15Os53/01 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 21. Juni 2001 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder, Dr. Schmucker, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bauer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Michael G***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Michael G***** und über die Berufung des Angeklagten Stefan W***** gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht St. Pölten vom 31. Jänner 2001, GZ 24 Vr 319/00-83, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Raunig, der Angeklagten sowie der Verteidiger Dr. Bernhauser und Dr. Sina zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390a StPO fallen den Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurden Michael G***** (als unmittelbarer Täter) und Stefan W***** (als Beitragstäter gemäß § 12 dritter Fall StGB) der Verbrechen des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB (A I und B) sowie des versuchten schweren Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1, 143 erster Satz zweiter Fall StGB (A II und B) schuldig erkannt.
Danach haben sie am 11. April 2000 in Purkersdorf, und zwar
A Michael G*****
I Johann N***** durch Zustechen mit einem Küchenmesser mit einer 11 cm langen spitzen Klinge gegen die rechte Brustkorbseite, wodurch der Genannte eine Lungenverletzung sowie Schnittwunden an der linken Hand, somit eine an sich schwere Verletzung, erlitt, vorsätzlich zu töten versucht;
II durch die im Punkt I dargestellte Tathandlung sowie durch die Aufforderung zu sagen, wo das Geld sei, mit Gewalt gegen eine Person, dem Johann N***** fremde bewegliche Sachen, nämlich Bargeld, mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz wegzunehmen versucht, wobei er den Raub unter Verwendung einer Waffe zu verüben suchte;
B Stefan W***** zur Ausführung der zu A I und II dargestellten strafbaren Handlungen des Michael G***** beigetragen, indem er in Kenntnis des Tatplanes bei der Aufnahme eines Taxis mitwirkte und teilweise dessen Fahrstrecke zum vereinbarten Tatort durch Ratschläge mitbestimmte.
Die Geschworenen bejahten die ihnen (für jeden Angeklagten getrennt) vorgelegten anklagekonformen Hauptfragen I., III., VII. und VIII. Die zu den Hauptfragen des Michael G***** jeweils gestellten Zusatzfragen II. und IV. nach freiwilligem Rücktritt vom Versuch (§ 16 Abs 1 StGB) verneinten sie.
Die (nur) vom Angeklagten Michael G***** gegen den Schuldspruch erhobene Fragestellungsrüge aus § 345 Abs 1 Z 6 StPO ist nicht im Recht.
Rechtliche Beurteilung
Entgegen der Beschwerdeauffassung bestand kein Anlass zu einer Fragestellung nach dem Vergehen der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs 1 (iVm §§ 15, 75 und §§ 15, 142 Abs 1, 143 erster Satz zweiter Fall) StGB.
Gemäß § 313 StPO ist eine Zusatzfrage nach Strafaufhebungsgründen zu stellen, wenn in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht worden sind, bei denen, wenn sie als erwiesen angenommen werden, die Strafbarkeit ausgeschlossen würde. Auch die (unter Vernachlässigung des vorgenannten Zusammenhanges allein relevierte) Stellung einer Eventualfrage nach § 314 StPO setzt ein Tatsachenvorbringen in der Hauptverhandlung voraus, nach dem, sollte es als erwiesen angenommen werden, die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat unter ein anderes Strafgesetz fiele, das nicht strenger ist als das in der Anklageschrift angeführte.
Eine auf volle Berauschung bezogene Fragestellung war jedoch selbst nach der Verantwortung des Beschwerdeführers nicht indiziert. Er gab in der Hauptverhandlung an, es sei "alles ein black out, eine blöde spontane Idee" gewesen, "den Taxler auszurauben". Er habe ein Messer eingesteckt, um einen Raub zu begehen, und den Taxilenker von Wien nach Breitenfurt beordert (S 287 f, 291 f, 313/II). Er habe Blödsinn geredet, weil er betrunken gewesen sei (S 295/II). Er sei berauscht von Alkohol und Tabletten (S 301/II), wie bei seiner nach § 270 Abs 1 (aber nicht § 287 Abs 1) StGB abgeurteilten Vortat "voll betrunken" gewesen (S 303/II). Er habe ab zwei Uhr nachmittags "ein paar Bier" und gemeinsam mit Stefan W***** eine Flasche Wodka getrunken, sei "zu" gewesen, habe Praxiten und Tramal Tabletten genommen (S 317/II). Nach dem Zustechen habe er "wieder ein black out gehabt" (S 301 f/II). Auch bei seinen (in der Hauptverhandlung verlesenen) Aussagen vor Sicherheitsbehörde und Untersuchungsrichter verantwortete sich der Angeklagte niemals damit, zurechnungsfähig, also diskretionsund/oder dispositionsunfähig gewesen zu sein (S 63 ff, 115 ff/I iVm 411/II).
Anhaltspunkte für eine volle Berauschung bietet aber auch das Gutachten des Sachverständigen Prim. Dr. Kurt Sindermann nicht, dem zufolge Michael G***** zum Tatzeitpunkt einen Alkoholisierungsgrad von 1,64 %o hatte, ein in seinem Blut nachgewiesener Medikamentenstoff aus der Gruppe der Schlaf- oder Beruhigungsmittel (gerichtsmedizinisches Gutachten ON 31) durch die dokumentierte Einnahme von zwei Praxiten-Tabletten während der sicherheitsbehördlichen Vernehmung (S 57/I) hinreichend erklärt ist und die zwei anderen bei der Blutuntersuchung festgestellten Wirkstoffe in therapeutischer Menge unter Berücksichtigung des Alkoholisierungsgrades aus psychiatrischer Sicht keine Grundlage für die Annahme von Zurechnungsunfähigkeit ergeben (ON 46 iVm S 351 f/II).
Ebensowenig war die reklamierte Fragestellung durch andere Verfahrensergebnisse indiziert. Dem als Zeugen befragten Taxilenker Johann N***** schienen die Angeklagten zwar alkoholisiert, aber "keinesfalls derart viel, dass sie nicht mehr gewusst hätten, was sie tun" (S 147/I iVm 331/II). Für den Polizeibeamten Norbert Z***** war bei der Festnahme wenige Stunden nach der Tat keine Alkoholisierung des Angeklagten offensichtlich (S 381/II). Bei der anschließenden Vernehmung schien er auch dem Kriminalbeamten keineswegs als voll berauscht (S 383/II).
Für die vom Beschwerdeführer vermisste Fragestellung bestand daher kein Anlass (vgl 15 Os 136, 139/96).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.
Das Geschworenengericht verhängte über die Angeklagten nach §§ 28 Abs 1, 75 StGB Freiheitsstrafen, und zwar über Michael G***** von 12 Jahren und über Stefan W***** (zu ergänzen: unter Anwendung des § 41 Abs 1 Z 1 StGB) von 6 Jahren. Michael G***** wurde gemäß § 21 Abs 2 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.
Bei der Strafbemessung wertete das Erstgericht bei Michael G***** als erschwerend das Zusammentreffen von zwei Verbrechen, zwei einschlägige Vorstrafen, die Planung der Tat und den völlig überraschenden Angriff auf das wehrlose Opfer, ferner, dass er als Haupttätter die treibende Kraft war und die eigentliche Tatausführung allein durchgeführt hat, als mildernd hingegen den Beitrag zur Wahrheitsfindung zum versuchten schweren Raub, der auch zur Überführung des Beitragstäters beitrug, und dass es beim Versuch der beiden Verbrechen geblieben war; bei Stefan W***** wurde als erschwerend das Zusammentreffen von zwei Verbrechen und eine einschlägige Vorstrafe angenommenen, als mildernd, dass er nur in untergeordneter Weise - hauptsächlich im Vorfeld der Tatbegehung - beteiligt war und dass es beim Versuch der beiden Verbrechen geblieben war.
Die Berufungen der Angeklagten richten sich gegen die Strafhöhe, wobei Michael G***** deren schuldangemessene Milderung begehrt, während Stefan W***** beantragt, diese wesentlich herabzusetzen.
Beide Berufungen sind unbegründet.
Das Tatgericht hat die gegebenen Strafzumessungstatsachen nicht nur im Wesentlichen richtig festgestellt, sondern sie auch zutreffend gewichtet und über die Angeklagten differenzierte, tatschuldangemessene Sanktionen verhängt.
Der Berufung des Michael G***** zuwider sind die beiden Vorstrafen wegen §§ 89 (81 Z 1), 270 StGB und §§ 12, 127; 125 StGB einschlägiger Natur (vgl § 33 Z 2 StGB). Dass er die von ihm geplanten Verbrechen allein ausgeführt hat und die treibende Kraft dabei war, verwirklicht den Erschwerungsgrund des § 33 Z 4 StGB (vgl Leukauf/Steininger Komm3 § 33 RN 10). Auch die vom Berufungswerber als zusätzlich für sich mildernd ins Treffen geführte, vom psychiatrischen Experten attestierte "Alkoholerkrankung und die darauf zurückzuführende erhebliche Beeinträchtigung seiner Dispositionsfähigkeit" vermögen angesichts der doch reiflichen Planung und kaltblütigen Ausführung zweier Kapitalverbrechen sowie im Lichte der sonstigen vom Tatgericht herangezogenen Erschwerungsgründe keine Strafmilderung zu bewirken. Der bloße Versuch der Verbrechen wurde zutreffend berücksichtigt. Hätte der Angeklagte - wie er im Rechtsmittel argumentiert - den Taxilenker verfolgt, ermordet und ihm das Bargeld geraubt, hätte er zwei vollendete Verbrechen zu verantworten und wäre des zuletzt genannten Milderungsgrundes verlustig gegangen.
Entgegen der Ansicht des Stefan W***** hat er keinen ordentlichen Lebenswandel geführt; vielmehr belastet ihn die am 19. November 1998 zum AZ 14 U 613/98v des Bezirksgerichtes Fünfhaus wegen § 132 Abs 1 StGB erfolgte Verurteilung in Bezug auf das Verbrechen des versuchten Raubes, weil sie gegen dasselbe Rechtsgut (Vermögen) gerichtet ist (§ 71 StGB). Weder der Verlust des Arbeitsplatzes einige Tage vor den Urteilstaten noch die Tatsache, dass ihm nach dem Gutachten des Sachverständigen (ON 48) als Alkoholiker keine besondere Gewaltbereitschaft innewohnt, noch die festgestellte Alkoholisierung zur Tatzeit, die - nach Meinung der Berufung - "einer vollen Berauschung ziemlich nahekommt", können ihm zusätzlich als mildernd zugute gehalten werden. Der behauptete "Beitrag zur Wahrheitsfindung" liegt nicht vor. Zum reklamierten Milderungsgrund des § 34 Z 14 erster Fall StGB genügt der Hinweis auf die Erwiderung im Wesentlichen zum gleichlautenden Vorbringen des Angeklagten G*****. Die konstatierte Beteiligung des Berufungswerbers hauptsächlich im Vorfeld der Tatbegehung in untergeordneter Weise kann durch die Argumente in der Rechtsmittelausführung mit Fug kein geringeres Gewicht erfahren. Auch unter Berücksichtigung, dass W***** die Taten lediglich unter Einwirkung des G***** begangen hat, ist die über ihn mit 6 Jahren ausgemessene Freiheitsstrafe angesichts des ihn treffenden Schuld- und Unrechtsgehaltes nicht zu hoch und daher gleichfalls nicht reduktionsbedürftig.
Aus den dargelegten Gründen war daher beiden Berufungen ein Erfolg zu versagen.