JudikaturOGH

1Ob2086/96p – OGH Entscheidung

Entscheidung
23. April 1996

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem am 10.November 1994 verstorbenen Dr.Hermann P*****, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der pflichtteilsberechtigten Tochter Hofrat Dr.Sigrid P*****, vertreten durch Dr.Ulrich Polley, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen den Beschluß des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 22.Dezember 1995, GZ 1 R 350/95 36, womit der Beschluß des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 29.November 1995, GZ 24 A 1087/94 31, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung:

Zum Nachlaß des Verstorbenen gaben dessen in Marseille, Frankreich, lebender Bruder (im folgenden Erbe) aufgrund einer letztwilligen Anordnung sowie dessen in dieser letztwilligen Anordnung nicht bedachte Tochter (im folgenden Noterbin) auf Grund des Gesetzes bedingte Erbserklärungen ab.

Nach Zuweisung der Klägerrolle an sie für den Fall des Erbrechtsstreits zog sich die Tochter auf ihre Rolle als Nachlaßgläubigerin und Noterbin zurück und beantragte die Absonderung der Verlassenschaft sowie die Bestellung eines Absonderungskurators mit folgender Begründung: Das Verlassenschaftsvermögen bestehe insbesondere aus Bankguthaben und Sparbüchern. Drei dieser Sparbücher mit einem Einlagestand von zusammen rund 200.000 S würden vom Erben als dessen Eigentum mit der unrichtigen Behauptung beansprucht, der Verstorbene habe sie nur für ihn verwahrt, sie würden daher nicht in die Verlassenschaft fallen. Diese drei sowie drei weitere Sparbücher, die unbestrittenermaßen zur Verlassenschaft gehörten, befänden sich in Verwahrung des Gerichtskommissärs, weil sie die Noterbin bei diesem hinterlegt habe. Zum Verlassenschaftsvermögen gehöre weiters ua ein Guthaben bei der Schweizerischen Kreditanstalt in Zürich im Wert von rund 600.000 S, ein Sparbuch der Sparkasse Marseille, das sich vermutlich in Verwahrung des Erben befinde, und der Inhalt eines vom Verstorbenen bei der Kärntner Hypo Bank gemieteten Safes. Der Erbe habe seinen Wohnsitz in Marseille, habe kein Vermögen und auch keinen persönlichen Anknüpfungspunkt in Österreich. Mit der Transferierung des Nachlaßvermögens ins Ausland wäre die Realisierung der Ansprüche der Noterbin nicht nur erschwert, sondern auch in erheblichem Maß gefährdet, weil die Ansprüche in diesem Fall in Frankreich geltend gemacht oder zumindest dort realisiert werden müßten.

Das Erstgericht wies den Antrag im wesentlichen aus der Erwägung ab, daß die Nachlaßabsonderung in Ansehung bloß eines Teils des Nachlasses sowie für den unzulässig sei, der einen dinglichen Anspruch gegen den Nachlaß erhebe, so etwa wenn jemand ein Eigentumsrecht an einem Sparbuch behaupte. Wer um die Absonderung ansuche, müsse das Vorhandensein der Voraussetzungen des § 812 ABGB wenigstens behaupten; die Forderung müsse bescheinigt werden. Aus dem vorliegenden Sachverhalt, insbesondere der Niederschrift vom 2.Dezember 1994 ergebe sich, daß der Erbe sein Eigentumsrecht an mehreren Sparbüchern behaupte, in Ansehung derer die Noterbin von der Zugehörigkeit derselben zum Nachlaßvermögen ausgehe.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluß; es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstands 50.000 S übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Rechtlich vertrat die zweite Instanz die Auffassung, von der Besorgnis einer Gefährdung der Forderung der Noterbin könne keine Rede sein, weil sich die sechs Sparbücher ohnehin in Verwahrung des Gerichtskommissärs befänden. Daß der Noterbin ein sonstiges allfälliges Nachlaßvermögen als Haftungsfonds abhanden kommen könnte, sei nicht konkret behauptet, geschweige denn bescheinigt worden. Die Noterbin beschränke sich vielmehr darauf, vage von einem Guthaben bei der Schweizerischen Kreditanstalt, von einem Sparbuch der Sparkasse Marseille und vom Inhalt eines bei der Kärntner Hypo Bank gemieteten Safes zu sprechen. Dem Schreiben der Schweizerischen Kreditanstalt vom 19.November 1994 sei nicht zu entnehmen, ob der Erblasser überhaupt Kunde dieser Bank gewesen sei. Auch die übrigen behaupteten Vermögenswerte könnten dem Akt nicht entnommen werden.

Der außerordentliche Revisionsrekurs der Noterbin ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Besorgt u.a. ein Noterbe, daß er durch Vermengung der Verlassenschaft mit dem Vermögen des Erben für seine Forderung Gefahr laufen könne, so kann er vor der Einantwortung verlangen, daß die Erbschaft von dem Vermögen des Erben abgesondert, vom Gerichte verwahrt oder von einem Kurator verwaltet, sein Anspruch darauf vorgemerkt und berichtigt werde (§ 812 erster Satz ABGB). Noterben sind trotz Erbserklärung zur Absonderung berechtigt, wenn sie gemäß § 125 AußStrG auf den Rechtsweg verwiesen worden sind (SZ 25/223; Welser in Rummel 2 , § 812 ABGB Rz 11). Im vorliegenden Fall hat sich die Antragstellerin nach ihrer Erbserklärung und nach der Parteirollenverteilung „auf ihre Rolle als Nachlaßgläubigerin und Noterbin zurückgezogen“. An ihrer Antragslegitimation besteht daher kein Zweifel.

Das Wesen der Nachlaßabsonderung (Nachlaßseparation, separatio bonorum) liegt als Rest einer amtswegigen Fürsorge für die Erbschaftsgläubiger (NZ 1994, 116; SZ 65/113, SZ 56/28 = JBl 1983, 483 = RPflgSlgA 6468; EvBl 1976/137 = NZ 1977, 135 ua; Eccher in Schwimann , § 812 ABGB Rz 1) darin, sicherzustellen, daß das getrennt verwaltete Sondervermögen trotz Einantwortung ausschließlich zur Befriedigung der Absonderungsgläubiger verwendet wird, somit den Antragsberechtigten vor allen Gefahren zu schützen, die aus der tatsächlichen Verfügungsgewalt des Erben über den Nachlaß mit der darin liegenden Verquickung der vermögensrechtlichen Beziehungen entstehen können (SZ 65/113, SZ 61/131 = EFSlg 56.888, SZ 56/28 ua; Kropiunig , Ausgewählte Fragen der Nachlass Separation [1993] 65 f mwN in FN 28).

Richtig ist, daß die Absonderung immer nur in Ansehung des ganzen Nachlasses, niemals aber in Ansehung von Nachlaßteilen oder einzelner Nachlaßgegenstände bewilligt werden kann (RZ 1993/25 = EFSlg 69.003; JBl 1989, 173 = EFSlg 56.893; SZ 59/210 = EFSlg 51.421 ua; Welser aaO Rz 3; Weiß in Klang 2 III 1022; Kralik in Ehrenzweig 3 , Erbrecht 359), doch hat die antragstellende Noterbin ihren Antrag keineswegs auf einen solchen Teil des Nachlasses eingeschränkt, sondern nur zur Dartuung ihrer subjektiven Besorgnis gewisse Teile des Nachlasses aufgezählt. Der Hinweis des Erstgerichts auf dingliche Ansprüche gegen den Nachlaß, die kein Grund für eine Nachlaßabsonderung seien, geht deshalb fehl, weil die Noterbin keineswegs einen eigenen dinglichen Anspruch behauptet, sondern bloß zur Dartuung ihrer subjektiven Besorgnis auf einen behaupteten dinglichen Anspruch des Erben Bezug nimmt.

Daß sich der ganze Nachlaß oder bloß ein Teil schon in gerichtlicher Verwahrung befindet, ist entgegen der Auffassung des Rekursgerichts kein Hindernis für eine Nachlaßabsonderung ( Welser aaO Rz 4 mwN), zumal die rechtskräftige Einantwortung die gerichtliche Übergabe des Nachlasses hier ua der sechs vom Gerichtskommissär verwahrten Sparbücher - in den rechtlichen Besitz des Erben bewirkt (§ 797 ABGB), wogegen die Absonderung auch nach der Einantwortung fortdauert (SZ 38/205 ua). Entgegen der Auffassung der zweiten Instanz muß der Absonderungswerber auch nicht alle Vermögensbestandteile des Nachlasses detailliert dartun. Daß Nachlaßvermögen vorhanden ist und die Absonderung demnach nicht zwecklos ist (vgl Eccher aaO Rz 11), ergibt sich hier schon aus dem Vorhandensein der sechs Sparbücher. Die Bescheinigungspflicht des Gläubigers bezieht sich im übrigen auf die eigene, hier gar nicht in Zweifel gezogene (Pflichtteils)Forderung der Noterbin ( Welser aaO Rz 13). Bei dem in der letztwilligen Verfügung nicht bedachten Noterben reicht zur Erfüllung der Bescheinigungspflicht im übrigen der Hinweis auf die entsprechenden verwandtschaftlichen Beziehungen zum Erblasser (§ 762 ABGB) aus ( Kropiunig aaO 87).

Die Nachlaßseparation ist nicht an strenge Bedingungen zu knüpfen (EFSlg 75.347; SZ 65/113; ZfRV 1988, 132 = IPrax 1988, 36 mit Anm von Schwind 45; SZ 59/210 ua). Nach Lehre und ständiger Rechtsprechung genügt zur Bewilligung der Absonderung der Verlassenschaft vom Vermögen des Erben jede hinreichend motivierte Besorgnis des Antragstellers, daß der Erbe den Nachlaß und damit den Befriedigungsfonds für die Nachlaßforderung schmälern könnte. Besorgnis der Gefahr ist jedes hinreichend motivierte, auch bloß subjektive Bedenken (SZ 65/113; IPrax 1988, 36; EFSlg 51.423 ua; Welser aaO § 812 ABGB Rz 14 zu; Eccher aaO Rz 5); der Nachlaßgläubiger (Noterbe) muß dabei jene Umstände anführen, die bei vernünftiger Auslegung eine subjektive Besorgnis rechtfertigen. Ein Nachweis oder eine Bescheinigung dieser Gefahr ist aber nicht erforderlich (SZ 65/113, SZ 59/210, SZ 56/28 ua; Welser aaO Rz 13 f; Kralik aaO 359). Die Absonderung soll allen denkbaren Gefahren vorbeugen, die Gefahr der Vermengung des Nachlasses mit dem Vermögen des Erben ist nur als Beispiel einer Gefahr genannt (JBl 1978, 152 ua; Eccher aaO Rz 5 mwN). Die Möglichkeit der Verbringung des Nachlaßvermögens durch den in Frankreich wohnhaften Erben in dieses Land begründet eine solche Besorgnis, weil damit eine Erschwerung der Verfolgung und Vollstreckung der Ansprüche des Nachlaßgläubigers verbunden ist (RZ 1993/25; EvBl 1958/144 mwN; SZ 9/218; Welser aaO Rz 15; Kropiunig aaO 91).

Zum Schweizer Sparkonto des Erblassers, wozu nunmehr im außerordentlichen Revisionsrekurs Beilagen vorgelegt werden, muß nicht mehr Stellung genommen werden.

Da das Erstgericht den erbserklärten Erben als materiell Beteiligten zum Absonderungsantrag der Noterbin nicht gehört hat, eine solche Anhörung jedoch sofern dem Antrag nicht offenbar keine Berechtigung zukommt schon dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art 6 EMRK) zufolge geboten ist, sind die beiden vorinstanzlichen Entscheidungen aufzuheben. Das Erstgericht wird nach Verfahrensergänzung eine neuerliche Entscheidung zu treffen haben.

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