JudikaturOGH

15Os130/99 – OGH Entscheidung

Entscheidung
04. November 1999

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 4. November 1999 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder, Dr. Schmucker, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Horvath als Schriftführer, in der Strafsache gegen Peter Josef G***** wegen des Vergehens der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 28. Mai 1999, GZ 24 Vr 226/99-13, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Raunig, des Angeklagten und des Verteidigers Dr. Bereis zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Peter Josef G***** wurde - unter Abweichung von der auf das Verbrechen der versuchten Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 2 StGB lautenden Anklage - des Vergehens der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 27. Dezember 1998 in Innsbruck Ulrike F***** die persönliche Freiheit entzogen, indem er sie (in später aufgegebener "Vergewaltigungsabsicht") zu Boden zerrte und mehrere Minuten lang festhielt.

Den Schuldspruch bekämpfen der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft jeweils mit Nichtigkeitsbeschwerde, die der Erstgenannte auf die Z 5, 5a und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO stützt, wogegen der öffentliche Ankläger jene der Z 5 und 10 dieser Gesetzesstelle geltend macht.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Peter Josef G*****:

Rechtliche Beurteilung

Entgegen der Mängelrüge (Z 5) findet die Annahme, daß Ulrike F***** nur anfänglich um Hilfe gerufen hat, ohnedies in den - von der Beschwerde freilich vernachlässigten - weiteren Urteilsausführungen eine nähere Erörterung, wonach die Frau wegen Ausbleibens fremder Hilfe den Angeklagten schließlich durch Einreden auf seine Person hinzuhalten suchte (US 3 und 6). Soweit sich der Angeklagte demgegenüber darauf beruft, mit der Zeugin F***** lediglich ein Streitgespräch "über den Preis eines weiteren Verkehrs" geführt zu haben, setzt er sich zudem über die Bekundungen der Zeuginnen Elfriede M***** und Ulrike M***** hinweg, durch letztlich erstickt klingende und unterbrochene Hilferufe auf den gegenständlichen Vorfall aufmerksam geworden zu sein (S 111 und 113), weshalb die betreffenden, nicht von den Entscheidungsgrundlagen des Erstgerichtes in ihrer Gesamtheit ausgehenden Beschwerdeeinwendungen zwangsläufig versagen müssen.

Das Unvermögen der Zeuginnen Elfriede M***** und Ulrike M*****, aufgrund der vernommenen Hilferufe sogleich das Tatgeschehen zu lokalisieren, war mangels Entscheidungswesentlichkeit ebensowenig erörterungsbedürftig wie der von ihnen dokumentierte Umstand, daß Täter und Opfer den Tatortbereich zunächst in ganz geringem Gehtempo verlassen haben (S 33). Diese isoliert hervorgehobenen Modalitäten sind mit dem festgestellten Tatverhalten des Angeklagten vereinbar, sodaß kein formaler Begründungsmangel aufgezeigt wird.

Gleiches gilt auch für die Kritik des Beschwerdeführers an den Urteilsannahmen über die ihm angelastete Einwirkung auf das Tatopfer. Insoweit erschöpft sich die sachlich um günstigere Schlußfolgerungen aus den betreffenden Verfahrensergebnissen bemühte Beschwerdeargumentation in einer unter dem Gesichtspunkt des relevierten Nichtigkeitsgrundes unzulässigen Bekämpfung der Beweiswürdigung der Tatrichter.

Der Tatsachenrüge (Z 5a) bleibt gleichfalls ein Erfolg versagt. Eine Prüfung der Aktenlage einschließlich der ins Treffen geführten Einwände erbringt keine Bedenken - schon gar nicht solche erheblicher Art - gegen die Richtigkeit der entscheidenden Tatsachenfeststellungen.

Zum einen beschränkt sich der Angeklagte darauf, auch unter dem Gesichtspunkt dieses Nichtigkeitsgrundes sein (nach dem bereits dazu Erwogenen gar nicht entscheidungswesentliches) Vorbringen in der Mängelrüge über anfängliche Schwierigkeiten der Zeuginnen Elfriede M***** und Ulrike M***** bei Lokalisierung des Tatgeschehens aufgrund wahrgenommener Hilferufe sowie über die Art und Weise des Verlassens des Tatortes durch Ulrike F***** zu wiederholen. Zum andern übergeht er - lediglich auf die Ergebnisse der polizeilichen Vorerhebungen abstellend (S 31) - die von den Zeuginnen Elfriede M***** und Ulrike M***** in der Hauptverhandlung abgelegten detaillierten Aussagen über ihre jeweiligen tatrelevanten Wahrnehmungen (S 111), die er wegen der Einschätzung der gehörten Rufe des Tatopfers sowohl als Angst- als auch als Hilfeschreie (S 7, 31 und 111) und zudem als widersprüchlich hinzustellen trachtet. Darüber hinaus sucht er seine geständige Primäreinlassung vor der Polizei (S 18) sowie die belastenden Angaben der Zeugin Ulrike F***** (der er das Ausbleiben von mit der Tat keineswegs zwangsläufig verbundenen Verletzungsfolgen und eine behauptete wenig energische Bestreitung des von ihm gegen sie erhobenen Vorwurfes der Ausübung der Geheimprostitution entgegenhält) zu relativieren. Diese Ausführungen bieten insgesamt keine taugliche Grundlage für eine Mangelhaftigkeit im Sinne des relevierten Nichtigkeitsgrundes, weil damit durch bloß selektives Hervorheben von Ergebnissen des Beweisverfahrens abermals nur günstigere Schlußfolgerungen angestrebt werden.

Ebensowenig durchzudringen vermag der Angeklagte mit seiner Rechtsrüge (Z 9 lit a).

Die für die qualitative Gleichwertigkeit der hier aktuellen Begehungsweise der Entziehung der persönlichen Freiheit "auf andere Weise" (§ 99 Abs 1 zweiter Fall StGB) mit der weiteren Tatvariante des Gefangenhaltens (§ 99 Abs 1 erster Fall StGB) maßgebliche tatbildliche Erheblichkeit erfordert auch eine entsprechende zeitliche Dauer der Freiheitsentziehung, wobei das Ausmaß dieses Zeitmomentes von den Begleitumständen der jeweiligen Tat abhängt. Geht es dem Täter darum, das Opfer - wie hier - im Zuge eines (zunächst geplanten sexuellen Angriffes) festzuhalten, reicht nach herrschender Auffassung auch schon ein kurzfristiger Entzug der persönlichen Freiheit zur Verwirklichung des Tatbestandes nach § 99 Abs 1 StGB aus. Da der Beschwerdeführer das Tatopfer nach den entscheidenden Urteilsfeststellungen im vorliegenden Fall zunächst in einen Hauszugang zerrte, es hierauf kraftvoll "niederriß" und es an schließend auf dem Boden festhielt, wobei dieses Festhalten allein (und nicht, wie in der Beschwerde ausgeführt wird, das tatrelevante Geschehen insgesamt) zumindest 3 Minuten (maximal 5 Minuten) dauerte, reichte entgegen der Beschwerdeauffassung die Intensität der - zudem mit der konstatierten sexuellen Belästigung verbundenen - freiheitsbeschränkenden Einwirkung auf das Tatopfer zur Tatbestandsverwirklichung auch in zeitlicher Hinsicht aus (vgl insbesondere Leukauf/Steininger Komm3 RN 8a und Kienapfel BT4 Rz 14 und 15 - jeweils zu § 99).

Nach den erwähnten Konstatierungen kann aber auch nicht zweifelhaft sein, daß die Freiheitsentziehung ein der Selbstbefreiung des Tatopfers entgegenstehendes ernstliches und gewichtiges Hindernis darstellte und daher für die vom Beschwerdeführer vermißten gegenteiligen Feststellungen kein Raum bleibt.

Soweit der Angeklagte schließlich auch noch die (vom Erstgericht für glaubwürdig erachtete) Tatschilderung der Zeugin Ulrike F***** als unwahrscheinlich bezeichnet, geht er nicht von den betreffenden Urteilsfeststellungen aus, sondern kritisiert - unter dem Aspekt eines materiellen Nichtigkeitsgrundes verfehltermaßen - wiederum nur die erstrichterliche Beweiswürdigung.

Eine die Argumente der Beschwerde wiederholende Äußerung gemäß § 35 Abs 2 StPO vermag an diesen Überlegungen nichts zu ändern.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:

Mit der bloß selektiven Hervorhebung der Äußerung der Zeugin Ulrike F***** "Schließlich hat ihn (gemeint: den Angeklagten) dann der Mut verlassen oder vielleicht war ich ihm zu passiv, jedenfalls ließ er dann von mir ab ..." (S 105) übergeht die Beschwerdeführerin, daß die Zeugin nach weiteren Mutmaßungen über den Grund der Abstandnahme des Angeklagten von seinem ursprünglichen Tatvorhaben schließlich noch deponierte ... "Als er von mir abließ, hätte er mich aus meiner Sicht schon noch zwingen können, einen Mundverkehr durchzuführen. Dies war nicht etwa aus irgendeinem Grund aussichtslos. ..." (US 6 iVm S 107). Solcherart vermag die Beschwerdeführerin daher keinen den Urteilsannahmen über die Freiwilligkeit des Rücktritts des Angeklagten vom Vergewaltigungsversuch anhaftende unvollständige Begründung aufzuzeigen.

Auch die Subsumtionsrüge (Z 10) geht fehl.

Soweit die Beschwerdeführerin der (im Zweifel getroffenen) Urteilsfeststellung, der Angeklagte habe im Zeitpunkt des Rücktritts vom Vergewaltigungsversuch die Tatausführung zwar noch für möglich gehalten, aber nicht mehr gewollt (US 4, 6, 8), entgegenhält, daß sich für ein diesbezügliches freiwilliges Verhalten aus dem gesamten Akt nicht der geringste Anhaltspunkt ergebe, unternimmt sie den - ihr unter dem Aspekt eines materiellen Nichtigkeitsgrundes verwehrten - Versuch einer Bekämpfung der erstrichterlichen Beweiswürdigung.

Gleiches gilt für die weitere Beschwerdeargumentation, mit der die Anklagebehörde unter neuerlichem Zurückgreifen auf die von ihr bereits im Rahmen der Mängelrüge (Z 5) relevierte Passage aus dem Verhandlungsprotokoll (S 105) und unter Umdeutung von Urteilsfeststellungen über die Äußerung "Scheiße" und das Verhalten des Angeklagten bei Abstandnahme von seinem ursprünglichen Tatvorhaben zugunsten ihres Standpunktes gegen die Annahme der Freiwilligkeit des Rücktritts vom Versuch remonstriert. Denn derartige, schon am konkreten Urteilssachverhalt vorbeiargumentierende spekulative Überlegungen ersetzen nicht eine - den geforderten Kriterien gemäße (vgl insbesondere Foregger/Kodek StPO7 S 414; Mayerhofer StPO4 § 281 E 26 und 30, § 281 Abs 1 Z 9 lit a E 5 - jeweils mwN) - gesetzeskonforme Ausführung der Rechtsrüge.

Demnach waren sowohl die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur und entgegen der Äußerung des Angeklagten - als auch jene der Staatsanwaltschaft als unbegründet zu verwerfen.

Das Schöffengericht verurteilte den Angeklagten nach § 99 Abs 1 StGB zu einer Geldstrafe von 240 Tagessätzen zu je 250 S, im Fall deren Uneinbringlichkeit zu 120 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe, sowie zu einer für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von drei Monaten.

Dabei wertete es als erschwerend keinen Umstand, als mildernd den bisherigen ordentlichen Wandel und die Alkoholbeeinträchtigung zum Tatzeitpunkt.

Dagegen richtet sich die Berufung des Angeklagten, mit der er eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe, eine Reduktion der Anzahl und Höhe der Tagessätze sowie auch die bedingte Nachsicht der verhängten Geldstrafe für eine zweijährige Probezeit anstrebt.

Die Berufung ist nicht im Recht. Sie wendet sich gegen die vom Erstgericht vorgenommene Gewichtung der Strafzumessungstatsachen, verkennt aber dabei, daß im Hinblick auf die mit der Freiheitsentziehung verbundene sexuelle Erniedrigung des Opfers (Darüberbeugen und Manipulieren am entblößten Glied vor den Augen der Niedergehaltenen) der Handlungs- und Erfolgsunwert der Tat als bedeutend anzusehen ist, sodaß die vom Erstgericht ausgemessene Sanktion dem Schuld- und Unrechtsgehalt der Tat Rechnung trägt und somit nicht reduktionsfähig ist. Die Höhe des Tagessatzes entspricht - im Gegensatz zu der diesbezüglich nicht näher konkretisierten Beschwerdebehauptung der "geringen" wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit - den Einkommens- und Vermögensverhältnissen im Zusammenhang mit den Sorgepflichten.

Einer gänzlich bedingten Strafnachsicht (auch der Geldstrafe) steht § 43a Abs 2 StGB entgegen.

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