JudikaturOGH

11Os12/99 – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. April 1999

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. April 1999 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Habl, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Vielhaber als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Josef S***** wegen des Vergehens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 16. Oktober 1998, GZ 9 c Vr 12018/97-19, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Raunig, des Angeklagten und des Verteidigers Dr. Schuppich zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Josef S***** des Vergehens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB schuldig erkannt, weil er am 31. Oktober 1996 in Wien Elisabeth N***** mit Gewalt zu geschlechtlichen Handlungen genötigt hat, indem er sie gegen ein Klavier drückte, festhielt, ihr den Pullover hochschob, sie an den nackten Brüsten betastete und küßte, ihr ferner "mit der Hand unter die Hose fuhr" und sie "im Schambereich betastete".

Der Schöffensenat stützte seine maßgeblichen Feststellungen - unter ausdrücklicher Ablehnung der leugnen- den Verantwortung des Beschwerdeführers, der die Anschuldigungen der Elisabeth N***** auf einen Racheakt wegen mangelnder Studienerfolge zurückzuführen trachtete (ON 10; S 99 ff insb. S 115) - vornehmlich auf die Angaben dieser wiederholt als Zeugin vernommenen Frau (ON 4; S 129 ff), deren Schilderungen er in ihrem wesentlichen Kern für glaubwürdig erachtete. Dabei ließen sich die Tatrichter insbesondere von dem in der Hauptverhandlung von der Zeugin gewonnenen persönlichen Eindruck in Verbindung mit dem Inhalt anderer in diesem Zusammenhang für bedeutsam (und überzeugend) erachteter Erkenntnisquellen - darunter der Darstellung der Zeugin Dr. Elisabeth F*****, der sich Elisabeth N***** anvertraut hatte (S 167 ff) - leiten (US 8 ff).

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Z 4, 5a, 9 lit a und b sowie 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten; sie ist nicht im Recht.

Rechtliche Beurteilung

Das Vorbringen zu den formellen Nichtigkeitsgründen (Z 4 und 5a) zielt im Ergebnis (allein) darauf ab, der Zeugin N***** die Aussageverläßlichkeit abzusprechen und der Einlassung des Beschwerdeführers zum Durchbruch zu verhelfen.

Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider zog die Abweisung der in der Hauptverhandlung vom Nichtigkeitswerber gestellten Beweisanträge (S 201 ff) in keinem Punkt die behauptete Beeinträchtigung von Verteidigungsrechten nach sich.

Soweit der Angeklagte gegen die Ablehnung der Beiziehung eines psychologischen Sachverständigen zwecks Beurteilung der Wahrnehmungs- und Wiedergabefähigkeit der Zeugin N***** remonstriert, übersieht er, daß die Expertise eines Psychologen - soll sie nicht auf einen unzulässigen Erkundungsbeweis hinauslaufen - nur in besonders gelagerten (Ausnahme )Fällen geboten ist, wie etwa, wenn sich (fallbezogen weder substantiiert behauptete noch spezifisch faßbare) objektiv erkennbare erhebliche psychische und charakterliche Defektssymptome (nach Art einer in § 11 StGB umschriebenen Geistesstörung) zur Problematisierung der Aussageehrlichkeit eignen (Mayerhofer StPO4 § 150 E 44; § 151 E 40; § 281 Z 4 E 113).

Im übrigen fällt die Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen (im Sinne der zutreffenden Ausführungen des Schöffengerichtes in seinem abweisenden Zwischenerkenntnis - S 205) ausschließlich in den Bereich der richterlichen Beweiswürdigung (§ 258 StPO). Ferner bedürfte - wie nur am Rande erwähnt sei - selbst eine indizierte psychologische Untersuchung eines Zeugen dessen (hier gar nicht behaupteter) ausdrücklicher Zustimmung (Mayerhofer StPO4 § 150 E 41, 50; SSt 58/36 ua).

Inwieweit der durch Vernehmung der Zeugin Magdalene P***** gewünschte Nachweis, daß der Umgang des Angeklagten mit seinen Schülern zu keiner Beanstandung Anlaß gegeben habe (S 201), eine erfolgversprechende Bereicherung wesentlicher, der Wahrheitsfindung in bezug auf das relevante Tatgeschehen dienlicher Prämissen erwarten ließe (Mayerhofer StPO4 § 281 Z 4 EGr 19), kann bei Anlegung eines realitätsbezogenen Maßstabes nicht ersehen werden. Von den ferner durch Befragung weiterer (teils erst auszuforschender) Zeugen unter Beweis gestellten Tatsachen - der vom Angeklagten gepflogenen Abhaltung von Unterrichtsstunden in seiner Wohnung wie von der (nach den erzielten Beweisergebnissen unstrittigen) Offenlegung der inkriminierten Vorfälle durch Elisabeth N***** erst zu einem (wesentlich) späteren Zeitpunkt - ist das Erstgericht ohnedies ausgegangen (US 5 oben, 7 f), sodaß es insofern schon an den formellen Voraussetzungen der erfolgreichen Geltendmachung der Verfahrensrüge gebricht (Mayerhofer aaO E 63 a und b).

Der im Rahmen der Tatsachenrüge (Z 5a) erneut unternommene Versuch, die Beweiskraft der Zeugin Elisabeth N***** mit dem (teils auf spekulative Überlegungen gestützten) Hinweis auf Nebensächlichkeiten (wie auf das Unterbleiben von Hilferufen oder auf den mit dem Öffnen der Knöpfe der Jeanshose verbundenen manipulativen Aufwand) oder auf in den Urteilsgründen ohnehin erörterte Aspekte (wie vereinzelte Erinnerungsschwächen der Zeugin in bezug auf die Frage des Betastens oberhalb oder unterhalb ihres Slips - US 8 - oder die Darstellung der - mittelbaren - Zeugin Johanna H***** - US 10 f) zu erschüttern sowie mit hypothetischen Erwägungen punktuell betrachtete Verantwortungspassagen des Angeklagten aufzuwerten, ist nicht geeignet, erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen zu erwecken. Überlegungen in der Richtung, daß der Beschwerdeführer die Duldung der geschlechtlichen Handlungen auch ohne Gewalteinwirkung schon auf Grund des Schocks des Opfers hätte erreichen können, haben als Ausführung nach Art einer Schuldberufung bei Prüfung des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes außer Ansatz zu bleiben.

Soweit der Angeklagte auch unter diesem Beschwerdepunkt die Einholung eines psychologischen Sachverständigengutachtens reklamiert, vermag er aus den schon bei Behandlung der Verfahrensrüge dargelegten Gründen einen gravierenden Verstoß gegen die amtswegige Wahrheitsforschung durch unvollständige Ausschöpfung zugänglicher Beweisquellen (gleichfalls) nicht aufzuzeigen.

Schließlich versagen auch die rechtlichen Einwände:

Der Angeklagte vermeint, daß das festgestellte Tatverhalten in Anbetracht der Geringfügigkeit und Flüchtigkeit der jeweils nur wenige Sekunden dauernden Berührungen zu Unrecht als geschlechtliche Handlung im Sinne des § 202 Abs 1 StPO beurteilt worden sei (Z 9 lit a).

Die Verwirklichung des in Rede stehenden Tatbestandes setzt eine objektiv erkennbar sexualbezogene Handlung von bestimmter, sozialstörender Erheblichkeit voraus, bei der zu unmittelbaren Geschlechtssphäre gehörige Körperpartien des Opfers mit dem Körper des Täters in nicht bloß oberflächliche Berührung gebracht werden (Leukauf/Steininger Komm3 RN 5 f; Mayerhofer/Rieder StGB4 E 16 f, Foregger/Kodek StGB6 Anm III jeweils zu § 202).

Wiewohl die Beschwerde von dem der ständigen Judikatur entsprechenden Handlungsbegriff ausgehen will, wendet sie dessen Kriterien auf den konkreten Fall nicht an: Das hier aktuelle Vorgehen des Angeklagten - jeweils mehrere Sekunden dauerndes sexuell motiviertes gezieltes Abgreifen und Küssen der entblößten Brüste der Frau (Mayerhofer/Rieder aaO E 18) sowie Betasten ihres Schambereiches (wenngleich über der Unterwäsche und knapp oberhalb des Geschlechtsteils) - stellt keineswegs eine (vom Schutzbereich der in Rede stehenden Gesetzesstelle nicht erfaßte) Berührung flüchtigen Charakters dar; vielmehr kommt darin eine unmißverständlich in Beziehung zum Geschlechtsleben stehende nachhaltige Betätigung zum Nachteil der geschützten Sexualsphäre der Zeugin N***** zum Ausdruck.

Das gesamte dem Angeklagten zur Last gelegte Verhalten wurde daher rechtlich zutreffend als bereits vollendetes Delikt der geschlechtlichen Nötigung qualifiziert.

Damit ist aber auch der Subsumtionsrüge (Z 10), mit welcher der Nichtigkeitswerber die Einstufung der festgestellten Tathandlungen (vermeintlich mangels Erreichens der für die Tatvollendung erforderlichen Intensität) in die Deliktsphase des Versuchs nach §§ 15, 202 Abs 1 StGB anstrebt, ebenso der Boden entzogen wie dem abschließenden Argument, mit dem er (unter Vernachlässigung der - wie dargelegt - rechtsrichtigen Annahme der Tatbestandsvollendung) das Vorliegen der Voraussetzungen des Strafaufhebungsgrundes des Rücktritts vom Versuch (§ 16 Abs 1 StGB) ins Treffen führt (Z 9 lit b).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Schöffengericht verhängte über Josef S***** nach § 202 Abs 1 StGB eine Freiheitsstrafe von einem Jahr, welche es gemäß § 43 Abs 1 StGB für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachsah.

Bei der Strafzumessung wertete es als erschwerend: die Ausnützung eines beruflichen Abhängigkeitsverhältnisses sowie die Beeinträchtigung zweier Geschlechtssphären (Brüste und Schambereich); als mildernd: den bisher ordentlichen Lebenswandel.

Gegen diesen Strafausspruch richtet sich die Berufung des Angeklagten, mit welcher er die Verhängung einer bedingten Geldstrafe oder die Herabsetzung der Freiheitsstrafe beantragt.

Der Berufungswerber macht zunächst einen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot und damit der Sache nach den Nichtigkeitsgrund der Z 11 des § 281 Abs 1 StPO geltend. "Die Verletzung von zwei Sexualsphären" bei einem einzigen Angriff sei nicht als erschwerend zu werten, weil diese "mit der Verwirklichung des Deliktes schon typischerweise verbunden sei".

Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß nur die Heranziehung eines für die Strafzumessungsschuld irrelevanten Umstandes eine Nichtigkeit im Sinne des zweiten Falles des § 281 Abs 1 Z 11 StPO bewirkt. Dies trifft jedoch vorliegend nicht zu; zeigt doch das Betasten der Brüste und des Schambereiches einen besonders intensiven Täterwillen, der bei Bemessung der Schuld zum Nachteil des Angeklagten ins Gewicht fällt.

Entgegen dem Rechtsmittel wurde auch die Ausnützung eines beruflichen Abhängigkeitsverhältnisses zu Recht als erschwerend gewertet; zwischen Lehrenden und Lernenden besteht immer ein gewisses Vertrauensverhältnis, welches der Berufungswerber mißbraucht hat.

Nicht zutreffend ist schließlich auch der Einwand, daß die Schuld des Angeklagten hinter der typischerweise mit der Verwirklichung des Deliktes verbundenen deutlich zurückbleibe. Gerade der aufgezeigte Mißbrauch eines Vertrauensverhältnisses in Verbindung mit dem erheblichen Täterwillen zeigt einen hohen Schuldgehalt. Die vom Schöffengericht ausgemessene Freiheitsstrafe entspricht somit durchaus der persönlichen Täterschuld und dem Tatunrecht.

Es kommt daher auch der Berufung keine Berechtigung zu.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 390a StPO.

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