JudikaturOGH

6Ob230/99p – OGH Entscheidung

Entscheidung
15. Dezember 1999

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer, Dr. Huber, Dr. Prückner und Dr. Schenk als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Corinna A*****, vertreten durch den Unterhaltssachwalter Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie für den 10. Bezirk, Van der Nüll-Gasse 20, 1100 Wien, über den Revisionsrekurs des Kindes gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 25. Juni 1999, GZ 43 R 516/99x-138, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Favoriten vom 1. Juni 1999, GZ 1 P 2182/95k-134, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden ersatzlos aufgehoben.

Text

Begründung:

Das am 14. 9. 1990 geborene Kind befand sich zunächst in der Pflege und Erziehung der Mutter. Der Vater verpflichtete sich am 6. 11. 1990 zu einem Unterhaltsbeitrag von 2.400 S monatlich. 1994 wurde das Kind vorübergehend in Gemeindepflege übernommen (ON 66). Seit 20. 7. 1994 befindet es sich in Pflege und Erziehung der mütterlichen Großmutter. Die Mutter wurde zu einem monatlichen Unterhaltsbeitrag von 678 S verpflichtet. Auf die von den Eltern zu zahlenden gesetzlichen Unterhaltsbeiträge wurden Unterhaltsvorschüsse gewährt. Der Unterhaltssachwalter teilte dem Pflegschaftsgericht mit, dass die mütterliche Großmutter seit 1. 8. 1994 laufend Verwandtenpflegegeld gemäß § 27 Abs 6 Wiener Jugendwohlfahrtsgesetz (Wr JWG) bezogen habe und weiter beziehe (ON 130 und 133).

Das Erstgericht stellte deswegen die gewährten Unterhaltsvorschüsse jeweils rückwirkend hinsichtlich des Vaters ab 1. 8. 1994 und hinsichtlich der Mutter ab 1. 5. 1995 ein.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des durch seinen Unterhaltssachwalter vertretenen Kindes unter Hinweis auf die oberstgerichtliche Entscheidung 7 Ob 5/99g nicht Folge. Der Oberste Gerichtshof habe deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die Gewährung von Pflegegeld die Zuerkennung von Unterhaltsvorschüssen ausschließe. Die Regelung des § 2 Abs 2 Z 2 UVG solle sicherstellen, dass die Kosten der Unterbringung des Kindes in einem Heim oder bei Pflegeeltern nicht von den Trägern der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe im Wege der Unterhaltsbevorschussung auf den Bund überwälzt werden. Es komme nicht darauf an, ob es im Ermessen der zuständigen Behörde stehe, nach § 27 Abs 6 Wr JWG Pflegegeld zuerkennen oder nicht. Es sei allein maßgeblich, ob tatsächlich Pflegegeld gewährt werde.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Es sei noch nicht geprüft worden, ob die Gewährung von Verwandtenpflegegeld auch dann zur Versagung von Unterhaltsvorschüssen führe, wenn das Pflegegeld betragsmäßig unter den Unterhaltsverpflichtungen der Elternteile liege.

Mit seinem ordentlichen Revisionsrekurs beantragt das Kind die ersatzlose Behebung der Entscheidungen der Vorinstanzen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

Der Oberste Gerichtshof hatte in jüngster Zeit in mehreren vergleichbaren Fällen die Frage zu entscheiden, ob ein gemäß § 27 Abs 6 Wr JWG gewährtes Pflegegeld der Bewilligung von Unterhaltsvorschüssen gemäß § 2 Abs 2 Z 2 UVG entgegensteht (7 Ob 224/99p; 1 Ob 243/99p ua). Die Ansicht des Rekursgerichtes entspricht den nunmehr in Abkehr von 7 Ob 5/99g ergangenen Entscheidungen, denen sich auch der erkennende Senat anschließt.

Die Versagung der Vorschüsse gemäß § 2 Abs 2 Z 2 UVG setzt jedenfalls voraus, dass die Unterbringung "auf Grund einer Maßnahme" der Jugendwohlfahrtspflege (oder Sozialhilfe), somit einer entsprechenden Anordnung mit Kostenfolgen erfolgt. So genügt es nach der Rechtsprechung nicht, dass bloß die Obsorge über ein Pflegekind nach § 186a ABGB auf Pflegeeltern übertragen, eine Pflegebewilligung nach § 16 JWG erteilt und die Kosten aus Mitteln der Sozialhilfe getragen werden (ÖA 1991, 22), sofern nicht auch die Pflege und Erziehung eines Kindes in einer Pflegefamilie ausdrücklich als Maßnahme der vollen Erziehung statuiert und erfasst wird (so etwa § 14 TirJWG LGBl 1991/18). (Nur) in einem solchen Fall vermag dann konsequenter Weise auch die Unterlassung einer Antragstellung auf Pflegegeld den Unterhaltsvorschussanspruch nicht aufrecht zu erhalten (ÖA 1996, 127/UV 1991).

Im vorliegenden Fall ist zwar die Rechtsgrundlage der Unterbringung des Minderjährigen bei der Großmutter nicht - wie etwa in jenen Fällen, die den Entscheidungen 7 Ob 224/91p und 1 Ob 243/99p zugrundelagen - die Obsorgeübertragung an einen Großelternteil. Das Kind befindet sich hier mit Zustimmung der obsorgeberechtigten Mutter im Haushalt der Großmutter. Selbst wenn der Jugendwohlfahrtsbehörde die Obsorge übertragen worden wäre und sie der Pflege und Erziehung durch die Großmutter zugestimmt hätte, wäre dies ebenfalls noch nicht als Maßnahme im Sinne des § 2 Abs 2 Z 2 UVG zu qualifizieren, wie der erkennende Senat in seiner Entscheidung 6 Ob243/99z ausgesprochen hat:

Entgegen der zu 7 Ob 5/99g vertretenen Auffassung liegt hier keine bescheidmäßige und damit der Rechtskraft fähige, einen Rechtsanspruch des Empfängers erledigende Pflegegeldzuerkennung vor. Während nämlich nach § 27 Abs 1 Wr JWG "Pflegeeltern" (Pflegepersonen) zur Durchführung der vollen Erziehung - eine solche liegt nicht vor - auf Antrag zur Erleichterung der mit der Pflege verbundenen Lasten Pflegegeld gebührt, diesen also ausdrücklich ein Rechtsanspruch zuerkannt wird (so auch die Materialien zum Wr JWG, § 27, S 57), statuiert § 27 Abs 6 Wr JWG, dass (sonstigen) Personen, die mit den von ihnen betreuten Kindern bis zum dritten Grad verwandt oder verschwägert sind - unter welchen Personenkreis die Großmutter eines Kindes fällt - vom Magistrat unter Berücksichtigung ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse Pflegegeld bis zur Höhe des - auf Grund des § 27 Abs 5 Wr JWG durch Verordnung der Wiener Landesregierung festzusetzenden - Richtsatzes gewährt werden kann, somit kein Rechtsanspruch besteht (Materialien zum Wr JWG zu § 27 Abs 6). Diese rechtliche Ausgestaltung als nicht bescheidmäßiger Gewährungsakt der Privatwirtschaftsverwaltung entspricht übrigens auch der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum BundespflegegeldG BGBl 1993/110, wonach die Zuerkennung von Pflegegeldern in der Zeit bis zum 30. Juni 1995 (BGBl 1995/131) über die Stufe 2 hinaus mittels bloßer Mitteilungen (der gewährenden Pflegegeldträger) ebenfalls ohne Bescheidcharakter erfolgte; derartige, über der Stufe 2 liegende Pflegegelder wurden daher vom zuständigen Sozialversicherungsträger bloß als Träger von Privatrechten im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung gewährt (SSV-NF 10/110 uva).

Daraus folgt, dass den von den Ländern nach ihren jeweiligen Jugendwohlfahrtsgesetzen bloß auf Grund von "Kannbestimmungen" und damit ohne Rechtsanspruch gewährten Pflegegeldern kein bescheidmäßiger Zuweisungsakt zugrundeliegt. Im übrigen ist Leistungsempfänger nach § 2 Abs 1 UVG das Kind, nach § 27 Wr JWG die Pflegeperson.

Die Einschränkung des § 2 Abs 2 Z 2 UVG soll nach den Materialien (JAB 199 BlgNR XIV. GP 5) sicherstellen, dass die Kosten der Unterbringung eines Kindes in einem Heim oder bei Pflegeeltern nicht vom Träger der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe, den diese Kosten nach der geltenden Rechtslage treffen, auf den Bund überwälzt werden, weil der Unterhalt des Kindes durch öffentlich-rechtliche Leistungen der Sozialhilfe oder der Jugendwohlfahrtspflege, die vom Unterhaltspflichtigen zu ersetzen sind, abgedeckt werden (RV 172 BlgNR XVII. GP 24), also das Kind aus öffentlichen Mitteln "voll versorgt wird" (Neumayr, Die neueste Rechtsprechung zum UVG in RpflSlgA 1999/2, 81 [83]). Bloß freiwillig gewährte Zuschüsse welcher Art immer treffen den Jugendwohlfahrtsträger jedenfalls nur wirtschaftlich, aber nicht "nach der Rechtslage". Dass dies - je nach dem anzuwendenden Landesrecht - zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann, ist eine von den jeweiligen Landesgesetzgebern rechtspolitisch gewollte normative Ausgestaltung, deren Änderung der Gesetzgebung und nicht den ordentlichen Gerichten im Rahmen ihrer Rechtsprechung obliegt. Die Gewährung eines Verwandtenpflegegeldzuschusses nach § 27 Abs 6 Wr JWG an die Großeltern stellt demnach keinen Einstellungsgrund für die dem Kind gewährten Unterhaltsvorschüsse nach § 2 Abs 2 Z 2 UVG dar. Die in der Entscheidung 7 Ob 5/99g vertretene gegenteilige Auffassung kann nicht aufrecht erhalten werden.

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