12Os69/96 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 12.September 1996 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Horak als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Rzeszut, Dr.Schindler, Dr.E.Adamovic und Dr.Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Stitz als Schriftführer, in der Strafsache gegen Johann S***** wegen des Verbrechens des Beischlafs mit Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Innsbruck vom 17. April 1996, GZ 20 Vr 2.498/95-94, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr.Weiss, und des Verteidigers Dr.Orgler, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Johann S***** aufgrund des Wahrspruches der Geschworenen der Verbrechen des Beischlafs mit Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB (A) und der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (B) sowie der Vergehen des Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB (C), der Blutschande nach § 211 Abs 1 StGB (D) und der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (E) schuldig erkannt.
Johann S***** liegt zur Last, in Längenfeld
A) im Jänner 1986 mit seiner am 4.März 1972 geborenen, sohin
unmündigen Tochter Sabine S***** den außerehelichen Beischlaf unternommen zu haben, wobei die Tat eine Schwangerschaft der Unmündigen zur Folge hatte;
B) nachgenannte unmündige Personen auf andere Weise als durch
Beischlaf zur Unzucht mißbraucht zu haben, und zwar
1. von 1983 bis Jänner 1986 seine Tochter Sabine S***** in vielen Fällen dadurch, daß er ihren Geschlechtsteil betastet und abgegriffen, mit seinen Fingern in ihre Scheide eingedrungen und diesen Körperteil auch mit seiner Zunge abgeleckt und sie zur Durchführung eines Oralverkehres angehalten hat;
2. zwischen 1985 und Jänner 1986 seine am 13.Jänner 1974 geborene Tochter Verena S*****, indem er ihre Brüste und ihren Geschlechtsteil betastet und abgegriffen hat;
3. am 26.August 1995 seinen am 11.Oktober 1983 geborenen Sohn Johannes S*****, indem er
a) ihn dazu angehalten hat, seinen Penis in die Hand zu nehmen,
b) mit ihm einen Analverkehr durchgeführt hat;
4. im Jahre 1995 seinen am 25.August 1988 geborenen Sohn Marcel S***** in mehreren Fällen dadurch, daß er seinen (gemeint: dessen) Penis gedrückt und daran reibende Bewegungen vorgenommen hat;
C) seine zu A 1 und B 1 genannten unmündigen Kinder durch die dort
geschilderten Handlungen zur Unzucht mißbraucht zu haben;
D) durch die zu A 1 geschilderte Handlung mit einer Person, die mit
ihm in gerader Linie verwandt ist, den Beischlaf vollzogen zu haben;
E) im Sommer 1995 Marcel S***** durch die "Äußerung", niemandem etwas
zu erzählen, ansonsten er (Marcel) in die Nervenheilanstalt nach Hall kommen würde, sohin durch gefährliche Drohung zu einer Unterlassung, nämlich davon Abstand zu nehmen, andere Personen, insbesonders seine Mutter über die zu B/4 geschilderten Vorgänge zu informieren, genötigt zu haben.
Die Geschworenen haben die anklagekonformen Hauptfragen nur in Ansehung der Frage nach Mißbrauch der Verena S***** zur Unzucht, Punkt B/2 des Urteilspruches mit 7:1 Stimmen, ansonsten einstimmig bejaht; die einzige an die Geschworenen herangetragene Eventualfrage in Richtung des Verbrechens der bloß versuchten Unzucht mit Verena S***** blieb folgerichtig unbeantwortet.
Rechtliche Beurteilung
Der Angeklagte bekämpft den Schuldspruch mit auf die Nichtigkeitsgründe der Z 5 und 6 des § 345 Abs 1 StPO gestützter Nichtigkeitsbeschwerde, der Berechtigung nicht zukommt.
Als Beeinträchtigung seiner Verteidigungsrechte (Z 5) rügt der Beschwerdeführer die Abweisung seines Antrags auf Vernehmung der Zeugen Mag.Johann R***** (Psychotherapeut) und Primarius Dr.H***** (Psychiater), der zum Beweis dafür gestellt worden war, daß "angesichts der Krankengeschichte und des Verlaufs der Psychotherapie medizinisch und psychologisch davon auszugehen ist", daß der Angeklagte, der während seines Krankenhausaufenthaltes im Bestreben, "seine Vergangenheit und seine Taten aufzuarbeiten", (ausschließlich) Unzuchtshandlungen an Sabine S***** zugestanden habe, hiemit ein umfassendes Geständnis abgelegt hat; Primarius Dr.H***** wurde darüber hinaus auch noch zum Beweis dafür geführt, daß es weder "seiner Erfahrung als praktizierender Psychiater und langjähriger ständig beeideter gerichtlicher Sachverständiger" noch "dem Stand der medizinischen Wissenschaft und Literatur" entspricht, daß Personen mit dem Krankheitsbild des Angeklagten Unzuchtshandlungen und sonstige sexuelle Verfehlungen "nur teilweise zuzugeben pflegen" (S 241, 243/II).
Soweit die beantragte Vernehmung Dris. H***** nicht auf die Wiedergabe eigener Wahrnehmungen, wie dies einer Zeugenaussage entspricht, sondern auf die Darlegung allgemein gültiger, auf spezifischem Fachwissen beruhender Erkenntnisse abzielte, wurde, wie schon der Schwurgerichtshof zutreffend erkannt hat, in Wahrheit die Beiziehung eines zweiten Sachverständigen begehrt, wozu bei der gegebenen Sachlage aber kein Anlaß bestand. Der vom Erstgericht beigezogene Sachverständige Univ.Prof.Dr.P***** hat nämlich die vom Beschwerdeführer aufgeworfene Frage erschöpfend dahingehend beantwortet, daß pädophile Sexualtäter in der Regel infolge eines selbst nach längerer Therapie noch wirksamen Verdrängungsmechanismus einen Großteil der ihnen vorgeworfenen Handlungen mit Hartnäckigkeit leugnen (siehe insbesondere S 301/I, 233/II).
Unter dem aufgezeigten Gesichtspunkt ist dem Schwurgerichtshof ferner beizupflichten, daß auch die zeugenschaftliche Vernehmung des Mag.R***** und des Primarius Dr.H***** darüber, ob bzw in welchem Ausmaß der Beschwerdeführer anläßlich der während seines Krankenhausaufenthaltes mit behandelnden Fachleuten geführten Gespräche Unzuchtshandlungen an seinen Kindern eingestanden hat, entbehrlich war, weil dies für die den Geschworenen obliegende Klärung der Schuldfrage ohne Bedeutung ist.
Auch die in der unterlassenen Fragestellung nach Vorliegen der Voraussetzung des § 11 StGB erblickte Verletzung der Vorschrift des § 313 StPO (Z 6) ist dem Schwurgerichtshof nicht unterlaufen, weil Tatsachen, die, wenn sie als erwiesen angenommen worden wären, den Ausschluß der Schuldfähigkeit begründet hätten, in der Hauptverhandlung nicht vorgebracht wurden.
Univ.Prof.Dr.P***** billigte dem Beschwerdeführer zwar in seinem schriftlichen Sachverständigengutachten eine auf chronischen Alkoholmißbrauch zurückzuführende Verminderung der Dispositionsfähigkeit zu, ließ aber an der dessen ungeachtet anzunehmenden Zurechnungsfähigkeit zur Tatzeit nicht den geringsten Zweifel offen (ON 27/I). In der Hauptverhandlung hielt der Sachverständige dieses Gutachten ausdrücklich aufrecht und bekräftigte erneut, daß von einer Aufhebung der Dispositions (-oder Diskretions)fähigkeit nicht gesprochen werden kann (S 227 ff/II). Da auch der Aussage des Beschwerdeführers, der sich weitestgehend leugnend verantwortet und bezüglich der eingeschränkt zugestandenen Unzuchtshandlungen an seiner Tochter Sabine nur unbestimmt von einem ihn drängenden "Wahn" gesprochen hat (S 161 ff/II), kein konkret faßbarer Anhaltspunkt für eine die Zurechnungsfähigkeit ausschließende Beeinträchtigung zu entnehmen ist, hat der Schwurgerichtshof zurecht davon Abstand genommen, die durch die Verfahrensergebnisse nicht indizierte Zusatzfrage in Richtung des § 11 StGB zu stellen.
Der zur Gänze unbegründeten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war sohin ein Erfolg zu versagen.
Das Geschworenengericht verurteilte Johann S***** nach §§ 28 Abs 1, 206 Abs 2 erster Strafsatz StGB zu neun Jahren Freiheitsstrafe und ordnete gemäß § 21 Abs 2 StGB seine Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher an.
Bei der Strafbemessung wertete es das Zusammentreffen von zwei Verbrechen und drei Vergehen, die Wiederholung der unzüchtigen Handlungen über einen längeren Zeitraum und gegen vier Kinder als erschwerend, mildernd berücksichtigte es hingegen das teilweise Geständnis hinsichtlich der gegen die Kinder Sabine und Verena gerichteten Taten, die Unbescholtenheit, die verminderte Dispositionsfähigkeit sowie das Wohlverhalten vom Frühjahr 1986 bis 1994.
Der gegen diesen Strafausspruch gerichteten Berufung des Angeklagten, mit welcher er (ausdrücklich nur) die Herabsetzung der Freiheitsstrafe anstrebt, kommt keine Berechtigung zu.
Die aus der - für die Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs 2 StGB relevanten - sexuellen Abartigkeit höheren Grades resultierende verminderte Dispositionsfähigkeit wurde vom Geschworenengericht ohnedies mildernd berücksichtigt (US 7). Hingegen kommt dem Umstand, daß die gravierendste, allein die Anwendung des Strafrahmens von fünf bis zu fünfzehn Jahren begründende Straftat (Punkt A des Urteilssatzes) bereits zehn Jahre zurückliegt und an einem Opfer verübt wurde, das dem Schutzalter des § 206 StGB nahe war, nicht die in der Berufung reklamierte Bedeutung zu. Denn einerseits hat der Angeklagte auch in der folgenden Zeit überaus schwerwiegende einschlägige Straftaten begangen und andererseits setzt die strafsatzbestimmende Schwängerung des Opfers dessen Geschlechtsreife voraus.
Die erstgerichtlichen Strafzumessungsgründe bedürfen mithin keiner nennenswerten Korrektur. Geht man aber davon aus und legt man namentlich dem Umstand, daß der Angeklagte über Jahre hinweg vier Kinder geschlechtlich mißbrauchte, die gebührende Bedeutung bei, erscheint die vom Geschworenengericht ausgesprochene Unrechtsfolge als tatschuldgerecht und deren Reduktion nicht angebracht.
Die Kostenentscheidung ist in der bezogenen Gesetzesstelle begründet.