8Ob164/99x – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer, Dr. Rohrer, Dr. Adamovic und Dr. Spenling als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dipl. Ing. Herbert L*****, KG *****, vertreten durch Dr. Dieter Cerha und Dr. Herbert Orlich, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Marktgemeinde W*****, vertreten durch Dr. Georg Karasek, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 817.582,08 sA infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 30. März 1999, GZ 16 R 218/98s-34, mit dem infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Korneuburg vom 16. September 1998, GZ 6 Cg 42/97z-30, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:
Spruch
Der außerordentlichen Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 12.351,38 (darin S 3.705,42 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Im Jänner 1991 erfolgte die öffentliche Ausschreibung der Erd- und Baumeisterarbeiten sowie die Lieferung zur Herstellung des Baustellenabschnittes 05 der Abwasserbeseitigunganlage in einem Teilbereich der beklagten Marktgemeinde. Auftraggeber war diese, die Ausschreibung erfolgte unter Mitwirkung des Amtes der Niederösterreichischen Landesregierung. Die beklagte Partei legte der Ausschreibung die formularmäßig festgesetzten Anbotsbestimmungen und die besonderen Vertragsbestimmungen für mit Mitteln des Wasserwirtschaftsbunds geförderte Bauvorhaben, Version 8508, sowie eine ausführliche Leistungsbeschreibung zugrunde.
Gemäß den von der beklagten Partei der Ausschreibung zugrunde gelegten Anbotsbestimmungen sind die im Anbot einzutragenden Preise veränderliche Preise im Sinn der ÖNORM B2111. Als Preisbasis wurde der Angebotstermin festgesetzt. Gemäß Punkt 7 der Anbotsbestimmungen sind Preisumrechnungen ausschließlich nach dem Indexverfahren durchzuführen, wobei die "Baukostenveränderungen für den Umwelt- und Wasserwirtschaftsfonds" maßgebend sind. Für die Abrechnung wurde die ÖNORM B2111 Punkt 4 und 5 als verbindlich festgelegt, sofern in den Bestimmungen des Umwelt- und Wasserwirtschaftsfonds nichts anderes ausgesagt wird.
Neben anderen Mitbewerbern legte die klagende Partei ihr Anbot vom 7. 5. 1991 mit einer Gesamtanbotssumme ohne Mehrwertsteuer von S 18,449.404,-. Sie legte ihrem Anbot die Kollektivvertragslöhne gemäß Kollektivvertrag für Bauindustrie und Baugewerbe Stand 1. 5. 1990 zugrunde. Die Lohnsätze dieses Kollektivvertrages waren bis zum 30. 4. 1991 in Geltung. Die Neuregelung der Kollektivvertragslöhne konnte zwischen dem Arbeitnehmer- und dem Arbeitgebervertreter nicht bis zum 30. 4. 1991 abgeschlossen werden. Sie erfolgte erst am 8. 5. 1991 und zwar rückwirkend zum 1. 5. 1991 in einer Höhe von etwa 8 %. Von der Wirtschaftskammer Österreich, Fachverband der Bauindustrie wurden mittels kollektiver Geltendmachung 3/91 vom 24. 4. 1991 sämtliche öffentliche Auftraggeber darüber informiert, dass der Kollektivvertrag und damit auch seine Lohnsätze über den 1. 5. 1991 hinaus in Geltung bleiben würden (Nachwirkung) und dass unter diesen Umständen bei Offerten die Anbotspreise auch nach dem 30. 4. 1991 weiterhin auf den bis zu diesem Zeitpunkt in Geltung stehenden Kollektivvertragslöhnen basieren würden. Die nächste Kollektivvertragsrunde werde am 8. 5. 1991 stattfinden.
Gemäß ÖNORM B 2111 Punkt 1 sind die Bestimmungen dieser ÖNORM auch dann anzuwenden, wenn Veränderungen von Preisgrundlagen in der Zeit zwischen dem Datum der Preisbasis und dem Vertragsabschluss eintreten. Solche Vertragsänderungen sind vom Bieter, soweit bekannt, bei Vertragsabschluss mitzuteilen. Preisumrechnungen müssen durch Änderungen von Preisgrundlagen verursacht sein, denen sich der Auftragnehmer nicht entziehen konnte. Bei der Umrechnung des Anteiles "Lohn" auf Grund eines vorgesehenen Index und einer allgemeinen Regelung ist bei Eintreten der Veränderung der Kosten der für den betreffenden Kalendermonat geltende neue Indexwert heranzuziehen. Der Index "Baukostenveränderungen für Umwelt- und Wasserwirtschaftsfonds" berücksichtigt auch Änderungen der Lohnkosten des Kollektivvertrages für Bauindustrie und Baugewerbe. Der Index wird im Nachhinein für jeden Monat berechnet. Die Lohnbaukosten wurden nach dem Index vom April 1991 im Wert von S 118,10 ab Mai 1991 auf den Betrag S 125,54 (Basis 1986 = 100) angehoben. Es entspricht dem branchenüblichen Usancen, dass bei rückwirkend beschlossenen Kollektivvertragserhöhungen Indexanpassungen auch bei Angeboten durchgeführt werden, die nach dem rückwirkenden Inkrafttreten der neuen Kollektivvertragslöhne, jedoch vor deren Beschlussfassung erstellt wurden, soweit diese Erhöhung im Angebot noch berücksichtigt wurde.
Nach Anbotseröffnung und Überprüfung durch den zuständigen Zivilingenieur sowie Überprüfung durch das Amt der Niederösterreichischen Landesregierung erfolgte am 3. 7. 1991 die Auftragserteilung an die klagende Partei.
Die Schlussrechnung vom 9. 5. 1996 wurde nach Überprüfung vom zuständigen Zivilingenieur korrigiert. Insgesamt kam es dabei zu einem Abstrich von S 681.318,40 netto auf Grund unterschiedlicher Indexberechnung, was einen Bruttobetrag in Höhe des Klagsbetrages (S 817.582,08) entspricht.
Mit der vorliegenden Klage begehrt die klagende Partei diesen Betrag mit der Behauptung, dass der von der beklagten Partei vorgenommene Abzug nicht berechtigt sei. Infolge Indexkostenerhöhung der Löhne stehe ihr dieser Betrag zu.
Die beklagte Partei bestritt das Klagebegehren und wandte ein, die klagende Partei hätte in ihrem Anbot den Index Mai 1991 berücksichtigen müssen. Sie hätte die Kollektivvertragserhöhung abschätzen und einkalkulieren können. Damit sei sie ihrer Aufklärungspflicht nicht nachgekommen und seien die Konkurrenzbedingungen verzerrt worden. Die Forderung sei daher nicht berechtigt.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die ordentliche Revision an den Obersten Gerichtshof nicht zu, weil eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung und besondere Auslegungsprobleme nicht vorlägen. In rechtlicher Hinsicht meinte es, entscheidungswesentlich seien zwei Fragen, 1. ob die Indexerhöhung von April 1991 auf Mai 1991 auf Grund der rückwirkenden Kollektivvertragserhöhung eine Preiserhöhung rechtfertige, und 2. ob die klagende Partei (ihre Organe) von der unmittelbar bevorstehenden Lohnerhöhung im Baugewerbe und dem ungefähren Ausmaß der selben bei Eröffnung der Anbote bzw Erstellung der selben wussten. Dem Erstgericht sei beizupflichten, dass die klagende Partei grundsätzlich berechtigt sei, eine rückwirkende Lohnerhöhung bei der Rechnungslegung zu berücksichtigen. Entgegen der Behauptung der Berufung habe das Erstgericht die Fragen richtig und im Sinne der langjährigen Übung im Vergabeverfahren gelöst, wie sich aus dem Schreiben des Bundesministeriums für wirtschaftliche Angelegenheiten entnehmen lasse. Der Berufung sei beizupflichten, dass möglichst von vorneherein ein vermeintlicher Irrtum auszuschalten sei, doch wäre es Sache der beklagten Partei (bzw des von ihr Beauftragten) gewesen, durch klare Formulierungen der Bestimmungen des Ausschreibungsverfahrens und des Leistungsverzeichnisses einen derartigen Irrtum zu verhindern. Da ein allfälliger Irrtum nicht von der klagenden Partei veranlasst worden sei, erübrigten sich aber Ausführungen zu dieser Frage. Mit dem Hinweis auf die Ausschreibungsgepflogenheiten sei für den Standpunkt der beklagten Partei nichts zu gewinnen; diese stützten nur den Standpunkt der klagenden Partei, nämlich dass als Preisbasis der geltende Preis zum Zeitpunkt des Anbots und nicht der künftig mögliche Preis anzugeben sei, um der Preiswahrheit zu entsprechen. Dass es bei einer "rückwirkenden Anordnung" zu Problemen kommen könnte und daher auch Gesetze, die rückwirkend in Kraft treten, möglichst vermieden werden sollten, wie in § 5 ABGB normiert werde, sei klar. Es könne aber nicht der klagenden Partei, die rückwirkend mit 1. 5. 1991 einen höheren Lohn zahlen musste, angelastet werden, dass die Kollektivvertragspartner eine Vereinbarung mit rückwirkendem Inkrafttreten beschlossen hätten.
Gegen diese Entscheidung erhebt die beklagte Partei außerordentliche Revision, weil zur vorliegenden Frage oberstgerichtliche Judikatur fehle, die Auslegung der Vorinstanzen dem klaren Wortlaut der ÖNORM B2111 widerspreche und die Lösung dieser Frage "immense Auswirkungen" für das Vergabewesen nach sich ziehen würde. Sie macht unrichtige rechtliche Beurteilung geltend, beantragt die Revision zuzulassen und die Entscheidung im Sinn der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.
Die klagende Partei beantragt, die außerordentliche Revision nicht zuzulassen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision ist zulässig, weil zur entscheidungswesentlichen Frage der Auswirkung rückwirkender Lohnerhöhungen auf Anbote und der Möglichkeit einer sich darauf stützenden Preiserhöhung oberstgerichtliche Judikatur fehlt und das Rechtsproblem wegen des um sich greifenden abusus rückwirkender Lohnerhöhungen über den vorliegenden Fall hinaus Bedeutung hat; sie ist aber nicht berechtigt.
Die beklagte Partei führt vorerst grundsätzlich richtig aus, dass gemäß ÖNORM B2111 P 2.6.1 als Preisbasis das Ende der Anbotsfrist (hier 7. 5. 1991) gilt; sie folgert aber unrichtig, dass die Preisbasis für die Preisveränderungen der Monat Mai 1991 sei, auch wenn die Preisbasis rückwirkend nach Ende der Anbotsfrist ab 1. 5. 1991 erhöht wurde. Dies ergebe sich nach ihrer Meinung aus P 2.5.8. der ÖNORM. Das Abstellen auf den Monat, in dem die Angebotsfrist ende, bringe in allen Fällen gewisse Unsicherheitselemente für den Bauunternehmer mit sich, der zu diesem Zeitpunkt den aktuellen Index für den entsprechenden Monat noch nicht kenne, weil die Index-Werte regelmäßig einige Monate im nachhinein veröffentlicht würden. Wünsche daher ein Bauunternehmer absolute Sicherheit bezüglich seiner Kalkulationsbasis, hätte er den Monat, für den ein veröffentlichter Index schon vorliege, als Preisbasis vertraglich vereinbaren müssen. Eine solche Vereinbarung sei jedoch nicht getroffen worden. Folglich sei Basis für die künftige Preisänderung der Monat, in dem die Angebotsfrist ende, sohin der Mai 1991, dessen Index somit die für die Indexierung relevante Preisbasis darstelle. Die Lohnkostenveränderung durch den Kollektivvertragsabschluss am 8. 5. 1991, die rückwirkend mit 1. 5. 1991 in Kraft getreten sei, berechtige die klagende Partei nicht zur Veränderung ihrer Preise.
Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden. Wesentlich für die Lösung des vorliegenden Falles ist lediglich, ob auf Grund einer rückwirkend erfolgten kollektivvertraglichen Lohnerhöhung und einer sich daraus ergebenden Erhöhung des Baukostenindexes dem Bauunternehmer auch eine entsprechende Preiserhöhung zusteht.
Nach den hier anzuwendenden Besonderen Vertragsbedingungen ist gemäß P 6.1 die Preisermittlung nach der ÖNORM B2061 durchzuführen. Die einzutragenden Preise sind gemäß P 6.2 der Vertragsbedingungen veränderliche Preise im Sinn der ÖNORM B 2111. Als Preisbasis gilt der Angebotstermin (Beil./B S 5). Der Angebotstermin war der 7. 5. 1991. Dem entspricht auch die in der anzuwendenden ÖNORM B 2111 enthaltene Regelung.
Voraussetzung für die Zulässigkeit von Preisumrechnungen ist nach P
2.1.1 dieser ÖNORM, dass sie durch Veränderungen von Preisgrundlagen verursacht sein müssen, denen sich der Auftragnehmer nicht entziehen konnte. Dies ist bei kollektivvertraglichen Loherhöhungen zweifellos der Fall.
Nach P 2.6.1. gilt als Preisbasis, falls im Vertrag nichts anderes vereinbart ist, das Ende der Angebotsfrist; bei Fehlen einer Angebotsfrist gilt das Datum des Angebots. Datum des Angebots und Ende der Angebotsfrist fielen im vorliegenden Fall zusammen. Das Angebot wurde nämlich am Tag des Endes der Angebotsfrist gelegt (7. 5. 1991). Nach P 2.6.8. gilt ein Veränderungswert (Indexwert, Warenkorbsumme), der zu einem bestimmten Tag eines Monats ermittelt wird, für den ganzen Kalendermonat.
Aus dem zuletzt zitierten P 2.6.8. ergibt sich, dass der im Juli 1991 für den Monat Mai 1991 veröffentlichte (erhöhte) Index für den ganzen Monat Mai gilt und sohin für die Berechnung der Preiserhöhung gegenüber den dem Angebot zugrundeliegenden Index, der im Zeitpunkt des Anbotsabgabetermins (7. 5. 1991) gegolten hat, heranzuziehen ist.
Die klagende Partei konnte in ihrem Anbot nur den zur Zeit des Endes der Angebotsfrist geltenden Kollektivvertrag als Preisbasis heranziehen. Der Hinweis, die klagende Partei hätte nach P 2.6.1. auch eine andere Preisbasis vereinbaren können, geht ins Leere. Die Besonderen Vertragsbedingungen sahen diese Preisbasis vor; hätte die klagende Partei eine andere Preisbasis gewählt, wäre ihr Angebot als nicht den Bedingungen entsprechend von vorneherein ausgeschieden worden.
Es mag durchaus sein, dass gewisse Unsicherheiten für den Bauunternehmer stets vorhanden sind, weil die aktuellen Indexwerte regelmäßig mit mindestens ein- bis zweimonatiger Verspätung veröffentlicht werden. Solche Erhöhungen sind aber in der Regel aus Erfahrung recht gut abschätzbar; zB sind dem Bauunternehmer die aktuellen Materialkosten zur Zeit der Anbotslegung leicht ermittelbar.
Hingegen ist in keiner Weise abschätzbar, wann und mit welchem Betrag - hier handelt es sich immerhin um eine ca 8 %ige Erhöhung - es zu Loherhöhungen auf Grund der Einigung der Kollektivvertragspartner kommen wird, die in der Folge in den Index Eingang finden. Eine solche Preisbildung auf Grund von reinen Schätzungen wäre einerseits unseriös und zweitens einem echten Preisvergleich der verschiedenen Angebote hinderlich; Voraussetzung eines echten Preisvergleichs ist eine einheitliche Preisbasis; deshalb sehen die Besonderen Vertragsbedingungen in Übereinstimmung mit der ÖNORM B 2111 auch die Preisbasis am Ende der Angebotsfrist als maßgeblich an; damals galt noch der niedrige Indexwert.
Dass in der Folge der Kollektivvertragslohn - noch dazu entgegen der ausdrücklichen Aussendung der eigenen Interessenvertretung - rückwirkend mit 1. 5. 1991 erhöht wurde und dies rückwirkend für den ganzen Monat Mai 1991 zu einem höheren Indexwert führte, kann gemäß P
2.6.8. der ÖNORM nur dazu führen, dass der Veränderungswert für den ganzen Kalendermonat Mai 1991 gilt und daher die für die Anbotslegung maßgebliche Preisbasis (Ende der Angebotsfrist mit 7. 5. 1991) um den rückwirkend eingeführten Veränderungswert zu erhöhen ist. Es kann nicht zu Lasten der Bauunternehmer gehen, dass entgegen der grundsätzlichen Wertung des Gesetzes (§ 5 ABGB) die Kollektivvertragspartner immer wieder rückwirkend Lohnerhöhungen vereinbaren, die zwangsweise auf die Werklohnkosten durchschlagen müssen.
Die Entscheidung der Vorinstanzen ist daher vollinhaltlich zu bestätigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.