JudikaturOGH

10ObS215/95 – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. November 1995

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr.Manfred Dafert (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) und Dipl.Ing.Dr.Peter Israiloff (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Christine G*****, Rentnerin, ***** vertreten durch Dr.Peter Bock, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr.Vera Kremslehner, Dr.Josef Milchram und Dr.Anton Ehm, Rechtsanwälte in Wien, wegen Integritätsabgeltung infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 11.August 1995, GZ 8 Rs 77/95-57, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 2.September 1994, GZ 13 Cgs 207/93p-53, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Mit Bescheid vom 17.1.1990 anerkannte die Beklagte die Erkrankung, die sich die Klägerin als gemäß § 4 Abs 1 Z 1 ASVG unfallversicherte Schleiferin im Betrieb S***** AG in S***** zugezogen hat, gemäß § 177 ASVG Anlage 1 Nr 41 als Berufskrankheit. Als Zeitpunkt des Eintrittes des Versicherungsfalles stellte sie nach § 174 Z 2 ASVG April 1981 fest. Weiters sprach sie aus, daß der Klägerin vom 12.7.1988 bis 31.3.1989 eine Versehrtenrente von 80 vH der Vollrente samt Zusatzrente gebührte und daß ihr seit 1.4.1989 eine Vollrente samt Zusatzrente zusteht.

Mit Bescheid vom 10.7.1991 wies die Beklagte den Antrag der Klägerin vom 22.2.1991 auf Integritätsabgeltung wegen der Folgen dieser Berufskrankheit mit der Begründung ab, daß diese nicht durch grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften verursacht worden sei.

Das Erstgericht wies das auf eine Integritätsabgeltung im gesetzlichen Ausmaß gerichtete Klagebegehren ab, weil es die Rechtsansicht der Beklagten teilte.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und sprach aus, daß die Revision (nach § 46 Abs 1 ASGG) zulässig sei.

Das Gericht der zweiten Instanz erachtete die Rechtsrüge für nicht stichhältig, die damit bekämpfte rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes hingegen für zutreffend und begnügte sich unter Hinweis auf deren Richtigkeit mit einer kurzen Begründung seiner Beurteilung (§ 500a ZPO). Der Ausspruch, daß die Revision zulässig sei, ist kurz damit begründet, daß sich der Oberste Gerichtshof - soweit überblickbar - noch nicht mit der Frage der groben Fahrlässigkeit "im Zusammenhang mit der Kenntnis wissenschaftlicher Fachliteratur" beschäftigt habe.

In der (ordentlichen) Revision macht die Klägerin Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend; sie beantragt, die Urteile der Vorinstanzen im klagestattgebenden Sinn abzuändern; allenfalls das angefochtene Urteil aufzuheben.

Die Beklagte beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Ein Rechtsstreit über den Bestand und den Umfang eines Anspruches auf Integritätsabgeltung ist eine Sozialrechtssache im Sinne des § 65 Abs 1 Z 1 ASGG. Deshalb sind für das Rechtsmittelverfahren die §§ 44 bis 48 leg cit anzuwenden, und zwar, weil das Datum der Entscheidung der zweiten Instanz nach dem 31.12.1994 liegt, in der Fassung der ASGG-Nov 1994 BGBl 624 (Art X § 2 Z 7 dieser Nov). Da die Integritätsabgeltung nach § 213a Abs 2 ASVG als "einmalige Leistung" gewährt wird, gehörte sie nicht zu den "wiederkehrenden Leistungen in Sozialrechtssachen" im Sinne des § 45 Abs 4, § 46 Abs 3 und § 47 Abs 2 ASGG idF vor der genannten Nov (SSV-NF 8/1 mwN) und gehört auch nicht zu den "wiederkehrenden Leistungen in Sozialrechtssachen" im Sinne des § 46 Abs 3 Z 3 ASGG idF dieser Nov.

Gemäß § 46 Abs 1 ASGG ist die Revision nur zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist.

Nach dem gemäß § 2 Abs 1 ASGG auch in Sozialrechtssachen anzuwendenden § 508a Abs 1 ZPO ist das Revisionsgericht bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an einen Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden. § 500 Abs 2 leg cit ist zwar gemäß § 44 Abs 1 ASGG nicht anzuwenden, doch entspricht ihm inhaltlich dessen § 45 Abs 1. Der Oberste Gerichtshof kann die von der Klägerin erhobene ordentliche Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage zurückweisen; diese Zurückweisung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO; Kodek in Rechberger, ZPO Vor § 502 Rz 3).

Im vorliegenden Fall fehlt eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 46 Abs 1 ASGG.

Die Entscheidung hängt von der Lösung der Rechtsfrage des materiellen Rechts ab, ob die Berufskrankheit der Klägerin durch die grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften verursacht wurde (§ 213a Abs 1 ASVG). Diese Frage wurde von den Vorinstanzen verneint. Sie haben dabei die ständige Rechtsprechung auch des erkennenden Senates zum Begriff der groben Fahrlässigkeit (zB SSV-NF 6/61; 8/64, 111 und 122) berücksichtigt. Bereits in der erstgenannten E wurde darauf hingewiesen, daß bei Beurteilung des Verschuldensgrades jeweils die Umstände des Einzelfalles zu prüfen sind. Dieser Rechtssatz wurde in den E SSV-NF 8/64 und 111 ausdrücklich wiederholt. Im vorliegenden Fall kommt es also darauf an, ob das Verhalten der Unternehmensführung bzw deren Vertreter unter den vor etwa 25 Jahren gegebenen, heute aber schon längst überholten rechtlichen und tatsächlichen Bedingungen noch als leicht oder schon als grob fahrlässig zu beurteilen ist. Diese Rechtsfrage hat daher keine über diesen Einzelfall hinausgehende Bedeutung, wie dies im allgemeinen bei Entscheidungen über die Schwere des Verschuldens der Fall ist. Das Berufungsgericht hat sich im Rahmen der Grundsätze der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bewegt, die Rechtslage nicht verkannt und seine Entscheidung nur auf Grund der besonderen Umstände des Einzelfalles getroffen (Kodek in Rechberger, ZPO § 502 Z 3 mwN).

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