JudikaturOGH

10ObS14/99b – OGH Entscheidung

Entscheidung
30. März 1999

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Steinbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johann Meisterhofer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Ernst Löwe (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Johann K*****, ohne Beschäftigung, *****, im Revisionsverfahren nicht vertreten, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, vertreten durch Dr. Andreas Grundei, Rechtsanwalt in Wien, wegen vorzeitiger Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. Oktober 1998, GZ 8 Rs 171/98y-10, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 11. Mai 1998, GZ 36 Cgs 79/98f-6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

I. Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden gemäß Artikel 177 EGV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

"1. Ist Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 79/7/EWG so auszulegen, daß er einem Mitgliedsstaat die unterschiedliche Festsetzung des Rentenalters nur für Renten- bzw Pensionsansprüche erlaubt, die ausschließlich aus dem Risikofall des Alters gewährt werden, oder ist diese Ausnahmeregelung auch auf Renten- bzw Pensionsansprüche zu beziehen, die zwar erst ab einem bestimmten Alter, aber darüber hinaus nur wegen einer bestehenden Invalidität (geminderte Arbeitsfähigkeit) gewährt werden?

2. Ist Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a und Absatz 2 der Richtlinie 79/7/EWG so auszulegen, daß er einem Mitgliedsstaat erlaubt, eine vorher bestandene gleiche Regelung des Rentenalters (hier die Vollendung des 55. Lebensjahres für Männer und Frauen) nach Ablauf der Umsetzungsfrist dahin zu ändern, daß für Männer und Frauen nunmehr ein unterschiedliches Rentenalter (hier die Vollendung des 57. Lebensjahres für Männer und des 55. Lebensjahres für Frauen) festgesetzt wird?"

II. Das Revisionsverfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften ausgesetzt. Nach Einlangen der Vorabentscheidung wird das Revisionsverfahren von Amts wegen fortgesetzt werden.

Text

Begründung:

Die beklagte Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter lehnte mit Bescheid vom 23. 1. 1998 den Antrag des am 14. 7. 1941 geborenen Klägers auf vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit nach § 253d Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG) mit der Begründung ab, daß der Versicherungsfall erst mit Vollendung des 57. Lebensjahres eintrete und der Kläger das 57. Lebensjahr noch nicht vollendet habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Klage mit dem Begehren auf Gewährung der beantragten Leistung ab 1. 9. 1996. Das Erstgericht schloß sich dem Rechtsstandpunkt der Beklagten an und wies das Klagebegehren ab. Der Kläger habe am Stichtag 1. 11. 1997 das 57. Lebensjahr nicht vollendet. Das Gericht zweiter Instanz gab der vom Kläger erhobenen Berufung Folge und änderte das Ersturteil im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens dahin ab, daß es dem Kläger die begehrte Pension ab dem 1. 9. 1996 zuerkannte. Er habe bereits am 6. 8. 1996 einen Antrag auf vorzeitige Alterspension gestellt, über den noch nicht entschieden worden sei.

Gegen das Berufungsurteil richtet sich die auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision der Beklagten mit dem Antrag auf Wiederherstellung des Urteils erster Instanz. Der Kläger erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat mit Beschluß vom 31. 3. 1998 in insgesamt dreizehn zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Sozialrechtssachen (führender Akt 10 ObS 462/97g) von Klägern, die ebenfalls noch nicht das 57. Lebensjahr vollendet hatten und deren Klagen auf vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit gemäß § 122c Bauern-Sozialversicherungsgesetz (BSVG) gegen die Sozialversicherungsanstalt der Bauern gerichtet sind, dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art 177 EGV bereits dieselben Fragen im Zusammenhang mit der Auslegung der Richtlinien 79/7/EWG zur Vorabentscheidung vorgelegt. Die dort erwogenen Zweifel über die Auslegung dieser gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften bestehen auch in der vorliegenden Sozialrechtssache, die einen gegen die Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter gerichteten Anspruch auf vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit betrifft:

Auch im Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG) wurde das für Männer (57. Lebensjahr) und Frauen (55. Lebensjahr) unterschiedliche Anfallsalter für die vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit nach § 253d ASVG erst durch das Strukturanpassungsgesetz 1996, BGBl 201, eingeführt. Vorher war das Anfallsalter für alle Versicherten einheitlich die Vollendung des 55. Lebensjahrs.

Strittig ist auch im vorliegenden Revisionsverfahren nur das Begehren des Klägers auf Gewährung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit für die Zeit nach dem 1. 9. 1996.

Die für die Beurteilung dieses Anspruchs maßgebliche, in dieser Form erst seit 1. 9. 1996 in Kraft stehende Bestimmung des § 253d Abs 1 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG) lautet:

"Vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit. § 253d.

(1) Anspruch auf vorzeitige Alterspension gegen geminderter Arbeitsfähigkeit hat der Versicherte nach Vollendung des 57. Lebensjahres, die Versicherte nach Vollendung des 55. Lebensjahres, wenn er (sie)

1. die Wartezeit erfüllt hat (§ 236),

2. innerhalb der letzten 36 Kalendermonate vor dem Stichtag 24 Beitragsmonate der Pflichtversicherung oder innerhalb der letzten 180 Kalendermonate vor dem Stichtag 36 Beitragsmonate der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nachweist,

3. in mindestens der Hälfte der Beitragsmonate nach diesem Bundesgesetz während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag (§ 223 Abs 2) eine gleiche oder gleichartige Tätigkeit ausgeübt hat und

4. infolge seines (ihres) körperlichen Zustandes nicht mehr imstande ist, durch diese Tätigkeit (Z 3) wenigstens die Hälfte des Entgeltes zu erwerben, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt."

Die beklagte Partei hält dem Begehren des Klägers nur entgegen, daß er das 57. Lebensjahr noch nicht vollendet habe und ein Anspruch auf die begehrte Leistung aus diesem Grund nicht bestehe. Die weiteren Anspruchsvoraussetzungen sind nicht bestritten. Unstrittig ist auch, daß der Kläger das 55. Lebensjahr vollendet hat.

Der Oberste Gerichtshof hat dazu erwogen:

Die oben zitierte Bestimmung des § 253d Abs 1 ASVG geht auf die bis zum 30. 6. 1993 in Geltung gewesene Bestimmung des § 255 Abs 4 ASVG zurück, die folgenden Wortlaut hatte:

"Begriff der Invalidität. § 255. (1) War der Versicherte überwiegend in erlernten (angelernten) Berufen tätig, gilt er als invalid, wenn seine Arbeitsfähigkeit infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in jedem dieser Berufe herabgesunken ist.

(2) ...................................

(3) War der Versicherte nicht überwiegend in erlernten (angelernten) Berufen im Sinne der Abs 1 und 2 tätig, gilt er als invalid, wenn er infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes nicht mehr imstande ist, durch eine Tätigkeit, die auf dem Arbeitsmarkt noch bewertet wird und die ihm unter billiger Berücksichtigung der von ihm ausgeübten Tätigkeiten zugemutet werden kann, wenigstens die Hälfte des Entgeltes zu erwerben, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt.

(4) Der Versicherte gilt auch als invalid, wenn er

a) das 55. Lebensjahr vollendet hat,

b) am Stichtag 180 für die Bemessung der Leistung zu berücksichtigende Versicherungsmonate erworben hat,

c) in mindestens der Hälfte der Beitragsmonate nach diesem Bundesgesetz während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag (§ 223 Abs 2) eine gleiche oder gleichartige Tätigkeit ausgeübt hat und

d) infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes nicht mehr imstande ist, durch diese Tätigkeit (lit c) wenigstens die Hälfte des Entgeltes zu erwerben, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt."

Mit der durch die 51. Novelle zum ASVG (BGBl 1993/335) ab 1. 7. 1993 eingeführten vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit nach § 253d wurde eine neue Leistung der Pensionsversicherung geschaffen, die jedoch weitgehend die besonderen Anspruchsvoraussetzungen der Invaliditätspension gemäß § 255 Abs 4 ASVG und Berufsunfähigkeitspension gemäß § 273 Abs 3 ASVG zu einer vorzeitigen Alterspension zusammenfaßt, wobei allerdings sowohl hinsichtlich Wartezeit wie auch Anfallsalter bedeutsame Unterschiede zu den übrigen vorzeitigen Alterspensionen bestehen. Die Gesetzesmaterialien führten hierzu aus: "Als eine Maßnahme im Interesse älterer, nicht mehr voll einsatzfähiger Langzeitarbeitsloser, die vorher schon längere Zeit der Versicherungsgemeinschaft angehört haben, wird mit der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit eine neue Leistung der Pensionsversicherung eingeführt, und zwar dadurch, daß die derzeit bestehenden Regelungen (Tätigkeitsschutz) bei Invalidität/Berufsunfähigkeit ab dem 55. Lebensjahr (§§ 255 Abs 4, 273 Abs 3 ASVG) zu einer vorzeitigen Alterspension zusammengefaßt werden. Sie kann bereits mit der Vollendung des 55. Lebensjahres in Anspruch genommen werden. Die Wartezeit ist gegenüber der Wartezeit bei einer Alterspension klarer definiert ... Gegenüber der Inanspruchnahme einer Invaliditätspension gemäß § 255 Abs 4 ASVG sind die Anspruchsvoraussetzungen jedoch erschwert. Der Zweckbestimmung dieser Leistung entsprechend wird sie durch eine ausgeübte Erwerbstätigkeit beeinflußt. Wie bei allen vorzeitigen Alterspensionen fällt bei einem Erwerbseinkommen über der Geringfügigkeitsgrenze die Pension weg". Der Gesetzeswortlaut des § 253d Abs 1 Z 3 und 4 ASVG entsprach zunächst den früheren Bestimmungen des § 255 Abs 4 lit c und d bzw § 273 Abs 3 lit c und d ASVG idF vor der 51. Novelle und kannte kein unterschiedliches Anfallsalter für männliche und weibliche Versicherte. Der Einleitungssatz des § 253d Abs 1 ASVG in der Fassung der 51. Novelle lautete demgemäß:

"Anspruch auf vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit hat der (die) Versicherte nach Vollendung des 55. Lebensjahres, wenn er (sie) .."

Eine Änderung erfuhr diese Bestimmung durch das Strukturanpassungsgesetz 1996, BGBl 1996/201: Mit Wirksamkeit vom 1. 9. 1996 wurde im Einleitungssatz des § 253d Abs 1 ASVG der Ausdruck "der (die) Versicherte nach Vollendung des 55. Lebensjahres" durch den Ausdruck "der Versicherte nach Vollendung des 57. Lebensjahres, die Versicherte nach Vollendung des 55. Lebensjahres" ersetzt.

Die Gesetzesmaterialien führen für die Neuregelung budgetäre Gründe ins Treffen; durch verschiedene Maßnahmen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit, darunter auch die Anhebung des Pensionsalters für den Anspruch auf vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit und die dadurch erzielte Einsparung solle das Ziel einer finanziellen Konsolidierung des Bundeshaushaltes erreicht werden.

Der Oberste Gerichtshof hat aus folgenden, bereits in dem Antrag auf Vorabentscheidung vom 31. 3. 1998 zu 10 ObS 462/97g dargelegten Erwägungen Bedenken gegen die Vereinbarkeit des oben dargestellten, erst seit 1. 9. 1996 geltenden unterschiedlichen Anfallsalters ("Rentenalters") für Männer und Frauen mit dem Germeinschaftsrecht und Zweifel an dessen Auslegung:

Artikel 1 der Richtlinie des Rates zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männer und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (79/7/EWG vom 19. 12. 1978 - im folgenden kurz Richtlinie) umschrieb als Ziel der Regelung, daß auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit und der sonstigen Bestandteile der sozialen Sicherung im Sinne von Artikel 3 der Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit schrittweise verwirklicht wird. Die Richtlinie findet gemäß ihrem

Artikel 3 unter anderem auf die gesetzlichen Systeme Anwendung, die Schutz gegen Invalidität und Alter bieten. Der Grundsatz der Gleichbehandlung beinhaltet gemäß Artikel 4 den Fortfall jeglicher unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes, insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand und zwar betreffend:

Gemäß Artikel 5 haben die Mitgliedsstaaten die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, daß die mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung unvereinbaren Rechts- und Verwaltungsvorschriften beseitigt werden, wobei die entsprechenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften gemäß Artikel 8 so in Kraft zu setzen sind, daß der Richtlinie binnen sechs Jahren nach ihrer Bekanntmachung nachgekommen wird.

Vorbehalte finden sich in Artikel 7 Abs 1. Danach steht die Richtlinie unter anderem nicht der Befugnis der Mitgliedsstaaten entgegen, die Festsetzung des Rentenalters für die Gewährung der Altersrente oder Ruhestandsrente und etwaige Auswirkungen daraus auf andere Leistungen von ihrem Anwendungsbereich auszuschließen (Buchstabe a). Nach Absatz 2 dieser Norm haben die Mitgliedsstaaten in regelmäßigen Abständen die aufgrund des Absatz 1 ausgeschlossenen Bereiche zu überprüfen, um festzustellen, ob es unter Berücksichtigung der sozialen Entwicklung in dem Bereich gerechtfertigt ist, die betreffenden Ausnahmen aufrechtzuerhalten.

Der Europäische Gerichtshof vertritt in ständiger Judikatur den Standpunkt, daß sich ein Betroffener seit dem 23. Dezember 1984 (Ablauf der Sechsjahresfrist) auf Artikel 4 der Richtlinie berufen kann, um innerstaatlich eine Gleichbehandlung im Sinne der Richtlinie zu erreichen (unmittelbare Wirkung - Urteil vom 4. 12. 1986, Rs 71/85 in der Rechtssache Federatic Nederlandse Vakbeweging/Niederländischer Staat; Urteil vom 24. 3. 1987, Rs 286/85 in der Rechtssache Norah McDermott u Ann Cotter/Minister for Social Welfare u Attorney - General und andere).

Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs besteht diese Möglichkeit, sich auf das Gleichbehandlungsgebot der Richtlinie zu berufen, auch gegenüber der Beklagten. Bei den österreichischen Sozialversicherungsträgern, zu denen die Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter zählt, handelt es sich um Körperschaften öffentlichen Rechts. Sie genießen zwar eine gewisse Unabhängigkeit vom Staat und werden von Vertretern der Versicherten geleitet, erfüllen jedoch Aufgaben der öffentlichen Verwaltung und sind zur Erfüllung dieser Aufgaben auch mit besonderen Rechten ausgestattet. Obwohl sie in ihrem Wirkungsbereich weisungsfrei sind, unterliegen sie grundsätzlich der staatlichen Aufsicht, die durch den Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales ausgeübt wird (§§ 448 ff ASVG). Die Beklagte ist daher eine dem Staat zurechenbare Einrichtung, gegenüber der ein Einzelner vor einem nationalen Gericht die Richtlinie in Anspruch nehmen kann.

Der Beitritt Österreichs zur Europäischen Union mit Wirksamkeit vom 1. 1. 1995 erhob die Gemeinschaftsrechtsordnung auf der Grundlage des bisher Erreichten ("acquis communautaire") zum teilweise gleichberechtigten, teilweise Vorrang genießenden Bestandteil der österreichischen Rechtsordnung. Gegenstand des Bestandes der Gemeinschaftsrechtsordnung ist damit auch die Richtlinie 79/7/EWG sowie die dazu ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs.

Gegen die Vereinbarkeit der Bestimmung des § 253d Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG) in der für dieses Verfahren maßgeblichen Fassung mit der Richtlinie 79/7/EWG bestehen aus zwei Gründen bedenken:

1. Für den Anspruch auf die Leistung einer vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (Invalidität, Erwerbsunfähigkeit) sind für Männer und Frauen unterschiedliche Altersgrenzen vorgesehen. Diese Versicherungsleistung wird im Gesetz wohl als "Alterspension" bezeichnet, ihrem Charakter nach handelt es sich jedoch, wie auch der oben dargestellte historische Werdegang der Bestimmung zeigt, in Wahrheit nicht um einen Pensionsanspruch, der wegen des Eintritts des Risikofalls des Alters gewährt wird, sondern um einen Anspruch, der wegen des Eintritts des Risikofalls der invaliditätsbedingten Arbeitsunfähigkeit zusteht. Nicht das Erreichen einer bestimmten Altersgrenze ist der maßgebliche Grund für das Entstehen des Anspruchs, sondern das Bestehen einer Krankheit, anderer Gebrechen oder einer Schwäche körperlicher oder geistiger Kräfte. Die in § 253d ASVG genannten Altersgrenzen umschreiben bloß eine zusätzliche Anspruchsvoraussetzung, determinieren aber nicht den Charakter des Anspruchs. Es erscheint insbesondere fraglich, ob allein der Umstand, daß eine Leistung, die lange Jahre hindurch als Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (Risiko der Invalidität im Sinne des Artikels 3 Absatz 1 Buchstabe a 2. Fall der Richtlinie) geleistet wurde und die in ihren Anspruchsvoraussetzungen weiterhin primär auf die geminderte Arbeitsfähigkeit des Leistungswerbers abstellt, allein wegen der nunmehrigen Bezeichnung als vorzeitige Alterspension der Ausnahmeregelung des Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie unterstellt werden kann, die allein eine unterschiedliche Regelung des Anfallsalters zulässig machen würde, zumal der Europäische Gerichtshof die Ansicht vertritt, daß die in Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie normierte Ausnahmeregelung eng auszulegen ist (Urteil vom 30. 3. 1993, Rs C-328/91 in der Rechtssache Secretary of State for Social Security/E. Thoma ua). Nach der Rechtsprechung des EuGH ist für die Beurteilung einer Leistung aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht nicht deren Einordnung nach dem jeweiligen nationalen Recht, sondern die generelle Zielsetzung aus internationaler Sicht maßgebend. Wäre demnach Art 7 Abs 1 Buchstabe a der Richtlinie so auszulegen, daß die von den Klägern begehrte Pension aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht nicht als Altersrente oder Ruhestandsrente, sondern als Invaliditätsleistung zu klassifizieren ist, dann wäre eine unterschiedliche Behandlung von Frauen und Männern unzulässig. Während für die reguläre Alterspension nach § 253 ASVG unterschiedliche Altersgrenzen für Männer (65 Jahre) und Frauen (60 Jahre) festgelegt sind, war bis zur letzten Gesetzesänderung durch das Strukturanpassungsgesetz 1996 bei der Gewährung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit stets eine für Männer und Frauen einheitliche Altersgrenze vorgesehen. Die in den Gesetzesmaterialien genannten budgetären Gründe für die Einführung des unterschiedlichen Anfallsalters sind nicht geeignet, den notwendigen Zusammenhang zwischen der Diskriminierung bei der regulären Alterspension und der Diskriminierung bei der vorzeitigen Alterspension wegen (invaliditätsbedingt) geminderter Arbeitsfähigkeit herzustellen bzw nachzuweisen, die damit auch nicht von der in Art 7 Abs 1 lit a der Richtlinie vorgesehenen Ausnahme für Auswirkungen einer unterschiedlichen Festsetzung des Rentenalters auf "andere Leistungen" erfaßt wird.

2. Aus der Fassung des Artikel 7, insbesondere dessen Absatz 2 sowie den gesamten Intentionen der Richtlinie ist abzuleiten, daß es sich bei den Ausnahmeregelungen des Artikel 7 Absatz 1 um solche handelt, die von den Mitgliedsstaaten für eine bestimmte Übergangszeit aufrechterhalten werden dürfen, wobei aber letztlich die Grundsätze der Gleichbehandlung auch in diesen Bereichen verwirklicht werden sollen (in diesem Sinne auch das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 7. 7. 1992, Rs C-9/91 in der Rechtssache The Queen/Secretary of State for Social Security, dazu insbesondere auch die Schlußanträge des Generalanwaltes Walter von Gerven vom 12. 5. 1992; Urteil vom 30. 3. 1993, Rs C-328/91 in der Rechtssache Secretary of State for Social Security/E. Thoma ua). In seinem Urteil vom 7. 7. 1994, Rs C-420/92 in der Rechtssache Elizabeth Bramhill/Chief Adjudication Officer wurde eine Regelung für richtlinienkonform angesehen, derzufolge Zuschläge zu langfristigen Leistungen für den Ehegatten, die ursprünglich nur für Männer vorgesehen waren, nunmehr auch Frauen gewährt werden, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Der Gerichtshof führte auch in diesem Fall aus, die Richtlinie 79/7/EWG habe zum Ziel, daß der Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit schrittweise verwirklicht werde. Eine Auslegung, die darauf hinausliefe, daß ein Mitgliedsstaat, was Leistungen angehe, die er vom Anwendungsbereich der Richtlinie gemäß Artikel 7 Absatz 1 lit d ausgeschlossen habe, sich dann nicht mehr auf die Ausnahmeregelung in dieser Bestimmung stützen könne, wenn er eine Maßnahme träfe, die wie die im Ausgangsverfahren streitige bewirke, daß das Ausmaß einer Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechtes verringert werde, wäre mit diesem Ziel unvereinbar und könnte die Verwirklichung des genannten Grundsatzes gefährden.

Aus diesen Ausführungen ergibt sich, daß der Gerichtshof Regelungen für zulässig erachtet, die bestehende Differenzierungen, wenn auch vorerst nur teilweise, beseitigen und damit zu einem schrittweisen Abbau von Ungleichbehandlungen im Rahmen der Ausnahmeregelungen führen; sie weisen aber auch darauf hin, daß Änderungen von diskriminierenden Bestimmungen im Bereich der Ausnahmeregelungen des Artikel 7 Absatz 1 nur in Richtung eines solchen Abbaues von Ungleichbehandlungen für richtlinienkonform erachtet werden. Ausgehend davon erscheint die Neufassung des § 253d Abs 1 ASVG durch das Strukturanpassungsgesetzes 1996 gegen die Richtlinie zu verstoßen; es wurde damit ein Schritt in die umgekehrte Richtung gesetzt, zumal die Neuregelung nach Wirksamkeitsbeginn der Richtlinie auch für den österreichischen Rechtsbereich eine zuvor nicht bestande Diskriminierung zwischen Männern und Frauen neu geschaffen hat. Es scheint also zwar zulässig zu sein, bestehende Unterschiede noch beizubehalten, nicht aber, solche zu verschärfen oder Diskriminierungen nach Wirksamwerden dieser Richtlinien neu einzuführen.

Aus den dargelegten Gründen sind die betreffenden gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften der Richtlinie 79/7/EWG für die Urteilsfindung des Obersten Gerichtshofes in den abhängigen Rechtssachen von entscheidender Bedeutung. Da über deren Auslegung jedoch Zweifel bestehen, sind die Voraussetzungen des Art 177 EG-Vertrag erfüllt, so daß dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften die eingangs gestellten Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen waren.

Die Aussetzung des Revisionsverfahrens bis zur Beendigung des Vorabentscheidungsverfahrens beruht auf § 90a Gerichtsorganisationsgesetz (GOG).

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