11Os103/95 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 22.August 1995 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Lachner als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr.Hager, Dr.Schindler, Dr.Mayrhofer und Dr.Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Tschugguel als Schriftführer, in der Strafsache gegen Ariane G***** wegen des Verdachtes des Vergehens der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen, AZ 2 d E Vr 9614/92 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, über die Beschwerde der Ariane G***** gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 12.Juni 1995, GZ 21 Ns 268/95-3, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Text
Gründe:
Ariane G***** wurde am 15.August 1992 auf Grund eines Haftbefehls des Untersuchungsrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Wien (ON 3/I) wegen des Verdachtes der Vergehen der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB, der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB, der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB und der Sachbeschädigung nach § 125 StGB verhaftet (37/I). Am 16.August 1992 verhängte die Journalrichterin des Landesgerichtes für Strafsachen Wien nach Einleitung der Voruntersuchung wegen des Verdachtes der obgenannten Delikte die Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 1 und 3 lit b und d StPO (3 verso, ON 10/I). Ariane G***** stand auf Grund der Erhebungen des Gendarmeriepostenkommandos Gablitz, insbesondere der Angaben des Anzeigers, des britischen Staatsangehörigen Miles T*****, zuletzt wohnhaft in ***** G*****, H*****gasse 20, im Verdacht, letzteren wiederholt die persönliche Freiheit entzogen, ihn eingesperrt, ihm nur zur Absolvierung von Einkäufen sowie zum Besuch des Kirchganges das Verlassen des genannten Wohnhauses (in dem auch sie sich unangemeldet aufhielt) ermöglicht und außerdem gedroht zu haben, falls er (Miles T*****) die am 10.August 1992 unter anderem (wegen ähnlicher Vorwürfe) gegen sie erstattete Anzeige wegen des Vergehens nach § 99 StGB nicht zurückziehe, werde sie (G*****) sich die Pulsadern aufschneiden und behaupten, sie sei von T***** vergewaltigt worden.
Nachdem die Beschuldigte in der Haftprüfungsverhandlung vom 28.August 1992 (ON 22/I) ihre Haftbeschwerde zurückgezogen hatte, wurde sie am 9. September 1992 gegen Anwendung gelinderer Mittel gemäß § 180 Abs 5 Z 1 3 und 5 StPO enthaftet (83/I).
Mit Strafantrag vom 7.September 1992 legte die Staatsanwaltschaft Wien Ariane G***** zur Last, in Gablitz im bewußten und gewollten Zusammenwirken als Mittäterin (mit Otfried S*****) (zu 1) Miles T***** in der Zeit vom 10.August 1992, 16 Uhr, bis 14.August 1992, 2,30 Uhr, im Haus H*****gasse 20 widerrechtlich gefangengehalten und dadurch die persönlichen Freiheit entzogen zu haben; (zu 2) durch nachstehende Äußerungen zu Handlungen, und zwar a) am 10.August 1992 durch die Äußerung, wenn er die Anzeige vom 2.August 1992 beim Gendarmerieposten Gablitz nicht binnen zwölf Stunden zurückziehe, werde "verschiedenes gegen ihn unternommen", zur Rückziehung dieser Anzeige zu nötigen versucht; b) am 11.August 1992 zur Unterfertigung eines Dokumentes, wonach er seine Angaben vor der Gendarmerie nicht wahrheitsgemäß gemacht habe und er dies bedauere, wobei Ariane G***** ein ca 30 cm langes Küchenmesser in Händen hielt und äußerte "sie werde sich die Pulsadern aufschneiden und behaupten, daß Miles T***** sie zu vergewaltigen versucht habe" genötigt und hiedurch (zu 1.) das Vergehen der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB und (zu 2.) das Vergehen der teils vollendeten, teils versuchten Nötigung nach §§ 105 Abs 1 und 15 StGB begangen zu haben (ON 26/I).
In der Hauptverhandlung vom 1.Oktober 1993 (ON 70 a/II) dehnte der Staatsanwalt den Strafantrag gegen Ariane G***** wegen der Vergehen der Vernachlässigung einer Person unter achtzehn Jahren nach § 92 Abs 2 StGB und Vereitelung behördlich angeordneter Erziehungsmaßnahmen nach § 196 Abs 1 StGB aus (35 g/II). Nach Vertagung der Hauptverhandlung am 14.April 1994 (ON 91/II) und Einholung weiterer Erhebungsergebnisse zog der Staatsanwalt den Strafantrag zurück, worauf das Verfahren am 4.Juli 1994 gemäß § 227 Abs 1 StPO beendet wurde (ON 101/II).
Rechtliche Beurteilung
Mit Beschluß vom 28.Februar 1995 sprach das Landesgericht für Strafsachen Wien aus, daß Ariane G***** mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 2 Abs 1 lit b StEG für ihre strafgerichtliche Anhaltung kein Ersatzanspruch zusteht (ON 117/II).
Der dagegen erhobenen Beschwerde, in der von der Beschwerdeführerin erstmals behauptet wurde, die Verhängung der Untersuchungshaft sei von vornherein ungerechtfertigt gewesen, gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluß vom 18.Mai 1995 nicht Folge (ON 124/II).
In Erledigung des in der Beschwerde enthaltenen Antrages (ON 120/II) entschied das Oberlandesgericht gemäß § 6 Abs 1 StEG mit Beschluß vom 12. Juni 1995, AZ 21 Ns 268/95, daß der Genannten auch nach § 2 Abs 1 lit a StEG ein Ersatzanspruch nicht zustehe.
Der dagegen vorliegenden Beschwerde kommt keine Berechtigung zu.
Dem Einwand, daß die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien von "ausgeschlossenen" Senatsmitgliedern getroffen worden sei, weil diese schon zuvor an der Entscheidung zum AZ 21 Bs 103/95 mitgewirkt hätten, ist vorerst zu erwidern, daß die Ausschließungsgründe im Gesetz taxativ aufgezählt sind und nach ständiger Rechtsprechung eine Ausdehnung auf andere als die in den §§ 67 ff StPO ausdrücklich angeführten Gründe im Weg der Analogie nicht in Betracht kommt (EvBl 1992/33, 1988/153 und die dort angeführte Literatur und Judikatur). Soweit die Beschwerdeführerin behauptet, daß aus diesem Grund kein "unparteiisches Gericht" über ihren Antrag nach § 2 Abs 1 lit a StEG entschieden habe (sinngemäß damit die Befangenheit der Senatsmitglieder behauptend), genügt die Erwiderung, daß allein aus dem Tätigwerden der Richter des Oberlandesgerichtes, die in gleicher Senatsbesetzung über die Beschwerde der Genannten gegen die Ablehnung der Zuerkennung einer Haftentschädigung nach § 2 Abs 1 lit b StEG erkannt haben, eine Befangenheit (im Sinn des § 72 StPO) nicht abgeleitet werden kann; darüberhinaus wurden konkrete Umstände in Richtung einer Befangenheit nicht dargetan.
Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin war sie zur Zeit ihrer Festnahme sowie der Verhängung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft einer bestimmten Straftat (im Sinn des § 177 Abs 1 StPO) hinreichend und (im Sinn des § 180 Abs 1 StPO) dringend verdächtig, ebenso lagen die angezogenen Haftgründe vor. Wie das Oberlandesgericht zutreffend darlegte, ergab sich der dringende Verdacht in Richtung der in Rede stehenden Vergehen aus der Aussage des Zeugen T***** im Zusammenhang mit den Gendarmerieerhebungen, wobei gerade der Umstand, daß die (über längere Zeit währende) Freiheitsentziehung bereits am 9.August 1992 dem Journalstaatsanwalt angezeigt worden war, das angezeigte Verhalten fortgesetzt und der Geschädigte daraufhin genötigt worden sein soll, die Anzeige zurückzuziehen, die Dringlichkeit des Tatverdachtes zu erhärten vermochte. Aus dem Umstand, daß gegen Ariane G***** hinsichtlich der Vorfälle bis zur Anzeige vom 9.August 1992 kein Haftantrag gestellt worden war, kann im Hinblick auf die ihr danach angelasteten Vorfälle eine gesetzwidrige Anordnung ihrer Anhaltung nicht abgeleitet werden.
Der Behauptung der Verweigerung ausreichender Rechtfertigungsmöglichkeiten anläßlich der Einvernahme vor der Journalrichterin ist zu erwidern, daß die gemäß § 180 Abs 1 StPO vorgeschriebene Vernehmung der Beschuldigten zur Sache und zu den Voraussetzungen der Untersuchungshaft in einem solchen Umfang zu erfolgen hat, daß der Untersuchungsrichter die für die konkrete Haftentscheidung maßgeblichen tatsächlichen Umstände beurteilen kann. Diesen Voraussetzungen wurde die vorliegende Vernehmung der Beschuldigten vom 16.August 1992 (ON 9/I) nach Lage des Falles gerecht.
Soweit die Beschwerde damit argumentiert, bereits anläßlich der Vorführung zum Untersuchungsrichter am 19.August 1992 habe dieser das (schon vorliegende) Einverständnis der Staatsanwaltschaft zu einer Enthaftung gegen Gelöbnis mitgeteilt, woraus sich ergebe, daß es von vornherein an einem entsprechenden Tatverdacht gegen sie gefehlt habe, sodaß ihre Untersuchungshaft gesetzwidrig gewesen sei, übersieht sie, daß bei Prüfung der - unter dem Aspekt des § 2 Abs 1 lit a StEG allein maßgebenden - Frage, ob die Verhängung der Untersuchungshaft dem Gesetz entsprach, ausschließlich auf den Erhebungsstand zum Zeitpunkt dieser Verhängung (und nicht etwa auf den endgültigen Ausgang des Verfahrens) abzustellen ist (NRsp 1988/11, 15 Os 21/91). Im entscheidenden Zeitpunkt aber war die Beschwerdeführerin - wie bereits ausgeführt - nach dem Stand der Erhebungen dringend tatverdächtig. Ebenso lagen die angezogenen Haftgründe vor. Den Beschwerdeeinwänden zuwider konnte das Oberlandesgericht nämlich zu Recht davon ausgehen, daß der Haftgrund der Fluchtgefahr zutreffend auf die Auslandskontakte der Beschuldigten und den Umstand gestützt wurde, daß sie anläßlich ihrer Vernehmung vor dem Untersuchungsrichter (ON 9/I) als ihren letzten Wohnsitz W***** bezeichnete sowie andere, nicht näher angeführte Wohnsitze, zu welchen G***** nicht gehörte, und in Österreich nur fallweise beschäftigt war, jener der Tatbegehungsgefahr hinwieder auf die Tatwiederholung (nach erfolgter Anzeigeerstattung) und den (unangemeldeten) Aufenthalt im Wohnhaus des Genötigten.
Zur Beurteilung der Haftgründe ist ergänzend darauf zu verweisen, daß es genügt, daß sie nach der Aktenlage mit derselben höheren Wahrscheinlichkeit indiziert sind, die auch für den dringenden Tatverdacht zu fordern sind. Daher können für die Beurteilung der Haftgründe auch solche Umstände herangezogen werden, die sich aus dem - seinerseits erst des Schuldbeweises bedürftigen - Tatvorwurf ergeben.
Wenn letztlich vorgebracht wird, daß die Enthaftung unter Anwendung gelinderer Mittel, nämlich des Nachweises eines Wohnortes im Inland, nicht zum frühestmöglichen Zeitpunkt erfolgt sei, genügt die Erwiderung, daß die von der Beschuldigten als Unterkunftsgeber genannten Personen vorerst nicht bereit waren, Ariane G***** aufzunehmen, sodaß letztlich erst das Einverständnis der Katharina T*****, die Beschwerdeführerin in ihrer Wohnung Aufenthalt nehmen zu lassen (83/I), die Enthaftung gegen Gelöbnis möglich gemacht hat.
Der sonach zur Gänze unbegründeten Beschwerde war ein Erfolg zu versagen.