12Os78/01 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Oktober 2001 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rzeszut als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler und Dr. Philipp als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Emsenhuber als Schriftführerin, in der Auslieferungssache Gerard van B***** wegen Auslieferung zur Strafverfolgung an die Republik Ungarn, AZ 23e Vr 2446/01 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, über die Grundrechtsbeschwerden des Genannten gegen die Beschlüsse des Oberlandesgerichtes Wien als Beschwerdegericht vom 9. August 2001, AZ 22 Bs 264, 265/01, und vom 18. September 2001, AZ 22 Bs 302/01, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Gerard van B***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.
Die Beschwerden werden abgewiesen.
Text
Gründe:
Der am 13. März 1950 geborene niederländische Staatsbürger Gerard van B***** wurde am 21. Februar 2001 aufgrund eines Haftbefehles der Oberstaatsanwaltschaft Budapest vom 20. Februar 2001 (AS 55 bis 59) in Verbindung mit der Ausschreibung im Schengener Informationssystem nach Art 95 SDÜ (AS 77 bis 81) festgenommen. In dem zu seiner Auslieferung an die Republik Ungarn zwecks Strafverfolgung wegen - nach österreichischem Recht - des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB geführten Verfahren wurde über ihn am 23. Februar 2001 gemäß § 180 Abs 2 Z 1 StPO iVm § 29 Abs 1 ARHG die Auslieferungshaft verhängt (ON 7).
Gerard van B***** wird vorgeworfen, in der Zeit vom 14. November 2000 bis 19. Februar 2001 gewerbsmäßig als Mitglied einer Bande unter dem Vorwand, ihr Geld in zu ihren Gunsten abzuschließende Warentermingeschäfte zu investieren, von (nach Ergänzungsbeschluss des Zentralen Bezirksgerichtes Pest vom 27. Juni 2001 [ON 57]) zehn - namentlich angeführten - ungarischen Investoren insgesamt 83.600 US-Dollar betrügerisch herausgelockt und diesen Betrag für eigene Zwecke verwendet zu haben.
Mit erstgerichtlichen Beschlüssen vom 7. März, 26. April, 26. Juni, 24. Juli und 30. August 2001 wurde die Fortsetzung der Auslieferungshaft aus dem genannten Haftgrund beschlossen. Dagegen gerichteten Beschwerden wurde vom Oberlandesgericht, einer Grundrechtsbeschwerde mit hg Erkenntnis vom 23. Mai 2001 (AZ 12 Os 38/01) nicht Folge gegeben.
Mit Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 25. September 2001 wurde die Auslieferung an die Republik Ungarn wegen der beschriebenen Straftaten für zulässig erklärt (AZ 22 Ns 9/01).
Mit den angefochtenen Entscheidungen vom 9. August 2001 und 18. September 2001 gab das Oberlandesgericht Beschwerden des Auszuliefernden gegen die Fortsetzung der Haft anordnende Beschlüsse der Untersuchungsrichterin vom 26. April 2001 (ON 42) und 24. Juli 2001 (ON 61) sowie vom 30. August 2001 (im vorliegenden Kopienakt noch ohne Ordnungsnummer) nicht Folge.
Die dagegen erhobenen Grundrechtsbeschwerden gehen fehl.
Rechtliche Beurteilung
Der für die Aufrechterhaltung der Auslieferungshaft erforderliche hinreichende Tatverdacht (§ 29 Abs 1 iVm § 31 Abs 1 ARHG) ergibt sich aus den rechtzeitig eingelangten und in der Folge hinsichtlich der Daten der Geschädigten und der Schadensbeträge ergänzten Auslieferungsunterlagen. Denen zufolge wurden ungarische Investoren für an ausländischen Börsen abzuschließende Geschäfte geworben, im Zuge der Vertragserrichtung mit der vom Beschwerdeführer geleiteten C***** GesmbH die ordnungsgemäße Abwicklung von Warentermingeschäften vorgetäuscht, die überlassenen Geldbeträge jedoch für eigene Zwecke der Bandenmitglieder verwendet, die sich daraus eine regelmäßige rechtswidrige Einkommensquelle erschlossen (S 352 f). Demgemäß geht aber - wie bereits zu hg 12 Os 38/01 ausgeführt - der Einwand, die jeweiligen Vertragspartner seien ohnehin über das mit (ordnungsgemäß abgewickelten) Warentermingeschäften verbundene hohe Risiko aufgeklärt worden, ebenso ins Leere wie der Hinweis auf durch ein umfangreiches Urkundenkonvolut dargetanene Geldflüsse in einer die Summe der Anlegergelder übersteigenden Gesamthöhe auf ein Konto der G***** Ltd. Durch den Nachweis dieser Geldtransaktionen wird nämlich der - dem erkennenden Gericht zur Beurteilung vorbehaltene - Vorwurf der widmungswidrigen Verwendung dieser Anlegergelder für Zwecke der Bandenmitglieder weder entkräftet noch widerlegt.
Geringfügige Abweichungen in Bezug auf Anzahl der Geschädigten, exakte Schadenshöhe und Details der Abwicklung der Geldtransaktionen üben keinen Einfluss auf die Identität des dem Auslieferungsbegehren zugrundeliegenden historischen Sachverhalts.
In Anbetracht der familiären und sozialen Beziehungen des Beschwerdeführers in die Niederlande, der Geschäftskontakte zu Firmen in Übersee sowie der persönlichen Naheverhältnisse zu anderen, beispielsweise in Tschechien (S 83 f) wohnhaften, gleichfalls in das vorliegende Strafverfahren ingerierten Personen kommt nach wie vor eine Substitution der Auslieferungshaft durch - von der Beschwerde lediglich global geforderte - gelindere Mittel hier nicht in Betracht.
Hinweise auf einen Presseartikel über eine Enthaftung gegen Kaution in einem anderen, nicht konnexen Verfahren verfangen nicht, hat doch die Prüfung der Haftsubstitution jeweils einzelfallbezogen zu erfolgen.
Was letztlich die gerügte Aufrechterhaltung der Auslieferungshaft über sechs Monate hinaus anbelangt (§ 29 Abs 6 ARHG) ist dem Oberlandesgericht beizupflichten, dass vorliegend wegen besonderer Schwierigkeiten (nicht aber Umfangs) des Verfahrens eine - durch zwischenzeitige Zulässigerklärung der Auslieferung realisierte - maßvolle Überschreitung der Sechsmonatsfrist gerechtfertigt ist. Mussten doch - unbeschadet der überschaubaren Modalitäten der verfahrensgegenständlichen deliktischen Bereicherungsmethode - wegen des Verdachtes banden- und gewerbsmäßiger Tatbegehung mit grenzüberschreitenden Ausführungskomponenten und zahlreichen ausländischen Geschädigten in einem aus inländischer Sicht mit besonderer Schwierigkeit verbundenen Verfahren ergänzende Erhebungsergebnisse zu deren Identität und zur Verifizierung der Schadenshöhe beigeschafft werden, um eine gesetzeskonforme Beschlussfassung über das Auslieferungsbegehren zu gewährleisten. Eine der in § 29 Abs 6 ARHG normierten alternativen Voraussetzungen für eine sechs Monate übersteigende Aufrechterhaltung der Auslieferungshaft war daher nach Lage des Falles - entgegen dem (durch schriftliche Äußerungen im Ergebnis nicht zielführend akzentuierten) Beschwerdestandpunkt - erfüllt.
Da somit Gerard van B***** durch keine der hier bekämpften Beschwerdeentscheidungen im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt wurde, waren seine Beschwerden ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.