2Ob31/01z – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Josefa G*****, vertreten durch Dr. Manfred Schnurer, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagten Parteien 1. Thomas P*****, und 2. Markus P*****, beide vertreten durch Eisenberger Herzog Nierhaus Forcher Partner, Rechtsanwaltssozietät in Graz, wegen S 233.333, - sA, über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 6. November 2000, GZ 3 R 141/00f 31, womit infolge der Berufungen sämtlicher Parteien das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 25. April 2000, GZ 39 Cg 124/98d 22, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagten Parteien sind schuldig, der klagenden Partei die mit S 12.573, - (darin enthalten S 2.095,50 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Klägerin wurde mit Einantwortungsurkunde vom 13. 7. 1996 der Nachlass der am 25. 3. 1996 verstorbenen Elisabeth M***** zufolge ihrer auf das Testament vom 8. 1. 1996 gegründeten unbedingten Erbserklärung als Alleinerbin eingeantwortet. Die Beklagten sind Söhne des vorverstorbenen einzigen gesetzlichen Erben der Erblasserin. Sie schlossen mit der Klägerin im Verlassenschaftsverfahren ein Pflichtteilsübereinkommen, nach welchem sie zur Abgeltung ihres vermeintlichen Anspruchs auf je ein Viertel des angenommenen reinen Wertes des Nachlasses je S 350.000 erhielten. Den Parteien war nicht bekannt, dass der vorverstorbene Vater der Beklagten einen weiteren außerehelichen Sohn hinterlassen hatte. Dieser machte gegenüber der Klägerin im März 1998 einen Pflichtteilsanspruch in Höhe eines Drittels des den beiden anderen Noterben zuerkannten Gesamtbetrages von S 700.000 von S 233.333 geltend, den die Klägerin anerkannte und im August 1998 erfüllte.
Die Klägerin begehrt von den Beklagten die Erstattung je der Hälfte des dem hinzugekommenen Noterben bezahlten Betrages. Sie stützt ihren Anspruch auf die Rechtsgründe des Irrtums, der Bereicherung sowie der Veränderung der Verhältnisse und führt zur Begründung an, dass sie keine Kenntnis vom Vorhandensein eines dritten Noterben gehabt habe. Die den Beklagten bezahlten Beträge seien auf der Grundlage des einvernehmlich festgestellten Wertes des Nachlasses bemessen worden.
Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Auch sie hätten vom dritten Noterben nichts gewusst. In dem mit der Klägerin geschlossenen Pflichtteilsübereinkommen sei aber auch auf den Fall des Auftretens weiterer Noterben oder sonstiger Verlassenschaftsgläubiger Bedacht genommen worden. Dies ergebe sich insbesondere aus der Vereinbarung, dass die Alleinerbin sämtliche Nachlasspassiva alleine zu tragen habe. Die Beklagten hätten im Falle einer exakten Bewertung des Nachlasses einen deutlich höheren Pflichtteilsbetrag fordern können.
Das Erstgericht verpflichtete die Beklagten zur Zahlung von je S 58.333,25 und wies das Mehrbegehren in gleicher Höhe ab.
Es stellte neben dem eingangs wiedergegebenen Sachverhalt noch fest, dass die Klägerin vom Gerichtskommissär anlässlich des Verlassenschaftsverfahrens über das Wesen einer bedingten bzw unbedingten Erbserklärung sowie persönlich, was unter "Nachlasspassiva" zu verstehen sei, aufgeklärt worden sei. Die Klägerin habe ihre zunächst bedingte Erbserklärung in eine unbedingte umgewandelt, da sie zu wissen gemeint habe, dass weitere Geldforderungen an die Erblasserin nicht zu erwarten seien bzw dass diese keine Schulden habe. Am 27. 6. 1996 sei zwischen den Streitteilen ein Pflichtteilsübereinkommen geschlossen worden, in welchem sich die Klägerin verpflichtet habe, den Beklagten jeweils einen Bargeldbetrag von S 350.000 zu leisten, sich die Beklagten für vollkommen pflichtteilsentfertigt erklärt, auf die Geltendmachung weiterer, wie immer gearteter Ansprüche gegen den Nachlass oder die Alleinerbin verzichtet hätten und die Klägerin sich als Alleinerbin verpflichtet habe, sämtliche Nachlasspassiva alleine zu tragen.
Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahingehend, dass dem hinzugekommenen Noterben ein Pflichtteilsanspruch in Höhe von S 280.000 (ein Fünftel des Wertes des Nachlasses) gebühre. Diesen Betrag hätten die Streitteile entsprechend dem gemäß § 777 ABGB ermittelten Quotenverhältnis von 1 : 1 : 1 (je für drei Enkel) : 2 (für die Testamentserbin) entsprechend im Verhältnis von 50 % (Klägerin) und je 25 % (Beklagte) aufzubringen. Die Bereinigungswirkung des Pflichtteilsübereinkommens erstrecke sich nicht auf diese Frage.
Das von beiden Seiten angerufene Berufungsgericht gab lediglich der Berufung der Klägerin Folge und verpflichtete die Beklagten zur Zahlung von je S 116.666,50 sA sowie der Prozesskosten und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.
Eine Feststellung, die Streitteile hätten in dem zwischen ihnen geschlossenen Pflichtteilsübereinkommen auch auf einen Fall wie den vorliegenden Bedacht genommen, habe das Erstgericht nicht treffen können. Auch eine nach dem Wortsinn der Urkunde vorzunehmende Auslegung führe nicht zu dem von den Beklagten angestrebten Ergebnis (wonach die Klägerin auch bei Auftreten eines weiteren Noterben dessen Pflichtteil als Nachlassschuld zu begleichen habe), weil der Hinweis auf die Alleinhaftung der Alleinerbin hinsichtlich aller Nachlasspassiva überflüssig sei; der Umfang der Erbenhaftung ergebe sich bereits aus dem Gesetz.
Den vertragschließenden Parteien sei bei Abschluss des Vergleiches ein gemeinsamer Irrtum über die als unstrittig angenommenen Umstände unterlaufen, der nach den Regeln über die Geschäftsgrundlage zur Vertragsauflösung oder Vertragsanpassung führen könne. Im Wege ergänzender Auslegung sei der Vertrag um dasjenige zu vervollständigen, was unter Berücksichtigung des von den Parteien verfolgten Vertragszweckes sowie unter Heranziehung der Verkehrssitte einer zwischen redlichen und vernünftigen Parteien geschlossenen Vereinbarung entsprechen würde. Dies führe zum Ergebnis, dass sich die Beklagten zufolge des Hinzutretens eines weiteren gleichberechtigten Noterben die auf ihren vorverstorbenen gemeinsamen Vater entfallende Erbquote von 100 % nach Köpfen zu teilen hätten, weshalb nach § 765 ABGB auf jeden Noterben die Hälfte dieser Quote, also je ein Sechstel, entfalle. Es sei anzunehmen, dass redliche Parteien ihrem Pflichtteilsübereinkommen diese Quote zu Grunde gelegt und auf der einvernehmlich angenommenen Basis des geschätzten Wertes des reinen Nachlasses von S 1,4 Mio die Pflichtteilsansprüche der drei Noterben mit je einem Drittel der Hälfte dieses Betrages ausgemessen hätten. Die Beklagten seien durch den Erhalt einer Pflichtteilsquote von je einem Viertel im Umfang der Differenz zu einer Quote von je einem Sechstel bereichert, weshalb sie der Klägerin, die in diesem Umfange durch die Befriedigung des Anspruches des hinzugekommenen Noterben verkürzt worden sei, je ein Drittel ihrer Quote von S 350.000, somit den Betrag von je S 116.666,50 zurückzuzahlen hätten.
Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Frage der Anfechtbarkeit eines Pflichtteilsübereinkommens wegen nachträglichen Hervorkommens eines bisher unbekannt gewesenen weiteren Noterben Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehle.
Die Beklagten bekämpfen diese Entscheidung mit Revision wegen Nichtigkeit bzw Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens sowie wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen bzw ihr nicht Folge zu geben.
Die Revision der Beklagten ist nicht berechtigt.
Die Beklagten erblicken eine Nichtigkeit des Berufungsverfahrens im Sinn des § 503 Z 1 ZPO, weil das Berufungsgericht die Entscheidung des Gerichtes erster Instanz nicht innerhalb der Grenzen der Berufungsanträge der Klägerin überprüft habe; die Rechtsrüge in der Berufung der Klägerin sei nicht ordnungsgemäß ausgeführt worden, weshalb die Berufung zu verwerfen gewesen wäre. Weder im Verfahren erster Instanz noch im Berufungsverfahren sei vorgebracht worden, dass ein gemeinsamer Irrtum vorliege, weshalb die vom Berufungsgericht getroffenen überschießenden Feststellungen zum hypothetischen Parteiwillen durch die Berufungsanträge der Klägerin nicht gedeckt seien. In der Rechtsrüge wird geltend gemacht, dass nach dem zwischen den Streitteilen geschlossenen Pflichtteilsübereinkommen neu hinzutretende Nachlasspassiva alleine von der Klägerin als Erbin zu tragen gewesen wären. Bei dem neu hinzugekommenen Pflichtteilsanspruch handle es sich um eine Nachlassverbindlichkeit. Durch den geschlossenen Vergleich hätte die Unsicherheit, ob noch Nachlassverbindlichkeiten auftreten würden, beseitigt werden sollen. Dieses Risiko habe die Klägerin übernommen. Durch den Vergleich sei eine zwischen dem eingesetzten Erben und den Pflichtteilsberechtigten abschließende Regelung der gegenseitigen Rechtsbeziehungen erfolgt. Schließlich sei die Klägerin wenn überhaupt nur einem Rechtsfolgenirrtum unterlegen, der nicht zur Anfechtung oder Anpassung des Pflichtteilsabkommens führen könne.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Zur behaupteten Nichtigkeit des Berufungsverfahrens:
Im vorliegenden Fall liegt weder eine Missachtung einer eingetretenen Teilrechtskraft durch das Berufungsgericht noch eine unzulässige Berücksichtigung eines nicht mehr geltend gemachten Rechtsgrundes durch das Berufungsgericht vor. Die Klägerin hat in ihrer Berufung ausdrücklich die Stattgebung ihrer Berufung im Sinne einer vollständigen Stattgebung des Klagebegehrens beantragt. Inwieweit das Berufungsgericht hier einen Berufungsantrag überschritten haben sollte bzw die eingetretene Teilrechtskraft des erstgerichtlichen Urteils missachtet haben soll, ist nicht ersichtlich. Die Klägerin hat sich auch im Verfahren erster Instanz auf Irrtum gestützt (ON 6). Dass dieser Rechtsgrund im Berufungsverfahren nicht mehr aufrecht erhalten worden wäre, lässt sich der Berufungsschrift ebenfalls nicht entnehmen. Die Berufung der Klägerin spricht ausdrücklich von einem "Neuauftauchen" eines weiteren Noterben, was die Annahme der Aufrechterhaltung des Irrtumseinwandes durch das Berufungsgericht rechtfertigt. Schließlich ist auch dem in der Revision hervorgebrachten Einwand, die Rechtsrüge in der Berufung der Klägerin sei nicht ordnungsgemäß ausgeführt, weshalb die Berufung zu verwerfen gewesen wäre, zu entgegnen, dass sich die Beklagten in ihrer Berufungsbeantwortung ausführlich mit der in der Berufung vertretenen Rechtsansicht der Klägerin auseinandergesetzt haben, weshalb von einer in der Berufung nicht ausgeführten Rechtsrüge wohl nicht die Rede sein kann.
Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor, was nicht weiters begründet werden muss (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).
Auch in der Rechtsrüge wird eine Fehlbeurteilung des festgestellten Sachverhaltes nicht aufgezeigt.
Danach schlossen die Streitteile am 27. 6. 1996 ein Pflichtteilsübereinkommen, in welchem sich die Klägerin verpflichtete, den Beklagten jeweils einen Bargeldbetrag von S 350.000 zu leisten. Die Beklagten verzichteten auf die Geltendmachung weiterer wie immer gearteter Ansprüche gegen den Nachlass oder die Alleinerbin, wohingegen sich die Klägerin verpflichtete, sämtliche Nachlasspassiva alleine zu tragen. Der reine Nachlass betrug unter Berücksichtigung des Schätzwertes der Liegenschaft S 1,304.973,80. Zweck des Pflichtteilsübereinkommens war es aus der Sicht der Streitteile, möglichst rasch zu einem Abschluss des Verlassenschaftsverfahrens zu kommen. Zu diesem Zeitpunkt war die Existenz eines weiteren Kindes des vorverstorbenen Sohnes der Erblasserin nicht bekannt.
Entgegen diesen erstgerichtlichen Feststellungen kann den Parteien beim Abschluss des Vergleiches nicht unterstellt werden, die Existenz eines weiteren pflichtteilberechtigten Erben auch nur Bedacht zu haben, weil auch nicht hervorgekommen ist, dass die Beklagten von der Existenz ihres Halbbruders überhaupt wussten. Die Klägerin selbst hat ihre bedingte Erbserklärung in eine unbedingte nur deshalb umgewandelt, weil sie der Meinung war, dass die Erblasserin keine weiteren Schulden mehr gehabt habe.
Es ist daher davon auszugehen, dass wie von den Vorinstanzen bereits ausgeführt die Bereinigungswirkung des Vergleiches allenfalls die auf Grund des Reinnachlasses zu ermittelnde Höhe des den Beklagten zustehenden Pflichtteilsanspruchs umfasst, nicht aber den Umstand, dass dieser Pflichtteilsanspruch durch das Hinzukommen eines weiteren Noterben vermindert werden könnte.
Bei Kenntnis aller Umstände hätten sich die Parteien daher nur in der Weise verglichen, dass den beiden Beklagten und dem weiteren Noterben ein Drittel des auf alle drei zufallenden Pflichtteiles gebührt. Damit bleibt der Grundsatz gewahrt, dass die Testamentserbin alle Pflichtteilsansprüche in der berechtigten Höhe zu befriedigen hat, während ihr der Rest als Erbteil zufallen soll. Keinesfalls kann aber dem geschlossenen Pflichtteilsübereinkommen die Absicht unterstellt werden, die Testamentserbin hätte auch bei Hervorkommen eines weiteren Noterben dessen Pflichtteils aus eigenem zu tragen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.