6Ob571/95 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Redl, Dr.Kellner, Dr.Schiemer und Dr.Prückner als weitere Richter in der Familienrechtssache des Erstantragstellers Roger L*****, Angestellter, ***** und der Zweitantragstellerin Marinetta L*****, Angestellte, ***** beide vertreten durch Erich Heiger, Dr.Helmut Heiger, Rechtsanwälte in Wien, wegen Ehescheidung und Ausspruches nach § 98 EheG, infolge Revisionsrekurses der M***** AG, ***** vertreten durch Dr.Raimund Gehart, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgerichtes vom 30.November 1994, AZ 47 R 2205/94 (ON 8), womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Liesing vom 15.September 1994, GZ 1 C 176/94-3, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben; der Beschluß des Rekursgerichtes wird dahin abgeändert, daß er lautet:
"Der Antrag der Parteien, gemäß § 98 EheG mit Wirkung für den Gläubiger M***** AG auszusprechen, daß aus dem zwischen der M***** AG als Leasinggeberin und den beiden Antragstellern als Leasingnehmer abgeschlossenen, vorzeitig aufgelösten Restwertleasingvertrag Konto-Nr.8-0118228-002/9-021, ursprüngliche Höhe S 152.000,--, derzeit angeblich aushaftend mit rund S 185.000,-- Roger L***** Hauptschuldner, Marinetta L***** lediglich Ausfallsbürgin ist, wird abgewiesen".
Text
Begründung:
Die Ehe der beiden Antragsteller wurde mit Beschluß des Erstgerichtes vom 15.9.1994 gemäß § 55a EheG geschieden. Laut Scheidungsvergleich vom selben Tag übernahm der Erstantragsteller die Forderung der M***** AG gegen die Ehegatten aus dem seitens des Leasinggebers vorzeitig aufgelösten Restwertleasingvertrag, ursprüngliche Höhe S 152.000,--, derzeit aushaftend mit rund S 185.000,-- als Hauptschuldner zur alleinigen Rückzahlung und verpflichtete sich, die Zweitantragstellerin diesbezüglich schad- und klaglos zu halten. Das Erstgericht sprach über Antrag der beiden Antragsteller mit Beschluß vom 15.9.1994 aus, daß der Ehemann Roger L*****, der sich im Rahmen des Scheidungsvergleiches zur alleinigen Rückzahlung des von der M***** AG gewährten Kredites in Höhe von derzeit rund S 185.000,-- mehr oder weniger verpflichtet hat, in Beziehung auf diesen Kredit Hauptschuldner ist, während der Ehefrau Marinetta L***** die Stellung einer Ausfallsbürgin zukommt.
Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs der M***** AG, welche geltend machte, der konkrete Leasingvertrag sei nach seiner Ausgestaltung nicht als "Kreditverbindlichkeit" im Sinne des § 98 EheG anzusehen, die Elemente eines Mietvertrages seien vielmehr überwiegend, keine Folge.
Es qualifizierte den Leasingvertrag als Finanzierungs-Leasing, aus welchem sich die Elemente eines (Raten )Kauf- und Kreditvertrages ablesen ließen. Da § 98 EheG nicht nur auf Bankverbindlichkeiten abstelle, sondern vielmehr Kreditverbindlichkeiten aus allen Verträgen erfasse, in denen die Leistungspflicht des einen Partners gegenüber der des anderen hinausgeschoben sei, wie etwa bei Ratengeschäften, sei der Leasingvertrag § 98 EheG zu unterstellen.
Das Rekursgericht sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000,-- übersteige, der ordentliche Revisionsrekurs jedoch mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 14 Abs.1 AußStrG nicht zulässig sei.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil die Vorinstanzen die zwingenden Vorschriften des IPRG nicht beachtet haben, er ist im Ergebnis auch berechtigt:
Nach dem Inhalt des Scheidungsaktes steht fest, daß beide Antragsteller französische Staatsbürger sind. Nach § 2 IPRG sind die für die Anknüpfung an eine bestimmte Rechtsordnung maßgebenden tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen von Amts wegen festzustellen, soweit nicht nach verfahrensrechtlichen Vorschriften in einem der Rechtswahl zugänglichen Sachgebiet tatsächliches Parteivorbringen für wahr zu halten ist. Die §§ 2 bis 4 IPRG ordnen die volle Amtswegigkeit der gesamten kollisionsrechtlichen Beurteilung an und zwar unabhängig von entsprechenden Parteianträgen, soweit nicht Rechtswahl zulässig ist, sogar gegen den Parteiwillen. Die amtswegige Prüfung der Rechtsanwendungsfrage ist auch noch im Rechtsmittelverfahren durchzuführen, wenn eine Rechtsrüge erhoben wurde (Schwimann in Rummel2 Rz 1 zu § 2 IPRG mwN).
Die Voraussetzungen und die Wirkungen der Scheidung einer Ehe sind nach § 20 Abs.1 IPRG nach dem für die persönlichen Rechtswirkungen der Ehe maßgeblichen Recht im Zeitpunkt der Ehescheidung zu beurteilen. Diese Bestimmung unterstellt "Voraussetzungen" und "Wirkungen" der Ehescheidung demselben Recht, knüpft also grundsätzlich alle Scheidungsfolgen, die sich für die persönlichen und finanziellen Rechtsbeziehungen der Ehegatten ergeben, einheitlich an. Von der Anknüpfung der Scheidungswirkungen bestehen dort Ausnahmen, wo die Wirkungen integrierende Bestandteile des Anwendungsbereiches spezieller Verweisungsnormen sind, wie etwa die namensrechtlichen Scheidungsfolgen nach § 13 oder die Wiederverheiratungsmöglichkeit nach § 17 IPRG. Während Schwimann (aaO Rz 1a zu § 20 IPRG) die dem Scheidungsstatut unterfallenden Scheidungswirkungen auf die Ehebande und die persönlichen Ehewirkungen, insbesondere den nachehelichen Unterhalt, die gesonderte Entscheidung über die Verschuldensfrage und die vermögensrechtliche Liquidierung der früheren persönlichen Ehewirkungen, zB in Form eines Ausgleiches für Gattenmitarbeit, des Widerrufes von Ehegattenschenkungen oder der Verteilung von ehelichem Gebrauchsvermögen und der Ehewohnung beschränkt, die nachträgliche Verteilung der ehelichen Ersparnisse als gleichheitsbedingte Korrektur der Gütertrennung aber dem Güterrechtsstatut des § 19 IPRG unterstellt, lehrt Schwind (IPR Rz 265), daß alle vermögensrechtlichen Fragen, die zwischen geschiedenen Ehegatten nicht durch Ehepakte oder solchen gleichzusetzende notarielle Vereinbarungen geregelt sind, wie etwa die Verteilung der ehelichen Ersparnisse, Scheidungsfolgen seien, die nicht § 19, sondern § 20 IPRG unterliegen.
Im hier zu beurteilenden Fall ist diese unterschiedliche Anknüpfung aber nicht entscheidend, weil die beiden Antragsteller französische Staatsbürger waren und sind - ein Statutenwechsel während der Ehe ist nicht hervorgekommen, somit anknüpfend an das gemeinsame Personalstatut jedenfalls französisches Recht anzuwenden ist. Dieses bestimmt in Art.310 CC (gesetzliche Konflikte bei Ehescheidung und Trennung von Tisch und Bett): Ehescheidung und Trennung von Tisch und Bett richten sich nach französischem Recht, wenn beide Ehegatten die französische Staatsangehörigkeit haben, wenn beide Ehegatten ihren Wohnsitz auf französischem Gebiet haben, wenn kein ausländisches Recht sich für anwendbar erklärt und französische Gerichte zur Entscheidung über die Ehescheidung oder die Trennung von Tisch und Bett zuständig sind. Für die beiden Antragsteller kommt als französische Staatsbürger nach den Verweisungsnormen des österreichischen IPR und mangels Rückverweisung daher französisches Scheidungsfolgenrecht (Art.263 ff CC) zur Anwendung. Danach kann bei einer Ehescheidung aus Verschulden einer der Ehegatten verpflichtet werden, dem anderen eine Leistung zu erbringen, die dazu bestimmt ist, soweit wie es möglich ist, die Ungleichheit auszugleichen, welche die Auflösung der Ehe unter den jeweiligen Lebensbedingungen schafft (Ausgleichsleistungen, sei es in Form einer Kapitalzuwendung von Ratenzahlungen, Nießbrauch oder Zahlung einer Rente). Bei einvernehmlicher Scheidung setzen die Eheleute den Betrag und die Art und Weise der Ausgleichsleistungen in einem vorzulegenden Vertrag fest, den sie der richterlichen Genehmigung unterstellen. Der Richter kann die Genehmigung der Vereinbarung ablehnen, wenn sie die Rechte und Pflichten der Eheleute unbillig festsetzt. Eine dem § 98 EheG (oder § 87 Abs.2 EheG hinsichtlich der Ehewohnung) vergleichbare Regelung, daß der Richter in vertragliche Rechte Dritter, in welcher Form auch immer, eingreifen kann, ist dem französischen Scheidungsfolgenrecht fremd. Da das österreichische Gericht, das die einvernehmlich beantragte Scheidung französischer Staatsbürger ausspricht, französisches Scheidungsfolgenrecht anzuwenden hat, fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage, eine - inter partes zwar zulässige, aber nicht als Scheidungsfolgenregelung gerichtlich anerkannte - Vereinbarung der Scheidungspartner über die Aufteilung ihrer Schulden und die Rückzahlung von Kreditverbindlichkeiten mit Wirkung zu Lasten Dritter auszustatten und solcher Art in bestehende Vertragsverhältnisse mit Dritten zu deren Nachteil einzugreifen. § 98 EheG stellt eine in die Privatautonomie eingreifende Regelung im Rahmen des Scheidungsfolgenrechtes zu Lasten eines Dritten dar. Sieht das anzuwendende Scheidungsfolgenrecht eine solche Regelung nicht vor, ist es unentscheidend, daß sie nach dem Recht, dem die im Rahmen der nachehelichen Auseinandersetzung zu regelnde Obligation unterliegt (Mietverhältnis, Kreditverhältnis), zulässig wäre (§ 98 EheG).
Dem Revisionsrekurs der Gläubigerbank war aus diesem Grund im Ergebnis Folge zu geben, ohne daß darauf einzugehen war, ob der in concreto abgeschlossene Leasingvertrag als Kreditverbindlichkeit im Sinne des § 98 EheG zu qualifizieren ist.