JudikaturOGH

10ObS316/01w – OGH Entscheidung

Entscheidung
30. Oktober 2001

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Karlheinz Kux (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Walter Benesch (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Hubert W*****, Pensionist, *****, vertreten durch Dr. Johann Kahrer, Dr. Christian Haslinger, Rechtsanwälte in Ried im Innkreis, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Aufrechnung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 3. Juli 2001, GZ 12 Rs 205/01f-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis als Arbeits- und Sozialgericht vom 13. März 2001, GZ 14 Cgs 169/00p-7 (14 Cgs 170/00k), bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Da die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes zutreffend ist, kann gemäß § 510 Abs 3 zweiter Satz ZPO auf deren Richtigkeit verwiesen werden. Den Revisionsausführungen ist noch Folgendes entgegenzuhalten:

Rechtliche Beurteilung

Nach § 103 Abs 2 ASVG ist unter anderem die Aufrechnung nach § 103 Abs 1 Z 1 ASVG "bis zur Hälfte der zu erbringenden Geldleistung zulässig". Im ASVG befindet sich diese Regelung bereits seit seiner Stammfassung (BGBl 1955/189). § 103 Abs 2 ASVG wurde vom Gesetzgeber nicht abgeändert, insbesondere auch nicht im Zuge der mehrfachen umfangreichen Novellen der Exekutionsordnung in den letzten Jahren. Bereits in der Grundsatzentscheidung 10 ObS 146/93 = SSV-NF 7/100 = SZ 66/134 hat der Oberste Gerichtshof mit ausführlicher Begründung dargelegt, dass die Pfändungsbeschränkungen der EO einer Aufrechnung bis zur Hälfte der vom Versicherungsträger zu erbringenden Geldleistungen im Sinne des § 103 Abs 2 ASVG nicht entgegenstehen, weil § 293 Abs 3 EO zwar die Aufrechnung gegen die der Exekution entzogenen Teile einer Forderung auf Ausnahmsfälle einschränke, nach seinem ausdrücklichen Wortlaut jedoch nicht in den Fällen gelte, in denen nach bereits bestehenden Vorschriften Abzüge ohne Beschränkung auf den der Exekution unterliegenden Teil gestattet sind. § 103 Abs 2 ASVG sei aber - neben anderen - eine solche bestehende Ausnahmevorschrift, die dem eigentlichen Exekutionsrecht als speziellere Norm vorgehe und eine Aufrechnung in den nach der EO pfändungsfreien Teil zulasse. Es bleibe demnach dem alleinigen Ermessen des Sozialversicherungsträgers überlassen, die Höhe der Abzugsrate auf relativ niedrigem Niveau festzulegen. An dieser Ansicht hat der Oberste Gerichtshof in den Folgejahren (vgl SSV-NF 12/85, 12/103; 10 ObS 392/98i ua; RIS-Justiz RS0013254; vgl auch Resch in Burgstaller/Deixler, EO, § 293 Rz 15; Zechner, Forderungsexekution, § 290 Rz 1 und § 291a Rz 9, jeweils mwN ua) ausdrücklich festgehalten (vgl 10 ObS 119/01z, 10 ObS 152/01b, 10 ObS 252/01h, 10 ObS 300/01t ua) und auch ausgesprochen, dass die § 103 Abs 2 ASVG keine gleichheitswidrige und grundrechtswidrige Bevorzugung der Gläubigergruppe der Sozialversicherungsträger schafft (10 ObS 245/98x = SSV-NF 12/103; 10 ObS 392/98i = ARD 5051/11/99). Die Revisionsausführungen bieten keinen Anlass, von dieser ständigen Rechtsprechung abzugehen.

Der erkennende Senat vermag auch die weiteren vom Revisionswerber gegen die Bestimmung des § 103 Abs 1 Z 1 ASVG idF des Steuerreformgesetzes 2000, BGBl I 1999/106, geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken nicht zu teilen.

Nach der Rechtslage vor dem Inkrafttreten des Steuerreformgesetzes 2000 war eine Aufrechnung nur mit Beitragsforderungen des konkret leistungspflichtigen Versicherungsträgers zulässig (SSV-NF 7/100). Wie der erkennende Senat in der Entscheidung 10 ObS 392/98i (= ARD 5051/11/99) näher dargelegt hat, bleibt ungeachtet des Umstands, dass der Krankenversicherungsträger die Einhebung der Beiträge zur Sozialversicherung ausschließlich betreibt und auch die entsprechenden Rückstandsausweise zu erlassen hat, der Versicherungsträger, für den die Einbringung erfolgt, weiterhin Gläubiger der Forderung, soweit die Einbringung für seine Rechnung erfolgt. Insoweit war daher nach der alten Rechtslage auch die für eine Aufrechnung grundsätzlich vorgesehene Gegenseitigkeit der Forderungen gegeben.

Seit dem Inkrafttreten des Steuerreformgesetzes ist eine Aufrechnung aber auch "trägerübergreifend" (also nicht nur zB Pensionsversicherungs- und Krankenversicherungsträger, sondern auch Versicherungsträger nach dem ASVG und dem GSVG, BSVG usw) zulässig. Solche trägerübergreifenden Aufrechnungsbestimmungen finden sich nicht nur in § 103 Abs 1 Z 1 ASVG, sondern auch in den gleichlautenden Bestimmungen der §§ 71 Abs 1 Z 1 GSVG und 67 Abs 1 Z 1 BSVG. Auch in § 44 Abs 1 Z 1 B-KUVG wurde eine solche Bestimmung aufgenommen. Zu einer trägerübergreifenden Aufrechnung kann es sowohl bei GSVG-Pensionsbeziehern als auch bei ASVG-Pensionsbeziehern kommen, wie die Bestimmungen über die Wanderversicherung (§ 251a ASVG) zeigen (vgl 10 ObS 252/01h). Daraus ergibt sich, dass dem System der österreichischen Sozialversicherung auch in anderen Bereichen trägerübergreifende Wirkungen immanent sind. So wird im Rahmen der Bestimmungen über die Wanderversicherung (vgl § 251a ASVG) Vorsorge dafür getroffen, dass bei Vorliegen von Versicherungszeiten in verschiedenen Versicherungen die einzelnen Versicherungsträger auf die in der anderen Versicherung erworbenen Versicherungszeiten Bedacht nehmen, um zu verhindern, dass einem Versicherten beim Wechsel der Versicherung (etwa beim Übergang von der Selbständigkeit zur Unselbständigkeit und zurück) ein Nachteil in dem Sinne erwächst, dass die in vorangegangenen Versicherungen erworbenen Anwartschaften verloren gehen oder bei der Renten(Pensions)leistung nicht berücksichtigt werden.

Es trifft zwar zu, dass durch die Möglichkeit der "trägerübergreifenden" Aufrechnung der Grundsatz der Gegenseitigkeit bei der Aufrechnung stark relativiert wurde. Angesichts der gleichen oder ähnlichen Zielsetzung der von den Versicherungsträgern zu erfüllenden Aufgaben würde es aber eine unnötige Verwaltungserschwerung bedeuten, die Versicherungsträger streng an das Erfordernis der Gegenseitigkeit der aufzurechnenden Forderung zu binden. So lässt es auch für den deutschen Rechtsbereich die insoweit vergleichbare Bestimmung des § 52 SGB I zu, dass der für eine Geldleistung zuständige Leistungsträger mit Ermächtigung eines anderen Leistungsträgers dessen Ansprüche gegen den Berechtigten mit der ihm obliegenden Geldleistung verrechnet (vgl Hauck, SGB I, 18. Lfg V/99 Rz 1 zu § 52).

Im Übrigen wurde durch die nunmehr trägerübergreifende Aufrechnungsbestimmung für den Versicherten weder eine neue Verbindlichkeit geschaffen noch seine Rechtsposition für die Zeit vor dem Inkrafttreten der Neuregelung verschlechtert, sondern es wurde für die einzelnen Sozialversicherungsträger nur die Möglichkeit geschaffen, ihre Forderungen nicht mehr nur im Wege der Pensionspfändung, sondern direkt im Wege der Aufrechnung über den leistungspflichtigen Versicherungsträger auch ohne die Pfändungsbeschränkungen der EO einbringlich zu machen. Schließlich muss auch darauf Bedacht genommen werden, dass die Versicherungsträger nur mittels der - im Rahmen der Riskengemeinschaft - geleisteten Beiträge ihren Leistungsverpflichtungen nachkommen können.

Der erkennende Senat sieht sich daher auch im vorliegenden Fall nicht veranlasst, im Sinne der Ausführungen des Klägers den Verfassungsgerichtshof mit einem Normenprüfungsverfahren zu befassen (ebenso 10 ObS 119/01z, 10 ObS 152/01b, 10 ObS 252/01h ua).

Damit kann auch dahingestellt bleiben, ob sich der Kläger als Pensionsbezieher (und nicht ein Gläubiger) auf die von ihm behauptete Gleichheitswidrigkeit des § 103 ASVG berufen kann.

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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