10ObS123/95(10ObS124/95) – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr.Helmut Szongott (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Peter Pulkrab (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in den verbundenen Sozialrechtssachen der klagenden Partei mj.Alil M*****, vertreten durch die Mutter Ana M*****, ebendort, vertreten durch Dr.Christian Prem und Dr.Michael Mathes, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr.Vera Kremslehner, Dr.Josef Milchram und Dr.Anton Ehm, Rechtsanwälte in Wien, wegen Integritätsabgeltung infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 10.März 1995, GZ 34 Rs 144/94-22, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 3.August 1994, GZ 3 Cgs 330/93b-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Beklagte hat dem Kläger binnen vierzehn Tagen die einschließlich 633,75 S Umsatzsteuer mit 3.802,50 S bestimmten halben Kosten der Revision zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Bescheid vom 10.11.1993 anerkannte der beklagte Träger der Unfallversicherung den Unfall, den der Kläger am 15.1.1992 als nach § 8 Abs 1 Z 3 lit h ASVG in der Unfallversicherung teilversicherter Schüler einer Wiener Hauptschule erlitten hat, nach § 175 Abs 4 leg cit als Arbeitsunfall (Abs 1) und sprach aus, daß dem Kläger nach § 212 Abs 3 ASVG entsprechend einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 40 vH ein Versehrtengeld von 24.658 S gebühre (Abs 2). Der letztgenannte Absatz des Bescheides trat durch die rechtzeitig erhobene Klage außer Kraft, deren Begehren sich auf ein Versehrtengeld entsprechend einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 80 vH richtete.
Mit Bescheid vom 9.12.1993 lehnte der beklagte Träger der Unfallversicherung die Gewährung einer Integritätsabgeltung (§ 213a ASVG) wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 15.1.1992 ab.
Dieser Bescheid trat durch eine weitere rechtzeitige Klage zur Gänze außer Kraft, mit der der Kläger eine Integritätsabgeltung im gesetzlichen Ausmaß begehrte.
Die Beklagte beantragte die Abweisung beider Klagebegehren und wendete gegen das zweite ein, daß kein Integritätsschaden von mindestens 50 vH vorliege.
Das Erstgericht verband die beiden Prozesse zur gemeinsamen Verhandlung und entschied sie mit einem gemeinsamen Urteil, in dem es beide Klagebegehren abwies.
Es stellte fest, daß die Folgen des Unfalls vom 15.1.1992 über drei Monate nach dem Eintritt des Versicherungsfalles hinaus nur eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 40 vH verursacht haben. Deshalb sei das auf ein Versehrtengeld unter Zugrundelegung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 80 vH gerichtete Begehren nicht berechtigt. Eine Integritätsabgeltung stehe schon deshalb nicht zu, weil der Grad des Integritätsschadens nicht - wie im § 1 Abs 1 der Richtlinien der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt über die Leistung einer Integritätsabgeltung gefordert - mindestens 50 vH sondern nur 40 vH betrage.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und bestätigte das erstgerichtliche Urteil mit der Maßgabe, daß es dem Kläger ein Versehrtengeld von 24.658 S entsprechend einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 40 vH zuerkannte, das auf ein höheres Versehrtengeld gerichtete Mehrbegehren und das Begehren auf eine Integritätsabgeltung hingegen aus der für zutreffend erachteten Begründung des Erstgerichtes abwies. Das Berufungsgericht sprach aus, daß die Revision hinsichtlich der Integritätsabgeltung (nach § 46 Abs 1 ASGG) zulässig sei.
Die Revision des Klägers richtet sich nur gegen den die Integritätsabgeltung betreffenden Teil des Berufungsurteils. Sie macht unrichtige rechtliche Beurteilung (der Sache) geltend und beantragt, die Urteile der Vorinstanzen durch Zuerkennung der Integritätsabgeltung abzuändern.
Die Beklagte beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nach § 46 Abs 1 ASGG zulässig; sie ist jedoch im Ergebnis nicht berechtigt.
"Wurde der Arbeitsunfall... durch die grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften verursacht und hat der Versicherte dadurch eine erhebliche und dauernde Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Integrität erlitten, so gebührt, wenn wegen der Folgen dieses Arbeitsunfalls...auch ein Anspruch auf Versehrtenrente (§ 203 Abs 1) besteht, eine angemessene Integritätsabgeltung" (§ 213a Abs 1 ASVG).
Dem Revisionswerber gebührt schon deshalb keine Integritätsabgeltung, weil wegen der Folgen seines Arbeitsunfalls kein Anspruch auf Versehrtenrente nach § 203 Abs 1 ASVG besteht: Ua für gemäß § 8 Abs 1 Z 3 lit h ASVG in der Unfallversicherung teilversicherte Schüler richtet sich der Anspruch auf Versehrtenrente nicht nach § 203 Abs 1 leg cit. Wegen Arbeitsunfällen dieser Personen besteht nämlich nach Abs 2 leg cit nur dann Anspruch auf Versehrtenrente, wenn die dadurch bewirkte Minderung der Erwerbsfähigkeit über drei Monate hinaus mindestens 50 vH beträgt; die Versehrtenrente gebührt für die Dauer der Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 50 vH. Beim Kläger beträgt diese Minderung jedoch nach den Feststellungen der Tatsacheninstanzen lediglich 40 vH, so daß er wegen der Folgen seines Arbeits(Schul)unfalls zwar einen Anspruch auf Versehrtengeld nach § 212 Abs 3 ASVG, aber keinen Anspruch auf Versehrtenrente hat.
Schon mangels dieser gesetzlichen Anspruchsvoraussetzung für die Integritätsabgeltung (§ 213a Abs 1 ASVG; Tomandl in Tomandl, SV-System 7.ErgLfg 343f; Grillberger, österreichisches Sozialrecht2, 71; Pöltner, Die Integritätsabgeltung in der gesetzlichen UV DRdA 1990, 152 [154]) wurde das diesbezügliche Begehren zu Recht abgewiesen.
Daß ua nach § 8 Abs 1 Z 3 lit h ASVG in der Unfallversicherung teilversicherte Schüler in mehrfacher Hinsicht anders behandelt werden als zB vollversicherte Dienstnehmer, ist ua dadurch begründet, daß es sich bei Schülern um noch nicht in das Erwrebsleben eingeordnete Personen handelt, die für ihren Unfallversicherungsschutz auch noch keine Beiträge leisten müssen. Als Beitrag für diese Teilversicherten hat nämlich nach § 74 Abs 5 ASVG die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt zuzüglich zu dem aus Mitteln des Familienlastenausgleichsfonds zu leistenden Beitrag jährlich den Betrag bereitzustellen, der zur Deckung des Aufwandes der Unfallversicherung für diese Personen notwendig ist. Hingegen entfällt zB von den allgemeinen Beiträgen für Vollversicherte in der Unfallversicherung der gesamte Beitrag auf den Dienstgeber (§ 51 Abs 3 ASVG). Ua diese tatsächlichen Unterschiede lassen es verfassungsrechtlich unbedenklich erscheinen, daß Schüler im Leistungsrecht der Unfallversicherung teilweise anders behandelt werden als etwa Dienstnehmer.
Ob gegen die von der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt erlassenen Richtlinien über die Leistung einer Integritätsabgeltung, bei denen es sich übrigens - entgegen der Rechtsansicht des Revisionswerbers - um eine Rechtsverordnung handelt (6.12.1994, 10 Ob S 89/94), aus dem Grund der Gesetzwidrigkeit Bedenken bestehen, muß im vorliegenden Fall nicht erörtert werden, weil der Oberste Gerichtshof diese Richtlinien nicht angewendet hat.
Obwohl der Kläger im Revisionsverfahren zur Gänze unterlag, ist ihm im Hinblick auf die rechtlichen Schwierigkeiten des Verfahrens sowie unter Bedachtnahme auf seine anzunehmenden beschränkten finanziellen Verhältnisse nach § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG der Ersatz der halben verzeichneten Revisionskosten zuzubilligen.