6Ob102/97m – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kellner, Dr.Schiemer, Dr.Prückner und Dr.Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gertrude L*****, vertreten durch Dr.Heinrich Schmiedt, Rechtsanwalt in Kitzbühel, wider die beklagte Partei Margarethe B*****, vertreten durch Dr.Klaus Reisch und Dr.Anke Reisch, Rechtsanwälte in Kitzbühel, wegen Einwilligung zu Grundbuchshandlungen (Streitwert 60.000,-- S), infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 24. Jänner 1997, GZ 2 R 149/96t-16, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Kitzbühel vom 30. November 1995, GZ 2 C 446/95h-12, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei hat der klagenden Partei die mit 4.058,88 S (darin 676,48 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 11.491,04 S (darin 811,84 S Umsatzsteuer und 6.620,-- S Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Parteien sind Eigentümer von (im weiteren Sinne gesehen) benachbarten Liegenschaften. Zwischen ihren Rechtsvorgängern war 1932 zur wegemäßigen Erschließung eine Dienstbarkeit des Geh- und Fahrweges in einer Breite von 2 m vereinbart worden. Die Dienstbarkeit wurde verbüchert. Begünstigte sind die Eigentümer der Grundstücke entlang des Weges. Die Klägerin ist Eigentümerin eines herrschenden Grundstücks, die Beklagte ist Eigentümerin der servitutsbelasteten Liegenschaft. Der Weg wurde nach Abschluß des Servitutsvertrages im Laufe der Zeit mehrfach verbreitert und asphaltiert.
Mit ihrer am 12.4.1995 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrt die Klägerin, die Beklagte zur Einwilligung zu verhalten, daß im Grundbuch bei der Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens einverleibt werde, daß sich die Dienstbarkeitsberechtigung auf eine Wegbreite von 2,80 m beziehe und daß die Beklagte weiters einwillige, daß dies beim herrschenden Grundstück der Klägerin im Grundbuch ersichtlich gemacht werde. 1954 sei ein Übereinkommen zwischen den den Weg benützenden Grundeigentümern geschlossen worden, die Nutzungsbreite von 2 m plus Wasserrinne auf 2,20 m plus Wasserrinne zu vergrößern. Inklusive der ortsüblichen Wasserrinnen als befestigte Rinnsale oder Halbschalen von 40 cm Breite sei projektmäßig eine Projekttrassenbreite von 2,80 m erreicht worden. Die Beklagte habe sich mit der Verbreiterung einverstanden erklärt. Der Weg sei in den Folgejahren durch die Anrainer laufend weiter verbreitert und zur Verbesserung der Kurvengängigkeit auch teilweise verlegt worden. Im Zuge einer Kanalerrichtung im Jahr 1974 habe der Weg eine Breite von 3,4 m erhalten. Die Klägerin habe sich an den Kosten dieser Maßnahme beteiligt. In den Jahren 1985 und 1986 sei dann zur besseren Erschließung eines Grundstücks ein Straßenneubau erfolgt. Der Fahrweg habe eine durchschnittliche Breite von mehr als 4 m erhalten. Er sei von den Anrainern in der gesamten jeweils befahrbaren Breite benützt worden. Zur Liegenschaft der Klägerin seien Fahrzeuge aller Art, insbesondere auch größere Baufahrzeuge und Müllfahrzeuge, zugefahren. Mit Wissen und Willen der Beklagten sei der Weg auf die in Anspruch genommene Straßenbreite ausgeweitet worden. Seit 1956 weise der Weg eine Breite von mehr als 2,8 m auf. Die Erweiterung der Dienstbarkeitstrasse sei ersessen. Die Beklagte habe auch stillschweigend der Servitutserweiterung zugestimmt.
Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Es sei zu keiner Vereinbarung über eine Berechtigung der Klägerin, den Weg über das vertragliche Ausmaß hinaus in Anspruch zu nehmen, gekommen. Eine über die Breite von 2,20 m hinausgehende Inanspruchnahme des Weges erfolge titellos. Eine einvernehmliche stillschweigende Servitutserweiterung sei nie erfolgt. Es sei richtig, daß die Beklagte einzelnen Servitutsberechtigten eine größere Wegbreite zur Benützung zugestanden habe. Dies sei jedoch aufgrund ausdrücklicher Vereinbarung geschehen.
Das Erstgericht gab der Klage statt. Aus seinen umfangreichen Feststellungen (S 8 ff in ON 12) sind folgende für das Revisionsverfahren wesentliche hervorzuheben:
Der Schotterweg war bis Anfang der Fünfzigerjahre 1,8 bis 2 m breit. 1954 erfolgte eine Vereinbarung zwischen der Beklagten und den Wegebenützern über eine Verbreiterung auf 2,2 m. Es wurde auf 2,4 m verbreitert. Der Schotterweg wurde asphaltiert. 1974 stimmte die Beklagte (vertreten durch ihren Ehegatten) gegenüber einem Benützungsberechtigten zu, daß der Weg auf 3 m verbreitert wird. Im Zuge eines Bauvorhabens eines Benützungsberechtigten erfolgte im Jahr 1980 eine Verbreiterung auf fast durchgehend 4 m. Mit den übrigen Benützungsberechtigten wurden keine ausdrücklichen Vereinbarungen getroffen. Die Beklagte hatte aber Kenntnis von den baulichen Veränderungen. Sie wußte auch, daß der Weg von der Klägerin in der jeweils vorhandenen Ausgestaltung als Zufahrt zum Wohnhaus und zur Garage benützt wurde. Die Beklagte erhob bis zum Jahr 1993 keine Einwände und ging auch selbst von einer Berechtigung der Klägerin zur Inanspruchnahme des Weges in seiner gesamten Breite aus (S 10 in ON 12).
In rechtlicher Hinsicht führte das Ersstgericht aus, daß man gemäß § 863 ABGB seinen Willen nicht nur ausdrücklich durch Worte und allgemein angenommene Zeichen erklären könne, sondern auch stillschweigend durch solche Handlungen, welche mit Überlegung aller Umstände keinen vernünftigen Grund, daran zu zweifeln, übrig ließen. Auch wenn für die Schlüssigkeit eines Verhaltens im Hinblick auf den rechtsgeschäftlichen Willen ein strenger Maßstab anzulegen sei, könne der Sachverhalt nicht anders als eine konkludente Änderung des im Jahr 1932 geschlossenen Dienstbarkeitsvertrages aufgefaßt werden. Die Beklagte habe ihren Willen durch jahrelange Duldung der Inanspruchnahme des jeweils vorhandenen Weges durch die Klägerin ausgedrückt. Es sei eine sichtbare Weganlage vorhanden gewesen. Die Beklagte habe auch ohne grundbücherliche Einverleibung ein erweitertes Dienstbarkeitsrecht erworben.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und wies die Klage ab. Es beurteilte den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt rechtlich im wesentlichen dahin, daß Besitzer des herrschenden Gutes ihr Recht gemäß § 484 ABGB nicht erweitern dürften. Die Servitut müsse schonend ausgeübt werden. Das Ausmaß der Dienstbarkeit richte sich nach dem Titel. Das Eigentumsrecht solle nur so weit als unbedingt nötig beschränkt werden. In der Änderung der Beschaffenheit des Weges, etwa in der Änderung der Breite oder der Befestigung, liege eine unzulässige Ausweitung der Servitut. Eine schlüssige Zustimmung nach § 863 ABGB liege nicht vor. Selbst wenn die Beklagte von den Vorgängern um den gegenständlichen Weg Kenntnis gehabt und den baulichen Veränderungen nachträglich zugestimmt habe, so sei dies immer nur gegenüber den jeweiligen Gesprächspartnern erfolgt. Eine Vereinbarung mit der Klägerin sei jedoch nicht getroffen worden. Auch wenn die Beklagte gewußt habe, daß auch die Klägerin den Weg immer ohne Einschränkung in der jeweils vorhandenen Ausgestaltung und Breite für das Befahren zu ihrem Wohnhaus und der Garage benutzt habe, könne sich die Klägerin nicht auf Ersitzung berufen, weil die erforderliche Ersitzungszeit nicht abgelaufen sei. Vor Ablauf der Ersitzungszeit sei die Beklagte aber berechtigt, eine Eigentumsfreiheitsklage (§ 523 ABGB) einzubringen. Die Klägerin habe kein Recht, den Weg auf eine Breite von 2,80 m zu benutzen. Aus dem bloßen Dulden der Benützung des Weges in einer größeren Breite als vereinbart liege keine konkludente Zustimmung (zur Erweiterung der Servitut).
Das Berufungsgericht sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 50.000 S übersteige und daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei.
Mit ihrer außerordentlichen Revision beantragt die Klägerin die Abänderung dahin, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Mit der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, die Revision als unzulässig zurückzuweisen; hilfsweise wird beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig und berechtigt.
Die Verneinung der Ersitzung des angestrebten erweiterten Umfangs der Wegeservitut ist im Revisionsverfahren nicht mehr strittig. Die Klägerin stützt ihren Anspruch auch auf eine schlüssig erteilte Zustimmung der Beklagten zur Erweiterung der Servitut. Bei der Beurteilung von Handlungen im Sinne des § 863 ABGB kommt es nicht auf die innere Absicht des Handelnden, sondern darauf an, wie sein Verhalten unter Berücksichtigung der im redlichen Verkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche aufzufassen ist. Es darf kein vernünftiger Grund übrig sein, am Rechtsfolgewillen in der bestimmten Richtung zu zweifeln. Das Berufungsgericht hat solche Zweifel ausschließlich deshalb angenommen, weil eine (ausdrückliche) Zustimmung zur Wegeverbreiterung immer nur gegenüber einzelnen Gesprächspartnern, nicht aber gegenüber der Klägerin erfolgt sei. Es übersieht dabei, daß das Erstgericht auch feststellte, daß die Beklagte "selbst von einer Berechtigung der Klägerin zur Inanspruchnahme der gesamten Wegbreite" ausging (S 10 in ON 12). Es steht somit auch der Parteiwille der Beklagten zur Erweiterung der Servitut fest. Ausgehend vom festgestellten Sachverhalt, nämlich von der vollen Kenntnis der Beklagten über die vorgenommenen Wegeverbreiterungen, die Asphaltierung des Weges und die Benützung des Weges in der veränderten Form durch die Servitutsberechtigten sowie der jahrelangen Duldung der Benützung durch alle Benützungsberechtigten, ist das vom Erstgericht erzielte Auslegungsergebnis einer konkludenten Zustimmung der Beklagten zur Servitutserweiterung unbedenklich. Für einen Parteiwillen der Beklagten, die Klägerin anders als die übrigen Servitutsberechtigten zu behandeln, findet sich kein Anhaltspunkt. Zutreffend verweist die Revisionswerberin auf das vom Erstgericht (in der Beweiswürdigung) festgestellte Schreiben der Beklagten vom 15.1.1983 (Beil.L), aus dem der Wille der Beklagten hervorgeht, die Klägerin wie die übrigen Servitutsberechtigten zu behandeln und deren Recht, den Weg in der vorhandenen Breite zu benützen, anzuerkennen. 1983 war der Weg bereits 4 m breit. Eine unterschiedliche Behandlung der Servitutsberechtigten durch die Beklagte ist erst 1993 erfolgt, über Jahrzehnte erfolgte eine Gleichbehandlung und immer eine nachträgliche Zustimmung zu den durchgeführten Verbreiterungsmaßnahmen. Die Revision der Klägerin ist daher berechtigt.
Die Entscheidung über die Kosten beider Rechtsmittelverfahren beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.