JudikaturOGH

13Os43/99 – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. April 1999

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. April 1999 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal, Dr. Schmucker, Dr. Habl und Dr. Ratz als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin MMag. Thumb als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Okhan K***** wegen des Verbrechens des versuchten Totschlags nach §§ 15, 76 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Korneuburg als Schöffengericht vom 22. Jänner 1999, GZ 11 Vr 900/98-63, sowie die Beschwerde der Staatsanwaltschaft (§ 494a Abs 4 StPO) nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Tiegs, des Angeklagten und des Verteidigers Dr. Ernst zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung der Staatsanwaltschaft wird dahin Folge gegeben, daß die Freiheitsstrafe auf vier Jahre erhöht wird.

Im übrigen wird der Berufung der Staatsanwaltschaft und jener des Angeklagten nicht Folge gegeben.

Der Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird Folge gegeben und die bedingte Nachsicht der über den Angeklagten mit Urteil des Jugendgerichtshofes Wien vom 16. Dezember 1997, AZ 12 U 652/97t, verhängten Freiheitsstrafe sowie der mit Strafverfügung des Bezirksgerichtes Hainburg/Donau vom 27. August 1998, AZ U 35/98b, verhängten Geldstrafe widerrufen.

Gemäß § 390a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Okhan K***** des Verbrechens des versuchten Totschlags nach §§ 15, 76 StGB schuldig erkannt.

Danach hat sich der Angeklagte am 1. Juni 1998 in Hainburg an der Donau in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung, nämlich (in) einem Streit und einer tätlichen Auseinandersetzung mit Gökhan A*****, nachdem dieser die Freundin des Okhan K***** geschlagen hat, dazu hinreißen lassen, Gökhan A***** durch Versetzen eines Messerstiches in die rechte Rückenregion, der eine Eröffnung der rechten Brusthöhle und eine Luft-Brust-Füllung zur Folge hatte, zu töten "versucht" (gemeint: zu versuchen).

Die Geschworenen hatten die (anklagekonforme) Hauptfrage (fortlaufende Zahl 1) nach dem Verbrechen des versuchten Mordes gemäß §§ 15, 75 StGB verneint und die Eventualfrage (fortlaufende Zahl 2) nach dem Verbrechen des versuchten Totschlags gemäß §§ 15, 76 StGB bejaht. Jeweils auf die Unterstellung der Tat unter ein gelinder pönalisiertes Strafgesetz gerichtete weitere Eventualfragen (fortlaufende Zahlen 3 und 4) blieben demgemäß unbeantwortet. Die - (auch) für den Fall der Bejahung der Eventualfrage nach versuchtem Totschlag gestellte - Zusatzfrage (fortlaufende Zahl 5) nach Tatverübung in einem Zustand der Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB) wurde von den Geschworenen verneint, weshalb die Beantwortung der (nur bei Bejahung der Zusatzfrage aktuellen) weiteren Schuldfrage nach Begehung der inkriminierten Tat im Zustand voller Berauschung gemäß § 287 Abs 1 StGB (fortlaufende Zahl 6) entfiel.

Diesen Schuldspruch ficht der Angeklagte mit einer auf den Nichtigkeitsgrund der Z 6 des § 345 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde an. Diese behauptet, daß das Fragenschema den Geschworenen die Möglichkeit genommen habe, zu entscheiden, ob der versuchte Totschlag (§§ 15, 76 StGB) in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rauschzustand (§ 287 StGB) begangen worden sei, weil die entsprechende Eventualfrage in Richtung des Vergehens nach § 287 Abs 1 StGB nicht im unmittelbaren Bezug zur Eventualfrage nach versuchtem Totschlag gestellt, sondern von der Bejahung der dazwischengeschalteten Frage nach Zurechnungsunfähigkeit abhängig gemacht wurde.

Rechtliche Beurteilung

Die Rüge ist unbegründet.

Vorweg ist festzuhalten, daß die vorgenommene Belehrung der Geschworenen über das Verhältnis der einzelnen Fragen zueinander, sowie die Folgen der Bejahung oder Verneinung jeder Frage (s. § 321 Abs 2 StPO) zutreffend vom Rechtsmittel nicht angegriffen werden (§ 345 Abs 1 Z 8 StPO).

Das vom Angeklagten sachlich reklamierte Zwei-Fragen-Schema, bei dem - ohne Einfügung einer Zusatzfrage in Richtung der Zurechnungsunfähigkeit - eine (für den Fall der Verneinung der primären Schuldfrage zu beantwortende) Eventualfrage nach einer Tatbegehung im Sinn des § 287 StGB bestellt wird, vermag gewissen Fallkonstellationen (insbesondere bei verschuldeter Volltrunkenheit) zu genügen, jedoch ist das im vorliegenden Fall angewandte Drei-Fragen-Schema nicht nur nicht gesetzwidrig, sondern eröffnet - entgegen der Beschwerde - sogar eine breitere Beurteilungsmöglichkeit. Das Drei-Fragen-Schema verlangt denkrichtig, daß zur Haupt- bzw Eventualfrage hinsichtlich der inkriminierten Tat zunächst eine (für den Fall ihrer Bejahung zu beantwortende) Zusatzfrage nach einem Zustand der Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB) gestellt und den Geschworenen (für den Fall der Bejahung auch dieser Zusatzfrage) schließlich noch die Eventualfrage nach der Tatbegehung im Zustand (verschuldeter) Volltrunkenheit (§ 287 StGB) unterbreitet wird. Setzt dieses Delikt doch neben der (den Gegenstand einer Schuldfrage im Sinn der §§ 312, 314 StPO bildenden) Verübung einer strafbaren Handlung voraus, daß letztere (als "Rauschtat") in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden (und deshalb insoweit von der erwähnten Zusatzfrage erfaßten) Rauschzustand begangen wurde, worauf auch in der Rechtsbelehrung ausdrücklich hingewiesen worden ist (S 17 f). Die Anwe dung dieses Drei-Fragen-Schemas entspricht nach herrschen- der Auffassung, von der abzugehen kein Anlaß besteht, den Bestimmungen der §§ 312 bis 317 StPO, weshalb die behauptete Nichtigkeit nicht vorliegt (zum Drei- sowie zum Zwei-Fragen-Schema vgl insbesondere Mayerhofer StPO4 § 314 E 73 und 76).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Geschworenengericht verhängte über den Angeklagten nach § 76 StGB unter Anwendung des § 41 Abs 1 Z 3 StGB sowie unter Bedachtnahme gemäß §§ 31 Abs 1 und 40 StGB auf das Urteil des Bezirksgerichtes Hainburg vom 27. August 1998, AZ U 35/98b, (mit welchem er wegen § 27 Abs 1 SMG zu einer für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Geldstrafe von dreißig Tagessätzen verurteilt worden war) eine Zusatzfreiheitsstrafe von drei Jahren. Dabei wertete es erschwerend eine einschlägige Vorstrafe, als mildernd das Alter unter 21 Jahren und den Umstand, daß die Tat beim Versuch blieb sowie den Beitrag des Angeklagten zur Wahrheitsfindung.

Weiters sah das Geschworenengericht gemäß § 494a Abs 1 Z 2 StPO vom Widerruf der mit oben bezeichnetem Urteil sowie mit Urteil des Jugendgerichtshofes Wien vom 16. Dezember 1997, AZ 12 U 692/97t, (hinsichtlich einer zweimonatigen, wegen § 80 StGB verhängten Freiheitsstrafe) gewährten bedingten Strafnachsichten ab und verlängerte die Probezeit letzterer auf insgesamt fünf Jahre.

Gegen den Strafausspruch richten sich Berufungen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten. Erstere erhob auch Beschwerde gegen das Absehen vom Widerruf der bedingten Strafnachsichten; die implizierte Beschwerde des Angeklagten (gegen die Probezeitverlängerung) wurde im Gerichtstag vor dem Obersten Gerichtshof zurückgezogen.

Die Berufung der Staatsanwaltschaft, die eine Erhöhung des Strafmaßes unter gleichzeitiger Ausschaltung der außerordentlichen Strafmilderung anstrebt, ist teilweise berechtigt; ihre Beschwerde ist begründet.

Die herangezogenen Strafbemessungsgründe bedürfen insoweit einer Korrektur zum Nachteil des Angeklagten, als, wie die Anklagebehörde zutreffend reklamiert, im Hinblick auf den gemäß §§ 31 Abs 1 und 40 StGB erfolgten Ausspruch einer Zusatzstrafe der weitere Erschwerungsgrund des Zusammentreffens eines Verbrechens mit einem Vergehen vorliegt. Bei dessen Berücksichtigung und im Hinblick darauf, daß das Geschworenengericht dem einschlägig getrübten Vorleben zu wenig Rechnung getragen hat, zeigt sich zwar, daß - entgegen der Berufung der Staatsanwaltschaft - die mildernden Umstände die Erschwerungsgründe zwar noch beträchtlich überwiegen, die verhängte Strafe im Ergebnis jedoch weder der Persönlichkeit noch dem sozialen Störwert der Tat gerecht wird, sodaß sie moderat zu erhöhen, der Berufung des Angeklagten jedoch nicht näherzutreten war.

Zutreffend begehrt die Beschwerde unter Hinweis auf § 55 StGB den Widerruf der mit Urteil des Bezirksgerichtes Hainburg gewährten bedingten Strafnachsicht, ebenso auch jener des Jugendgerichtshofes Wien, weil deren Vollzug sowohl zufolge der negative Persönlichkeitsentwicklung des Angeklagten als auch unter Berücksichtigung generalpräventiver Erwägungen erforderlich ist.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

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