JudikaturOGH

2Ob113/01h – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. Mai 2001

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Karin S*****, vertreten durch Dr. Maria Th. Unterlercher, Rechtsanwältin in Reutte, wider die beklagten Parteien 1. Dr. Paul M*****, vertreten durch Dr. Walter Heel, Rechtsanwalt in Innsbruck und 2. Gemeindeverband ***** R*****, vertreten durch Dr. Günter Zeindl, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 645.878,70 sA, Zahlung einer Rente und Feststellung, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 30. Jänner 2001, GZ 3 R 1/01y 55, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 25. September 2000, GZ 12 Cg 2/99w 45, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revisionen werden zurückgewiesen .

Die beklagten Parteien sind jeweils schuldig, der Klägerin die mit je S 21.375 (darin enthalten S 3.562,50 Umsatzsteuer, keine Barauslagen) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortungen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der Erstbeklagte ist Facharzt, die zweitbeklagte Partei betreibt ein Krankenhaus. Der Erstbeklagte ist auch Leiter einer Abteilung dieses Krankenhauses.

Die Klägerin nahm als sozialversicherte Patientin in der Ordination des Erstbeklagten dessen ärztlichen Rat in Anspruch, weil sie am Hals eine Geschwulst hatte. Der Erstbeklagte tastete die Geschwulst ab und teilte ihr mit, es handle sich um einen Tumor, dieser befinde sich an einer gefährlichen Stelle und müsse sofort operiert werden. Er überwies sie zur Durchführung einer Ultraschalluntersuchung in das Krankenhaus der zweitbeklagten Partei. Nach Vorliegen des Ergebnisses der Ultraschalluntersuchung teilte er ihr in seiner Ordination mit, seine Diagnose, es handle sich um einen Tumor, habe sich bestätigt, es müsse nun so schnell wie möglich operiert werden; dies obwohl der Ultraschallbefund auf einen Lymphknoten hinwies und nicht auf einen Tumor. Der Erstbeklagte klärte die Klägerin weder über den Verlauf der Operation noch über die Risken, Komplikationen und alternative Behandlungsmöglichkeiten auf. In der Folge wurde die Klägerin im Krankenhaus der zweitbeklagten Partei aufgenommen und vom Erstbeklagten operiert. Eine Aufklärung über Risken und Alternativen erfolgte ebenfalls nicht. Wäre die Klägerin vom Erstbeklagten oder von Ärzten der zweitbeklagten Partei über Risken und alternative Abklärungsmethoden aufgeklärt worden, hätte sie noch einen anderen Arzt zu Rate gezogen. Bei der Operation wurden zwei Nerven durchtrennt, wobei ein diesbezügliches Operationsrisiko verwirklicht wurde. Die Durchtrennung hatte eine Teillähmung des Trapezmuskels zur Folge, mit dem Resultat eines deutlichen Tiefstandes der rechten Schulter um drei Zentimeter mit einer Muskelschmächtigung des musculus deltoideus und des musculus accessorius rechts. Das Tieferstehen der rechten Schulter ist in bekleidetem Zustand wenig zu merken und auch im Badekostüm nicht auffällig. Die Beweglichkeit der rechten Schulter ist aktiv eingeschränkt, beim Armheben kommt es zu einer geringen Abhebung des Schulterblattes und Seitwärtsbewegung. Als Dauerfolgen bestehen Muskelverschmächtigungen an der rechten Schulter bzw dem Oberarm. Aufgrund der Teillähmung des Trapezmuskels kann die Klägerin gewisse Arbeiten nicht mehr verrichten, ihre Erwerbsfähigkeit ist beeinträchtigt, es ist von einer Teilinvalidität von 25 % auszugehen.

Die 1963 geborene Klägerin ist in zweiter Ehe verheiratet. Sie hat drei Kinder im Alter von 6, 14 und 15 Jahren. Seit der Geburt des ersten Kindes ist sie nicht mehr berufstätig. Sie ist gelernte Verkäuferin, hat aber die drei Jahre vor der Geburt des ersten Kindes als Zimmermädchen gearbeitet. Sie plante nach der Einschulung ihres jüngsten Kindes die Wiederaufnahme einer zumindest halbtätigen Berufstätigkeit als Verkäuferin.

Die Klägerin begehrt Schadenersatz ua wegen Unterlassung der gebotenen Aufklärung, sie macht ua eine Verunstaltungsentschädigung von S 50.000 geltend.

Das Erstgericht bejahte die Ersatzpflicht der beklagten Parteien und sprach der Klägerin die begehrte Verunstaltungsentschädigung zu.

Das Berufungsgericht bestätigte die angefochtene Entscheidung und sprach aus, die ordentliche Revision sei zulässig.

Es bejahte die Ersatzpflicht der beklagten Parteien wegen Unterlassung der gebotenen Aufklärung und vertrat die Ansicht, der Klägerin stehe auch eine Verunstaltungsentschädigung zu. Unter einer Verunstaltung sei jede wesentliche nachteilige Veränderung der äußeren Erscheinung zu verstehen. Wenngleich das operationsbedingte Tieferstehen der rechten Schulter in bekleidetem Zustand wenig zu bemerken und auch im Badekostüm nicht auffallend sei, sei doch die Beweglichkeit der rechten Schulter der Klägerin aktiv eingeschränkt und bestünden als Dauerfolgen auch Muskelverschmächtigungen an der rechten Schulter und im Bereich des rechten Oberarms. Aufgrund der Teillähmung des Trapezmuskels könne die Klägerin im täglichen Leben zahlreiche natürliche Bewegungen mit ihrem rechten Arm nicht mehr oder nur unter Anwendung sogenannter Trickbewegungen erreichen. Diese festgestellten Dauerfolgen seien als Verunstaltung zu beurteilen. Für den Zuspruch einer Verunstaltungsentschädigung genüge die bloße Möglichkeit einer Behinderung des besseren Fortkommens. Es werde zwar verheirateten Geschädigten eine Verunstaltungsentschädigung nach § 1326 ABGB als Ersatz für verminderte Heiratsaussichten nicht zuerkannt, doch scheine es weder nach dem Wortlaut des § 1326 ABGB zwingend noch auch sachgerecht, einer im Sinne dieser Bestimmung verunstalteten Person eine Verunstaltungsentschädigung nur deswegen zu versagen, weil sie verheiratet sei. Eine Beschränkung des Begriffes der Verhinderung besseren Fortkommens auf eine Beeinträchtigung von Heiratsaussichten sei aus dem Wortlaut dieser Bestimmung nicht ableitbar. Neben dem Fall einer Verhinderung des besseren Fortkommens infolge einer Verschlechterung von Heiratsaussichten könne besseres Fortkommen insbesonders auch durch eine verunstaltungsbedingte Verschlechterung von Berufsaussichten gefährdet werden. § 1326 ABGB verlange bloß eine abstrakte Möglichkeit einer Verminderung besseren Fortkommens, es müsse nur eine zumindest geringgradige Wahrscheinlichkeit hiefür bestehen. Die Gefahr einer Verhinderung eines besseren Fortkommens der Klägerin ergebe sich schon aus dem Umstand, dass sie vor der Geburt ihres ersten Kindes berufstätig gewesen sei und beabsichtigt habe, nach der Einschulung ihres jüngsten Kindes eine halbtätige Beschäftigung als Verkäuferin aufzunehmen. Die Möglichkeit einer Gefährdung dieser ihrer beruflichen Absicht als Folge ihrer festgestellten Verunstaltung sei zu bejahen.

Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht für zulässig, weil eine gesicherte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes - aus jüngster Zeit - zur Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen einer verheirateten Person eine Verunstaltungsentschädigung nach § 1326 ABGB zustehe, fehle.

Die von den beklagten Parteien erhobenen Revisionen sind wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage - der gegenteilige Ausspruch des Berufungsgerichtes ist nicht bindend - nicht zulässig.

Die Rechtsprechung, wonach verheiratete Frauen keine Verunstaltungsentschädigung nach § 1326 ABGB begehren können (RIS Justiz RS0031178) bezieht sich nur auf einen Ersatz für verminderte Heiratsaussichten, nicht aber auf eine Entschädigung wegen Verminderung des besseren beruflichen Fortkommens (s ZVR 1994/89; ZVR 1997/115). Unter der Behinderung des besseren Fortkommens im Sinne des § 1326 ABGB ist nicht bloß die Verhinderung des beruflichen Aufstiegs, sondern ganz allgemein die konkrete Gefahr zu verstehen, dass eine sonst mögliche Verbesserung der Lebenslage infolge der nachteiligen Veränderung der äußeren Erscheinung entfallen könnte (ZVR 2001/25). Ein Ersatz ist dann zu gewähren, wenn der Schadenseintritt nicht praktisch ausgeschlossen ist, es muss nur eine geringgradige Wahrscheinlichkeit hiefür bestehen (ZVR 1994/89 mwN; s auch Karner, Der Ersatz ideeller Schäden bei Körperverletzung, 212 mwN). Die Entscheidung des Berufungsgerichtes entspricht dieser Rechtsprechung. Im Hinblick auf die schon früher ausgeübte berufliche Tätigkeit der Klägerin und ihre Pläne, wieder einen Beruf auszuüben, kann eine jedenfalls geringgradige Wahrscheinlichkeit der Behinderung des besseren Fortkommens nicht verneint werden.

Die vom Berufungsgericht als erheblich erachtete Rechtsfrage erfüllt daher nicht die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO.

Rechtliche Beurteilung

Aber auch in den Revisionen der beklagten Parteien werden keine erheblichen Rechtsfragen dargetan.

Der Erstbeklagte vertritt die Ansicht, nicht er, sondern die zweitbeklagte Partei wäre im Rahmen des Behandlungsvertrages mit der Klägerin zur Aufklärung verpflichtet gewesen. Es entspricht aber der Rechtsprechung (s die Nachweise bei Heidinger in Harrer/Graf, Ärztliche Verantwortung und Aufklärung, 26), dass der behandelnde Arzt unabhängig von seiner eigenen vertraglichen Beziehung zur Aufklärung des Patienten verpflichtet ist (so auch SZ 63/152 mwN). Dies ergibt sich daraus, dass er selbst die Operation deren Risken sich verwirklicht haben, durchführte.

Unter dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit werden vom Erstbeklagten teils die Feststellungen der Vorinstanzen bekämpft, worauf vom Obersten Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, nicht einzugehen ist. Teils werden Mängel des Verfahrens erster Instanz gerügt, deren Vorliegen das Berufungsgericht bereits verneint hat.

Die zweitbeklagte Partei geht in ihrer Revision betreffend die Aufklärung durch den Erstbeklagten nicht von den Feststellungen aus und meint, soweit die Feststellungen von der Krankengeschichte und der Aussage des Erstbeklagten abgingen, liege eine Aktenwidrigkeit vor. Eine solche ist aber nur dann gegeben, wenn Feststellungen aufgrund aktenwidriger Grundlage getroffen wurden, also auf einem bei der Darstellung der Beweisergebnisse unterlaufenen Irrtum beruhen, der aus den Prozessakten selbst erkennbar und behebbar ist (Kodek in Rechbergerý, ZPO, Rz 7 zu § 471 mwN). Das ist hier aber nicht der Fall.

Die die zweitbeklagte Partei treffende Aufklärungspflicht ergibt sich aus dem mit der Klägerin abgeschlossenen Behandlungsvertrag (Heidinger, aaO, 26 mwN; RIS Justiz RS0038176).

Da sohin weder die vom Berufungsgericht als erheblich erachtete Rechtsfrage die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO erfüllt noch in den Revisionen der Beklagten eine erhebliche Rechtsfrage dargetan wird, waren die Rechtsmittel der Beklagten zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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