JudikaturOGH

7Ob207/97k – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. Juli 1998

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Rosa M*****, und

2. Rudolf M*****, beide vertreten durch Dr.Klaus Nuener, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Josef M*****, vertreten durch Dr.Gerhard Ebner, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Räumung, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 7.Mai 1997, GZ 1 R 102/97z-61, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Hall vom 2.12.1996, GZ 6 C 30/95d-55, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision der Kläger wird Folge gegeben und die angefochtene Entscheidung des Berufungsgerichtes dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit S 6.659,04 (darin S 1.115,84 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 4.021,25 (darin S 670,21 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Kläger, die Eltern des Beklagten, sind Eigentümer des Hauses A*****, A*****weg *****. Der Beklagte und seine Gattin sind taubstumm. Der Zweitkläger bot dem Beklagten, der bis dahin mit seiner Familie im Keller dieses Hauses wohnte und vergeblich auf eine Gemeindewohnung wartete, etwa 1984 an, er könne sich auf seine eigene Kosten den Dachboden im elterlichen Hause als Wohnung ausbauen. Dabei wurde nicht darüber gesprochen, wie lang der Beklagte im ausgebauten Dachgeschoß bleiben könne, ein Mietzins für diese Wohnung wurde nicht vereinbart, der Beklagte ging davon aus, daß er für immer in dieser Wohnung bleiben könne. Auch die Kläger gingen bei ihrem Angebot davon aus. Die Investitionen des Beklagten zur Errichtung der Wohnung betrugen S 820.000,--. Der ortsübliche Mietzins für die Wohnung würde derzeit ca. S 80,-- pro Quadratmeter betragen. Der Beklagte bezahlt derzeit nur die Betriebskosten (Wasser-, Kanal- und Müllgebühren) sowie die anteilige Hausversicherung. Die Kinder des Beklagten sind derzeit 20 und 16 Jahre alt. Das Verhältnis zwischen dem Beklagten und seiner Ehefrau ist gespannt, weil der Beklagte eine Freundin hat und sich scheiden lassen will. Sowohl der Beklagte wie seine Frau sind gehörlos. Wenn es aber zwischen beiden zu Auseinandersetzungen kommt, werden diese lautstark ausgetragen, wobei die Häufigkeit dieser Streitereien nicht feststellbar war. Der Beklagte bastelt gern an Motorrädern (im Hof des elterlichen Anwesens). Es kommt dabei häufig vor, daß er das Motorrad bis zu einer halben Stunde warmlaufen läßt und zwischendurch auch Gas gibt. Wird er auf die Lärmbelästigung angesprochen, kommt es vor, daß er diese abstellt oder auch nicht. Obwohl er gehörlos ist, läßt er dabei auch das Autoradio laufen. Dieses ist dabei dermaßen laut eingestellt, daß es auch durch ein geschlossenes Fenster im ersten Stock des Wohnhauses der Kläger gehört werden kann. Der Beklagte ist nicht immer bereit, auf Aufforderung das Radio abzustellen. Ebenso ist es in den letzten Jahren zumindestens seit 1990 vorgekommen, daß er in den Nachtstunden Radio und Fernseher so laut aufdreht, daß der Lärm in die darunterliegende Wohnung eindringt. Nur in den letzten zwei Jahren (im Verlauf des gegenständlichen Prozesses) ist diesbezüglich eine Besserung eingetreten. Die Söhne des Beklagten werden in den Nachtstunden von Freunden abgeholt und wieder nach Hause gebracht. Auch dabei kommt es vor, daß diese Freunde das Autoradio so laut eingestellt haben, daß es deutlich im Haus der Kläger zu vernehmen ist. Die Söhne des Beklagten erzeugen auch (übermäßig) Lärm, wenn sie durch das Stiegenhaus gehen. Der Beklagte hält in seiner Wohnung vier Katzen, diese gelangen zeitweise ins Stiegenhaus und hinterlassen dort ihren Kot und urinieren auch. Die Stiegenhausreinigung durch die Familie des Beklagten erfolgt nur mangelhaft. Der Beklagte ist einmal auf seinen Vater mit einer Drohgebärde (mit geballten Fäusten) losgegangen, zu Tätlichkeiten ist es aber nicht gekommen. Im Rahmen der Beweiswürdigung verwies das Erstgericht hinsichtlich der Dauer der Lärmbelästigungen auf die Beilagen ./B und ./C, aus denen hervorgeht, daß der Klagevertreter bereits seit 1990 wegen Lärmbelästigung des Beklagten eingeschritten ist.

Mit der am 25.1.1994 beim Erstgericht eingelangten Klage begehren die Kläger vom Beklagten die Räumung der Dachgeschoßwohnung, die dieser und seine Familie auf Grund eines familienrechtlichen Wohnverhältnisses benütze. Der Beklagte und seine Angehörigen erzeugten in den Nachtstunden ungebührlichen Lärm. So würden die Radiogeräte nächtelang auf volle Lautstärke eingestellt und trotz Aufforderung nicht zurückgedreht. Der Beklagte beschimpfe und bedrohe die Kläger.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete im wesentlichen ein, daß mit ihm ein Mietvertrag auf unbestimmte Zeit vereinbart worden sei. Sollte dies nicht der Fall sein, so sei ihm ein obligatorisches Wohnrecht eingeräumt worden und liege kein rein familienrechtliches Wohnverhältnis vor. Er lege kein unleidliches Verhalten an den Tag, ein solches gehe jedoch von den Klägern aus. Diese würden die Freunde seiner Söhne vertreiben und seinen Schwiegereltern den Zutritt zum Haus verwehren. Bei einer Rückabwicklung wären im übrigen die Aufwendungen des Beklagten für den Dachbodenausbau in Form einer Zug-um-Zug-Verurteilung der Kläger zur Zahlung eines Betrages von S 820.000,-- zu berücksichtigen. Ein Wohnrecht des Beklagten sei deshalb nicht verbüchert worden, weil der Zweitkläger behauptet habe, dies sei nicht notwendig.

Das Erstgericht gab dem Räumungsbegehren statt und wies das vom Beklagten erhobene Zug-um-Zug-Begehren auf Zahlung eines Betrages von S 820.000,- ab. Dem Beklagten sei an den Dachgeschoßräumen des elterlichen Hauses ein obligatorisches Wohnverhältnis eingeräumt worden, das unter den Voraussetzungen des § 1118 ABGB aufgelöst werden könne. Die im einzelnen festgestellten Verhaltensweisen des Beklagten und seiner Familienangehörigen während der letzten Jahre würden das Zusammenleben mit den Klägern und der Familie seiner Schwester unerträglich machen. Dem Beklagten stehe kein Anspruch auf Zahlung von S 820.000,-- Zug um Zug gegen die Räumung zu, weil ihn ein Verschulden an der Auflösung des Dauerschuldverhältnisses treffe, weshalb sein Rückforderungsanspruch hinsichtlich der Investitionen nicht zu Recht bestehe.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung mit dem angefochtenen Urteil in eine Abweisung des Räumungsbegehrens ab. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 50.000,-- übersteigt und daß die ordentliche Revision unzulässig sei. Ausgehend von den übernommenen erstgerichtlichen Feststellungen kam es rechtlich zum Ergebnis, daß ein obligatorisches Wohnverhältnis zwischen den Streitteilen begründet worden sei, das in Übereinstimmung mit der Rechtsauffassung des Erstgerichtes als Dauerschuldverhältnis zu qualifizieren sei. Ein solches könne grundsätzlich nur aus wichtigen Gründen vorzeitig aufgelöst werden. Die Verfehlungen des Beklagten hätten jedoch in der festgestellten Form kein solches Gewicht, daß die Auflösung des Wohnrechtvertrages zur Vermeidung einer unzumutbaren Beeinträchtigung der Kläger erforderlich wäre. Es stehe nicht fest, wie oft es zu Auseinandersetzungen zwischen dem Beklagten und seiner Ehefrau komme, diese Negativfeststellung zur Häufigkeit gereiche dem Beklagten zum Vorteil. Das gleiche gelte hinsichtlich der Lärmbelästigung durch das Warmlaufenlassen von Motorrädern durch den Beklagten. Was die Lärmbelästigungen während der Nacht betreffe, stehe ausdrücklich fest, daß es in den letzten zwei Jahren vor Schluß der Verhandlung erster Instanz zu einer Besserung gekommen sei, was ebenfalls bei einer Wertung des Gesamtverhaltens für den Beklagten spreche. Weiters stehe nicht fest, wie oft es beim Stiegenhausgehen zu Lärmbelästigungen komme. Beim Verunreinigen des Stiegenhauses durch die vier Katzen des Beklagten könne nicht von einem derartig unleidlichen Verhalten des Beklagten gesprochen werden, das die vorzeitige Auflösung des Dauerschuldverhältnisses rechtfertige.

Die gegen diese Entscheidung erhobene Revision ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Aufkündigung des Beklagten durch die Kläger wurde mit rechtskräftigem Urteil vom 7.1.1994 zu 4 C 1371//93t des Erstgerichtes mit der Begründung aufgehoben, daß kein Bestandverhältnis im Sinne der §§ 560 ff ZPO zwischen den Streitteilen vorliege. Daraufhin erhoben die Kläger die vorliegende Räumungsklage mit der Begründung, daß ein familienrechtliches Wohnverhältnis mit dem Beklagten vorliege. In der Folge brachten sie jedoch vor, daß zwischen den Streitteilen nicht ausdrücklich vereinbart worden sei, daß der Beklagte für immer im Haus wohnen bleiben könne, es sei lediglich vereinbart worden, er könne solange dort wohnen, solang er sich anständig und gebührlich aufführe. Der Beklagte hat dieses Vorbringen mit seiner Aussage sinngemäß bestätigt. Geht man aufgrund dieses Vorbringens der klagenden Parteien in Übereinstimmung mit den Vorinstanzen davon aus, daß zwischen den Streitteilen ein obligatorisches Wohnrecht hinsichtlich der Räume im Dachboden des Hauses der Kläger begründet worden ist (vgl Binder in Schwimann ABGB2 § 1090 Rz 8 mwN), kann dieses Dauerrechtsverhältnis nur infolge wichtiger Gründe zur Auflösung gebracht werden (vgl Kiendl-Wendner in Schwimann ABGB2 § 522 Rz 12 mwN, sowie Binder aaO § 1118 Rz 4 mwN).

Ein wichtiger Grund für die Auflösung des Wohnungsrechtes kann darin bestehen, daß ein gedeihliches Zusammenleben der Vertragsparteien von einem Teil unmöglich gemacht wird. Dies entspricht im Ergebnis dem klägerischen Vorbringen, dem Beklagten das (obligatorische) Wohnrecht nur solange einzuräumen, als er sich "anständig und gebührlich" aufführt.

Die Wirkung der Aufhebung des Dauerschuldverhältnisses nach § 1118 ABGB tritt bei Vorliegen eines zutreffenden Auflösungsgrundes bereits mit der Auflösungserklärung ein, dementsprechend ist eine spätere Besserung des Verhaltens des Bestandnehmers rechtlich bedeutungslos (vgl Binder aaO Rz 41 und 46 mwN). Das von den Klägern behauptete bloße familienhafte Wohnen liegt nicht vor, weil aus dem gesetzten Verhalten der Streitteile auf einen beiderseitigen Rechtsgeschäftswillen zu schließen ist, wobei unter Familienangehörigen nicht jene Bestimmtheit von Willenserklärungen verlangt werden darf, wie dies im Geschäftsverkehr zwischen fremden Personen der Fall ist (vgl MietSlg 40.032, 40.060). Gerade bei der Gestattung des Dachbodenausbaus für ein wohnungssuchendes Kind auf dessen Kosten ist im Zweifel auf die Einräumung eines Wohnungsbenützungsrechtes zu schließen (MietSlg 40.032, Binder in Schwimann ABGB § 1090 Rz 20 ff).

Inwieweit das Verhalten des Beklagten den Klägern das Zusammenleben unmöglich macht, ist objektiv zu beurteilen (vgl Kiendl/Wendner aaO mwN). Nach den Feststellungen des Erstgerichtes ist der Beklagte überwiegend für die Unstimmigkeiten zufolge seiner Ignoranz verantwortlich. Das Wohnrecht wurde ihm nicht ausschließlich zu Versorgungszwecken eingeräumt, sodaß hier kein Ausgleich zwischen den Interessen zu treffen ist. Richtig ist, daß das Erstgericht Feststellungen darüber, wie oft bzw wie häufig der Beklagte den Klägern das Zusammenwohnen unleidlich gemacht hat und in welchem Zusammenhang es mit dem vorliegenden Verfahren erfolgt ist, nicht numerisch festgehalten hat. Da es aber dennoch zur Auffassung kam, daß die vorliegenden Vorfälle, die sich seit 1990 doch mit einer wenn auch nicht präzise festgestellten, so doch gegebenen Vielzahl ereignet haben und damit den Klägern das Zusammenleben unleidlich gemacht haben, ist er von einer ungewöhnlichen Häufung und nicht nur von bloßen gerade noch tolerierbaren Einzelfällen ausgegangen. Auch das Berufungsgericht geht nicht davon aus, daß die einzelnen Vorfälle wegen ihrer Seltenheit zu vernachlässigen wären, sondern vermeint bloß, daß die Kläger ihrer Beweispflicht nicht nachgekommen seien, was aber in Anbetracht der obigen Darlegungen nicht richtig ist. Nach der Beurteilung des Erstgerichtes erleiden die Kläger durch das Verhalten des Beklagten und seiner Familienangehörigen nicht nur ab und zu, sondern laufend unzumutbare Nachteile. Von der Gesamtheit her beurteilt sind die einzelnen Akte seines Fehlverhaltens auch nicht voneinander in der Weise zu trennen, daß einer davon vernachlässigt werden könnte, so daß man zum Ergebnis kommt, daß alles zusammen, objektiv beurteilt von den Betroffenen als "häufige" und unerträgliche Attacken des Beklagten gegen sie empfunden werden mußten. Jede andere Wertung der erstgerichtlichen Feststellungen wäre lebensfremd. Die vom Erstgericht unterlassene numerisch genaue Feststellung der einzelnen Vorfälle bzw ihre zeitmäßige Fixierung in einem Zeitraum von mehreren Jahren kann daher im Gegensatz zur Auffassung des Berufungsgerichtes nicht zugunsten des Beklagten gewertet werden, weil die Objektivierbarkeit seines krassen Fehlverhaltens auch ohne eine derartige Erhebung möglich war.

Das Räumungsbegehren der Kläger erweist sich daher als gerechtfertigt.

Dem Beklagten kommt aber auch kein Zurückhaltungsrecht, das ihn etwa nur gegen die Zahlung des von ihm geforderten Investitionsbetrages Zug um Zug zur Räumung verpflichtete, zu. Für Bestandverträge sieht schon § 1109 ABGB letzter Satz ein Zurückbehaltungs- und Aufrechnungsverbot vor, welches im § 1440 Satz 2 ABGB wiederholt wird. Der Lehre, die dieses Verbot analog auf Wohnungsdienstbarkeiten anwendet (vgl Honsell/Heidinger in Schwimann ABGB2 § 1440 Rz 11 mwN), ist beizupflichten. Dem obligatorisch Wohnungsberechtigten steht demgemäß nur ein Wegnahmerecht (vgl Binder aaO § 1109 Rz 17 und 21) und ein gesondert geltend zu machender Bereicherungsanspruch zu.

Aus den dargelegten Gründen war daher der Revision der Kläger Folge zu geben und das Ersturteil wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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