JudikaturOGH

10ObS84/00a – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. April 2000

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Steinbauer sowie die fachkundigen Laienrichter OMr. Ing. Mag. Gustav Liebhart (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Renate Klenner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Franz G*****, Pensionist, *****, vertreten durch Dr. Stefan Hornung, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei Salzburger Gebietskrankenkasse, 5024 Salzburg, Faberstraße 19-23, vertreten durch Dr. Robert Galler, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Kostenerstattung (S 842,09), infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 9. Dezember 1997, GZ 12 Rs 241/97s-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 14. Juli 1997, GZ 18 Cgs 116/97k-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Das Revisionsverfahren wird von Amts wegen fortgesetzt.

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der bei der beklagten Partei krankenversicherte Kläger stand im vierten Quartal 1996 bei Dr. Manfred D*****, Facharzt für Nuklearmedizin in Salzburg, in Behandlung. Dieser ist kein Vertragsarzt der beklagten Partei. Der Kläger hat das vom genannten Facharzt in Rechnung gestellte Honorar von S 1.783,80 (inklusive 20 % Umsatzsteuer) bezahlt und diese Honorarnote bei der beklagten Partei zur Kostenerstattung eingereicht. Von dieser wurden ihm hierauf Kosten in der Höhe von S 941,71 (ebenfalls inklusive 20 % Umsatzsteuer) erstattet. Der darüber hinausgehende Antrag des Klägers auf Kostenerstattung wurde mit Bescheid vom 7. 4. 1997 unter Hinweis auf § 131 Abs 1 ASVG iVm § 25 Abs 1 der Satzung der beklagten Partei abgewiesen. Die beklagte Partei hat dabei die vom Kläger eingereichte Honorarnote entsprechend der ärztlichen Honorarverordnung nach Einzeltarifen bei Inanspruchnahme eines Vertragsarztes entsprechend der ab 1. 8. 1996 gültigen Satzung abgerechnet.

Die vom Kläger in Anspruch genommenen und nunmehr verfahrensgegenständlichen ärztlichen Leistungen werden auch von acht Vertragsfachärzten in der Stadt Salzburg und näherer Umgebung (Internisten mit Zusatzausbildung) angeboten, wobei es jedoch keine Vertragsbeziehung der beklagten Partei mit einem ausschließlich als Facharzt für Nuklearmedizin tätigen Facharzt gibt.

Mit seiner gegen diesen Bescheid gerichteten Protokollarklage stellte der Kläger das Begehren, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, ihm binnen 14 Tagen 100 % der Kostenerstattung laut Satzung der beklagten Partei in der Fassung vor dem 1. 8. 1996 für die genannte Privathonorarnote unter Berücksichtigung des von der beklagten Partei geleisteten Betrages von S 941,71 zu bezahlen.

Das Erstgericht wies dieses Klagebegehren ab.

Nach der seit 1. 8. 1996 gültigen Fassung des § 131 Abs 1 ASVG (BGBl 1996/411) habe ein Versicherter, der nicht die Vertragspartner oder die eigenen Einrichtungen bzw Vertragseinrichtungen des Versicherungsträgers zur Erbringung der Sachleistungen der Krankenbehandlung in Anspruch nehme, nur mehr Anspruch auf Ersatz der Kosten derselben im Ausmaß von 80 vH des Betrages, der bei Inanspruchnahme der entsprechenden Vertragspartner des Versicherungsträgers von diesem aufzuwenden gewesen wäre. Da die Leistung nach dem 1. 8. 1996 erbracht worden sei, seien sowohl diese neue gesetzliche Bestimmung als auch die danach erlassene und genehmigte Satzung der beklagten Partei anzuwenden. Dagegen bestünden auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Der von der beklagten Partei bereits ersetzte Betrag entspreche exakt der Neuregelung.

In der Berufungsverhandlung modifizierte der Kläger das Klagebegehren dahin, dass die beklagte Partei schuldig sei, ihm einen weiteren Betrag von S 842,09 an Kostenerstattung zu zahlen. Nach Außerstreitstellung des maßgeblichen Sachverhalts gab das Berufungsgericht der Berufung des Klägers nicht Folge und sprach aus, dass die Revision nach § 46 Abs 1 ASGG nicht zulässig sei. In rechtlicher Hinsicht beurteilte das Berufungsgericht den Sachverhalt wie folgt:

Nach § 135 Abs 1 ASVG werde die ärztliche Hilfe durch Vertragsärzte, durch Wahlärzte (§ 131 Abs 1) oder durch Ärzte in eigenen hiefür ausgestatteten Einrichtungen (Vertragseinrichtungen) der Versicherungsträger gewährt. Durch diese verschiedenen Anspruchsmöglichkeiten würde dem Grundsatz der sog. freien Arztwahl entsprochen. Nach der Rechtslage vor Inkrafttreten des SRÄG 1996, BGBl 1996/411, gebührte einem Anspruchsberechtigten, der nicht die Vertragspartner oder die eigenen Einrichtungen (Vertragseinrichtungen) des Versicherungsträgers zur Erbringung der Sachleistungen der Krankenbehandlung in Anspruch nahm, der Ersatz der Kosten einer anderweitigen Krankenbehandlung in der Höhe des Betrages, der bei Inanspruchnahme der entsprechenden Vertragspartner des Versicherungsträgers von diesem aufzuwenden gewesen wäre. Seit Inkrafttreten der Änderung des § 131 Abs 1 ASVG durch das SRÄG 1996 mit 1. 8. 1996 gebührten hievon nur mehr 80 vH des Betrages, der bei Inanspruchnahme der entsprechenden Vertragspartner des Versicherungsträgers von diesem aufzuwenden gewesen wäre. Diese Reduzierung im Kostenersatz für wahlärztliche Behandlung sei - wie den Materialien zur novellierten Bestimmung zu entnehmen sei - deswegen erforderlich geworden, weil immer mehr wahlärztliche Hilfe in Anspruch genommen sei und dadurch die Ausgaben für die Kostenerstattung stark angestiegen wären, wodurch das vorrangige Ziel der sozialen Krankenversicherung, nämlich Gewährleistung einer ausreichenden flächendeckenden medizinischen Versorgung über Gesamtverträge, gefährdet erscheine. Die Anwendung des § 131 Abs 1 setze allerdings voraus, dass Vertragspartner oder eigene Einrichtungen für den Versicherungsträger tätig sind, vom Versicherten jedoch aus freien Stücken nicht in Anspruch genommen werden. Tatsächlich würden die der klagsgegenständlichen Kostenerstattung zugrundeliegenden Leistungen in der Stadt Salzburg und näherer Umgebung von acht Vertragsärzten (Internisten mit Zusatzausbildung) der beklagten Partei angeboten. Auch wenn es unbestrittenermaßen keine Vertragsbeziehung der beklagten Partei zu einem ausschließlich als Facharzt für Nuklearmedizin tätigen Arzt geben, so würden dennoch diese Leistungen auch von Vertragsärzten der beklagten Partei in geeigneter Weise und in ausreichendem Ausmaß angeboten. Auch die vom Kläger in diesem Zusammenhang als wesentlich erachtete Leistung eines Szintigrammes werde (als Spezialuntersuchung) aus wirtschaftlichen und aus Qualitätsgründen in Vertragskrankenanstalten der beklagten Partei angeboten. Der Kläger hätte die Möglichkeit gehabt, sich dieser Untersuchung in einer Salzburger Landeskrankenanstalt zu unterziehen.

Der Zweck der Regelung des § 131 Abs 1 (alte wie neue Fassung) bestehe darin, dass der Krankenversicherungsträger nicht mit höheren, aber auch nicht mit niedrigeren Kosten belastet sein soll, als wenn der Versicherte einen Vertragsarzt oder eine Vertragseinrichtung in Anspruch genommen hätte, womit auch dem Prinzip der "freien Arztwahl" Rechnung getragen werde. Der Gesetzgeber wollte mit der Bestimmung des § 131 der Ärzteschaft einen Ausgleich dafür anbieten, dass nicht alle niedergelassenen Ärzte in das Sachleistungssystem einbezogen wurden. Für die Versicherten sollte dadurch die Möglichkeit der freien Arztwahl erweitert werden, es wäre aber nicht beabsichtigt gewesen, damit ein umfassendes Recht auf freie Arztwahl zu schaffen; Zweck des Prinzips der freien Arztwahl sei vielmehr die Sicherung des persönlichen Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patienten. Das Kostenerstattungssystem im Rahmen des grundsätzlich vorrangigen Sachleistungsprinzipes dürfe nicht dazu führen, dass der Wahlarzt besser gestellt werde als ein Vertragsarzt. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die beklagte Partei im Jahre 1996 an alle Vertragsärzte Honorare für 7,497.123 Leistungspositionen ausbezahlt habe, wobei auf jede dieser Leistungspositionen im Durchschnitt ein Tarif von S 131,30 entfiel, wohingegen für insgesamt 323.936 Leistungspositionen auf eingereichten Wahlarztrechnungen ein durchschnittlicher Tarif von S 134,72 (ohne Berücksichtigung der Kürzung auf 80 % der Tarife) ausbezahlt worden sei, und wenn man weiters berücksichtige, dass der Personal- und Sachaufwand im System der Kostenerstattung unbestritten höher als bei der Vertragsarztabrechnung sei, dann sei bei der gebotenen durchschnittlichen Betrachtungsweise eine Gleichheitswidrigkeit der Regelung des § 131 Abs 1 neue Fassung, welche gerade auf die im Kostenerstattungssystem anfallenden höheren Verwaltungskosten Bedacht nimmt, nicht erkennbar. Ebenfalls liege keine unzulässige Einschränkung des Grundrechtes auf Erwerbsfreiheit vor. Mangels Bedenken gegen die Verfassungskonformität sei daher auch eine Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof nicht geboten.

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers, in der ausdrücklich nur verfassungsrechtliche Argumente, wie sie bereits Gegenstand seiner Berufung waren, gegen die Bestimmung des § 131 Abs 1 ASVG vorgetragen werden; er regt an, der Oberste Gerichtshof möge beim Verfassungsgerichtshof die Prüfung der Verfassungskonformität der präjudiziellen Bestimmungen des § 131 Abs 1 ASVG und/oder § 25 Abs 1 der Satzung der beklagten Partei veranlassen und beantragt die bekämpfte Entscheidung im Sinne einer gänzlichen Klagestattgebung abzuändern.

Die beklagte Partei hat nach Freistellung eine Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat mit seinem Beschluss vom 1. September 1998, 10 ObS 84/98w, die Revision entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichtes gemäß § 46 Abs 1 ASGG für zulässig angesehen, weil die nicht auszuräumenden Bedenken gegen die Verfassungskonformität der präjudiziellen Bestimmungen ein Normenprüfungsverfahren angezeigt erscheinen ließen, und beim Verfassungsgerichtshof gemäß Art 89 Abs 2 B-VG den Antrag gestellt, 1. in § 131 Abs 1 ASVG in der Fassung des Art I Z 103 des Sozialrechts-Änderungsgesetzes (SRÄG) 1996 BGBl 411 (53. Novelle zum ASVG) die Wortfolge "von 80 vH" und 2. § 131 Abs 6 ASGV in der Fassung Art I Z 7 des zweiten Sozialrechts-Änderungsgesetzes (SRÄG) 1996 BGBl 764 zur Gänze als verfassungswidrig sowie 3. in der Satzung der beklagten Partei in der Fassung der zweiten Änderung Amtliche Verlautbarung Nummer 87/1996 (SozSi 1996, 757) den Ausdruck "80 %" in § 25 Abs 1 als gesetzwidrig aufzuheben. Mit der Fortführung des Revisionsverfahrens wurde gemäß § 62 Abs 3 VfGG bis zur Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs innegehalten.

Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 18. März 2000, G 24/98-26a, den Antrag in allen Punkten abgewiesen und dies wie folgt begründet:

"1.1. Zu der in diesem Verfahren in erster Linie strittigen Frage, ob die für den Fall der Inanspruchnahme eines Wahlarztes zur Krankenbehandlung in § 131 Abs 1 ASVG in der Fassung der 53. Novelle zum ASVG, BGBl. Nr. 411/1996, im Verhältnis zur bis dahin in Geltung gestandenen Fassung des Stammgesetzes vorgesehene Einschränkung der Erstattung von Kosten der Krankenbehandlung von jenem Betrag, den der Versicherungsträger bei Inanspruchnahme eines Vertragspartners hätte aufwenden müssen, auf 80 vH dieses Betrages dem Gleichheitssatz widerspricht, hat der Verfassungsgerichtshof folgende Überlegungen angestellt:

1.1.1. Es vermag die "Gleichwertigkeit der Leistungserbringung" nichts daran zu ändern, dass es im Falle der Honorierung von Vertragsärzten um Leistungen des Krankenversicherungsträgers im Rahmen eines abgeschlossenen Arztvertrages ("Einzelvertrag") geht, dessen Bestandteil die Honorarordnung ist, zu deren Einhaltung sich die Vertragspartner verpflichtet haben, ohne dass die Verrechnung eines zusätzlichen Entgeltes gegenüber den Versicherten zulässig wäre, während im anderen Fall der Versicherte selbst einen Arzt außerhalb des Vertragsärztesystems in Anspruch nimmt und dafür - ungeachtet der "Gleichwertigkeit der Leistung" - einen (gegenüber der Honorarordnung der Vertragsärzte in der Regel deutlich höheren) Marktpreis zu entrichten hat. Aus der Gleichwertigkeit der Leistungen kann daher im Falle des Kostenersatzes kein Verfassungsgebot in der Richtung abgeleitet werden, dass der Krankenversicherungsträger sich bei der Kostenerstattung der Höhe nach unter allen Umständen an der Honorarordnung zu orientieren hätte.

1.1.2. Wie insbesondere der Oberste Gerichtshof in seinen Anträgen selbst einräumt, unterliegen die Vertragsärzte als Gegenleistung dafür, dass sie mit einer entsprechend stabilen Einkommensmöglichkeit durch den Patientenkreis der sozialversicherten Personen rechnen können, einer Reihe von vertraglichen Verpflichtungen, die für alle anderen niedergelassenen Ärzte nicht gelten. Schon diese Unterschiede im Tatsächlichen lassen eine schematische Betrachtungsweise beider Möglichkeiten der Leistungserbringer sub titulo ihrer medizinischen Gleichwertigkeit nicht zu. Im Übrigen geht es im vorliegenden Fall der Sache nach nicht um die Zulässigkeit einer Verschiedenbehandlung der Ärzte, zumal die Honorarnote des Wahlarztes vom Patienten in voller Höhe beglichen, insoweit auch der Wert der von ihm erbrachten Leistung durch nichts in Frage gestellt wird und der Wahlarzt auch in der Frage der Kostenerstattung nicht weiter wirtschaftlich involviert ist.

1.1.3. Auch der "Grundsatz der freien Arztwahl", dem die genannte Bestimmung nach den Anträgen dienen soll, ist - wie die Bundesregierung mit Recht betont - kein Verfassungsgrundsatz. Er ist vielmehr der einfachgesetzlichen Ausgestaltung vorbehalten und kann insoweit auch eingeschränkt werden, sofern die Einschränkung nicht ihrerseits verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet. Es ist im Übrigen auch nicht ersichtlich, aus welchem Grunde durch eine Beschränkung der Kostenerstattung der Grundsatz der freien Arztwahl betroffen wäre, zumal der krankenversicherte Patient nicht vom Sozialversicherungsträger einem bestimmten Arzt zugewiesen wird, sondern seinen Vertrauensarzt unter mehreren Vertragsärzten, allenfalls auch unter Wahlärzten weiterhin frei wählen kann.

1.2. Nicht anders verhält es sich im Ergebnis mit der vom Oberlandesgericht Graz unter Gleichheitsgesichtspunkten vertretenen Auffassung, es sei die "Frequentierung von Wahlärzten und von Vertragsärzten in möglichst gleicher Weise [zu] gewährleisten" und dürfe nicht "Teile der Versichertengemeinschaft (insbesondere weniger Begüterte) von der Inanspruchnahme eines Wahlarztes ausschließen". Der durch Wahlarztpatienten verursachte höhere Verwaltungsaufwand sei - nach Auffassung dieses OLG - von der gesamten Versichertengemeinschaft zu tragen und dürfe nicht nur den Wahlarztpatienten angelastet werden.

1.2.1. Darauf ist zunächst zu erwidern, dass ein in Abhängigkeit von der Höhe des Erwerbseinkommens beitragsfinanziertes System der gesetzlichen Krankenversicherung wie jenes im ASVG geregelte, welches die Bereitstellung von gesundheitsbezogenen Leistungen primär als Sachleistungen und hier wieder vorrangig durch niedergelassene Vertragsärzte, sodann auch durch Vertragseinrichtungen und eigene Einrichtungen der Sozialversicherungsträger bewirkt (vgl das E. vom 10. März 1999, G 64, 65/98), an sich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet. Die denkbaren Alternativen eines solchen Sachleistungssystems hat der Gesetzgeber - worauf der Gerichtshof ebenfalls in dem zuletzt genannten Erkenntnis hingewiesen hat - dahin eingeschränkt, dass er den Sozialversicherungsträger verpflichtet, in erster Linie (§ 338 Abs 1 ASVG) Verträge mit niedergelassenen freiberuflich tätigen Ärzten (und anderen befugten Berufsgruppen) auf der Grundlage von Gesamtverträgen abzuschließen: Gemäß § 338 Abs 2 ASVG ist durch solche Verträge "die ausreichende Versorgung der Versicherten und ihrer anspruchsberechtigten Angehörigen mit den gesetzlich und satzungsmäßig vorgesehenen Leistungen sicherzustellen".

1.2.2. In einem solchen System ist es von verfassungswegen nicht geboten, "die Frequentierung von Vertragsärzten und Wahlärzten in möglichst gleicher Weise zu gewährleisten"; es darf aber ohne Vorliegen besonderer Gründe angesichts des hohen Stellenwertes, welcher der Gesundheit zukommt, nicht die Folge eines solchen, vom Gesetzgeber eingerichteten Systems sein, den Zugang zur anderweitigen ärztlichen Versorgung auch dann zu erschweren oder gar unmöglich zu machen, wenn dies für den Versicherungsträger keinen höheren Kostenaufwand verursachte, als er bei Inanspruchnahme eines Vertragsarztes entstünde. Angesichts des wichtigen öffentlichen Interesses an der Sicherstellung einer flächendeckenden Gesundheitsversorgung kann nämlich ein Bedarf nach wahlärztlicher Hilfe, sei es im Falle von Systemlücken (zB regional unzureichende Dichte an einem Vertragsärzteangebot bestimmter Fachrichtungen), sei es wegen der Besonderheiten des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient, nicht geleugnet werden, wovon im Übrigen auch das Gesetz in § 135 Abs 2 ASVG, durch die Erwähnung der Wahlärzte neben den Vertragsärzten selbst ausgeht.

1.3. Soweit die angefochtene Regelung vorsieht, dass bei Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe außerhalb des Sachleistungssystems der gesetzlichen Krankenversicherung an den Versicherten um 20 vH herabgesetzte Leistungen gegenüber jenen Leistungen zu erbringen sind, die der Versicherungsträger bei Inanspruchnahme eines Vertragsarztes zu entrichten gehabt hätte, bedarf dies daher der sachlichen Rechtfertigung. Einer solchen Rechtfertigung entbehrt die Regelung im Ergebnis jedoch nicht:

1.3.1. Der Gesetzgeber ist nach dem bisher Gesagten von verfassungswegen nicht verhalten, Mehraufwendungen, welche durch eine Inanspruchnahme von ärztlicher Hilfe bei einem Wahlarzt entstehen, auf alle Versicherten zu verteilen. Es darf damit vielmehr die Verursacher belasten. Es ist auch verfassungsrechtlich zulässig, solche Mehraufwendungen im Wege einer vergröbernden Regelung pauschalierenden Charakters (dazu allgemein vgl. zB VfSlg. 3595/1959, 5318/1966, 8457/1978) zu berücksichtigen, sofern diese nicht den Erfahrungen des täglichen Lebens widerspricht (VfSlg. 13726/1994).

1.3.2. Als Grundlage einer solchen Regelung darf der Gesetzgeber freilich nicht nur die tatsächlichen Verwaltungsmehrkosten berücksichtigen, die durch die Kostenrückerstattung nach Inanspruchnahme eines Wahlarztes, aber auch allenfalls durch besondere Kontrollmaßnahmen entstehen, sondern er darf auch andere potentielle Kostenfaktoren mit in Betracht ziehen, wie zB eine im Verhältnis zu Vertragsärzten zusätzlich erschwerte Sicherstellung der Beachtung ökonomischer Grundsätze bei der Leistungserbringung durch Wahlärzte. Wenn die damit im Interesse der Systemerhaltung erzielte Kostenersparnis allenfalls auch eine gewisse Schranke des Zuganges zu Wahlärzten mit sich bringt, so vermag dies an der verfassungsrechtlichen Beurteilung einer solchen Regelung nichts zu ändern.

1.3.3. Die Bewertung der Notwendigkeit und der Wirkung einer solchen Regelung ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, soweit dieser nicht erkennbar von unzutreffenden Annahmen ausgeht oder die Regelung sonst sachlichen Bedenken begegnet. Es bestehen angesichts der von den beteiligten Krankenversicherungsträgern, aber auch von der Bundesregierung dargelegten, insoweit im Verfahren auch unbestritten gebliebenen Zusammenhänge keine Bedenken gegen die Annahme des Gesetzgebers, es sei angesichts der Zunahme der Fälle von Inanspruchnahme von Wahlärzten und unter Berücksichtigung aller genannten Kostenfaktoren zur Hintanhaltung einer übermäßigen Belastung der Krankenversicherungsträger erforderlich, die Erstattungsbeträge gegenüber dem Vertragsarzttarif um 20 % zu senken. Dabei ist es nicht erforderlich, dass der Verfassungsgerichtshof in eine betriebswirtschaftliche Feinanalyse der dabei berücksichtigten Kostenfaktoren eintritt."

Nach Zustellung dieses Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes war das unterbrochene Revisionsverfahren von Amts wegen fortzusetzen und der Revision der Klägerin aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils zweiter Instanz nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden nicht dargetan und sind auch nicht ersichtlich.

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