2Ob2308/96t – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach der am 27. Februar 1990 verstorbenen Elisabeth S*****, zuletzt wohnhaft gewesen in ***** ***** infolge Revisionsrekurses der Nachlaßkuratorin Dr.Jacoba ***** N*****, Notar, ***** Niederlande, vertreten durch Dr.Daniel Charim, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgerichtes vom 10.Juli 1996, GZ 43 R 502/96h-15, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 29.Februar 1996, GZ 8 A 523/95z-5, bestätigt wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht die Einleitung und Durchführung des Ausfolgungsverfahrens aufgetragen.
Text
Begründung:
Die niederländische Staatsbürgerin Elisabeth S***** ist am 2.7.1990 ohne Hinterlassung einer letztwilligen Anordnung verstorben. Sie hatte in Österreich keinen Wohnsitz, sie war zuletzt in den Niederlanden wohnhaft gewesen. Sie ist ohne Pflichtteilsberechtigte verstorben, ihr in Österreich gelegener Nachlaß besteht aus dem zum Todeszeitpunkt bei der B*****AG erliegenden Sparguthaben von 779.784
S.
Die Erblasserin hat nicht testamentarisch über ihren Nachlaß verfügt, sie hat "als ihre einzigen und allgemeinen Erben ihre Erben gemäß dem niederländischen Gesetz hinterlassen". Nachdem sich niemand gemeldet hatte, der auf den Nachlaß Anspruch erhob, wurde mit Urteil des Landesgerichtes in Haarlem vom 20.8.1992 Dr.Jacoba ***** N*****, Notar, mit dem Standort in Haarlem, zum Kurator des unverwalteten erblasserischen Nachlasses bestellt, wobei diese Kuratorin "ohne weiteres befugt und berechtigt ist, sämtliche zum Nachlaß der Erblasserin gehörenden Gelder und Güter einzufordern und in Empfang zu nehmen, deren Empfang zu bescheinigen und in anderer Weise über Bestandteile jener Ungeteiltheit zu verfügen."
Die Kuratorin beantragt die Einleitung und Durchführung eines Ausfolgungsverfahrens, was vom Erstgericht abgelehnt wurde. Das Erstgericht begründete seine Entscheidung im wesentlichen damit, daß der Nachlaß nach niederländischem Recht erblos sei und demgemäß nach § 29 IPRG für den in Österreich gelegenen, aus den erwähnten Sparguthaben bestehenden unvertretenen Nachlaß ein Verlassenschaftskurator zu bestellen, nicht aber das Ausfolgungsverfahren einzuleiten sei.
Das von der Kuratorin angerufene Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung, es bewertete den Entscheidungsgegenstand mit über 50.000 S und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig.
Das Rekursgericht verwies auf die §§ 28, 29 IPRG, wonach sich die Rechtsnachfolge von Todes wegen nach dem Personalstatut des Erblassers im Zeitpunkt seines Todes richtet; ist aber der Nachlaß nach dem im § 28 Abs 1 IPRG bezeichneten Recht erblos oder würde er nach diesem Recht einer Gebietskörperschaft als gesetzlichem Erben zukommen, so tritt gemäß § 29 IPRG an die Stelle dieses Rechtes das Recht jeweils des Staates, in dem sich das Vermögen des Erblassers im Zeitpunkt seines Todes befindet. Im gegenständlichen Fall sei die Erblasserin zum Zeitpunkt ihres Todes niederländische Staatsbürgerin gewesen. Nach dem niederländischen Bürgerlichen Gesetzbuch falle ihr Nachlaß, wenn keine Erben vorhanden sind, gemäß Art 879 Abs 2 BW an den Staat. Das niederländische Fiskuserbrecht sei als öffentlich-rechtliches Aneignungsrecht ausgestaltet und beanspruche nach niederländischem Selbstverständnis nur Geltung für auf dem Gebiet der Niederlande belegenes Vermögen. Damit enthalte das niederländische Erbrecht für das Schicksal von in Österreich belegenen Nachlaßgegenständen keine Regelung.
Da der inländische bewegliche Nachlaß eines Ausländers der inländischen Abhandlung ausnahmsweise dann unterliege, wenn der Heimatstaat des Erblassers es ablehne, über den Nachlaß seiner Staatsangehörigen zu verfügen (§ 23 Abs 1 AußStrG), sei im vorliegenden Fall die inländische Abhandlungsjurisdiktion gegeben.
Aus § 29 IPRG ergebe sich zweifelsfrei die Absicht des Gesetzgebers, die Frage, wem ein Nachlaß gebühre, über den der Erblasser nicht testiert habe und der auch nicht zur gesetzlichen Erbfolge berufenen natürlichen Personen zufalle, umfassend nach dem Recht des Belegenheitsstaates zu regeln. Dies bedeute, daß im vorliegenden Fall nach niederländischem Recht die im § 29 IPRG für die Anwendung des Rechtes des Belegenheitsstaates aufgestellten Voraussetzungen vorliegen und die Abhandlungsjurisdiktion des Erstgerichtes wahrzunehmen sei. Das Erstgericht habe daher zu Recht den Antrag des in den Niederlanden für den erblosen Nachlaß bestellten Kurators auf Einleitung des Ausfolgungsverfahrens (§§ 137 ff AußStrG) abgewiesen.
Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Kuratorin mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß dahin abzuändern, daß ihrem Antrag stattgegeben werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil - wie im folgenden noch darzulegen sein wird - das Rekursgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen ist, er ist auch berechtigt.
Die Kuratorin macht in ihrem Rechtsmittel geltend, daß gemäß § 23 Abs 2 AußStrG die Abhandlung über das im Inland befindliche bewegliche Vermögen der Verstorbenen im Ausland zu erfolgen habe, weil die Verstorbene im Inland keinen Wohnsitz hatte und vor den zuständigen niederländischen Behörden ein Abhandlungsverfahren stattgefunden habe; in diesem Verfahren sei ausgesprochen worden, daß der Nachlaß der Verstorbenen "ihren Erben gemäß dem niederländischen Gesetz" zustehe, jedoch, da sich "keiner gemeldet hat, der auf den Nachlaß Anspruch" erhebt, die Einschreiterin als "Kurator des unverwalteten Nachlasses" eingesetzt werde. Überdies hätte die Durchführung eines inländischen Abhandlungsverfahrens eines entsprechenden Antrages der Erben bedurft. Mangels eines solchen Antrages wäre das Erstgericht verpflichtet gewesen, das inländische Vermögen an jene Person auszufolgen, die von der auswärtigen Gerichtsbehörde zur Übernahme gehörig legitimiert wurde (§ 139 Abs 1 erster Satz AußStrG).
Hiezu wurde erwogen:
Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß es hier nicht um die Frage des anzuwendenden Rechtes (§§ 28, 29 IPRG) geht, sondern darum, ob dem inländischen Gericht die Abhandlungsjurisdiktion zusteht.
Soweit besondere staatsvertragliche Nachlaßabkommen nicht bestehen, wird die Nachlaßabhandlungsjurisdiktion, das heißt die Frage, ob und inwieweit die inländischen Gerichte in Verlassenschaftsangelegenheiten mit Auslandsbezug einzuschreiten haben, vom autonomen österreichischen Recht durch §§ 21 bis 25 AußStrG - als Normen internationaler Zuständigkeit - abgegrenzt. Gemäß § 23 Abs 2 AußStrG hat die inländische Behörde die Abhandlung und die Entscheidung über streitige Erbansprüche in Ansehung des im Inland befindlichen beweglichen Nachlasses eines Ausländers der zuständigen ausländischen Behörde zu überlassen und sich auf die Sicherung des Nachlasses und die in den §§ 137 bis 139 AußStrG vorgesehenen Vorkehrungen zu beschränken, wenn der Verstorbene einem Staat angehört, der den gleichen Grundsatz befolgt, oder im Inland
weder einen Wohnsitz noch eine Niederlassung hat (1 Ob 524/92 = WBl
1993, 194 = ZfRV 1993, 151 = EFSlg 70.419). Primär ist daher die Abhandlung über das im Inland befindliche bewegliche Vermögen der Verstorbenen, die im Inland weder einen Wohnsitz noch eine Niederlassung hatte, der zuständigen ausländischen Behörde zu überlassen. Nach § 23 Abs 3 letzter Satz AußStrG ist das Abhandlungsverfahren subsidiär in Österreich durchzuführen, wenn es die Heimatbehörden des Erblassers in angemessener Frist ablehnen, über den Nachlaß, über welchen das Ausfolgungsverfahren eingeleitet wurde, zu verfügen oder ihn zu übernehmen, somit die Jurisdiktion ablehnen. Eine solche Ablehnung der Nachlaßpflege kann auch darin liegen, daß die fremde Rechtsordnung im Einzelfall keine
Zuständigkeit vorsieht (1 Ob 524/92 = WBl 1993, 194 = ZfRV 1993, 151
= EFSlg 70.419). Entgegen der vom Rekursgericht vertretenen Ansicht
kann aber im vorliegenden Fall nicht gesagt werden, daß die Heimatbehörden der Erblasserin es abgelehnt hätten, über das Vermögen, über welches das Ausfolgungsverfahren eingeleitet werden soll, zu verfügen oder es zu übernehmen, oder daß sie in sonst in irgendeiner Weise in die Nachlaßpflege im Einzelfall abgelehnt hätten. Vielmehr wurde von den Heimatbehörden der Verstorbenen ein Verfahren zur Ermittlung der Erben durchgeführt, bei dem sich jedoch niemand gemeldet hat, der auf den Nachlaß Anspruch erhob. Sodann wurde die Einschreiterin zur Kuratorin bestellt und für berechtigt erklärt, sämtliche zum Nachlaß der Erblasserin gehörenden Gelder und Güter einzufordern und in Empfang zu nehmen. Es kann daher jedenfalls derzeit nicht gesagt werden, daß die orimär zuständigen niederländischen Behörden die Jurisdiktion abgelehnt hätten oder die niederländische Rechtsordnung im Einzelfall keine Zuständigkeit vorsehe.
Es fehlt daher an der inländischen Nachlaßabhandlungsjurisdiktion, so daß sich das österreichische Verlassenschaftsgericht auf die Nachlaßsicherung (§ 28 AußStrG) sowie auf die Vorkehrungen der §§ 137 bis 139 AußStrG zu beschränken und hernach gemäß § 23 Abs 2 AußStrG den Nachlaß dem Heimatstaat des Erblassers auszufolgen hat (Schwimann, NZ 1979, 104).
Es war sohin in Stattgebung des Revisionsrekurses der Kuratorin spruchgemäß zu entscheiden.