habe der Abteilungsleiter nach § 37 UbG über die Notwendigkeit und Dringlichkeit zu entscheiden. Unmittelbar vor dem Wochenende sei mit weiteren Neuunterbringungen zu rechnen gewesen. Der Transport entspreche auch dem Gebot der Verhältnismäßigkeit, da die beiden Orte nur wenige Kilometer voneinander entfernt seien und die Überbelegung der Station in der Universitätsklinik eine Gefährdung der Patientin und auch der Mitpatienten bedeutet hätte.
Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs des Patientenanwalts nicht Folge. Nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofs gelte die Überstellung als Teil der einmal begonnenen Unterbringung. Soweit das UbG Fragen der ärztlichen Behandlung regle, sei es auf einen derartigen Transport nicht anzuwenden, da kein medizinisches Behandlungsproblem vorliege. Die Frage der Zulässigkeit eines Krankentransportes habe somit im Unterbringungsgesetz keine dezidierte Regelung erfahren. Angesichts der Regelungen des Art 1 des B-VG über den Schutz der persönlichen Freiheit und des § 1 UbG sei an die gesetzte Maßnahme die Messlatte der Verhältnismäßigkeit anzulegen. Bei jeder die Persönlichkeitsrechte beeinträchtigenden Maßnahme sei zu überprüfen, ob die Menschenwürde hiebei geachtet wird und die beschränkende Maßnahme nicht zum Zweck außer Verhältnis steht. Im vorliegenden Fall habe die Wahl bestanden, entweder die medizinische Versorgung und die Sicherheit der Patienten auf der geschlossenen Abteilung der Universitätsklinik durch Beibehaltung des Überbelags in Frage zu stellen oder gegen den Willen der Patientin (oder eines anderen Patienten) eine Verlegung in eine andere Krankenanstalt vorzunehmen. Ziehe man ins Kalkül, dass die Menschenwürde - gerade in einer geschlossenen Abteilung einer psychiatrischen Anstalt - auch durch einen Überbelag beeinträchtigt werde, so erweise sich der Transport in eine andere Krankenanstalt, die die sonst gleiche medizinische Versorgung gewährleistet, nicht als unverhältnismäßig. In seinem Revisionsrekurs macht der Patientenanwalt geltend, dass die Patientin am 5. 10. 2001 "gegen ihren erklärten Willen" vom geschlossenen Bereich der Universitätsklinik für Psychiatrie Innsbruck in das Psychiatrische Krankenhaus Hall gebracht worden sei. Nach § 1 Abs 2 UbG seien Beschränkungen von Persönlichkeitsrechten nur insoweit zulässig, als sie im Verfassungsrecht, im Unterbringungsgesetz oder in anderen gesetzlichen Vorschriften ausdrücklich vorgesehen sind. Durch den - gesetzlich nicht erfassten - Transport der Patientin "mittels Polizeigewahrsam" in eine andere Anstalt sei das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen - über die psychiatrische Unterbringung hinaus - weiter beeinträchtigt worden, ohne dass es für eine derartige Vorgangsweise eine gesetzliche Eingriffsermächtigung gegeben hätte. Auch aus § 3 UbG könne eine derartige Ermächtigung nicht abgeleitet werden. Ein Transport gegen den erklärten Willen einer Person unter Polizeibegleitung stelle somit einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte von Betroffenen dar, der über das im Rahmen einer "normalen" Unterbringung normierte Ausmaß hinausgehe.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist ungeachtet des (den Obersten Gerichtshof nicht bindenden) Zulässigkeitsausspruchs des Rekursgerichtes nicht zulässig, da die im Revisionsrekurs angesprochenen Fragen für die Lösung des vorliegenden Falls nicht von Bedeutung sind, sodass keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 14 Abs 1 AußStrG vorliegt. Entgegen dem vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt geht der Patientenanwalt nämlich zu Unrecht davon aus, dass der Transport "gegen den erklärten Willen" der Patientin durchgeführt worden wäre und die Verbringung "mittels Polizeigewahrsam" stattgefunden hätte. Das Erstgericht hat vielmehr festgestellt, dass die Patientin nach einem (zweiten) Gespräch mit Oberarzt Dr. D*****, in dem ihr erklärt wurde, dass der Transport notwendig sei, diesem "vordergründig" zugestimmt hat. Um sicher zu gehen, dass es zu keinen Komplikationen kommt, falls die Patientin ihre Zustimmung widerruft, wurde die Polizei ersucht, das Rettungsfahrzeug zu begleiten. Davon, dass die Überstellung "mittels Polizeigewahrsam" stattgefunden hätte, kann daher überhaupt keine Rede sein. Dass sich etwa auch im Rettungsfahrzeug ein Polizeibeamter befunden hätte, wird nicht einmal behauptet.
Die erstgerichtliche Feststellung, die Patientin habe "vordergründig" zugestimmt, kann vernünftigerweise nur so verstanden werden, dass sie sich nach entsprechender Aufklärung und Information durch den Oberarzt zu dem beabsichtigten Transport nach Hall schließlich doch zustimmend geäußert hat, wobei nicht abzusehen war, ob sie diese Zustimmung auch in Zukunft aufrecht erhalten würde. Ein mit Zustimmung des Patienten erfolgter Transport in einem Rettungsfahrzeug kann jedenfalls nicht als ein unzulässiger Eingriff in dessen Persönlichkeitsrechte angesehen werden, auch wenn die Zustimmung über Anraten eines Arztes erteilt wird. Dass die Patientin zu diesem Zeitpunkt nicht in der Lage gewesen wäre, einen maßgeblichen Willen zu bilden, wird gar nicht behauptet. Der vom Patientenanwalt in seinem Rekurs vertretenen Ansicht, sie habe gar keine andere Wahl gehabt, als dem Transport zuzustimmen, kann nicht gefolgt werden; sie hätte durchaus bei ihrer ursprünglichen Meinung bleiben können, eine Verlegung nach Hall nicht zu wollen. Insgesamt stellte sich die Situation nicht wesentlich anders dar als für eine Vielzahl von (auch geistig gesunden) Patienten, die vorerst bestimmte Vorstellungen von der Art der medizinischen Behandlung oder dem gewünschten Behandlungsort haben, in der Folge jedoch auf Grund sachlicher Argumente des behandelnden Arztes davon abrücken und den anderslautenden Vorschlägen zustimmen. Gerade im vorliegenden Fall liegt auch keineswegs eine unsachliche Beeinflussung vor, da für die Überstellung nach Hall durchaus gewichtige Gründe vorlagen. Anhaltspunkte dafür, dass die der Patientin vor ihrer Zustimmung erteilte Information unrichtig oder unvollständig gewesen wäre, liegen nicht vor.
Da somit keine Überstellung der Patientin gegen ihren (seinerzeitigen) Willen durchgeführt wurde und sonst keine Umstände geltend gemacht werden, denen das nach § 14 Abs 1 AußStrG notwendige Gewicht zukäme, war der Revisionsrekurs mangels der Notwendigkeit, eine erhebliche Rechtsfrage zu beurteilen, zurückzuweisen.