JudikaturOGH

12Os163/95 – OGH Entscheidung

Entscheidung
24. November 1995

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 24.November 1995 durch den Richter des Obersten Gerichtshofes Hofrat Dr.Rzeszut als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.E.Adamovic und Dr.Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Wietrzyk als Schriftführerin in der beim Landesgericht Linz zum AZ 30 EVr 1568/94 anhängigen Strafsache gegen Alexander A***** wegen des Verbrechens der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Personen unter achtzehn Jahren nach § 209 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz vom 24.Oktober 1995, AZ 8 Bs 354/95 (GZ 30 EVr 1568/94-48), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Alexander A***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Mit Strafantrag der Staatsanwaltschaft Linz vom 11.Jänner 1995 (ON 10) werden dem Beschuldigten Alexander A***** die Verbrechen der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Personen unter achtzehn Jahren nach § 209 StGB (1) und der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (2) sowie des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z 3 StGB (3) zur Last gelegt.

Darnach habe er in Linz

1.) im September 1993 und am 23.Februar 1994 mit Mario M*****, der das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, durch Vornahme eines Analverkehrs gleichgeschlechtliche Unzucht getrieben;

2.) am 23.Februar 1994 den Mario M***** durch die Äußerung: "Wennst nicht willst, dann machen wir es halt auf eine andere Art, laß dich ja nicht wieder im Volksgarten blicken, mach das ja nicht wieder, sondern suche dir eine ordentliche Arbeit", wobei er ihm Handfesseln anlegte, den Lauf einer (vor seinen Augen geladenen - 29) Pistole in den Mund steckte, sohin durch gefährliche Drohung mit dem Tod "zur Unterlassung weiterer Aufenthalte im Volksgarten" und zur Ausführung von "Liegestützen" (in unbekleidetem Zustand im Freien - 29 f) genötigt;

3.) am 23.Februar 1994 Mario M***** durch wiederholtes Hochziehen an den Hoden unter Zufügung besonderer Qualen "vorsätzlich in Form von erheblichen Schmerzen" an der Gesundheit geschädigt.

Nach dem auf Antrag des Staatsanwaltes in der Hauptverhandlung vom 21. April 1995 (119) zu den Voraussetzungen des § 21 Abs 2 StGB eingeholten psychiatrischen Sachverständigengutachten (ON 30) ist auf der Basis des Strafantrages die Persönlichkeitsentwicklung des Beschuldigten durch einen - als seelische Abnormität höheren Grades zu qualifizierenden - sexuellen Sadismus gekennzeichnet. Zur Prognose führte der psychiatrische Experte in der folgenden Hauptverhandlung vom 11.Oktober 1995 aus (195 f), daß die diagnostizierte sexuelle Abartigkeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in immer schnellerer Abfolge weitere sexuell-sadistische Handlungen mit erfahrungsgemäß gravierender werdenden Folgen erwarten lasse.

Daraufhin verhängte der Einzelrichter in der Hauptverhandlung nach einem darauf gerichteten Antrag des öffentlichen Anklägers über den Beschuldigten aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit a, b und c StPO die Untersuchungshaft (ON 39). Nach Durchführung einer Haftverhandlung am 25.Oktober 1995 (ON 46) ordnete er deren Fortsetzung bis längstens 27.November 1995 an.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen die Haftverhängung (siehe 239 verso) gerichteten Beschwerde des Beschuldigten gab das Oberlandesgericht Linz mit Beschluß vom 24. Oktober 1995 unter Ausschaltung des Haftgrundes nach § 180 Abs 2 Z 3 lit c StPO nicht Folge.

In seiner dagegen erhobenen Grundrechtsbeschwerde wendet Alexander A***** neben einer unrichtigen Beurteilung des Tatverdachtes vor allem ein, mangels Voruntersuchung und Einbringung einer Anklageschrift fehlten die in § 180 Abs 1 StPO für die Verhängung der Untersuchungshaft geforderten prozessualen Voraussetzungen; überdies bestünden gegen die Bestimmung des § 209 StGB verfassungsrechtliche Bedenken.

Die Beschwerde ist unbegründet.

Ihrer Auffassung zuwider kann zunächst keine Rede davon sein, daß die vom Gerichtshof zweiter Instanz - in subjektiver Hinsicht - unterstellte Richtigkeit der Zeugenaussage Melitta B***** den Wegfall des dringenden Tatverdachtes bedingt.

Abgesehen davon, daß sowohl Mario M***** als auch Melitta B***** in zeitlicher Beziehung nur den Tag (23.Februar 1994) genau bezeichneten, während sie im übrigen nur ungefähre Angaben machen konnten (22, 25, 41 und 47), ist zu berücksichtigen, daß selbst anscheinend exakte Zeitangaben von Zeugen nicht immer verläßlich sind und daher einer (allein dem Erkenntnisrichter vorzubehaltenden) kritischen Überprüfung nach unmittelbarer Beweisaufnahme bedürfen. Im konkreten Fall wird diese aber jedenfalls den Umstand miteinzubeziehen haben, daß die stundenmäßige Eingrenzung durch Mario M***** bereits wenige Tage nach dem 23.Februar 1994, durch Melitta B***** jedoch erst rund vier Monate später, nämlich am 1.Juli 1994 vorgenommen wurde.

Dazu kommt, daß die Aktenlage für die vom Beschuldigten zwar dezidiert behauptete - allerdings ausschließlich mit bloßen Vermutungen begründete - Verleumdung durch Mario M***** (37, 51), keine Anhaltspunkte bietet, und zwar weder in der Person des Zeugen M*****, der selbst gar keine Anzeige erstattet und seine stets gleichlautenden, teilweise durch Christian I***** gestützten Angaben auch bei mehreren Vernehmungen uneingeschränkt aufrecht erhalten hat, noch durch ein sonstiges Beweisergebnis.

Im Gegenteil: Das geschilderte Verhalten des Beschuldigten (zu 2 und 3), welches schon allein auf Grund des Fehlens einer logisch nachvollziehbaren Nötigungsmotivation dem typischen Erscheinungsbild einer sexuell-sadistischen Attacke entspricht, läßt auf Grund der zahlreichen und mit bloßen Phantasieauswüchsen verleumderischer Intentionen nicht schlüssig erklärbaren Sachverhaltsdetails ungeachtet des von Melitta B***** behaupteten Alibis die qualitative Beurteilung des Tatverdachtes durch das Oberlandesgericht nach der derzeitigen Aktenlage als zutreffend erscheinen. Dies umso mehr als sich das durch eine spezifisch einschlägige Vorstrafe wegen §§ 201 Abs 2, 202 Abs 1, 83, 84 Abs 2 Z 3; 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB

(13) geprägte Persönlichkeitsbild des Beschuldigten nahtlos in die hier aktuellen Verdachtsgrundlagen fügt.

Unrichtig ist ferner die Behauptung, § 180 Abs 1 StPO fordere für die Verhängung der Untersuchungshaft entweder die Führung einer Voruntersuchung oder die Einbringung einer Anklageschrift.

Abgesehen davon, daß die Gleichstellung von Anklageschrift und Strafantrag in der zitierten Bestimmung dem in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers entspricht (1157 BlgNR XVIII.GP, 12, 13), steht dieser Auslegung auch nicht - wie der Beschwerdeführer behauptet - die Regelung des § 181 Abs 3 StPO entgegen. Denn die dort vorgenommene Begriffsunterscheidung ist allein in der nur gegen eine Anklageschrift offenstehenden Einspruchsmöglichkeit (§§ 208 f StPO) begründet.

Die Auffassung des Beschwerdeführers beruht ersichtlich auf der irrigen Gleichsetzung von "Einbringung der Anklageschrift" (§ 207 Abs 1 StPO) einerseits und "Anklageerhebung" (§ 180 Abs 1 StPO) andererseits, die allerdings schon an §§ 484 Abs 1, 485 Abs 2 StPO scheitert.

Den schließlich behaupteten verfassungsrechtlichen Bedenken in Ansehung des § 209 StGB kommt nach Lage des Falles im Grundrechtsbeschwerdeverfahren schon deshalb keine Relevanz zu, weil die Untersuchungshaft über den Beschuldigten nicht wegen der Gefahr weiterer Delinquenz nach § 209 StGB, sondern wegen zu erwartender sexuell-sadistischer Angriffe (im Sinne der Straftaten laut Punkt 2 und 3 des Strafantrages) verhängt und fortgesetzt worden ist (ON 39 und ON 47).

Mangels Grundrechtsverletzung war die Beschwerde sohin ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.

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