10ObS2046/96x – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer und Dr. Danzl als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Robert Letz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Karl Dirschmied (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Zorica M*****, ***** vertreten durch Dr. Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Niederösterreichische Gebietskrankenkasse, ***** ***** vertreten durch Dr. Vera Kremslehner, Dr. Josef Milchram und Dr. Anton Ehm, Rechtsanwälte in Wien, wegen Krankengeld, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. Jänner 1996, GZ 7 Rs 145/95-89, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 22. August 1995, GZ 5 Cgs 47/94a-82, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Bescheid vom 9.7.1991 sprach der beklagte Träger der Krankenversicherung aus, daß der Klägerin anläßlich ihrer bei einem Heimataufenthalt in Jugoslawien am 26.9.1990 erlittenen Unfall resultierenden Arbeitsunfähigkeit ab diesem Tag das Krankengeld bis 12.11.1990 gebühre und wies den Antrag, das Krankengeld auch nach diesem Zeitpunkt bis 22.5.1991 auszubezahlen, ab.
Dem hiegegen erhobenen und auf Weiterleistung eines täglichen Krankengeldes von S 505,44 auch nach dem 12.11.1990 gerichteten Klagebegehren gab das Erstgericht im ersten Rechtsgang teilweise Folge und verurteilte die Beklagte, der Klägerin auch für die Zeit vom 13.11.1990 bis 1.1.1991 ein Krankengeld in dieser Höhe zu bezahlen; dieser Teil des Urteils blieb von der beklagten Partei unbekämpft und ist somit rechtskräftig.
Der nur von der Klägerin gegen die Abweisung des Mehrbegehrens auf Zahlung dieser Leistung auch nach dem 1.1.1991 erhobenen Berufung gab das Berufungsgericht keine Folge. Der Oberste Gerichtshof hat einer hiegegen von der Klägerin erhobenen Revision mit Beschluß vom 18.1.1994 Folge gegeben und die Urteile beider Vorinstanzen (das Ersturteil bloß im abweislichen Teil) aufgehoben und die Sozialrechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Dieser zu 10 ObS 246/93 ergangene Aufhebungsbeschluß wurde zwischenzeitlich auch in SSV-NF 8/2 veröffentlicht, sodaß zur Vermeidung von Wiederholungen hierauf verwiesen werden kann. Kernsatz der rechtlichen Beurteilung dieser Entscheidung des erkennenden Senates war, daß bei der Beurteilung, ob ein Versicherter Anspruch auf Krankengeld hat, eine die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigende Krankheit im Sinne des § 120 Abs 1 Z 1 ASVG, die bereits im Zeitpunkt des Beginnes der Versicherung bestanden hat (hier: ein bei der Klägerin angeborenes Hüftleiden, auf Grund dessen sie mindestens bereits seit Jahresbeginn 1989 nicht mehr in der Lage war, ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Heimpflegerin im vollen Umfang auszuüben), nicht zu berücksichtigen ist, und für nach dem 1.1.1991 eingetretene weitere Versicherungsfälle der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit (hier: auf Grund einer weiteren Sprunggelenksverletzung Anfang Feber 1991) Krankengeld nur nach Maßgabe der Abs 2 bis 5 des § 122 ASVG zu gewähren wäre.
Im zweiten Rechtsgang wurde das noch verbliebene Klagemehrbegehren, daß die Beklagte der Klägerin Krankengeld in Höhe von S 505,44 täglich über den 1.1.1991 hinaus zu gewähren habe, vom Erstgericht erneut abgewiesen. Es traf hiezu folgende Feststellungen:
Die Klägerin leidet an einem angeborenen Hüftleiden. Zumutbar sind ihr Arbeiten im Sitzen, Gehen und Stehen, ohne Dauergehen und Dauerstehen, mit der Möglichkeit, sich fünf bis zehn Minuten während einer Arbeitsstunde zu setzen. Arbeiten an exponierten Stellen sind nur mit erhöhtem Risiko möglich. Zumutbar ist das Heben und Tragen von Gewichten bis zu fünfzehn Kilogramm, fallweise bis zu zwanzig Kilogramm. Ihre Tätigkeit als Heimpflegerin, verbunden mit Heben von Gewichten über vierzig Kilogramm, Mobilisationsversuchen sowie der Zubereitung des Essens und dem Erledigen der Einkäufe, war insbesondere im Hinblick auf das Heben von Patienten und Gewichten über vierzig Kilogramm vom Beginn der Tätigkeit im Jahre 1985 an kalkülsüberschreitend. Die beschriebene Tätigkeit führt erfahrungsgemäß zu einer Verschlechterung des Hüftleidens.
Nach dem 1.1.1991 erlitt die Klägerin Anfang Februar 1991 (der genaue Zeitpunkt konnte nicht festgestellt werden) eine neuerliche Sprunggelenksverletzung, die eine Arbeitsunfähigkeit herbeiführte. Keine der beiden Sprunggelenksverletzungen führte zu einer Verschlechterung des Hüftleidens, da es bei Schmerzen in einem Bein zu einer unbewußten Belastung des anderen Beines kommt, die Hüftluxation sich aber auf der gleichen Seite wie das verletzte Bein befindet.
Zwischen der Beendigung des Krankenstandes mit 1.1.1991 bis zum neuerlichen Krankenstand war die Klägerin nur infolge des angeborenen Hüftleidens arbeitsunfähig. Arbeitsunfähigkeit infolge einer anderen Krankheit liegt in diesem Zeitraum nicht vor. Eine schubweise Verschlechterung des Hüftleidens in diesem Zeitraum ist nicht erwiesen. Eine Verbesserung des Hüftleidens der Klägerin war und ist nicht zu erwarten.
Die Pflichtversicherung der Klägerin endete während des Krankenstandes vom 23.10.1990 bis 1.1.1991 und bestand sodann keine Versicherung. Ab 23.5.1991 bezog die Klägerin Arbeitslosengeld.
In rechtlicher Hinsicht beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt - zusammengefaßt - dahingehend, daß die Klägerin von Beginn ihrer Beschäftigung an kalkülsüberschreitend tätig und somit arbeitsunfähig gewesen sei, da sie nur mit Gefahr der Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung erbringen habe können. Da die Klägerin sohin auch nach dem 1.1.1991 arbeitsunfähig war, diese Arbeitsunfähigkeit jedoch schon vor Beginn ihrer Beschäftigung vorlag, könne sie keine Leistungen aus dem Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit für diesen Zeitraum in Anspruch nehmen. Da zum Zeitpunkt der Beendigung der Arbeitsunfähigkeit infolge der ersten Sprunggelenksverletzung am 1.1.1991 eine Versicherung nicht bestanden hat, hätte ein neuerlicher Versicherungsfall binnen drei Wochen ab Beginn der Arbeitsfähigkeit eintreten müssen, um einen Anspruch auf Leistungen aus der Krankenversicherung zu begründen. Da eine neuerliche Arbeitsunfähigkeit, die ihre Ursache nicht im angeborenen Hüftleiden hatte, jedoch erst Anfang Feber 1991 (anläßlich der zweiten Sprunggelenksverletzung) eingetreten ist, stünden dafür keine Leistungen zu. Auch nach dem Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit sei der österreichische Versicherungsträger nicht an Feststellungen des jugoslawischen Versicherungsträgers gebunden, zumal aus einer diesbezüglich von der Klägerin im zweiten Rechtsgang vorgelegten Urkunde (Beilage N samt Übersetzung in ON 68) lediglich hervorgehe, daß sie in der Zeit vom 4.1. bis 22.5.1991 in physikotherapeutischer Rehabilitation in erster Linie wegen des (angeborenen) Hüftleidens gestanden sei.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin keine Folge. Es übernahm die wiedergegebenen Feststellungen des Erstgerichtes als Ergebnis eines mängelfreien Verfahrens und ebenso dessen rechtliche Beurteilung.
In der Revision macht die Klägerin unrichtige rechtliche Beurteilung geltend; sie beantragt, das angefochtene Urteil im klagsstattgebenden Sinne abzuändern oder es allenfalls (erneut) aufzuheben.
Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Als rechtliche Fehlbeurteilung wird im Rechtsmittel ein Feststellungsmangel dahingehend gerügt, daß das Berufungsgericht nicht festgestellt habe, ob es sich bei der angeborenen Hüftgelenksverrenkung um eine Krankheit im Sinne der Bestimmungen des § 120 ASVG (ein regelwidriger körperlicher oder geistiger Zustand, der die Krankenbehandlung notwendig macht) handelt bzw wann vor der Aufnahme der Pflichtversicherung dieser Versicherungsfall tatsächlich eingetreten ist. Die Bestimmungen des ASVG dürften auch nicht so interpretiert werden, daß einem Versicherten zwar die vollen Beiträge abgezogen würden, er jedoch keinen Versicherungsschutz erhalte, selbst wenn er vor der Aufnahme der Beschäftigung nicht gewußt habe, daß er auf Grund seiner körperlichen Konstitution die von ihm verlangten oder erwarteten Tätigkeiten nicht imstande sei zu verrichten, ohne hiedurch arbeitsunfähig zu werden.
Die Revisionswerberin übersieht bei dieser Argumentation zunächst, daß im Falle der Aufhebung einer Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung gemäß § 511 Abs 1 ZPO nicht nur die Gerichte, an welche die Sache zurückverwiesen wurde (also die Unterinstanzen), sondern auch der Oberste Gerichtshof selbst an seine im Aufhebungsbeschluß ausgedrückte Rechtsansicht gebunden ist (Kodek in Rechberger, ZPO Rz 1 zu § 511 mwN; Fasching IV 367 Anm 2 zu § 511; ders, Lehrbuch2 Rz 1957); Ausnahmen bestehen hiegegen nur, wenn in der Zwischenzeit die Rechtslage geändert wurde oder eine abweichende Entscheidung eines verstärkten Senates des Obersten Gerichtshofes ergangen ist (Kodek, aaO). Beides liegt hier nicht vor. Dazu kommt, daß der Oberste Gerichtshof - der ja nicht Tatsachen- sondern bloße Rechtsinstanz ist - an die vom Erstgericht getroffenen und vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen gebunden ist und ausschließlich diese der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen hat. Danach steht aber sowohl fest, daß die Tätigkeit der Klägerin als Heimpflegerin bereits ab Beginn ihrer Tätigkeit im Jahre 1985 zufolge ihres angeborenen Hüftleidens kalkülsüberschreitend war, als auch, daß keine der beiden Sprunggelenksverletzungen (insbesondere auch nicht die zweite vom Feber 1991) zu einer Verschlechterung dieses Hüftleidens führte und sie daher schon zum Zeitpunkt der Beendigung des (inzwischen rechtskräftig anerkannten) Krankenstandes ab dem 1.1.1991 bis zum neuerlichen Krankenstand auf Grund ihres zweiten Unfalles nur infolge des angeborenen Hüftleidens arbeitsunfähig war und auch eine schubweise Verschlechterung dieses Leidens in diesem Zeitraum nicht erweislich ist. Da die Pflichtversicherung der Klägerin - unstrittig - während des Krankenstandes (auf Grund des ersten Unfalles) am 1.1.1991 endete und sodann keine Pflichtversicherung bestand, hätte aber - wie von den Vorinstanzen zutreffend ausgeführt - der zweite Unfall als Versicherungsfall noch innerhalb der Dreiwochenfrist des § 122 Abs 2 Z 2 ASVG eintreten müssen, was jedoch nicht geschehen ist. Damit fehlt es aber an den Voraussetzungen für die Weitergewährung des Krankengeldes über den Zeitraum des 1.1.1991 hinaus, weshalb das darauf gerichtete Klagebegehren von den Vorinstanzen - zumal sämtliche der im Aufhebungsbeschluß relevierten Feststellungsmängel beseitigt wurden - zu Recht abgewiesen wurde. Die ausschließlich rechtspolitisch geführte Argumentation zu den seitens eines Versicherten unter Umständen frustriert erbrachten Beitragsleistungen ohne Anspruch auf Gegenleistung des Versicherers vermögen an diesem klaren, aus der Rechtsordnung abgeleiteten Ergebnis ebenfalls nichts zu ändern. Es soll jedoch nicht unerwähnt bleiben, daß die Klägerin Leistungen im Rahmen ihrer diversen Krankenbehandlungen sowie jedenfalls ab dem 26.9.1990 bis 1.1.1991 Krankengeld und in der Folge dann ab dem 23.5.1991 auch Arbeitslosengeld, also sehr wohl auch aus ihren Beiträgen finanzierte Versicherungsleistungen, bezogen und erhalten hat. Im übrigen ist - nochmals zur Vermeidung von Wiederholungen - auf die ausführliche Begründung des erkennenden Senates in seinem Aufhebungsbeschluß 10 ObS 246/93 (= SSV-NF 8/2) zu verweisen.
Der Revision konnte daher keine Folge gegeben werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.