15Os13/01 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 1. März 2001 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder, Dr. Schmucker, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Hartmann als Schriftführer, in den Strafsachen gegen Hans Peter H***** wegen des Verbrechens nach § 28 Abs 2 und 3 SMG und anderer strafbarer Handlungen, AZ 8 Vr 3498/99 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz, sowie wegen des Vergehens nach § 83 Abs 1 StGB, AZ 3 U 430/99 des Bezirksgerichtes für Strafsachen Graz über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes wider das Urteil des Bezirksgerichtes für Strafsachen Graz vom 8. Juni 2000, GZ 3 U 430/99d-23, und den Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 14. September 2000, GZ 8 Vr 3498/99-20 nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Tiegs, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten Hans Peter H***** zu Recht erkannt:
Spruch
In den Strafsachen gegen Hans Peter H***** wegen § 28 Abs 2 und 3 SMG und anderer strafbarer Handlungen, AZ 8 Vr 3498/00 des Landesgerichts für Strafsachen Graz, sowie wegen § 83 Abs 1 StGB, AZ 3 U 430/99 des Bezirksgerichts für Strafsachen Graz, verletzen
1./ das Urteil des Bezirksgerichts für Strafsachen Graz vom 8. Juni 2000, GZ 3 U 430/99d-23, §§ 31 und 40 StGB;
2./ der Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 14. September 2000, GZ 8 Vr 3498/99-20, § 55 Abs 3 StGB.
Es werden das Urteil des Bezirksgerichtes für Strafsachen Graz im Strafausspruch und der Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz aufgehoben und es wird dem genannten Bezirksgericht die neuerliche Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung aufgetragen.
Text
Gründe:
Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 16. Februar 2000, GZ 8 Vr 3498/00-9, wurde Hans Peter H***** des Verbrechens nach § 28 Abs 2 und 3 SMG, des Vergehens nach § 27 Abs 1 SMG und des Vergehens der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt.
Mit rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichtes für Strafsachen Graz vom 8. Juni 2000, GZ 3 U 430/99d-23, wurde Hans Peter H***** des am 27. Mai 1999 - also vor dem oben erwähnten Urteil - begangenen Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt und unter Anwendung des § 43a Abs 2 StGB zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen sowie zu einer für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt. Eine Bedachtnahme auf das erstgenannte Urteil gem §§ 31, 40 StGB unterblieb.
Nachdem dem Landesgericht die Verurteilung des Hans Peter H***** durch das Bezirksgericht zur Kenntnis gelangt war, unterließ es - trotz eines entsprechenden Antrages der Staatsanwaltschaft (ON 19a) - die Entscheidung über den Widerruf der im eigenen Verfahren gewährten bedingten Strafnachsicht. Hingegen sah es mit rechtskräftigem Beschluss vom 14. September 2000, GZ 8 Vr 3498/99-20, vom Widerruf der vom Bezirksgericht gewährten (teil-)bedingten Strafnachsicht ab und verlängerte die Probezeit auf fünf Jahre.
Wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, wurde das Gesetz durch die aufgezeigten Vorgänge in zweifacher Hinsicht verletzt.
Rechtliche Beurteilung
Wird jemand, der bereits zu einer Strafe verurteilt worden ist, wegen einer anderen Tat verurteilt, die nach der Zeit ihrer Begehung schon im früheren Verfahren hätte abgeurteilt werden können, so ist eine Zusatzstrafe zu verhängen oder von einer solchen abzusehen (§§ 31 Abs 1 erster Satz, 40 letzter Satz StGB). Um in Erfahrung zu bringen, ob eine solche Bedachtnahme auf ein Vorurteil in Frage kommt, muss das Gericht Einsicht in eine aktuelle Strafregisterauskunft des Angeklagten nehmen. Vorliegend hat das Bezirksgericht vor der Hauptverhandlung vom 8. Juni 2000 keine neue Strafregisterauskunft beigeschafft, sondern sich mit jener der Anzeige angeschlossenen vom 11. Juni 1999 begnügt, aus der die Vorverurteilung durch das Landesgericht nicht hervorging. Dadurch erkannte es nicht, dass gem §§ 31, 40 StGB eine Zusatzstrafe zu verhängen oder von einer solchen abzusehen gewesen wäre.
Im Falle einer nachträglichen Verurteilung im Sinn des § 31 Abs 1 StGB ist die Frage des Widerrufs einer gewährten bedingten Strafnachsicht nicht nach § 53 StGB, sondern nach § 55 StGB zu beurteilen. Vorliegend hat das Landesgericht seine Entscheidungsbefugnis über den Widerruf der vom Bezirksgericht gewährten (teil-)bedingten Strafnachsicht zwar zu Recht wahrgenommen (§ 55 Abs 2 StGB iVm § 495 Abs 2 StPO), aber die Bestimmung des § 55 Abs 3 StGB missachtet, die - anders als die Vorschrift des § 53 Abs 2 StGB - eine fakultative Verlängerung der Probezeit durch Richterspruch nicht vorsieht.
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Hans Peter H***** im Fall der (gebotenen) Bedachtnahme auf die (bedingt nachgesehene) 18monatige Freiheitsstrafe vom Bezirksgericht zu einer niedrigeren (oder gar keiner) (Zusatz )Strafe verurteilt worden wäre, sodass ein Vorgehen des Obersten Gerichtshofes gem § 292 letzter Satz StPO notwendig war. Das Urteil des Bezirksgerichts für Strafsachen Graz war daher im Strafausspruch ebenso wie der (durch die Probezeitverlängerung den Verurteilten benachteiligende, in Hinblick auf die nunmehrige Aufhebung des Strafausspruchs des Urteils im Übrigen auch seiner Grundlage beraubte) Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz über das Absehen vom Widerruf und die Verlängerung der Probezeit aufzuheben und es war dem Bezirksgericht die neuerliche Entscheidung über den Strafausspruch - diesmal unter Bedachtnahme gem §§ 31, 40 StGB auf die Vorverurteilung (und unter Beachtung des Verbots der reformatio in peius) - aufzutragen.