JudikaturOGH

10ObS155/95 – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. September 1995

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter aus dem Kreis der Arbeitgeber Dr.Reinhard Drössler und Werner Jeitschko in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Josef A*****, vertreten durch Dr.Hans Pritz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, wegen vorzeitiger Alterspension bei Arbeitslosigkeit, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 5.September 1994, GZ 31 Rs 99/94-10, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes St.Pölten als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 22. September 1992, GZ 5 Cgs 190/92-4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie zu lauten haben:

"Das Klagebegehren auf vorzeitige Alterspension bei Arbeitslosigkeit gemäß § 131a GSVG im gesetzlichen Ausmaß ab 1.September 1991 besteht dem Grunde nach zu Recht.

Der Beklagten wird aufgetragen, dem Kläger für die Zeit ab 1.9.1991 bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheides eine vorläufige Zahlung von S 7.000,-- monatlich zu erbringen, und zwar die bis zur Rechtskraft fälligen vorläufigen Zahlungen binnen vierzehn Tagen, die weiteren am Monatsersten im vorhinein."

Die Beklagte hat dem Kläger binnen vierzehn Tagen die einschließlich S 676,48 Umsatzsteuer mit S 4.058,88 bestimmten Kosten der Revision zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 19.4.1932 geborene Kläger, der bei der beklagten Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft pensionsversichert war, stellte dort am 19.8.1991 den Antrag auf vorzeitige Alterspension bei Arbeitslosigkeit nach § 131a GSVG.

Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 19.6.1992 zum Stichtag 1.9.1991 mit der Begründung ab, daß der Versicherte das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet habe.

Das Begehren der rechtzeitigen Klage richtet sich auf die beantragte Leistung im gesetzlichen Ausmaß ab 1.9.1991. Der Kläger ist der Ansicht, daß das für männliche und weibliche Versicherte unterschiedliche Anfallsalter verfassungswidrig sei.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, weil es nach der verfassungsrechtlich unbedenklichen Rechtslage nicht begründet sei.

Außer Streit steht, daß der Kläger abgesehen vom Anfallsalter die Anspruchsvoraussetzungen für die beantragte Leistung zum Stichtag 1.9.1991 erfüllt hat.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, weil der Kläger (am Stichtag 1.9.1992) das 60.Lebensjahr noch nicht vollendet hatte.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es wendete die vom Kläger für verfassungswidrig gehaltene Gesetzesstelle an und erachtete die rechtliche Beurteilung auf dieser Grundlage als zutreffend.

In der Revision machte der Kläger unter dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend, daß § 131a Abs 1 GSVG in der anzuwendenden Fassung der 15. GSVGNov verfassungswidrig sei; er regte eine diesbezügliche Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof an und beantragt, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern oder die Urteile beider Vorinstanzen aufzuheben.

Die Beklagte erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Der erkennende Senat hatte gegen die Wortfolge "nach Vollendung des 60. Lebensjahres, die Versicherte" im § 131a Abs 1 Satz 1 GSVG in der am Stichtag, dem 1.9.1991, geltenden Fassung der 10. GSVGNov BGBl 1986/112 verfassungsrechtliche Bedenken. Er stellte daher mit Beschluß vom 31.1.1995, 10 Ob S 282/94 beim Verfassungsgerichtshof nach Art 89 Abs 3 B-VG den Antrag, gemäß Art 140 Abs 4 B-VG auszusprechen, daß die erwähnte Wortfolge in der genannten Fassung bis 30.11.1991 verfassungswidrig war.

Mit Erkenntnis vom 16.6.1995 G 32/95-7 gab der Verfassungsgerichtshof diesem Antrag statt. Da die angefochtene Bestimmung bloß allgemein nach dem Geschlecht unterschieden und Frauen als eine einheitliche Gruppe Männern gegenübergestellt habe, sei sie bis 30.11.1991 verfassungswidrig gewesen. Mit der am 1.12.1991 in Kraft getretenen Verfassungsbestimmung des Art I Bundesgesetz über unterschiedliche Altersgrenzen von männlichen und weiblichen Sozialversicherten BGBl 1991/627 sei ua auch die angefochtene Wortfolge für verfassungsrechtlich zulässig erklärt worden.

An diesen Spruch des Verfassungsgerichtshofes sind nach Art 140 Abs 7 Satz 1 B-VG alle Gerichte und Verwaltungsbehörden gebunden. Auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlaßfalles ist jedoch das Gesetz weiterhin anzuwenden, sofern der Verfassungsgerichtshof nicht in seinem aufhebenden Erkenntnis anderes ausspricht (Satz 2 leg cit) [SSV-NF 7/3].

Die vom Verfassungsgerichtshof für verfassungswidrig erklärte Wortfolge im § 131a Abs 1 Satz 1 GSVG ist daher im vorliegenden Fall nicht mehr anzuwenden. Für den Kläger genügt deshalb ausnahmsweise als Anfallsalter für die vorzeitige Alterspension bei Arbeitslosigkeit das 55. Lebensjahr, das er am Stichtag, dem 1.9.1991, erfüllt hatte (SSV-NF 7/3).

Da außer Streit steht, daß der Kläger die übrigen Anspruchsvoraussetzungen für die beantragte Leistung zum genannten Stichtag erfüllt hatte, besteht das Klagebegehren dem Grunde nach zu Recht. Deshalb sind die Urteile der Vorinstanzen unter Anwendung des § 89 Abs 2 ASGG wie aus dem Spruch ersichtlich abzuändern.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a und Abs 2 ASGG.

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