8ObS127/97b – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Langer und Dr.Adamovic sowie die fachkundigen Laienrichter Brigitte Augustin und Alfred Klair als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Parteien 1.) Günther R*****, Arbeiter, und 2.) Sibylle R*****, Angestellte, beide *****, vertreten durch Mag.Herbert Schnetzinger, Sekretär der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Oberösterreich, Linz, Volksgartenstraße 40, im Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wider die beklagte Partei Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Oberösterreich, Linz, Gruberstraße 63, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen Insolvenz-Ausfallgeld (S 529.768,39 sA und S 299.364,10 sA), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19.Februar 1997, GZ 12 Rs 300/96s-9, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom 20.August 1996, GZ 18 Cgs 95/96m-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Oberste Gerichtshof stellt gemäß Art 89 Abs 2 und Art 140 B-VG an den Verfassungsgerichtshof den Antrag auszusprechen, daß der dritte Satz des § 7 Abs 1 IESG, BGBl 1977/324 idF des BGBl 1994/314 verfassungswidrig ist.
Mit der Fortführung des Rechtsmittelverfahrens wird gemäß § 62 Abs 3 VfGG bis zur Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes innegehalten.
Text
Begründung:
Die klagenden Parteien waren von Juli 1983 bzw Oktober 1992 bis März 1994 bei der Gemeinschuldnerin Tischlerei R***** GmbH, Regau, beschäftigt, über deren Vermögen zu S 28/94 beim Landesgericht Wels das Konkursverfahrens eröffnet wurde. Deren Entgelte (Lohn bzw Gehalt) sind zum Teil seit Anfang 1992 nicht ausgezahlt worden ("stehengelassen worden"). Der Masseverwalter anerkannte die Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis des Erstklägers von S 519.214,39, der Zweitklägerin von S 293.328,10. Gegen die abweisenden Bescheide der beklagten Partei richten sich die verbundenen Klagen mit dem Vorbringen, die vom Masseverwalter im Konkurs anerkannten und der Höhe nach außer Streit stehenden Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis seien gesicherte Forderungen im Sinne des IESG, sie seien aufrecht, nicht verjährt und nicht ausgeschlossen.
Die beklagte Partei bestritt das Klagsvorbringen, beantragte die Abweisung der Klagebegehren und brachte vor, es liege eine sittenwidrige Risikoverlagerung zum Insolvenz-Ausfallgeldfonds vor, eine Bindung an die Feststellung im Konkursverfahren bestehe nicht.
Das Erstgericht gab den Klagebegehren statt und führte in rechtlicher Hinsicht aus, daß bei der durch Verwaltungsbehörde bzw Gericht vorzunehmenden Prüfung, ob die geltend gemachten arbeitsrechtlichen Ansprüche nach § 1 Abs 2 IESG gesichert sind, aufgrund der anspruchsbegründenden Feststellungen der anerkannten Anmeldung (Arbeitnehmerforderungen, aufgeschlüsselt in Lohn, Gehalt, Abfertigung, Kündigungsentschädigung, Sonderzahlungen und Urlaubsabfindung) vom Vorliegen von Ansprüchen nach § 1 Abs 1 IESG auszugehen sei. Die Prüfung des Anspruches auf Insolvenzausfallgeld beschränke sich daher auf Anspruchsbegrenzungen und Anspruchsausschlüsse nach dem IESG. In den Fällen, in denen eine Bindung nach § 7 IESG vorliege, beschränkten sich letztere auf die Anfechtungstatbestände der Konkursordnung und Anfechtungsordnung. Solche seien durch die beklagte Partei trotz ausführlicher Erörterung nicht geltend gemacht worden, sondern die beklagte Partei habe ihre Bestreitung ausdrücklich nur auf eine sonstige Sittenwidrigkeit im Sinne einer Risikoverlagerung zu Lasten des Insolvenzausfallgeldfonds gestützt. Dies habe jedoch in Anbetracht der Bindungswirkung nach § 7 Abs 1 IESG im gegenständlichen Verfahren nicht geprüft werden können. Das Nichtvorliegen einer Darlehensgewährung durch ein "langes Stehenlassen von offenen Lohnforderungen" wurde außer Streit gestellt.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. In rechtlicher Hinsicht führte es aus, eine sittenwidrige Risikoverlagerung zum Insolvenz-Ausfallgeldfonds liege nicht vor. Die vom Obersten Gerichtshof geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 7 Abs 1 IESG teile das Berufungsgericht nicht. Die Befürchtung von "nicht auszuschließenden Gefahren" einer mit dem Arbeitgeber abgesprochenen Manipulation zu Lasten Dritter, nämlich des Insolvenz-Ausfallgeldfonds, sowie eines gravierenden Fehlers des Masseverwalters, der nicht im Wege eines Rechtsmittels überprüft werden könne, sei nach Ansicht des Berufungsgerichtes nicht geeignet, verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf Art 7 Abs 1 B-VG zu erwecken. Eine gesetzliche Regelung sei am Durchschnittsfall zu messen; es könne nicht davon ausgegangen werden, daß in der Regel einem pflichtbewußten Masseverwalter beim Anerkennen von Forderungen ein gravierender Fehler unterlaufe oder bei Vorliegen einer mangelhaften Buchführung mit dem Arbeitgeber abgesprochene Manipulationen zu Lasten Dritter vorgenommen würden. Daß solche Gefahren im Einzelfall nicht ausgeschlossen werden könnten, bewirke noch keine Gleichheitswidrigkeit des Gesetzes. Der Schutz des Art 6 Abs 1 MRK komme hingegen einer öffentlich-rechtlichen Institution - wie vorliegend dem Insolvenz-Ausfallgeld - nicht zu.
Rechtliche Beurteilung
Gegen das berufungsgerichtliche Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit der Anregung, § 7 Abs 1 dritter Satz IESG, BGBl 1977/324 idF des BG BGBl 1994/314 und der Verordnung BMAS BGBl 1994/960 beim Verfassungsgerichtshof anzufechten und mit der Fortführung des Rechtsmittelverfahrens gemäß § 62 Abs 3 VfGG bis zur Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes innezuhalten. Im übrigen wird die Aufhebung und Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht beantragt.
Der Oberste Gerichtshof hegt gegen die im vorliegenden Fall anzuwendende Bestimmung des § 7 Abs 1 dritter Satz IESG wegen Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art 7 Abs 1 B-VG Bedenken. Die Bindung des Arbeitsamtes führt dazu, daß die Ansprüche jener Arbeitnehmer, die vor der Entscheidung des Arbeitsamtes einen exekutionsfähigen Titel durch Eintragung in das Anmeldungsverzeichnis (§ 108 KO) infolge Anerkennung durch den Masseverwalter und Nichtbestreitung eines hiezu berechtigten Konkursgläubigers (§ 108 KO) infolge Anerkennung durch den Masseverwalter und Nichtbestreitung eines hiezu berechtigten Konkursgläubigers (§ 109 Abs 1 KO) erlangt haben, im Rahmen der Zuerkennung der aus öffentlichen Mitteln zu erbringenden Leistungen des Insolvenz-Ausfallgeldfonds einer weniger umfassenden Überprüfung unterliegen, als die der Arbeitnehmer, die einen solchen Titel nicht erlangt haben. Zwar besteht bei der Anerkennung der Forderung durch den Masse- oder Ausgleichsverwalter, der die allgemeinen Interessen gegenüber den Sonderinteressen einzelner Gläubiger zu wahren hat und der Aufsicht durch das Insolvenz-Gericht unterliegt (vgl §§ 80 f KO, §§ 29 f AO), weniger die Gefahr einer mit dem Arbeitgeber abgesprochenen Manipulation zu Lasten Dritter, nämlich des Insolvenz-Ausfallgeldfonds (in diesem Sinn 8 ObS 12/94), doch sind einerseits solche Manipulationen nicht ausgeschlossen, ist doch der Masseverwalter in vielen Fällen, insbesondere bei mangelhafter Buchführung, auf die Auskünfte des Gemeinschuldners angewiesen, und sind andererseits auch gravierende Fehler des Masseverwalters, die nicht im Wege eines Rechtsmittels überprüft werden können, nie auszuschließen. Auch das Bestreben des Gesetzgebers, damit einfache und leicht handhabbare Regelungen zu schaffen und einen Verfahrensaufwand zu vermeiden, rechtfertigt es nicht, den Eintritt einer Rechtsfolge von Zufälligkeiten, insbesondere von der Manipulation zugänglichen Umständen, abhängig zu machen (s Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts7 Rz 1350).
Aber auch wegen einer allfälligen Verletzung des durch Art 6 Abs 1 MRK vor der Entscheidung über seine zivilrechtlichen Verpflichtungen jedermann gewährleisteten rechtlichen Gehörs hegt der Oberste Gerichtshof gegen die angefochtene Gesetzesbestimmung Bedenken. Ungeachtet der öffentlich-rechtlichen Zuordnung im österreichischen Recht ist der Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld als "civil right" im Sinn des Art 6 Abs 1 MRK zu qualifizieren, weil es sich um die Fortwirkung des aus seinem privatrechtlichen Rechtsverhältnis abgeleiteten Entgeltanspruchs handelt (s auch Liebeg, WBl 1990, 261 ff [264 Anm 17]; Fink ZAS 1991, 67 ff [69]). Der Oberste Gerichtshof erachtet den Umstand, daß es sich bei dem Insolvenz-Ausfallgeldfonds um eine juristische Person des öffentlichen Rechtes handelt, für nicht so bedeutsam, daß es gerechtfertigt wäre, diesem Fonds, der nur aus den Beiträgen der Dienstgeber gespeist wird, den in der MRK grundsätzlich jedermann gewährleisteten Schutz zu versagen (s Ermacora, Grundriß der Menschenrechte in Österreich, Rz 40). Auch dem Insolvenz-Ausfallgeldfonds muß daher wohl das Recht auf Prüfung der gegen ihn erhobenen privatrechtlichen Ansprüche in einem fairen Verfahren zugebilligt werden. Die angefochtene Regelung steht im Widerspruch zu dem in Art 6 Abs 1 MRK jedermann gewährleisteten Recht, von einem unabhängigen und unparteiischen Gericht gehört zu werden, das über ihn betreffende zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen zu entscheiden hat, da das Arbeitsamt (und damit das Gericht) an die Entscheidung in einem anderen Verfahren gebunden ist, zu dem der Insolvenz-Ausfallgeldfonds aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen - es kommt ihm nur in Ausnahmsfällen die Stellung eines Gläubigers iSd § 109 Abs 1 KO zu - keinen Zugang hatte (s VfSlg 12.504). In diesem Sinn argumentiert auch die beklagte Partei in ihrer Revisionsbeantwortung, die eine Bindungswirkung des § 7 Abs 1 IESG wegen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör überhaupt verneint.
Der Oberste Gerichtshof stützt daher den vorliegenden Gesetzesprüfungsantrag sowohl auf einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art 7 Abs 1 B-VG als auch auf eine Verletzung des in Art 6 Abs 1 MRK jedermann gewährleisteten rechtlichen Gehörs.
Die in der Entscheidung 8 ObS 25/95, inzwischen veröffentlicht in EvBl 1996/30, 186 = ZIK 1996, 141, geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken werden durch die Ausführungen des Berufungsgerichtes nicht widerlegt, sondern geradezu bestätigt, sollte es nämlich ausgeschlossen sein, eine allfällige gröbliche Verkennung der Rechtslage durch den Masseverwalter im gerichtlichen Verfahren noch überprüfen zu können. Die in dem Erkenntnis vom 12.10.1990, G 73/89, zur Aufhebung des § 268 ZPO führenden Erwägungen (Kundmachung BGBl 1990/706) insb zu § 6 MRK, verbieten eine Bindung des Insolvenz-Ausfallgeldfonds unter Ausschluß jeder Überprüfungsmöglichkeit, um auch letztlich den Grundsätzen der Sparsamkeit und Gesetzmäßigkeit der Verwendung öffentlicher Mittel Rechnung zu tragen.