15Os181/96 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 5.Dezember 1996 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch, Mag.Strieder, Dr.Rouschal und Dr.Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Huber als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Mag.Elisabeth V***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Strafverfügung des Strafbezirksgerichtes Wien vom 26.April 1996, GZ 9 U 440/96-13, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr.Raunig, und der Verurteilten zu Recht erkannt:
Spruch
Die gegen Mag.Elisabeth V***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB erlassene Strafverfügung des Strafbezirksgerichtes Wien vom 26.April 1996, GZ 9 U 440/96-13, verletzt das Gesetz in der Bestimmung des § 42 StGB.
Gemäß § 292 letzter Satz StPO wird diese Strafverfügung aufgehoben und Mag.Elisabeth V***** von dem gegen sie gestellten Antrag auf Bestrafung, sie habe am 16.Dezember 1995 in Wien unter Außerachtlassung der bei den gegebenen Umständen nötigen Sorgfalt einen anderen am Körper fahrlässig verletzt, indem sie es als für die Schneeräumung (mit-)verantwortliche Miteigentümerin des Hauses Wien 13., Preindlgasse 3, unterlassen habe, für die erforderliche Bestreuung der Stufen (zum Eingang dieses Hauses) zu sorgen, wodurch Klothilde L***** zu Sturz kam und dabei Prellungen sowie einen Bluterguß an der rechten Gesäßhälfte und Prellungen an der Lendenwirbelsäule erlitt, und hiedurch das Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB begangen, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Text
Gründe:
Nach den sicherheitsbehördlichen Erhebungen des Bezirkspolizeikommissariates Hietzing versuchte Klothilde L***** am 16. Dezember 1995 gegen 20.15 Uhr vergeblich, eine Bekannte im Hause Wien 13., Preindlgasse 3, zu besuchen. Als sie wieder zu ihrem Auto zurückgehen wollte, rutschte sie beim Hauseingang auf den vereisten und nicht bestreuten Stufen aus, fiel nieder und zog sich dabei eine Prellung der Lendenwirbelsäule sowie eine Prellung und einen Bluterguß auf der rechten Gesäßhälfte zu (29). Nachdem ihr Passanten zu Hilfe gekommen waren, fuhr sie mit dem PKW nach Hause.
Da es keinen Alleinverantwortlichen für die Schneeräumung und Bestreuung der Stufen vor dem Wohnhaus zum Gehsteig gab, wurden am 26. April 1996 zum AZ 9 U 440/96 des Strafbezirksgerichtes Wien gegen sechs der angezeigten Hauseigentümer im Sinne des vom Bezirksanwalt wegen § 88 Abs 1 StGB erhobenen Antrages auf Bestrafung (ON 3 bis 8) im wesentlichen inhaltsgleiche Strafverfügungen - wie aus dem Spruch ersichtlich - erlassen (ON 9 bis 14: jeweils für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehene Geldstrafen von vierzig Tagessätzen, für den Fall der Uneinbringlichkeit zwanzig Tage Ersatzfreiheitsstrafe). Während alle anderen dagegen Einspruch erhoben, ließ Mag.V***** die sie betreffende Strafverfügung unbekämpft, sodaß diese am 4.Juni 1996 in Rechtskraft erwuchs (ON 13). Infolge Zurückziehung der Anträge auf Bestrafung durch die Staatsanwaltschaft Wien am 4.Juli 1996 "gemäß § 227 Abs 1 StPO aus dem Grunde des § 42 StGB" stellte der Bezirksrichter (allerdings prozessual verfehlt mit "Verfügung" anstatt mit Beschluß) am 8.Juli 1996 das Strafverfahren gegen jene Beschuldigten ein, die die Strafverfügungen beeinsprucht hatten (2 des Antrags- und Verfügungsbogens).
Rechtliche Beurteilung
Die gegen Mag.Elisabeth V***** erlassene Strafverfügung steht - wie der Generalprokurator in seiner dagegen gemäß § 33 Abs 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt - mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Gemäß § 42 StGB ist eine von Amts wegen zu verfolgende Tat, die nur mit Geldstrafe, mit nicht mehr als drei Jahren Freiheitsstrafe oder mit einer solchen Freiheitsstrafe und Geldstrafe bedroht ist, nicht strafbar, wenn die Schuld des Täters gering ist (Z 1), - auf den aktuellen Fall abgestellt - die Tat keine oder nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat (Z 2) und eine Bestrafung nicht geboten ist, um den Täter von strafbaren Handlungen abzuhalten oder der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken (Z 3).
Unter den gegebenen Umständen treffen alle diese (kumulativ geforderten) Voraussetzungen auch auf die Verurteilte Mag.V***** zu:
Im Hinblick darauf, daß sie nur eine von mehreren Personen war, die als Miteigentümerin (mangels einer konkreten Vereinbarung) gleichermaßen verpflichtet war, bei Schnee oder Glatteis für die ordnungsgemäße Säuberung und Bestreuung jener Teile der Liegenschaft zu sorgen, die von Passanten betreten werden konnten, sind (fallbezogen) sowohl Gesinnungs- als auch Handlungsunwert als gering einzustufen, weil das Gewicht des der Verurteilten angelasteten Sorgfaltsverstoßes im Vergleich zu den Durchschnittsfällen der Deliktsverwirklichung nach § 88 Abs 1 StGB deutlich abfällt, somit erheblich hinter dem in der Strafbestimmung des § 88 Abs 1 StGB typisierten Schuld- und Unrechtsgehalt zurückbleibt (SSt 47/55, 51/21 ua; 14 Os 89/89 ua; Leukauf/Steininger Komm3 RN 14, 21 zu § 42 mwN).
Bedeutende Folgen sind in der von der Besucherin des Hauses (Klothilde L*****) erlittenen leichten Verletzung, die zu keiner körperlichen Beeinträchtigung beim Lenken ihres PKWs kurz nach dem Unfall geführt hat (31), nicht zu erblicken, zumal die Tat auch keine ins Gewicht fallende soziale Störung herbeigeführt hat (Leukauf/Steininger aaO RN 26; S 35 dA).
Des weiteren scheint die Bestrafung auch aus general- oder spezialpräventiven Erwägungen nicht erforderlich; haben doch die verantwortlichen Liegenschaftseigentümer einschließlich der Mag.V***** im Anschluß an den tataktuellen Vorfall sogleich ein Unternehmen mit der Schneeräumung und Bestreuung der auch hausfremden Personen zugänglichen Flächen beauftragt (55, 61, 65), womit die Wiederholung eines derartigen Sorgfaltverstoßes der Verurteilten auszuschließen ist, sodaß in Verbindung mit ihrem bisher ordentlichen Lebenswandel (27) mit Grund von künftigem Wohlverhalten ausgegangen werden kann.
Zudem wurden durch die polizeiliche Anzeigeerstattung und die Einleitung von Strafverfahren gegen mehrere Liegenschaftseigentümer gegenüber der Allgemeinheit ausreichend dokumentiert, daß die Gesellschaft selbst auf relativ geringfügige Fahrlässigkeitsverstöße mit leichten Körperverletzungsfolgen - wie hier - entsprechend reagiert, weshalb bei der konkreten Fallgestaltung auch unter dem Aspekt der Erhaltung und Stärkung der allgemeinen Normentreue eine Bestrafung der Mag.V***** nicht erforderlich ist (Leukauf/Steininger aaO RN 42).
Gleichartige Erwägungen veranlaßten offenbar die Anklagebehörde zur Zurückziehung der Strafanträge gegen die übrigen Miteigentümer, welche die Strafverfügungen beeinsprucht hatten.
Aus all dem folgt, daß die Verurteilung der Mag.Elisabeth V***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB unter den gegebenen Umständen das Gesetz in der Bestimmung des § 42 StGB verletzt, weshalb in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes spruchgemäß zu entscheiden war.