12Os157/97 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 20.November 1997 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Rzeszut als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schindler, Dr.E.Adamovic, Dr.Holzweber und Dr.Philipp als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Kubiczek als Schriftführer, in der Strafsache gegen Gottfried P***** wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 17.Juli 1997, GZ 1 b Vr 10033/96-86, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Gottfried P***** des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB (A/), des Verbrechens der schweren Erpressung nach §§ 144 Abs 1, 145 Abs 1 Z 1 und Abs 2 Z 1 StGB (B/), des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (C/), des Vergehens der Zuhälterei nach § 216 Abs 1 und Abs 2 StGB (D/), des Verbrechens der teils vollendeten, teils versuchten schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 und 15 StGB (E/ und G/), des Verbrechens der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Personen unter 18 Jahren nach § 209 StGB (F/), des Verbrechens nach § 12 Abs 1 SGG (H/) und des Vergehens nach § 16 Abs 1 SGG (I/) schuldig erkannt.
Demnach hat er in Wien
A/ im April 1995 im bewußten und gewollten Zusammenwirken mit dem abgesondert verfolgten Jugend- lichen Daniel Schlager dem Gerhard D***** mit Gewalt gegen dessen Person, indem sie ihn durch ein mit Rohypnol versetztes Getränk besinnungslos machten, fremde bewegliche Sachen, nämlich Bargeld in der Höhe von ca 50.000 S und Warengutscheine im Wert von ca 5.000 S mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch die Sachzueignung unrechtmäßig zu bereichern;
B/ in der Zeit zwischen April 1995 und Som- mer 1996 im bewußten und gewollten Zusammenwirken mit dem abgesondert verfolgten Jugendlichen Daniel S***** in zumindest 16 Angriffen den Gerhard D***** durch gefährliche Drohung mit der Vernichtung seiner wirtschaftlichen Existenz und seiner gesellschaftlichen Stellung als Redakteur der K***** zu Handlungen, nämlich zur Übergabe von Bargeld in der Höhe von ca 1 Mio S genötigt und am Vermögen geschädigt, indem sie ihm erklärten, sie würden ihn wegen seiner homosexuellen Neigungen zu "unter 14-jährigen" Knaben anzeigen bzw mit ihrem Wissen an die Öffentlichkeit gehen, wobei sie mit dem Vorsatz handelten, sich durch das Verhalten des Genötigten unrechtmäßig zu bereichern, die Erpressung gewerbsmäßig begingen und gegen dieselbe Person längere Zeit hindurch fortsetzten;
C/ unmündige Personen auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbraucht, indem er mit nachstehenden Knaben Oral-, Anal- und Handverkehr durchführte bzw von diesen an sich selbst durchführen ließ:
1. 1995/1996 mit zumindest drei jeweils unter 14 Jahre alten Knaben, die ihm von dem abgesondert verfolgten Alexander B***** vermittelt wurden;
2. 1995/1996 mit dem Unmündigen Sascha P***** (geb.6.Dezember 1983) in etwa 4 bis 5 Fällen;
3. am 14./15.September 1996 mit dem Unmündigen Stefan W***** (geb 29. Juni 1984);
4. am 18. und 19.September 1996 mit dem Unmündigen Michael G***** (geb. 12.Jänner 1983);
D/ in der Zeit zwischen Sommer 1995 und Mai 1996 mit dem Vorsatz, sich aus der gewerbsmäßigen Unzucht des Daniel S***** (geb. 12.Jänner 1981) eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, diese Person ausgebeutet, eingeschüchtert und ihm die Bedingungen zur Ausübung der Unzucht vorgeschrieben, indem er Daniel S***** veranlaßte, für ihn auf den Homosexuellenstrich zu gehen, ihn anwies, mit wem er verkehren sollte und den Schandlohn von den Unzuchtspartnern einkassierte (und einbehielt - US 15);
E/ in der Zeit zwischen Sommer 1995 und Mai 1996 Daniel S***** durch gefährliche Drohung mit dem Tode zur Ausübung der Prostitution genötigt, indem er ihm in Aussicht stellte, er werde ihm "die Mafia an den Hals hetzen";
F/ als Person männlichen Geschlechtes nach Vollendung des 19. Lebensjahres mit einer Person, die das 15.Lebensjahr (aber noch nicht das 18.Lebensjahr) vollendet hat, gleichgeschlechtliche Unzucht getrieben, indem er Hand-, Oral- und Afterverkehr hatte, und zwar:
1. zwischen Mitte Mai 1995 und Mitte September 1996 in zahlreichen Angriffen mit Daniel S***** (geb. 18.Jänner 1981);
2. im Juni/Juli 1996 mit dem Jugendlichen Walter S***** (geb. 22. November 1981);
G/ im August 1996 den Hannes T***** dadurch, daß er zu ihm sagte, "Wenn'st den Beitl (gemeint den Unmündigen Sascha P*****, geb. 6. Dezember 1983) net zruckbringst, daschlag i di", somit durch gefährliche Drohung mit dem Tode, zu einer Handlung, nämlich zur Rückführung des Sascha P***** von Wr.Neustadt nach Wien in seinen Einflußbereich zu nötigen versucht;
H/ den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift in einer großen Menge in Verkehr gesetzt, indem er in der Zeit von Sommer 1995 bis Mai 1996 dem abgesondert verfolgten Jugendlichen Daniel S***** cirka 330 Gramm Haschisch kostenlos überließ;
I. in der Zeit zwischen 1991 und August 1996 den bestehenden Vorschriften zuwider ein Suchtgift erwarb und besaß.
Der - unter Ausklammerung des Schuldspruchfaktums F/1. - dagegen aus § 281 Abs 1 Z 2, 4, 5, 5 a, 9 lit a und 10 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde kommt keine Berechtigung zu.
Rechtliche Beurteilung
Soweit die Beschwerde inhaltlich des auf Urteilsaufhebung im bezeichneten Umfang lautenden Rechtsmittelantrags damit auch den Schuldspruch wegen Vergehens nach § 16 Abs 1 SGG erfaßt, ist sie mangels näherer Substantiierung keiner sachlichen Erwiderung zugänglich und damit nicht prozeßordnungsgemäß ausgeführt (§§ 285 Abs 1, 285 a Z 2 StPO).
Gleiches gilt für die einen Verstoß gegen § 252 Abs 1 StPO monierende Beschwerdeargumentation (nominell Z 2, sachlich Z 3), die den unbekannten Aufenthalt des Zeugen W***** (109/I) übergeht; damit waren aber dessen Angaben nach § 252 Abs 1 Z 1 StPO - trotz Widerspruchs des Angeklagten - zwingend zu verlesen.
Die Verfahrensrüge (Z 4) wendet sich gegen die Abweisung der in der Hauptverhandlung am 17.Juli 1997 gestellten Anträge auf Einholung des Gutachtens eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Psychiatrie "um die Aussagefähigkeit und den Aussagewert der Zeugen W***** und G***** zu überprüfen", auf Vernehmung des Sozialarbeiters des Jugendamtes Linz Johann St***** "zum Beweis dafür, daß die Kontakte des Angeklagten zum Zeugen S***** fürsorglicher Natur und keineswegs sexuell und wirtschaftlich motiviert waren" und auf Einholung des Gutachtens eines Sachverständigen "aus dem Suchtgiftbereich" zum Beweis dafür, "daß sich Rohypnol in einem Rotwein nicht auf eine Weise auflösen kann, daß es nicht mehr gesehen wird" (163 f/II - mit ON 52 wurde die Journalisierung der Aktenseiten wieder mit 1 begonnen).
Sie geht indes ins Leere: Die Beurteilung der Glaubwürdigkeit einer Person - gleich ob ihr die prozessuale Stellung eines Beschuldigten oder Zeugen eingeräumt ist, obliegt ausschließlich dem erkennenden Gericht in freier, an keine Regeln gebundener Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO). Das Gutachten eines Psychiaters zur Beurteilung der Aussagen jugendlicher Zeugen kommt nur in besonders gelagerten Fällen solcher (hier nicht einmal konkret behaupteter, vom Erstgericht vielmehr unmißverständlich verneinter und nach den Verfahrensergebnissen auch nicht spezifisch faßbarer) psychischer und charakterlicher Defektsymptome in Betracht, die sich zur Problematisierung der Aussagezuverlässigkeit eignen.
Die beantragte Vernehmung des in Linz Dienst versehenden Sozialarbeiters St***** läßt hingegen die gebotene (hier nicht von selbst einsichtige) Konkretisierung der antragsspezifischen Eignung der Beweisquelle für den (hier allein relevanten) Negativbeweis und damit jenes Mindestmaß an sachbezogener Schlüssigkeit vermissen, von der die Antragstauglichkeit unabdingbar abhing (Mayerhofer aaO § 281 Z 4 ENr 19 c ff).
Schließlich entbehrt das letztangeführte Beweisbegehren schon vom Ansatz her jedweder entscheidungswesentlicher Relevanz, weil - im Sinne des dazu ergangenen vom Beschwerdeführer bekämpften Zwischenerkenntnisses - selbst im Falle des angestrebten Ergebnisses der Beweisaufnahme für die hier entscheidende Frage, ob der hochgradig alkoholisierte (165/II) Zeuge D***** Rohypnol in seinem Getränk wahrgenommen hat, nichts gewonnen wäre.
Die behauptete, auch unter dem Gesichtspunkt unzureichender Begründung (Z 5) gerügte Beeinträchtigung von Verteidigungsrechten liegt somit nicht vor.
Die Feststellungsmängel zu den subjektiven Tatbestandserfordernissen der zu C/, D/, E/ und F/ des Urteilssatzes ergangenen Schuldsprüche relevierenden Beschwerdeausführungen (nominell Z 5, sachlich Z 9 lit a) vernachlässigen durchwegs die bezüglichen Konstatierungen des Erstgerichtes (US 14, 15, 17 und 20) und erweisen sich (einmal mehr) als nicht prozeßordnungskonform.
Die Tatsachenrüge (Z 5 a) läßt mit der Behauptung, der Zeuge Walter S***** (Schuldspruchfaktum F/2.) habe den Angeklagten in der Hauptverhandlung am 6.Februar 1997 ausdrücklich entlastet, weshalb, "da andere belastende Beweise zu diesem Faktum nicht vorliegen, das Erstgericht nicht mit einem Schuldspruch hätte vorgehen dürfen", sowohl die tatrichterlichen Ausführungen auf US 8 und US 20 als auch die von S***** in der genannten Hauptverhandlung berichtigten und den Beschwerdeführer (erneut) belastenden Angaben (25/II) unberücksichtigt.
Auf ähnlich prozeßordnungswidrige Weise problematisiert der Angeklagte die Berechnung der zum Schuldspruchfaktum H/ festgestellten Suchtgiftmenge, indem er - von einem Bedarf an Haschisch für 150 (damit präparierte) Zigaretten ausgehend -, darauf abstellt, daß eine solche Zigarette im Normalfall ein halbes Gramm Haschisch enthalte, in verfälschender Verkürzung aber die weitere Aussage des Zeugen S*****, wonach er Zigaretten jeweils mit 2 Gramm Haschisch zu versehen pflegt (152/II), übergeht.
Das darüber hinausgehende Vorbringen der Tatsachenrüge wendet sich, indem es die Glaubwürdigkeit der Verantwortung des Beschwerdeführers und die Unglaubwürdigkeit der Angaben von Zeugen betont, in (hier) unzulässiger Weise nach Art einer Schuldberufung gegen die beweiswürdigenden Überlegungen der Tatrichter.
Auch die Rechtsrüge verfehlt mangels Orientierung an den erstgerichtlichen Feststellungen eine gesetzmäßige Darstellung:
Die - nach Beschwerdeauffassung - die subjektive Tatseite des dem Angeklagten zur Last gelegten Raubes (A/) berührende Urteilspassage, "daß S***** den D***** ablenken sollte, damit der Angeklagte diesen ""abstieren"" könne" (US 10), enthält lediglich die Wiedergabe eines von Beamten des Sicherheitsbüros verfaßten Berichtes über die Angaben des Zeugen S***** (277/I), findet sich aber weder in dessen niederschriftlichen Angaben noch in den diesen Schuldspruch tragenden tatrichterlichen Konstatierungen.
Der gegen die angenommene Qualifikation gewerbsmäßig erpresserischen Handelns (§ 145 Abs 2 Z 1 StGB - Schuldspruchfaktum B/) gerichtete Einwand (bloß) gelegentlicher und fallweiser Tatbegehung (Z 10) schließlich vernachlässigt (einmal mehr prozeßordnungswidrig) mehrere dazu angenommene entscheidungsrelevante Tatkomponenten (anhaltende finanzielle Notlage des Angeklagten, Vielzahl von Angriffen während eines Zeitraumes von mehr als einem Jahr - US 1, 4, 16). Der zum selben Schuldspruchfaktum erhobene Einwand der Subsumtionsrüge, der Angeklagte habe "sein Wissen darüber, daß D***** peinlich berührt sein werde, über diesen Teil seines Privatlebens niemanden wissen zu lassen, festgestellterweise nicht zum Gegenstand seiner Drohung gemacht, weshalb die Qualifikation des Erpressungsvorwurfs (auch) nach § 145 Abs 1 Z 1 StGB nach dem festgestellten Sachverhalt somit auf einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung beruhe", ist denklogisch nicht nachvollziehbar und damit einer sachbezogenen Erörterung entzogen.
Die teils unbegründete, teils nicht gesetzmäßig ausgeführte Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei einer nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285 d Abs 1 StPO).
Daraus folgt die Kompetenz des Gerichtshofes zweiter Instanz zur Entscheidung über die Berufung (§ 285 i StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf der bezogenen Gesetzesstelle.