JudikaturOGH

2Ob58/99i – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. April 2000

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Helmut M*****, vertreten durch Dr. Teja H. Kapsch, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagten Parteien 1.) Markus K*****, 2.) W***** GesmbH***** und 3.) V***** Versicherungs-AG, ***** alle vertreten durch Dr. Willibald Rath, Dr. Manfred Rath und Mag. Gerhard Stingl, Rechtsanwälte in Graz, wegen S 30.000,-- und Feststellung (Streitwert S 50.000,--), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 30. September 1998, GZ 3 R 108/98v-67, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 22. Jänner 1998, GZ 2 C 282/95g-53, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Kläger ist schuldig, den beklagten Parteien die mit S 5.601,70 (darin enthalten S 933,62 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die beklagten Parteien haften für die Folgen eines Verkehrsunfalls vom 18.12.1993, bei welchem der Kläger verletzt wurde. Er begehrt Zahlung restlichen Schmerzengeldes (nach vor Klageeinbringung erfolgter Zahlung aus diesem Titel von S 27.000,--) von S 30.000,-- sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Parteien für zukünftige Schäden. Der Kläger habe durch den Unfall eine Schädigung des Gehörs erlitten und leide an einem "Tinnitus". Diese Schädigung sei unfallskausal, weil die Ohrgeräusche (Tinnitus) unmittelbar nach dem Unfall aufgetreten seien. Durch die unfallskausale Verletzung seien weitere (insbesondere psychische) Störungen in Zukunft nicht auszuschließen.

Die beklagten Parteien beantragten die Abweisung des Klagebegehrens, weil der Kläger bei dem Unfall lediglich eine leichte Schleuderverletzung der Halswirbelsäule erlitten habe, die folgenlos ausgeheilt sei. Diese unfallskausalen Verletzungen seien durch Zahlung von S 27.000,-- abgegolten. Eine behauptete Innenohrschädigung bzw der "Tinnitus" seien nicht unfallskausal.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit einem Teilbetrag von S 6.000,-- statt und wies das Zahlungsmehrbegehren und das Feststellungsbegehren ab.

Es ging zusammengefasst von nachstehenden Feststellungen aus:

Der Kläger litt zum Unfallszeitpunkt an einer mittelgradigen Innenohrschwerhörigkeit. Er war bei dem Unfall (im Begegnungsverkehr) angegurtet und wurde um ca 2 m versetzt. Der Kläger verspürte nach Untersuchung im Krankenhaus bem Heimfahren ein Rauschen in beiden Ohren. Das Ohrengeräusch ist durch eine Degeneration des Innenohres hervorgerufen worden, die nicht auf den Unfall zurückzuführen ist. Weder die Schwerhörigkeit noch die Ohrgeräusche sind mit dem Unfall in Einklang zu bringen. Es ist wahrscheinlich, dass die Ohrgeräusche bereits vor dem Unfall bestanden haben.

Rechtlich erörterte das Erstgericht, dass dem Kläger der Beweis misslungen sei, der Unfall sei für die Ohrgeräusche kausal gewesen.

Das vom Kläger angerufene Berufungsgericht gab seiner Berufung nicht Folge. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes insgesamt S 52.000,-- nicht aber S 260.000,-- übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei.

Es übernahm sämtliche Feststellungen des Erstgerichtes, welche ein organisch bedingtes Entstehen des Tinnitus (der Ohrgeräusche) beim Kläger durch den Verkehrsunfall verneinten, als unbedenklich und traf nach Beweisergänzung nachstehende weitere Feststellungen.

Es besteht die Möglichkeit, dass erst durch das Unfallsereignis die beim Kläger bereits zuvor subklinisch vorhanden gewesenen Ohrgeräusche in dessen subjektive Wahrnehmung gerückt sind. Ein Wahrscheinlichkeitsgrad dafür lässt sich nicht feststellen. Es besteht aber auch eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass der durch den Unfall beim Kläger hervorgerufene Angstzustand seine Aufmerksamkeit vom Ohrengeräusch weggelenkt hat und mit dem Abklingen des Angstzustandes eine Änderung des Aufmerksamkeitspegels eintrat, wodurch das Ohrengeräusch (wieder) ins Bewusstsein rückte, wobei dies innerhalb von Stunden bis zu drei Tagen nach dem Unfall zu erwarten war. Es könnten aber verschiedene (auch banale) Ereignisse Änderungen im Aufmerksamkeitszustand herbeigeführt haben, die dann bewirkten, dass das Ohrengeräusch subjektiv wahrgenommen wurde. Neben subjektiven psychischen Anspannungen könnten beispielsweise auch Änderungen im Lärmpegel von Bedeutung sein.

Rechtlich erörterte das Berufungsgericht, es stehe zwar fest, dass beim Kläger Ohrengeräusche bestünden und weder diese noch eine Schwerhörigkeit mit dem Verkehrsunfall in Einklang zu bringen seien. Es sei wahrscheinlich, dass die Ohrengeräusche bereits vor dem Unfall bestanden hätten. Es stehe zwar weiters fest, dass der Kläger nach dem Verkehrsunfall ein Rauschen in beiden Ohren verspürt habe, was möglicherweise Ursache im Unfallsereignis gehabt hat. Da es aber auch andere Auslösungsmomente dafür geben könne und eine überwiegende Wahrscheinlichkeit weder für die eine noch die andere Möglichkeit feststellbar sei, erscheine auch die subjektive Wahrnehmung der Ohrengeräusche durch den Kläger nicht mit der von der Rechtsprechung geforderten - eingeschränkten - Wahrscheinlichkeit auf den Verkehrsunfall zurückführbar. Der Kläger habe die Kausalität zwischen dem eingetretenen Schaden (Bewusstwerden der Ohrengeräusche mit den damit verbundenen Folgen) nicht nachweisen können.

Selbst wenn man die Kausalität im Hinblick auf die (auf medizinisch nicht nachweisbaren Angaben des Klägers gestützte) Feststellung, er habe die Ohrengeräusche erstmals nach dem Unfall bemerkt, bejahte, handle es sich nicht mehr um einen adäquat herbeigeführten Schaden. Dass der Kläger den objektiv bei ihm schon vor dem Unfall vorhandenen Tinnitus erst infolge des Ereignisses subjektiv bemerken werde, liege derart außerhalb eines zu erwartenden Geschehensablaufes, dass es vernünftigerweise nicht mehr als vom Handelnden beherrscht gedacht werden könne. Der Umstand, dass dem Kläger sein Tinnitus bewusst geworden sei, sei nicht kausal auf den Verkehrsunfall zurückzuführen. Jedenfalls sei eine dadurch bedingte Entstehung des Schadens in Form des Bewusstwerdens im Sinne der Adäquanztheorie abzulehnen.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil keine oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage bestehe, ob die erst durch ein Schadensereignis erfolgte bewusste Wahrnehmung einer bereits latent vorhandenen Erkrankung noch eine adäquat herbeigeführte Folge sei.

Dagegen richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, dem Klagebegehren zur Gänze stattzugeben.

Die beklagten Parteien beantragen das Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen bzw ihm nicht Folge zu geben.

Die Revision ist entgegen dem nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichtes (§ 508a ZPO) mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Feststellungen des Berufungsgerichtes lässt sich die natürliche Kausalität der Wahrnehmbarkeit des Tinnitus als Unfallfolge nicht ableiten.

Zutreffend hat das Berufungsgericht jedoch auch darauf verwiesen, dass nach der im Zivilrecht vorherrschenden Adäquanztheorie, die nach moderner Auffassung keine Kausalitätstheorie ist, sondern (als positive Haftungsvoraussetzung) die Zurechnung von Schadensfolgen begrenzt, deren Verursachung nach der conditio sine qua non Formel schon feststeht, der Schädiger nicht für jeden Erfolg seines rechtswidrigen Verhaltens, sondern nur für solche Schäden einzustehen hat, die er adäquat herbeigeführt hat (stRspr, vgl zuletzt etwa ecolex 1999, 92). Dies ist der Fall, wenn die Ursache des Schadens ihrer allgemeinen Natur nach für die Herbeiführung eines derartigen Erfolgs nicht als völlig ungeeignet erscheinen muss und nicht nur infolge einer ganz außergewöhnlichen Verkettung von Umständen zu einer Bedingung des Schadens wurde, wenn also ein Verhalten unter Zugrundelegung eines zur Zeit der Beurteilung vorhandenen höchsten Erfahrungswissens und unter Berücksichtigung der zum Zeitpunkt der Handlung dem Verantwortlichen oder einem durchschnittlichen Menschen bekannten oder erkennbaren Umstände geeignet war, eine Schadensfolge von der Art des eingetretenen Schadens in nicht ganz unerheblichem Grad zu begünstigen (SZ 68/191 uva; Reischauer in Rummel2 Rz 14 zu § 1295 ABGB; Harrer in Schwimann2 Rz 8 zu § 1295 ABGB; Koziol, Haftpflichtrecht I3 Rz 8/10 alle mwN). Ob allerdings im Einzelfall ein Schaden noch als adäquate Folge eines schädigenden Ereignisses anzusehen ist, betrifft im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO, weil dabei die Umstände des Einzelfalls maßgebend sind und der Lösung dieser Frage keine über den Einzelfall hinausgehende und daher keine erhebliche Bedeutung im Sinne der zitierten Gesetzesstelle zukommt (vgl 2 Ob 162/98g mwN; 1 Ob 313/98f; RIS-Justiz RS0110361). Von einer auffallenden zweitinstanzlichen Fehlbeurteilung, die einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedürfte, kann nicht die Rede sein. Das Berufungsgericht konnte den Grad der Wahrscheinlichkeit, inwieweit das Unfallsgeschehen die beim Kläger bereits vor dem Unfall vorhandenen Ohrengeräusche in dessen subjektive Wahrnehmbarkeit gerückt hatten, nicht feststellen. Es ging weiters davon aus, dass auch verschiedene andere (banale) Ereignisse Änderungen im Aufmerksamkeitszustand des Klägers herbeiführen können, die ebenfalls die subjektive Wahrnehmbarkeit der Ohrengeräusche bewirken hätten können. Soweit daher das Berufungsgericht im konkreten Einzelfall die Adäquanz der vom Kläger nach dem Unfall subjektiv wahrgenommenen Ohrengeräusche mt dem Unfallsgeschehen verneinte, stellt dies eine nicht verallgemeinernde Einzelfallbeurteilung dar, die eine darüber hinaus gehende Aussage nicht zulässt.

Die Revision war daher mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die beklagten Parteien haben auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

Rückverweise