JudikaturOGH

13Os18/01 – OGH Entscheidung

Entscheidung
14. Februar 2001

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Februar 2001 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal, Dr. Holzweber, Dr. Schmucker und Dr. Ratz als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Gottweis als Schriftführerin, in der Strafvollzugssache gegen Christian S***** wegen Übernahme der Vollstreckung der mit Urteil des Bezirksgerichtes für Prag vom 30. Oktober 1998, AZ 1 T 153/97, iVm dem Urteil des Stadtgerichtes in Prag vom 18. Februar 1999, AZ 8 To 62/99 verhängten Strafe, über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 30. Mai 2000, GZ 18 a Ns 3/00-9, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin des Generalprokurators, Generalanwältin Dr. Bierlein, und des Verteidigers Dr. Dexler, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten zu Recht erkannt:

Spruch

Der Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 30. Mai 2000, GZ 18 a Ns 3/00-9, verletzt Art 9 des Vertrages zwischen der Republik Österreich und der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik über die wechselseitige Vollziehung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen, BGBl Nr 54/1992.

Dieser Beschluss wird aufgehoben und dem Landesgericht für Strafsachen Wien die neuerliche Entscheidung über das Ersuchen der Tschechischen Republik um Übernahme der Vollstreckung der über Christian S***** mit Urteil des Bezirksgerichtes für Prag vom 30. Oktober 1998, AZ 1 T 153/97, abgeändert mit Urteil des Stadtgerichtes in Prag vom 18. Februar 1999, AZ 8 To 62/99, verhängten Strafe aufgetragen.

Text

Gründe:

Im Verfahren zum AZ 22 b Vr 877/97 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien wurde auf Grund eines tschechischen Rechtshilfeersuchens (§ 31 ARHG) Voruntersuchung gegen Christian S***** und andere Beschuldigte wegen des Verdachtes des Menschenhandels und des verbrecherischen Komplotts nach §§ 217 Abs 1 und 277 Abs 1 StGB geführt (S 1 f und 3 d ff des Antrags- und Verfügungsbogens). Inhaltlich des Rechtshilfeersuchens stand der Genannte im Verdacht, gemeinsam mit anderen Beschuldigten in der Tschechischen Republik zumindest seit März 1996 mittels Annoncen unter verschiedenen Agenturnamen wenigstens fünf (im Ersuchen namentlich genannte) Frauen angeworben zu haben, um sie in Österreich und Singapur der Prostitution zuzuführen (S 21 ff/I). Nach Abschluss der Erhebungen gab die Staatsanwaltschaft Wien am 9. Oktober 1998 die Erklärung ab, dass kein Grund zur weiteren gerichtlichen Verfolgung des Christian S***** und anderer Beschuldigter wegen §§ 217 Abs 1 und 277 Abs 1 StGB gefunden werde. Der Untersuchungsrichter stellte hierauf das Verfahren mit Beschluss vom 22. Oktober 1998 gemäß § 109 Abs 1 StPO ein (S 3 g verso des Antrags- und Verfügungsbogens).

Gegen Christian S***** war auch in der Tschechischen Republik ein Strafverfahren anhängig (S 21 ff/I, 71 ff/II des Aktes AZ 22 b Vr 877/97). Mit Urteil des Bezirksgerichtes für Prag 8 vom 30. Oktober 1998, AZ 1 T 153/97, wurde er des Verbrechens des Frauenhandels nach § 246 Abs 1 und Abs 2 lit c des tschechischen Strafgesetzbuches schuldig erkannt. Die in erster Instanz verhängte Freiheitsstrafe von drei Jahren wurde mit Berufungsurteil des Stadtgerichtes in Prag vom 18. Februar 1999, AZ 8 To 62/99, auf fünf Jahre erhöht (S 29 ff und 83 ff des Aktes AZ 18 a Ns 3/00 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien).

Auf Grund einer Anregung des Verurteilten, der österreichischen Staatsbürger ist, ersuchte die Tschechische Republik um Übernahme der Vollstreckung der genannten Entscheidung durch die Republik Österreich.

Das Landesgericht für Strafsachen Wien gab mit Beschluss vom 30. Mai 2000, GZ 18 a Ns 3/00-9, dem Übernahmeersuchen statt und bestimmte die im Inland zu vollstreckende Strafe mit fünf Jahren (§§ 65 und 67 Abs 1 ARHG, Art 15 Abs 1 des Vertrages zwischen der Republik Österreich und der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik über die wechselseitige Vollziehung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen, BGBl Nr 54/1992, iVm BGBl III Nr 123/1997 [Z 37]). Vor dieser Beschlussfassung hatte es den Verurteilten angehört und nach dessen Hinweis auf das in Österreich gegen ihn geführte, aber bereits eingestellt Verfahren den Akt AZ 22 b Vr 877/97 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien beigeschafft (S 127). In der Begründung der Übernahmeentscheidung ist das eingestellte Verfahren ganz unerwähnt geblieben. Der Beschluss wurde unbekämpft rechtskräftig.

Rechtliche Beurteilung

Wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, steht der Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 30. Mai 2000, GZ 18 a Ns 3/00-9, mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Gemäß § 64 Abs 1 Z 5 ARHG ist die Vollstreckung der Entscheidung eines ausländischen Gerichtes, mit der eine Geld- oder Freiheitsstrafe, eine vorbeugende Maßnahme oder eine vermögensrechtliche Anordnung rechtskräftig ausgesprochen worden ist, auf Ersuchen eines anderen Staates nur dann zulässig, wenn der durch die Entscheidung des ausländischen Gerichtes Betroffene nicht wegen der Tat im Inland verfolgt wird, rechtskräftig oder freigesprochen oder sonst außer Verfolgung gesetzt worden ist.

Nach Art 9 lit b des genannten Vertrages, der den Bestimmungen des Auslieferungs- und Rechtshilfegesetzes gemäß § 1 ARHG vorgeht, kann die Vollziehung abgelehnt werden, wenn der Verurteilte im Vollstreckungsstaat (Art 2 Abs 1 des Vertrages) wegen derselben Handlung rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen oder das Verfahren aus anderen als verfahrensrechtlichen Gründen endgültig eingestellt worden ist.

Das Landesgericht für Strafsachen Wien hätte sich im Hinblick darauf, dass der Akt AZ 22 b Vr 877/97 eine Sachverhaltsidentität nahe legt, die infolge Einstellung des Verfahrens einen Hinderungsgrund für die Übernahme der Vollstreckung bedeuten kann, im Verfahren AZ 18 a Ns 3/00 in tatsächlicher Hinsicht mit der Frage befassen müssen, ob und inwieweit der tschechischen Verurteilung des Genannten Handlungen zu Grunde liegen, auf die sich auch die Voruntersuchung im eingestellten österreichischen Strafverfahren bezog (siehe Art 16 des Vertrages zum Fall einer Handlungsmehrheit und nur teilweiser Identität). Falls und soweit die ausländische Verurteilung und das eingestellte inländische Verfahren dieselben Handlungen betrafen, also Sachverhaltsidentität besteht, wäre zu klären gewesen, ob es zur Einstellung des österreichischen Verfahrens "aus anderen als verfahrensrechtlichen Gründen" kam. (Der Generalprokurator hielt dazu allenfalls ein Abverlangen einer entsprechenden Erklärung der Staatsanwaltschaft für erforderlich).

Die einleitende Wendung in Art 9 des Vertrages, "Die Vollziehung kann abgelehnt werden, wenn ...", der die Aufzählung verschiedener Gründe für die Ablehnung der Übernahme folgt, bedeutet nicht, dass es dem Gericht (§ 67 Abs 1 ARHG) freigestellt wäre, ob und aus welchen Erwägungen es dem Ersuchen um Übernahme der Vollstreckung, um die Österreich ersucht wurde, stattgibt. Vielmehr ist dem Gericht hier nach Sinn und Zweck der dem § 64 Abs 1 Z 5 ARHG nachgebildeten Regelung kein Ermessensspielraum gegeben. Sachverhaltsidentität und endgültiger Einstellung des inländischen Verfahrens aus anderen als verfahrensrechtlichen Gründen sollen insoweit (vgl den erwähnten Art 16 des Vertrages in Fällen einer Handlungsmehrheit) einer Übertragung der Strafvollstreckung entgegenstehen (1340 BlgNR 17. GP 13).

Indem das Landesgericht für Strafsachen Wien im genannten Beschluss trotz konkreter Anhaltspunkte für das Vorliegen des erörterten Übernahmehindernisses nicht einmal dargelegt hat, ob und inwieweit der Verurteilung des Christian S***** in der Tschechischen Republik Handlungen zu Grunde lagen, die auch Gegenstand des eingestellten inländischen Strafverfahrens waren, hat es das Gesetz in der Bestimmung des Art 9 des Vertrages zwischen der Republik Österreich und der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik über die wechselseitige Vollziehung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen, BGBl Nr 54/1992, verletzt. Ohne die fehlenden Feststellungen ist die abschließende rechtliche Beurteilung der Zulässigkeit der Vollstreckungsübernahme nicht möglich.

Im Verfahren AZ 18 a Ns 3/00 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien wurde bereits der Strafvollzug angeordnet (S 155). Da eine Benachteiligung des - nach der Aktenlage sich noch auf freiem Fuß befindlichen - Christian S***** durch die Vorgangsweise des Landesgerichtes für Strafsachen Wien nicht auszuschließen ist, war nicht nur die Gesetzesverletzung festzustellen, sondern dem Landesgericht für Strafsachen Wien die neuerliche Entscheidung, wie im Spruch ersichtlich, aufzutragen.

Rückverweise