11Os54/96 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 27.August 1996 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Lachner als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr.Hager, Dr.Schindler, Dr.Mayrhofer und Dr.Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Scholz als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Rudolf Josef B***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und Abs 2 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten Rudolf Josef B***** und Herbert L***** sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft hinsichtlich beider Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Schöffengericht vom 24.Mai 1995, GZ 15 Vr 200/93-109, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr.Presslauer, der beiden Angeklagten sowie der Verteidiger Dr.Philipp und Dr.Insam zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden verworfen.
Der Berufung der Staatsanwaltschaft wird Folge gegeben, und es werden die Freiheitsstrafen beim Angeklagten Rudolf B***** auf 3 (drei) Jahre und beim Angeklagten Herbert L***** unter Bedachtnahme gemäß §§ 31, 40 StGB auf die Urteile des Strafgerichtes Ravenna (Italien) vom 24. Juni 1994, AZ 500/93-244/94, sowie des Bezirksgerichtes für Strafsachen Graz vom 30.Jänner 1995, AZ 5 U 833/94, und vom 13.März 1996, AZ 5 U 817/95, auf 2 (zwei) Jahre und 2 (zwei) Wochen (als Zusatzstrafe) erhöht.
Mit ihren Berufungen gegen den Ausspruch über die Strafe werden die Angeklagten auf diese Entscheidung verwiesen.
Der Berufung des Angeklagten Rudolf B***** gegen den Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche wird nicht Folge gegeben.
Beiden Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil, welches auch einen in Rechtskraft erwachsenen Freispruch enthält, wurden Rudolf B***** (zu A/I) des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB und (zu A/II) des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und Abs 2 StGB, Herbert L***** (zu A/I/1) des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, (zu A/III) des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB, ferner (zu B/I) des Vergehens nach § 36 Abs 1 Z 2 WaffG und (zu B/II) des Vergehens nach § 36 Abs 1 Z 1 WaffG schuldig erkannt.
Darnach haben
(A) am 27.Jänner 1993 in Wolfsberg
(I) nachangeführte Personen vorsätzlich am Körper verletzt, und zwar:
1) Rudolf B***** und Herbert L***** im bewußten und gewollten Zusammenwirken Andreas B*****, indem Herbert L***** dem Genannten einen Faustschlag und einen Fußtritt und Rudolf B***** mehrere Faustschläge ins Gesicht versetzten, wodurch der Genannte eine 1,5 cm große supraorbitale, leicht klaffende, oberflächliche Rißquetschwunde links und eine Verkrümmung der Nasenscheidewand erlitt;
2) Rudolf B***** den Jochen T***** durch mehrere Faustschläge ins Gesicht, die eine Prellung und Schwellung im Bereich der rechten Wange zur Folge hatten;
(II) Rudolf B***** den Andreas B***** dadurch, daß er ihm ein Bierglas ins Gesicht stieß und das Glas dabei verdrehte, eine schwere Körperverletzung, nämlich eine lappenförmig perforierte Rißquetschwunde an der linken Wange von 7 cm Länge, absichtlich zugefügt, wobei die Tat eine schwere Dauerfolge, nämlich eine ca 6 bis 7 cm lange und ca 1 cm breite Vernarbung, zur Folge hatte;
(III) Herbert L***** den Jochen T***** durch Ansetzen einer Pistole an die Schläfe und die Äußerung: "Verschwinde, sonst lege ich die um", mithin durch Drohung mit dem Tod, zur Unterlassung der Hilfeleistung für Andreas B***** genötigt;
(B) Herbert L***** in Leoben und anderen Orten
(I) zumindest von Sommer 1992 bis 29.Jänner 1993 eine "Stahlrute", mithin eine verbotene Waffe (§ 11 Abs 1 Z 6 WaffG) unbefugt besessen;
(II) zumindest von Oktober bis 29.Jänner 1993 unbefugt eine Faustfeuerwaffe, nämlich die Pistole, Marke Walther PPK, Kaliber 9 mm, Nr.176909A, besessen und geführt.
Rechtliche Beurteilung
Die beiden Angeklagten bekämpfen den jeweiligen Schuldspruch mit Nichtigkeitsbeschwerde gestützt auf die Gründe nach Z 1, 3, 4, 5 a und 10 des § 281 Abs 1 StPO. Beiden Beschwerden kommt keine Berechtigung zu.
Eine nicht gehörige Besetzung des Gerichtshofes (Z 1) erblicken die Beschwerdeführer darin, daß an der Urteilsfällung zwei Schöffen teilgenommen haben, die bereits in der ersten (vertagten) Hauptverhandlung am 9.Juni 1994 tätig waren, jedoch in der "Dienstliste für das Jahr 1995" nicht aufscheinen sollen. Eine nähere Überprüfung dieses ersichtlich nicht zur Gänze von der aktuellen Regelung der Geltungsdauer von Dienstlisten (§ 13 Abs 1 GSchG) ausgehenden Vorbringens erübrigt sich, weil jedenfalls die Vorschrift des § 14 Abs 3 GSchG eine Amtspflicht der Schöffen ab Beginn einer Verhandlung über die Geltungsdauer einer Dienstliste hinaus bis zur Urteilsfällung vorsieht, sodaß weder Vertagungen, noch gemäß § 276 a StPO notwendig gewordene Wiederholungen einer Hauptverhandlung den Laienrichtern die Amtsbefähigung nehmen können. Die in den Nichtigkeitsbeschwerden vertretene Ansicht, wonach bei Wiederholung einer Hauptverhandlung außerhalb des Geltungsbereichs der Dienstliste ein Wechsel der Laienrichter stattfinden müsse, findet im Gesetz keine Deckung.
Ebensowenig zielführend sind die unter Zitierung der Z 3 des § 281 Abs 1 StPO vorgebrachten Einwände.
Welche Nichtigkeitssanktion sich aus dem Umstand ergeben soll, daß die vom Gendarmerieposten Wolfsberg anläßlich der ersten Erhebungen mit Andreas B*****, Jochen T*****, Angelika B***** und Marion K***** aufgenommenen Niederschriften keine Bezugnahmen auf Belehrungen der Vernommenen enthalten, wird von den Beschwerdeführern weder durch konkrete Bezeichnung, noch durch nachvollziehbare Verweisungen zum Ausdruck gebracht, weshalb insoweit mangels gesetzmäßiger Geltendmachung (§§ 285 Abs 1 und 285 a Z 2 StPO) eine inhaltliche Erwiderung gar nicht möglich ist.
Der weitere Vorwurf, die Zeugen B***** und T***** hätten in der Hauptverhandlung auf ein gemäß § 152 Abs 1 Z 1 StPO zustehendes Entschlagungsrecht nicht ausdrücklich verzichtet, weshalb ihre Aussagen im Sinne des § 152 Abs 5 StPO nichtig seien, hält einer Überprüfung nicht stand. Durch die bloße Betonung von Angaben des Zeugen T*****, welche ihrem Sinnzusammenhang zufolge ein Streben nach Unterbindung weiterer Auseinandersetzungen, nicht aber den Einsatz deliktischer Mittel ausdrücken, wird in keiner Weise dargelegt, daß für das Erstgericht ein Grund zur Annahme bestand, die beiden Zeugen (die zudem laut Anklageschrift Opfer der verfolgten Straftaten waren) würden sich durch ihre Aussagen der Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung aussetzen. Ohne deutliche Darlegung, weshalb die Zeugenaussagen "Elemente einer Beschuldigtenverantwortung mit Schutzbehauptungen" enthalten und welcher konkrete Verdacht eine Strafverfolgungsgefahr begründet haben soll, verbleiben die Anfechtungserklärungen auch hier in einem Bereich der spekulativen Unbestimmtheit, der eine nähere sachbezogene Erwiderung verhindert.
Entgegen der weiters erhobenen Verfahrensrüge (Z 4) ließ der vom Schöffengericht abgelehnte Antrag auf "Beischaffung der Vorstrafakten des Zeugen B*****, insbesondere die Beischaffung der Akten der beim Bezirksgericht Wolfsberg gegen ihn geführten Strafverfahren zum Beweis dafür, daß B***** offensichtlich bereits mehrfach wegen Aggressionsdelikten bzw Gewaltdelikten strafrechtlich in Erscheinung getreten ist", keinen für die Verteidigungsinteressen tauglichen Beweiszweck erkennen. Da sich die Angeklagten nämlich keineswegs damit verantwortet haben, den Andreas B***** bei notwendiger Verteidigung gegen dessen rechtswidrige Angriffe verletzt zu haben, ist nicht ersichtlich, daß der Nachweis früherer Aggressionen dieses Zeugen, für die Widerlegung der Anklagevorwürfe hätte brauchbar sein können. Die Antragsablehnung hat daher keine Verkürzung von Verteidigungsrechten nach sich gezogen.
Den Tatsachenrügen (Z 5 a) zuwider ergeben sich im Lichte der gesamten Aktenlage keine erheblichen Bedenken gegen die maßgeblichen Feststellungen des Erstgerichtes. Die vorgetragenen Einwände beschränken sich auf eine isolierte und einseitige Hervorhebung von Nebenumständen, die noch dazu nach Art einer im schöffengerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung ins Treffen geführt werden. Solcherart ist die intersubjektive Überzeugungskraft der erstgerichtlichen Entscheidungsgründe nicht zu erschüttern. Im übrigen sei der Beschwerdeführer B***** noch darauf hingewiesen, daß ihm Tathandlungen zum Nachteil des Jochen T***** gar nicht zur Last liegen, weshalb die diesbezügliche Argumenation ins Leere geht. Das Vorbringen des Angeklagten L***** hinwieder gibt noch zur Anmerkung Anlaß, daß eine Version, wonach "er selbst überraschtes Opfer eines tätlichen Angriffs" des B***** und des T***** geworden sei, nicht einmal andeutungsweise aus seiner eigenen Verantwortung hervorgeht.
Die Rechtsrüge (Z 10) des Angeklagten B***** gegen den Schuldspruch wegen absichtlicher schwerer Körperverletzung ist nicht prozeßordnungsmäßig ausgeführt, weil der Beschwerdeführer nicht an die Urteilsfeststellungen über das Ausmaß, die Sichtbarkeit und die Verunstaltungswirkung der Tatfolgen anknüpft, sondern diese Umstände bestreiten will, sodaß eine Grundvoraussetzung für die Geltendmachung materiellrechtlicher Nichtigkeitsgründe fehlt (Mayerhofer/Rieder, StPO3 § 281 Z 10 E 9 ff).
Letztlich versagt auch die vom Angeklagten L***** unternommene Anfechtung (Z 10) seines Schuldspruchs wegen schwerer Nötigung.
Für die Herstellung des Nötigungstatbestandes war es entgegen der Beschwerdemeinung nicht notwendig, daß die Mittel-Zweck-Beziehung zwischen dem drohenden Auftreten des Täters und der von ihm angestrebten Unterlassung des Opfers allein aus dem Wortlaut der Bedrohungsäußerung selbst entnommen werden konnte. Es genügt durchaus, daß das mit der Drohung geforderte "Verschwinden" des Betroffenen unter den vom Erstgericht konstatierten situationsmäßigen Gegebenheiten tätergewollt geradezu zwangsläufig auch das Nötigungsziel der Unterlassung einer Hilfeleistung durch das insoweit an der freien Willensbetätigung gehinderte Opfer einschloß. Für die von der Beschwerde angestrebte Tatbeurteilung als gefährliche Drohung bleibt daher kein Raum.
Zur übrigen Rechtsrüge des Angeklagten L***** genügt der Hinweis, daß ihm das Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung gar nicht zur Last liegt.
Beide Nichtigkeitsbeschwerden waren daher zu verwerfen.
Bei der Strafbemessung wertete das Schöffengericht bei beiden Angeklagten als erschwerend das Zusammentreffen mehrerer gleich- und verschiedenartiger strafbarer Handlungen sowie die auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden Vorstrafen, als mildernd hingegen die der Tat vorausgegangene Provokation durch B*****, bei L***** auch das teilweise reumütige Geständnis.
Davon ausgehend verhängte der Schöffensenat jeweils unter Anwendung des § 28 StGB über den Angeklagten B***** nach dem ersten Strafsatz des § 87 Abs 2 StGB eine zweijährige und über den Angeklagten L***** nach § 106 Abs 1 StGB eine achtzehnmonatige Freiheitsstrafe.
Während die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung eine schuldangemessene Erhöhung der Freiheitsstrafen anstrebt, begehren die Angeklagten die Verhängung (bloß) einer Geldstrafe, jedenfalls aber die Herabsetzung der Freiheitsstrafe und deren zumindest teilweise bedingte Nachsicht.
Lediglich der Berufung der Staatsanwaltschaft kommt Berechtigung zu.
Das Schöffengericht hat die Strafzumessungsgründe zwar im wesentlichen richtig dargestellt. Zusätzlich ist allerdings - wie die Anklagebehörde zu Recht einwendet - die besonders brutale Tatausführung der Angeklagten als erschwerend zu berücksichtigen. Dagegen kann - den Berufungen der beiden Angeklagten zuwider - ein längeres Zurückliegen der Vorstrafen bis zur neuerlichen Delinquenz, von dem bei L***** (Strafvollzug bis 6.September 1991, 213/I) ohnehin keine Rede sein kann, keinen besonderen Milderungsumstand abgeben, wiewohl sich der jeweilige zeitliche Abstand auf das Gewicht des Erschwerungsumstandes einschlägig belasteten Vorlebens entsprechend auswirkt. Auch das Lebensalter kann keinem der beiden Angeklagten als mildernd zugute kommen.
Beim Angeklagten L***** war darauf Bedacht zu nehmen, daß er (ua) vom Strafgericht Ravenna (Italien) am 24.Juni 1994 zum AZ 500/93-244/94 wegen schwerer Zuhälterei und illegalen Waffenbesitzes zu einem Jahr und acht Monaten Freiheitsstrafe bedingt und zu 1 Mio Lire Geldstrafe sowie jeweils vom Bezirksgericht für Strafsachen Graz am 30.Jänner 1995 zum AZ 5 U 833/94 zu einer Geldstrafe von neunzig Tagessätzen zu je 100 S, für den Uneinbringlichkeitsfall 45 Tage Ersatzfreiheitsstrafe wegen § 36 Abs 1 Z 2 WaffG und am 13.März 1996 zum AZ 5 U 817/95 zu zwei Monaten Freiheitsstrafe wegen §§ 229 Abs 1, 231 Abs 1 StGB verurteilt worden ist.
Auf der Basis der somit vorliegenden Strafzumessungsgründe sowie unter Bedachtnahme auf die allgemeinen Grundsätze für die Strafbemessung - entgegen dem Berufungsvorbringen ist bei beiden Angeklagten keine "Trendumkehr", beim Angeklagten L***** sogar eine Steigerung der kriminellen zu erkennen - erweist sich zur Erfassung der tat- und persönlichkeitsbezogenen Schuld (§ 32 StGB) der beiden Angeklagten eine Erhöhung der Freiheitsstrafen auf das aus dem Spruch ersichtliche Ausmaß - beim Angeklagten L***** unter Bedachtnahme auf die zuvor bezeichneten (drei) Verurteilungen - jedenfalls als erforderlich. Einer teilbedingten Strafnachsicht stehen angesichts des belasteten Vorlebens bei beiden Angeklagten spezial-, aber auch generalpräventive Erwägungen entgegen.
Der Berufung des Angeklagten Rudolf B***** gegen das Adhäsionserkenntnis - er wurde gemäß § 369 Abs 1 StPO verpflichtet, an Andreas B***** den Betrag von 50.000 S zu bezahlen - mußte ein Erfolg versagt bleiben. Der Vorschrift des § 365 Abs 2 StPO wurde schon in der Hauptverhandlung Genüge getan (107, ON 102) und dem Angeklagten auch im Gerichtstag Gelegenheit geboten, sich zum geltend gemachten Anspruch zu äußern. Angesichts des Ausmaßes des Verletzungserfolges ist das dem Privatbeteiligten zugesprochene Schmerzengeldbetrag jedenfalls nicht überhöht.
Es war daher spruchgemäß zu erkennen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390 a StPO.