JudikaturOGH

10ObS203/00a – OGH Entscheidung

Entscheidung
11. Juli 2000

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Steinbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Wolfgang Adametz und Dr. Peter Krüger (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Michael N*****, Landwirt, *****, vertreten durch Dr. Johannes Winkler, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Bauern, 1030 Wien, Ghegastraße 1, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen vorzeitiger Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 17. März 1998, GZ 11 Rs 37/98k-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 20. November 1997, GZ 6 Cgs 187/97m-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

1. Das am 18. 8. 1998 zu 10 ObS 181/98k ausgesetzte Revisionsverfahren wird von Amts wegen wieder aufgenommen.

2. Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie lauten:

Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger ab 1. 9. 1997 die vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren, besteht dem Grunde nach zu Recht. Der beklagten Partei wird aufgetragen, dem Kläger ab 1. 9. 1997 bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheides eine vorläufige Zahlung von S 2.000,- monatlich zu erbringen und die mit S 10.149,12,- bestimmten Kosten aller drei Instanzen (darin enthalten S 1.691,52,- Umsatzsteuer, keine Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid der beklagten Partei vom 13. 9. 1997 wurde der Antrag des am 15. 4. 1942 geborenen Klägers auf Gewährung der vorzeitigen Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit mit der Begründung abgelehnt, dass Voraussetzung für den Anspruch auf diese Leistung gemäß § 122c Bauern-Sozialversicherungsgesetz (BSVG) in der Fassung des Strukturanpassungsgesetzes 1996, BGBl 1996/201, bei männlichen Versicherten die Vollendung des 57. Lebensjahres sei; da der Kläger am Stichtag das 57. Lebensjahr noch nicht vollendet habe, sei diese Anspruchsvoraussetzung nicht erfüllt.

Das Erstgericht wies das vom Kläger gegen diesen Bescheid erhobene, auf die Gewährung der beantragten Leistung ab dem 1. 9. 1996 gerichtete Klagebegehren ab und folgte dabei dem von der beklagten Partei im angefochtenen Bescheid vertretenen Rechtsstandpunkt.

Das Berufungsgericht gab der vom Kläger gegen dieses Urteil gerichteten Berufung nicht Folge und billigte die Rechtsansicht des Erstgerichtes.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass seinem Begehren stattgegeben werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Die Revision ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die für die Beurteilung dieses Falles maßgebliche, in dieser Form erst seit 1. 9. 1996 in Kraft stehende Bestimmung des § 122c Abs 1 Bauern-Sozialversicherungsgesetz (BSVG) lautet:

"Vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit § 122c. (1) Anspruch auf vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit hat der Versicherte nach Vollendung des 57. Lebensjahres, die Versicherte nach Vollendung des 55. Lebensjahres, wenn er (sie)

1. die Wartezeit erfüllt hat (§ 111),

2. innerhalb der letzten 36 Kalendermonate vor dem Stichtag 24 Beitragsmonate der Pflichtversicherung oder innerhalb der letzten 180 Kalendermonate vor dem Stichtag 36 Beitragsmonate der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nachweist und infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner (ihrer) körperlichen oder geistigen Kräfte außerstande ist, einer selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, die eine ähnliche Ausbildung sowie gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten wie die Erwerbstätigkeit erfordert, die der (die) Versicherte zuletzt durch mindestens 60 Kalendermonate ausgeübt hat und wenn dessen (deren) persönliche Arbeitsleistung zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig war."

Die beklagte Partei hält dem Begehren des Klägers lediglich entgegen, dass er am Stichtag das 57. Lebensjahr noch nicht vollendet habe und ein Anspruch auf die begehrte Leistung aus diesem Grund nicht bestehe. Der Kläger hingegen steht auf dem Standpunkt, dass das vom Gesetzgeber erst mit 1. 9. 1996 eingeführte unterschiedliche Anfallsalter für Männer und Frauen dem gemeinschaftsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz widerspreche und für seinen Anspruch - ebenso wie für weibliche Versicherte - die Vollendung des 55. Lebensjahres ausreiche.

Der Oberste Gerichtshof hat mit Beschluss vom 31. 3. 1998 zu 10 ObS 462/97g ähnliche Revisionsverfahren gemäß § 90a GOG ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

"1. Ist Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 79/7/EWG so auszulegen, dass er einem Mitgliedsstaat die unterschiedliche Festsetzung des Rentenalters nur für Renten- bzw Pensionsansprüche erlaubt, die ausschließlich aus dem Risikofall des Alters gewährt werden, oder ist diese Ausnahmeregelung auch auf Renten- bzw Pensionsansprüche zu beziehen, die zwar erst ab einem bestimmten Alter, aber darüber hinaus nur wegen einer bestehenden Invalidität (Erwerbsunfähigkeit) gewährt werden?

2. Ist Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a und Absatz 2 der Richtlinie 79/7/EWG so auszulegen, dass er einem Mitgliedsstaat erlaubt, eine vorher bestandene gleiche Regelung des Rentenalters (hier die Vollendung des 55. Lebensjahres für Männer und Frauen) nach Ablauf der Umsetzungsfrist dahin zu ändern, dass für Männer und Frauen nunmehr ein unterschiedliches Rentenalter (hier die Vollendung des 57. Lebensjahres für Männer und des 55. Lebensjahres für Frauen) festgesetzt wird?"

Mit Urteil vom 23. 5. 2000, C-104/98, hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) auf die ihm vom Obersten Gerichtshof vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

"Die Ausnahme in Artikel 7 Abs 1 Buchstabe a der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit ist nicht auf eine Leistung wie die vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit anwendbar, für die im nationalen Recht nach Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie ein für Männer und Frauen unterschiedliches Rentenalter festgesetzt wurde."

Nach Vorliegen dieses Urteils ist das ausgesetzte Revisionsverfahren von Amts wegen wieder aufzunehmen. Der Oberste Gerichtshof hat im Sinne der bindenden Rechtsansicht des EuGH davon auszugehen, dass die österreichische Rechtslage, nach der das Anfallsalter für die vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit für Frauen 55 und für Männer 57 Jahre beträgt, als geschlechtsspezifische Diskriminierung dem Gemeinschaftsrecht widerspricht. Auf Grund des Anwendungsvorranges dieses Rechts ist die durch das Strukturanpassungsgesetz 1996 mit Wirksamkeit vom 1. 7. 1996 eingeführte Erhöhung des Anfallsalters für Männer von bisher 55 auf 57 Jahre unbeachtlich; ausreichend ist vielmehr die Vollendung des 55. Lebensjahres am Stichtag. Diese Voraussetzung liegt beim Kläger unstrittig vor.

Die Vorinstanzen haben das Klagebegehren ausschließlich deshalb abgewiesen, weil der Kläger am Stichtag das 57. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Die beklagte Partei hat aber schon in erster Instanz unmissverständlich außer Streit gestellt, dass der Kläger - mit Ausnahme des Anfallsalters - alle Voraussetzungen für die begehrte Pensionsleistung erfüllt. Da dieser Abweisungsgrund nicht tragend ist, die anderen gesetzlichen und tatsächlichen Voraussetzungen für die Gewährung der beantragten Leistung im Sinne des § 122c BSVG aber unbestritten vorliegen, waren die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens dem Grunde nach und Auferlegung einer vorläufigen Zahlung abzuändern (§ 89 Abs 2 ASGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG. Die in der Berufung verzeichnete Pauschalgebühr war nicht zuzusprechen, weil solche Gebühren nach § 80 ASGG nicht anfallen.

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