12Os72/01 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 8. November 2001 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rzeszut als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler, Dr. Adamovic, Dr. Holzweber und Dr. Philipp als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Pripfl als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Walter U***** wegen des Verbrechens der vorsätzlichen Gemeingefährdung nach § 176 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Schöffengericht vom 20. Februar 2001, GZ 42 Vr 59/00-33, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Tiegs, des Angeklagten und seines Verteidigers Dr. Neuhauser zu Recht erkannt:
Spruch
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil im Schuldspruch wegen Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB (Schuldspruchfaktum II.) und demzufolge auch im Strafausspruch (mit Ausnahme des Ausspruchs über die Vorhaftanrechnung) aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang dieser Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.
Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil ferner gemäß § 290 Abs 1 StPO im (anklagekonformen) Schuldspruch des Angeklagten wegen des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (Schuldspruchfaktum III.) aufgehoben und gemäß § 288 Abs 2 Z 3 StPO im Umfang dieser weiteren Aufhebung in der Sache selbst erkannt:
Walter U***** wird von dem (über seinen unberührt gebliebenen Schuldspruch wegen vorsätzlicher Gemeingefährdung laut Schuldspruchfaktum I. und über den zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesenen Punkt II. des Urteils hinausgehenden) Anklagevorwurf, das Vergehen der Urkundenunterdrückung dadurch begangen zu haben, dass er "von Anfang 2000 bis 26. 3. 2000 eine Urkunde, über die er nicht mehr verfügen durfte, nämlich den von ihm am 30. 10. 1995 am Gendarmerieposten Ferlach als gestohlen gemeldeten, von der Bezirkshauptmannschaft Klagenfurt am 28. 4. 1986 unter der Zl 41/U-31/86 ausgestellten Führerschein, durch Nichtabliefern an die Bezirkshauptmannschaft Klagenfurt mit dem Vorsatz unterdrückte, zu verhindern, dass er im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht wird", gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die einleitende teilkassatorische Entscheidung verwiesen.
Gemäß § 390a StPO fallen dem Angeklagten die auf den erfolglosen Teil seiner Nichtigkeitsbeschwerde entfallenden Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Walter U***** wurde des Verbrechens der vorsätzlichen Gemeingefährdung nach § 176 Abs 1 StGB (I.), des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB (II.) und des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (III.) schuldig erkannt.
Demnach hat er "I.) am 26. 03. 2000 dadurch, dass er mit dem von ihm gelenkten Kombinationskraftwagen, Kennzeichen KL-71 VH, nach dem Wenden des Fahrzeuges beim Westportal des ""Ehrentalerbergtunnels"" über eine Strecke von ungefähr 37 km im Bereich von Klagenfurt bis Rammersdorf (Gemeinde Völkermarkt) die falsche Richtungsfahrbahn der Südautobahn A2 benützte, mithin anders als durch eine der in den §§ 172 und 173 StGB mit Strafe bedrohten Handlungen eine Gefahr für Leib und Leben einer größeren Zahl von Menschen und für fremdes Eigentum im großen Ausmaß herbeigeführt;
II.) am 26. 03. 2000 in Greuth bei Völkermarkt den Gendarmeriebeamten RI Karl P***** mit Gewalt, nämlich durch Losreißen, an seiner Festnahme und Verbringung zum Gendarmerieposten Völkermarkt, sohin an einer Amtshandlung, zu hindern versucht;
III.) von Anfang 2000 bis 26. 03. 2000 eine Urkunde, über die er nicht mehr verfügen durfte, nämlich den von ihm am 30. 10. 1995 am Gendarmerieposten Ferlach als gestohlen gemeldeten, auf der Bezirkshauptmannschaft Klagenfurt am 28. 04. 1986 unter der Zahl 41/U-3186/86 ausgestellten Führerschein durch Nichtabliefern an die Bezirkshauptmannschaft Klagenfurt, mit dem Vorsatz unterdrückt, zu verhindern, dass er im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht wird."
Der zu den Schuldspruchfakten I. und II. aus § 281 Abs 1 Z 4 und Z 9 lit a StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde kommt nur teilweise Berechtigung zu.
Rechtliche Beurteilung
Zum Schuldspruchfaktum II. (versuchter Widerstand gegen die Staatsgewalt) traf das Erstgericht folgende Tatsachenfeststellungen:
"Revierinspektor Karl P***** sprach daraufhin die Festnahme aus und forderte den Angeklagten auf, zum Dienstauto mitzukommen. Der Angeklagte verweigerte jedoch auch dies. Nach mehrmaliger Aufforderung erfasste Revierinspektor Karl P***** den Angeklagten am linken Arm, worauf sich der Angeklagte mit Hilfe seines ganzen Körpers loszureißen versuchte. Revierinspektor Karl P***** gelang es, die Armwinkelsperre anzulegen. Mit Hilfe des Kollegen Bezirksinspektor Karl M***** wurden dem Angeklagten auch Handschellen angelegt, wobei er sich neuerlich ""versperrte"". ..... Walter U***** war dabei klar erkennbar, dass es sich um eine Amtshandlung eines Gendarmeriebeamten handelt, er wollte jedoch die Festnahme durch den Beamten verhindern."
Der vom Erstgericht angenommene Einsatz von Gewalt setzt die Entfaltung physischer Kraft in einer an sich zur Überwindung der Gegenwirkung geeigneten Intensität voraus, die unter anderem auch den Versuch umfassen kann, sich unter Aufbietung einiger Körperkraft vom (hier) eskortierenden Beamten loszureißen (Steininger Komm3 § 269 RN 12 f mwN).
Im Sinn der gegen diesen Schuldspruch dargelegten Beschwerdeargumentation (Z 9 lit a) ist ein tatbestandsspezifischer Gewalteinsatz aus den zitierten, dazu unsubstantiierten Urteilsannahmen nicht ableitbar, weshalb insoweit eine Erneuerung des Verfahrens unvermeidbar ist.
Nachdem der Angeklagte, der sich bisher dahin verantwortet hatte, dass nicht er, sondern ein ihm unbekannter Mann zur Tatzeit am 26. März 2000 sein Fahrzeug gelenkt habe, in der Hauptverhandlung (erstmalig) behauptet hatte, dieser Mann heiße "Igor Irgendwie", stellte sein Verteidiger den Antrag auf "zeugenschaftliche Einvernahme des Zeugen Igor H*****, *****, zum Beweis dafür, dass der Angeklagte am 26. 3. 2000 gegen 00,30 Uhr oder später nicht den PKW mit dem amtlichen Kennzeichen KL-71 VH lenkte und nicht diesen in der Art und Weise, wie dies in Punkt I. der Anklageschrift angeführt, chauffierte".
Dem Beschwerdestandpunkt (Z 4) zuwider bedeutete die zu I. des Urteilsspruchs allein problematisierte Abweisung dieses Antrages keine Hintansetzung wesentlicher Verteidigungsrechte.
Denn das Erstgericht gründete die Urteilsannahme der Tatbegehung durch den Angeklagten mit mängelfreier Begründung schwerpunktmäßig auf die Aussagen der Gendarmeriebeamten M***** und P*****, die - mit Sicherheit - den Angeklagten während der Tatbegehung als Lenker und einzigen Insassen des in Rede stehenden Fahrzeuges wahrgenommen hatten (US 7 f, 18), auf das zur Frage der Erkennbarkeit des Angeklagten und der Anzahl der Insassen seines PKW zur Tatzeit eingeholte Gutachten des Sachverständigen Dipl. Ing. S***** (US 19), aber auch auf mehrere die Richtigkeit dieser Angaben nahelegende Indizien (US 14 ff, 18 f).
Die Tatrichter konstatierten damit unmissverständlich, dass sich zur Tatzeit - in jedenfalls signifikantem Widerspruch zu der vom Angeklagten in der Hauptverhandlung vorgebrachten Verantwortungsvariante - nur eine Person, und zwar der - wenige Minuten nach der Abfahrt von der Autobahn in seinem Fahrzeug festgenommene - Angeklagte im tatgegenständlichen PKW befand.
Da der in Rede stehende Beweisantrag die wie dargelegt mängelfreie Feststellung über bloß einen einzigen PKW-Insassen und damit schon aus dieser Sicht die Unhaltbarkeit der zuletzt gewählten Entlastungsversion zwangsläufig unberührt ließ, war er (abgesehen von der auf den Angeklagten zutreffenden Beschreibung - 41, 105, 231, 239; US 8, 18 - des Lenkers als dunkelhaarig und Träger eines kurzen Vollbartes) schon vom Ansatz her verfehlt.
Somit erweist sich (nur) hinsichtlich des Schuldspruchfaktums II. eine partielle Verfahrenserneuerung als unvermeidlich, ohne dass in diesem Umfang eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in der Sache selbst in Betracht kommt, weshalb insoweit nach § 285e StPO vorzugehen, die Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen aber zu verwerfen war.
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde konnte sich der Oberste Gerichtshof davon überzeugen, dass zum Nachteil des Angeklagten das Strafgesetz unrichtig angewendet worden ist, ohne dass dies vom Beschwerdeführer geltend gemacht worden wäre (§ 290 Abs 1 StPO). Der Schuldspruch wegen Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 StGB ist nämlich insofern verfehlt, als die inkriminierte Unterlassung der Ablieferung des durch Bescheid der Verwaltungsbehörde entzogenen, in weiterer Folge (nicht als "gestohlen", sondern richtig:) als verloren - Verlustanzeige ON 25 - gemeldeten, gar nicht diebstahlsfähigen (SSt 54/32, hRsp) Führerscheins, sohin einer Urkunde, an der nur der Berechtigte (hier ausschließlich der Angeklagte) ein (höchstpersönliches) Beweisführungsinteresse haben kann, deren rechtmäßiger Gebrauch durch Dritte hingegen ausscheidet (SSt 56/89 = EvBl 1986/125 = RZ 1986/73), eine tatbestandsessentielle Gebrauchsverhinderung zwingend ausschließt.
Der Angeklagte war daher vom Vorwurf des Vergehens der Urkundenunterdrückung gemäß § 259 Z 3 StPO freizusprechen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der bezogenen Gesetzesstelle.