2Ob2203/96a – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W*****krankenkasse, ***** vertreten durch Rechtsanwälte Dr.Amhof Dr.Damian Partnerschaft in Wien, wider die beklagte Partei Richard Johann S*****, wegen S 277.365,10 sA, infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgerichtes vom 19.März 1996, GZ 11 R 119/95-12, womit der Beschluß des Landesgerichtes Korneuburg vom 4.Mai 1995, GZ 1 Cg 20/95z-9, bestätigt wurde, den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden insoweit, als das am 20.Jänner 1995 gegen die beklagte Partei eingeleitete Verfahren für nichtig erklärt und die Klage zurückgewiesen wird, aufgehoben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens aufgetragen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind als weitere Verfahrenskosten zu behandeln.
Text
Begründung:
Mit der am 20.1.1995 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrt die klagende Partei vom Beklagten die Zahlung von S 277.365,10 mit der Begründung, der Beklagte sei mit Erklärung vom 1.9.1994 der Sozialversicherungsbeitragsschuld der Firma ***** S***** GesmbH als Bürge beigetreten.
Die Klage mit dem Auftrag, zur Erstattung einer Klagebeantwortung binnen drei Wochen wurde dem Beklagten am 24.1.1995 zugestellt. Da innerhalb dieser Frist keine Klagebeantwortung erstattet wurde, erging am 8.3.1995 über Antrag der klagenden Partei ein klagsstattgebendes Versäumungsurteil. Mit dem am 24.3.1995 beim Erstgericht eingelangten Schreiben teilte der Beklagte mit, er befinde sich seit 1982 im Konkurs, er beantragte die Aufhebung des Urteils wegen Nichtigkeit. Daraufhin wurde das Versäumungsurteil dem Masseverwalter zugestellt. Dieser beantragte mit Schriftsatz vom 25.4.1995 das bisherige Verfahren für nichtig zu erklären, in eventu beantragte er die Unterbrechung des Verfahrens und erhob letztlich Widerspruch gegen das Versäumungsurteil.
Die klagende Partei sprach sich gegen diese Anträge aus und brachte vor, daß der Beklagte die Bürgschaftserklärung als Geschäftsführer der ***** S***** GmbH abgegeben habe; es handle sich dabei um eine Vorgangsweise im Rahmen seines konkursfreien Vermögens.
Mit Beschluß vom 4.5.1996 hob das Erstgericht das Versäumungsurteil vom 8.3.1995 infolge Widerspruchs auf (Punkt 1), es erklärte das am 20.1.1995 gegen die beklagte Partei eingeleitete Verfahren für nichtig (Punkt 2) und wies die gegen die beklagte Partei als Gemeinschuldner erhobene Klage zurück (Punkt 3). Das Erstgericht begründete die Entscheidung damit, daß gemäß § 6 Abs 1 KO eine gegen den Gemeinschuldner erhobene Klage, die sein zur Konkursmasse gehörendes Vermögen betreffe, zurückzuweisen sei.
Das Rekursgericht wies den Rekurs, soweit er sich gegen die Aufhebung des Versäumungsurteils richtet, zurück, im übrigen gab es ihm nicht Folge; der ordentliche Revisionsrekurs wurde für zulässig erklärt.
Hinsichtlich der Zurückweisung des Rekurses gegen die Aufhebung des Versäumungsurteils verwies das Rekursgericht auf § 397 a Abs 3 ZPO, wonach ein Rechtsmittel gegen diesen Beschluß nicht zulässig sei.
Im übrigen führte das Rekursgericht aus, daß gemäß § 6 KO Rechtsstreitigkeiten, welche die Geltendmachung oder Sicherstellung von Ansprüchen auf das zur Konkursmasse gehörige Vermögen bezweckten, nach Konkurseröffnung weder anhängig noch fortgesetzt werden könnten. Wenngleich die Arbeitskraft an sich kein Massebestandteil sei und der Gemeinschuldner daher auch nach Konkurseröffnung darüber verfügungsberechtigt bleibe, könne der Gemeinschuldner nicht im Rahmen der Ausübung seiner Arbeitskraft trotz des Konkurses über die Masse verfügen und dies dann eine Handlung im konkursfreien Raum darstellen. Grundsätzlich gehöre alles, was der Gemeinschuldner während des Konkurses aus eigener Tätigkeit erwirbt, zur Konkursmasse. Erst durch einen konstitutiv wirkenden Überlassungsakt des Masseverwalters könne der Gemeinschuldner über das, was zu seiner bescheidenen Lebensführung und für Personen, die gegen ihn einen gesetzlichen Unterhaltsanspruch haben, unerläßlich ist, frei verfügen. Daß der Beklagte sich aber im Rahmen seines zur freien Verfügung überlassenen Erwerbes mit der Bürgschaft verpflichtet habe, sei nicht behauptet worden. Vielmehr handle es sich nach dem Vorbringen der Klage und in der Äußerung der klagenden Partei vom 2.5.1995 um keinen Anspruch aus dem konkursfreien Raum.
Der Mangel der Verfügungsfähigkeit des Gemeinschuldners sei gemäß § 6 Abs 1 KO in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu berücksichtigen und seien nach Konkurseröffnung von oder gegen den Gemeinschuldner erhobene Klagen zurückzuweisen. Voraussetzung sei allerdings das Vorliegen des Widerspruches. Wenngleich in einem wegen § 6 KO nichtigen Verfahren grundsätzlich nur wirksam Rechtsmittel zur Beseitigung des nichtigen Verfahrensabschnittes vom Masseverwalter erhoben werden könnten, könne er sich doch auch des Widerspruchs als eigenen Rechtsbehelfs bedienen und dadurch die Beendigung des sonst für das Erstgericht bindenden Urteils bewirken.
Der ordentliche Revisionsrekurs wurde für zulässig erklärt, weil zu der hier konkret zu entscheidenden Rechtsfrage der Möglichkeit, nichtige Verfahrensabschnitte in der vorliegenden Form zu beseitigen, eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht vorliege.
Diese Entscheidung ist, soweit sie sich auf die Zurückweisung des Rekurses der klagenden Partei bezieht (Aufhebung des Versäumungsurteils vom 8.3.1995), in Rechtskraft erwachsen. Im übrigen richtet sich dagegen der Revisionsrekurs der klagenden Partei mit dem Antrag, die Rechtssache zur Fortsetzung des Verfahrens gemäß § 244 ZPO an das Erstgericht zurückzuverweisen.
Der Rekurs ist zulässig und auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Die klagende Partei macht in ihrem Rechtsmittel geltend, der Gemeinschuldner habe zwar am 1.8.1994 (sohin nach Konkurseröffnung am 25.6.1982) die Bürgschaftserklärung abgegeben, doch habe er darin seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse als "ausreichend" bezeichnet. Er habe damit rechnen können, seiner Bürgschaftsverpflichtung zumindest mit Hilfe dessen nachzukommen, was er durch eigene Arbeit verdiene und ihm vom Masseverwalter überlassen werde; darüber fehle es an Feststellungen, die zur erschöpfenden Beurteilung notwendig seien.
Weiters könne man nicht zugleich Nichtigkeit des Verfahrens behaupten und Widerspruch erheben: Entweder sei das Verfahren nichtig oder es sei gültig und das Versäumungsurteil wirksam, dann könne man dagegen Widerspruch erheben; beides zugleich gehe nicht.
Hiezu wurde erwogen:
Auszugehen ist davon, daß mit Beschluß des Kreis- als Handelsgerichtes Korneuburg vom 25.6.1982 der Konkurs über das Vermögen des Beklagten eröffnet wurde und daß der Beklagte nach den Behauptungen der klagenden Partei nach Konkurseröffnung (ob dies am 1.9.1994, wie in der Klage behauptet, war oder am 1.8.1984, wie im Revisionsrekurs behauptet wird, kann dahingestellt bleiben) als Bürge der Sozialversicherungsbeitragsschuld der Firma ***** S***** GmbH beigetreten ist. Eine nach Konkurseröffnung vom Gemeinschuldner vorgenommene Rechtshandlung hat aber im Verhältnis zwischen dem Gemeinschuldner und dem beteiligten Dritten ihre volle Wirkung; Forderungen gegen den Gemeinschuldner, die erst während des Konkursverfahrens entstehen - und nicht zu den Masseforderungen im Sinne des § 46 KO gehören - sind keine Passiven der Konkursmasse und nehmen daher auch nicht am Konkursverfahren teil. Sie sind nicht gegen den Masseverwalter, sondern nur gegen den insoweit voll verfügungsberechtigten Gemeinschuldner geltend zu machen (SZ 53/92 = EvBl 1981/103; MietSlg 35.902/8; EvBl 1989/70 jeweils mwN).
Es steht daher die Konkurseröffnung über das Vermögen des Beklagten der Geltendmachung der gegenständlichen Ansprüche nicht entgegen, sodaß spruchgemäß zu entscheiden war.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.