12Os66/96 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 5.September 1996 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Schindler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Massauer, Dr.Rzeszut, Dr.E.Adamovic und Dr.Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Stitz als Schriftführer, in der Strafsache gegen Christoph D***** wegen des Verbrechens nach § 12 Abs 1 SGG über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 28.März 1996, GZ 35 Vr 2407/95-64, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr.Presslauer, des Angeklagten und des Verteidigers Dr.Strickner, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Der österreichische Staatsbürger Christoph D***** wurde des Verbrechens nach § 12 Abs 1 SGG schuldig erkannt. Demnach hat er "in Amsterdam, Emmerich und anderen Orten" den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgifte in einer großen Menge von den Niederlanden aus- und in die Bundesrepublik Deutschland eingeführt, nämlich (1.) in der Nacht zum 4.Oktober 1993 134 Gramm Heroin mit einer reinen Heroinbase von 32,95 Gramm und (2.) am 19.April 1994 96,4 Gramm Heroin mit einem Wirkstoffgehalt von 21,3 % (20,5 Gramm) Heroinhydrochlorid und 8,9 Gramm Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von 68,2 % (6 Gramm) Kokainhydrochlorid.
Wegen dieser Tathandlungen wurde der Angeklagte in der Bundesrepublik Deutschland zum Teilfaktum 1. mit Urteil des Amtsgerichtes Freiburg vom 16.Dezember 1993 (zu einer vorerst bedingt nachgesehenen, hinsichtlich des offenen Strafrestes durch nachfolgenden Widerruf unverbüßt aushaftenden Freiheitsstrafe von zwei Jahren) und zum Teilfaktum 2. mit Urteil des Amtsgerichtes Kleve vom 28.September 1994 (zu einer - unbedingt ausgesprochenen - Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten) verurteilt. Die von ihm im Zusammenhang mit diesen Strafverfahren in der BRD erlittenen Haftzeiten wurden vom Erstgericht gemäß § 66 StGB ebenso auf die im vorliegenden Strafverfahren ausgesprochene Freiheitsstrafe angerechnet wie gemäß § 38 StGB die inländische Vorhaft bis zur Urteilsfällung in erster Instanz.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen dieses Urteil aus § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt keine Berechtigung zu.
Bei der hier aktuellen Fallkonstellation fehlt es dem Beschwerdestandpunkt zuwider weder an den Voraussetzungen für die inländische Strafgerichtsbarkeit (§ 64 Abs 1 Z 4 StGB), noch trifft es zu, daß die vorerwähnten Urteile deutscher Amtsgerichte aus der Sicht des Europäischen Übereinkommens über die internationale Geltung von Strafurteilen (BGBl 1980/249) bzw des Art 4 des 7. Zusatzprotokolls zur Menschenrechtskonvention (BGBl 1988/628) im Inland ein Verfolgungshindernis nach dem Grundsatz "ne bis in idem" begründen. Gemäß § 64 Abs 1 Z 4 StGB wird nämlich ein im Ausland begangenes Verbrechen nach § 12 Abs 1 SGG unabhängig von den Strafgesetzen des Tatortes den österreichischen Strafgesetzen unterstellt, wenn durch die Tat österreichische Interessen verletzt worden sind oder der Täter nicht ausgeliefert werden kann. Im Sinn der zutreffenden Ausführungen der Generalprokuratur gilt für eine solche Tat eines Österreichers - mag sie auch bereits im Ausland abgeurteilt worden sein - uneingeschränkte österreichische Strafgewalt, weil gemäß § 12 Abs 1 ARHG eine Auslieferung inländischer Staatsbürger in keinem Fall in Betracht kommt. Solcherart ist es aber nicht notwendig, daß das Delikt inländische Interessen verletzt (Leukauf-Steininger StGB3 § 64 RN 18; Mayerhofer-Rieder StGB4 § 64 Nr 4). Entscheidendes Anknüpfungskriterium für die inländische Strafgerichtsbarkeit ist demnach die Realisierbarkeit der Täterauslieferung, die im - hier aktuellen - Fall österreichischer Staatsbürgerschaft vorweg generell ausscheidet. So gesehen gehen aber die zur Problematisierung der inländischen Gerichtsbarkeit vorgebrachten Beschwerdeargumente am entscheidenden Kern der in § 64 Abs 1 Z 4 StGB normierten Rechtsgrundlagen vorbei.
Gleichermaßen beizutreten ist den Rechtsausführungen der Generalprokuratur zum Europäischen Übereinkommen über die internationale Geltung von Strafurteilen. Abgesehen davon, daß - wie im Ergebnis im Beschwerdevorbringen selbst eingeräumt wird (196/III) - diesen Vertragsbestimmungen die inhaltliche Eignung fehlt, die bekämpfte Verurteilung wirksam zu hindern (Art 53 ist auf die hier gegebene Fallkonstellation - offener Strafrest bzw hinsichtlich der vom Amtsgericht Kleve ausgesprochenen Freiheitsstrafe bloßes Vollzugsende gemäß § 456 a dStPO unter Abschiebung des Angeklagten nach Österreich - 74/III), trifft schon die Beschwerdeprämisse über die Anwendbarkeit des Übereinkommens nicht zu, weil die Bundesrepublik Deutschland das Übereinkommen nicht ratifiziert hat und es sich bei dort ergangenen strafgerichtlichen Urteilen demnach nicht um solche eines Vertragsstaates (Art 1 lit a des Übereinkommens) mit der im Art 53 Abs 1 des Übereinkommens normierten Sperrwirkung ("ne bis in idem") handeln kann (15 Os 117/95). Der Beitritt Österreichs zur Europäischen Union bedeutet dazu - der Beschwerdeauffassung zuwider - keine rechtsrelevante Modifikation. Dem dazu in der mündlichen Rechtsmittelausführung im Gerichtstag unternommenen Versuch, die reklamierte Paraphierung des in Rede stehenden (sohin authentischen) supranationalen Vertragstextes durch die Bundesrepublik Deutschland zur völkerrechtlich verbindlichen Zustimmung dieses Staates, durch das Übereinkommen verpflichtet zu sein, aufzuwerten, liegt eine Vernachlässigung der für bi- bzw multilaterale Verträge maßgebenden formalen Abschlußstufen zugrunde (Teil II Abschnitt 1 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23.Mai 1969 - vgl Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, Band 2, Seiten 55 f), denenzufolge sich das "Annehmen des Textes" (Artikel 9) lediglich als von der konstitutiven Zustimmung zu trennendes Vorstadium darstellt. Daß letztere seitens der Bundesrepublik Deutschland im hier aktuellen Zusammenhang bisher nicht entsprechend erklärt wurde (15 Os 117/95; Grützner/Pötz, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Vorbemerkungen III Rz 1 und 4), erweist sich daher durch den relevierten Paraphierungsaspekt als ebensowenig in Frage gestellt wie dadurch, daß die Grundsätze des Übereinkommens über die internationale Geltung von Strafurteilen in der Bundesrepublik Deutschland in freier gerichtlicher Anwendungspraxis Beachtung finden.
Soweit unter eingehender Bezugnahme auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte im (von abweichenden, mit der hier gegebenen Konstellation nicht vergleichbaren Sachverhaltsgrundlagen gekennzeichneten) Fall "Gradinger gegen Österreich" aus der Sicht des Art 4 des 7.Zusatzprotokolls zur Menschenrechtskonvention ein inländisches Verfolgungshindernis reklamiert wird, stellen sich die dazu vorgebrachten Argumente gleichfalls als nicht stichhältig dar. Nach dieser Konventionsbestimmung darf zwar niemand wegen einer strafbaren Handlung, derentwegen er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut vor Gericht gestellt oder bestraft werden. Da aber die eingewendeten strafgerichtlichen Aburteilungen des Angeklagten in der Bundesrepublik Deutschland stattfanden, während das hier angefochtene Urteil durch ein inländisches Strafgericht ausgesprochen wurde, fehlt es schon an der Grundvoraussetzung der relevierten konventionsrechtlichen Bestimmung, nämlich der Verfahrensingerenz ein- und desselben Staates.
Es bleibt hinzuzufügen, daß die in der Nichtigkeitsbeschwerde geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die mit der Aburteilung einer identen Tat im Ausland und im Inland verbundene Doppelbestrafung, an welcher - so der Beschwerdestandpunkt - der Anrechnungsausspruch nach § 66 StGB nichts ändere, schon bisher vom Obersten Gerichtshof als nicht fundiert beurteilt wurden (15 Os 117/95, 15 Os 145/95).
Die insgesamt nicht berechtigte Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.
Das Schöffengericht verurteilte den Angeklagten gemäß § 12 Abs 1 SGG (unter bereits erwähnter Vorhaftanrechnung gemäß §§ 38, 66 StGB) zu vier Jahren Freiheitsstrafe, wobei es die einschlägige Vorstrafenbelastung, die Tatwiederholung, die Tatverfangenheit einer das gemäß § 12 Abs 1 SGG tatbestandsbegründende Mindestquantum um ein Vielfaches übersteigenden Suchtgiftmenge sowie den raschen Rückfall nach einer erst im Dezember 1993 gewährten bedingten Strafnachsicht als erschwerend wertete, als mildernd hingegen die auf Suchtgiftergebenheit beruhende reduzierte Zurechnungsfähigkeit, die Sicherstellung der Heroinmengen sowie das (allerdings in seinem Gewicht durch die Betretung auf frischer Tat relativierte) Geständnis.
Mit seiner dagegen erhobenen Berufung strebt der Angeklagte eine Herabsetzung der über ihn verhängten Freiheitsstrafe sowie deren bedingte Nachsicht im wesentlichen mit der Begründung an, sein Geständnis werde durch die Betretung auf frischer Tat der erstgerichtlichen Auffassung zuwider als Milderungsgrund nicht beeinträchtigt, die zwischenzeitige Lösung aus der Suchtgiftabhängigkeit sei ebenso unberücksichtigt geblieben wie deren seinerzeitige hochgradige Intensität in Verbindung mit darauf beruhenden schweren neurotischen Persönlichkeitsstörungen, weshalb das in erster Instanz ausgesprochene Strafausmaß weder aus spezialnoch aus generalpräventiver Sicht den falladäquaten Straferfordernissen angemessen Rechnung trage.
Dem Erstgericht ist im Ergebnis dahin beizupflichten, daß die grenzüberschreitende Intensivierung des Suchtgiftmißbrauchs mit seinen notorischen gesundheitlichen und wirtschaftlichen Belastungen und Risken einen zunehmend alarmierenden gesellschaftlichen Destabilisierungsfaktor darstellt, dem (auch) im Rahmen der Strafrechtspflege entschlossen zu begegnen ist. Unter Mitberücksichtigung der einschlägig vorbelasteten Täterpersönlichkeit trägt daher das Ausmaß der bekämpften Freiheitsstrafe den hier gegebenen Straferfordernissen sachgerecht Rechnung, weshalb es sich der angestrebten Reduktion als nicht zugänglich erweist.
Auch der Berufung des Angeklagten war somit nicht Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung beruht auf der bezogenen Gesetzesstelle.