12Os103/99 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 25. August 1999 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rzeszut als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler und Dr. E. Adamovic als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Horvath als Schriftführer, in der Auslieferungssache gegen Goran P*****, AZ 27a Vr 6404/98 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, über die Grundrechtsbeschwerde des Auszuliefernden gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 6. Juli 1999, AZ 22 Bs 230/99 (= ON 101), in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Goran P***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Text
Gründe:
Das Oberlandesgericht Wien erklärte am 24. November 1998 (einschränkend abgeändert am 31. März 1999) und am 29. März 1999 (ON 67, 84/II; ON 30 in ON 87/II) die Auslieferung des jugoslawischen Staatsangehörigen Goran P***** zur Strafverfolgung für zulässig, weil dieser auf Grund der vom Bundesministerium für Justiz der Bundesrepublik Jugoslawien übermittelten Auslieferungsunterlagen (§ 31 Abs 1 ARHG) hinreichend verdächtig ist, am 21. Juli 1996 in Krepoljin Milan und Gizela M***** unter Verwendung einer Waffe fremde bewegliche Sachen, unter anderem Bargeld und ein Kraftfahrzeug geraubt, am 14. August 1996 zwischen Pozarevac und Salarovac Milan C***** durch Versetzen eines Faustschlages in das Gesicht eine schwere Körperverletzung zugefügt zu haben - er wurde deshalb anklagekonform mit noch nicht rechtskräftigem Urteil des Kreisgerichtes Pozarevac vom 25. April 1997 zu fünf Jahren und zwei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt (337 f/I) -, und am 7. Jänner 1998 unter Anwendung von Gewalt gegen einen Aufseher sich eines der Strafbesserungsanstalt Pozarevac gehörigen Fahrzeuges bemächtigt zu haben und damit aus der Haft geflüchtet zu sein.
Nachdem daraufhin die Auslieferung durch das Bundesministerium für Justiz im Umfang dieser Zulässigkeitserklärung bewilligt worden war (§ 34 ARHG), scheiterte die für 6. April 1999 vorgesehene Überstellung des Beschwerdeführers auf dem Luftwege an der vorübergehenden Einstellung des Luftverkehrs wegen der kriegerischen Ereignisse im Kosovo (213/II).
Mit dem angefochtenen Beschluß gab das Oberlandesgericht Wien der Beschwerde des Goran P***** gegen den Beschluß des Untersuchungsrichters auf Fortsetzung der seit 26. Juni 1998 andauernden (ON 10, 20, 32/I, ON 49/II) Auslieferungshaft (§ 29 Abs 1 ARHG iVm § 180 Abs 2 Z 1 StPO), die dieser allein auf die Behauptung gestützt hatte, daß nach Art 28 Abs 2 des Auslieferungsvertrages zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Jugoslawien (BGBl 546/1983) eine Haftverfristung eingetreten sei (ON 95/II), nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Soweit Goran P***** in seiner dagegen ausgeführten Grundrechtsbeschwerde den Haftgrund bestreitet, die Substituierbarkeit der Auslieferungshaft und - im Einklang mit seiner Äußerung (§ 35 Abs 2 StPO) - einen Verstoß gegen Art 6 Abs 1 PersFrG wegen angeblich nicht fristgerechter Entscheidung über die Haft behauptet sowie seine weitere Anhaltung auf Grund der Verdachtslage als ungerechtfertigt bezeichnet, fehlt ihm in Ermangelung vorangegangener Anfechtung dieser Beschwerdepunkte die Beschwerdelegitimation, weil solcherart insoweit der Instanzenzug nicht erschöpft ist (§ 1 Abs 1 GRBG).
Da als Anfechtungsgegenstand einer Grundrechtsbeschwerde nur solche strafgerichtlichen Entscheidungen oder Verfügungen in Betracht kommen, die unmittelbar für die Verhängung oder Aufrechterhaltung der Haft ursächlich sind, gehen überdies alle jene Beschwerdeargumente fehl, die die vom Gerichtshof zweiter Instanz verneinte Frage betreffen, ob die Entscheidung auf Bewilligung der Auslieferung durch das Bundesministerium für Justiz (§ 34 ARHG) an den Auszuliefernden zuzustellen ist.
Den weiteren Einwänden gegen die Verfassungsmäßigkeit bzw verfassungskonforme Auslegung der hier relevanten Bestimmungen (Art 28 Abs 3 des oben zitierten Auslieferungsvertrages, § 29 Abs 5 ARHG) ist zu erwidern:
Auch für die Auslieferungshaft gilt als äußerste zeitliche Grenze jener - hier noch nicht eingetretene - Zeitpunkt, ab dem sie zur Bedeutung der Sache oder zu der zu erwartenden Strafe des Auszuliefernden außer Verhältnis steht (§ 29 Abs 1 ARHG iVm § 180 Abs 1 StPO). Die zentrale Beschwerdethese, wonach völlig unbestimmt sei, ab wann der Flugverkehr mit Jugoslawien wieder aufgenommen oder Ungarn der vom ersuchenden Staat beantragten Durchreise auf dem Landwege zustimmen werde und deshalb der Beschwerdeführer "theoretisch bis an den Rest seines Lebens in Österreich in Auslieferungshaft sitzen kann", ist daher nicht an den gesetzlichen Voraussetzungen orientiert. Davon abgesehen wurde die Behauptung, die politischen Verhältnisse in der Bundesrepublik Jugoslawien ließen eine Übergabe des Goran P***** in naher Zukunft nicht erwarten, durch das Beschwerdegericht in sachgerechter Einschätzung zutreffend von vornherein als unrealistisch qualifiziert, was angesichts der mittlerweile am 23. August 1999 vorgenommenen Überstellung des Beschwerdeführers anschaulich bekräftigt ist.
Die von Art 28 Abs 3 leg. cit. als anerkannter Hinderungsgrund für die zeitgerechte Übergabe normierten "außergewöhnlichen Gründe" entsprechen einem - aus der Sicht des regelungsgegenständlichen Sachkonnexes geradezu unvermeidbaren - unbestimmten Gesetzesbegriff, dessen kontextbedingter Determinierungsgrad auch unter Berücksichtigung der hier im Vordergrund stehenden Grundrechtsproblematik einer rechtsstaatlich hinreichend abseh- und überprüfbaren richterlichen Interpretation nicht im Wege steht. Läßt sich ein ausreichend bestimmter Gehalt aus einem gesamten Regelungskomplex ableiten, wie dies vorliegend auf das Gesetzeskriterium der "Außergewöhnlichkeit" von Hinderungsgründen zutrifft, so kommt - entgegen der Beschwerdeauffassung - die reklamierte Unvereinbarkeit mit dem in Art 18 Abs 1 B-VG verankerten Legalitätsprinzip im konkreten Fall nicht in Betracht (H. Mayer B-VG2 MKK 114).
Angesichts der von der Beschwerde durchgehend vernachlässigten umfassenden Gleichschaltung des Auslieferungs- und Untersuchungshaftrechts, welche die behauptete Möglichkeit völlig unbeschränkter Haftdauer generell gesetzlich unterbindet (siehe oben), kann auch keine Rede davon sein, daß die mit dem Vorliegen eines außergewöhnlichen Hinderungsgrundes verbundene Konsequenz eines Neubeginns der von Art 28 Abs 2 leg. cit. für die Übergabe bestimmten Fristen mit Art 5 Abs 1 PersFrG kollidiert.
Aus demselben Grund versagen auch alle Einwände gegen die Verfassungsmäßigkeit des Art 29 Abs 5 ARHG.
Schließlich geht aber auch der Einwand ins Leere, das Oberlandesgericht hätte dem Beschwerdeführer die Möglichkeit einer Stellungsnahme zu seinen Erhebungen darüber, wann Österreich - als maßgeblichen Zeitpunkt für den Beginn des Fristenlaufes nach Art 28 Abs 2 leg. cit. - erstmals zur Übergabe des Goran P***** an den ersuchenden Staat bereit war, einräumen müssen.
Da die betreffenden Erhebungen nur der Bestätigung der ohnehin aktenkundigen Tatsache (195/II) dienten, daß die 30-tägige Frist des Art 28 Abs 2 des zitierten Auslieferungsvertrages anläßlich des Überstellungsversuchs vom 6. April 1999 nicht abgelaufen war, hätte die Beschwerde nämlich zur Darstellung der funktionellen Grundrechtsrelevanz dieses Vorbringens jene der Aktenlage wider- sprechenden Umstände exakt zu bezeichnen gehabt, die die behauptete Beweisführung in Richtung eines dennoch eingetretenen Fristenablaufes zugelassen hätte.
Zu dem in der Äußerung des Verteidigers gemäß § 35 Abs 2 StPO behaupteten Verstoß gegen eine darnach bestehende Begründungspflicht der Generalprokuratur genügt der Hinweis auf die Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (vgl ua Bulut gegen Österreich 59/1994/506/588), der eine ebenfalls nicht näher begründete Stellungnahme der Generalprokuratur nicht zu beanstanden fand (15 Os 18/99).
Da Goran P***** sohin in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt wurde, war spruchgemäß zu entscheiden, ohne daß sich der Oberste Gerichtshof zu der vom Beschwerdeführer angeregten Maßnahme nach Art 140 Abs 1 B-VG veranlaßt sieht.