JudikaturOGH

10ObS282/94 – OGH Entscheidung

Entscheidung
31. Januar 1995

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter aus dem Kreis der Arbeitgeber Dr.Dietmar Strimitzer und Theodor Kubak in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Josef A*****, vertreten durch Dr.Hans Pritz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, wegen vorzeitiger Alterspension bei Arbeitslosigkeit infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 5.September 1994, GZ 31 Rs 99/94-10, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes St.Pölten als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 22. September 1992, GZ 5 Cgs 190/92-4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Oberste Gerichtshof stellt beim Verfassungsgerichtshof nach Art 89 Abs 3 B-VG den

Antrag,

gemäß Art 140 Abs 4 B-VG auszusprechen, daß im § 131 a Abs 1 Satz 1 BG 11.10.1978 BGBl 560 über die Sozialversicherung der in der gewerblichen Wirtschaft selbständig Erwerbstätigen (Gewerbliches Sozialversicherungsgesetz - GSVG) in der am Stichtag, dem 1.9.1991 geltenden Fassung der 10. GSVGNov BGBl 1986/112 die Wortfolge "nach Vollendung des 60. Lebensjahres, die Versicherte" bis 30.11.1991 verfassungswidrig war.

Text

Begründung:

1. Sachverhalt:

Der am 19.4.1932 geborene Kläger, der bei der beklagten Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft pensionsversichert ist, stellte dort am 19.8.1991 den Antrag auf vorzeitige Alterspension bei Arbeitslosigkeit nach § 131 a GSVG.

Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 19.6.1992 zum Stichtag 1.9.1991 mit der Begründung ab, daß der Versicherte das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet habe.

Das Begehren der rechtzeitigen Klage richtet sich auf die beantragte Leistung im gesetzlichen Ausmaß ab 1.9.1991. Der Kläger ist der Ansicht, daß das für männliche und weibliche Versicherte unterschiedliche Anfallsalter verfassungswidrig sei.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, weil es nach der verfassungsrechtlich unbedenklichen Rechtslage nicht begründet sei.

Außer Streit steht, daß der Kläger abgesehen vom Anfallsalter die Anspruchsvoraussetzungen auf die beantragte Leistung zum Stichtag 1.9.1991 erfüllt hat.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, weil der Kläger das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet habe.

In der Berufung machte der Kläger unrichtige rechtliche Beurteilung geltend; er beantragte, das Berufungsgericht möge beim Verfassungsgerichtshof die Prüfung der Verfassungsgemäßheit des § 131 a GSVG idF des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 1991 BGBl 1991/157 beantragen und (sodann) das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern, allenfalls aufheben.

Mit Beschluß vom 22.2.1993, 31 Rs 2/93-9 stellte das Berufungsgericht beim Verfassungsgerichtshof den Antrag, im § 131 a Abs 1 GSVG idF des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 1991 BGBl 157 die Wortfolge "nach Vollendung des 60. Lebensjahres, die Versicherte" als verfassungswidrig aufzuheben oder auszusprechen, daß in der angeführten Bestimmung diese Wortfolge in der Zeit vom 1.4. bis 30.11.1991 verfassungswidrig war.

Der Verfassungsgerichthof wies diesen Antrag mit Beschluß vom 21.6.1994, G 45/93-6 als unzulässig zurück. Es sei denkunmöglich, daß das Berufungsgericht § 131 a Abs 1 GSVG in der bekämpften Fassung anzuwenden hätte. Diese Bestimmung sei durch das Sozialrechts-Änderungsgesetz 1991 weder novelliert noch neu erlassen worden.

Nunmehr gab das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil der Berufung des Klägers nicht Folge.

Es verneinte offenbar, daß der Verfassungsgerichtshof die im zurückgewiesenen, nicht abgewiesenen Gesetzesprüfungsantrag geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 131 a Abs 1 GSVG nicht geteilt hätte, wendete diese Gesetzesstelle daher an und erachtete auf dieser Grundlage die rechtliche Beurteilung als zutreffend.

Rechtliche Beurteilung

In der Revision macht der Kläger unter dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung (der Sache) geltend, daß § 131 a Abs 1 GSVG in der anzuwendenden Fassung der 15. GSVGNov verfassungswidrig sei; er regt eine diesbezügliche Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof an und beantragt, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern oder die Urteile beider Vorinstanzen aufzuheben.

Die Beklagte erstattete keine Revisionsbeantwortung.

2. Präjudizialität:

Der Oberste Gerichtshof hat bei der Erledigung der in der fristgerecht erhobenen und nach § 46 Abs 3 ASGG jedenfalls zulässigen Revision geltend gemachten Rechtsrüge zu prüfen, ob der Kläger seit 1.9.1991 Anspruch auf eine vorzeitige Alterspension bei Arbeitslosigkeit nach § 131 a ASVG hat. Das Revisionsgericht hat diese Bestimmung daher in der aus dem Antrag ersichtlichen Fassung anzuwenden.

Er hat jedoch gegen die Anwendung einer Wortfolge dieser in dieser Fassung bereits außer Kraft getretenen Gesetzesstelle folgende

3. verfassungsrechtliche Bedenken:

Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis 6.12.1991 G 223/88 ua JBl 1991, 372 = DRdA 1991, 380 = ÖJZ 1991, 358 = ZAS 1992, 61 ua im § 253b Abs 1 ASVG die Wortfolge "nach Vollendung des 60. Lebensjahres, die Versicherte" aufgehoben und ausgesprochen, daß die Aufhebung mit Ablauf des 30.11.1991 in Kraft tritt. Ein weiteres Erkenntnis ist zur wortgleichen Wortfolge im § 131 Abs 1 GSVG ergangen (2.12.1992 G 172/92 ua). Der Verfassungsgerichtshof war der Ansicht, daß diesen bloß nach dem Geschlecht differenzierenden Regelungen die sachliche Rechtfertigung fehlt, so daß sie den Gleichheitsgrundsatz verletzen.

Die Verfassungsgemäßheit der entsprechenden Wortfolge im § 131 a Abs 1 GSVG wurde vom Verfassungsgerichtshof bisher noch nicht geprüft. Gegen sie sprechen jedoch nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes dieselben Bedenken, die zu den früheren Aufhebungen geführt haben. Auch diese Bestimmung des GSVG verstößt gegen den Gleichheitsgrundsatz. Auch sie unterscheidet nämlich bloß nach dem Geschlecht und stellt Frauen als einheitliche Gruppe Männern gegenüber. Die unterschiedliche Regelung des Pensionsalters ist auch deshalb bedenklich, weil sie mit Regelungen für Pensionssysteme, welche die gesetzliche Pensionsversicherung ergänzen (zB das Betriebspensionsgesetz), nicht im Einklang stehen.

Ohne Einfluß auf die Verfassungsgemäßheit der angefochtenen Bestimmung ist für die Zeit des hier als Stichtag in Betracht kommenden 1.9.1991 das Bundesgesetz BGBl 1991/627 über unterschiedliche Altersgrenzen von männlichen und weiblichen Sozialversicherten. Nach dessen im Rang einer Verfassungsbestimmung stehendem Art I sind zwar gesetzliche Regelungen, die unterschiedliche Altersgrenzen von männlichen und weiblichen Versicherten der gesetzlichen Sozialversicherung vorsehen, zulässig. Diese Bestimmung trat aber nach Art IV erst mit 1.12.1991 in Kraft. Da die Rückwirkung nicht angeordnet wurde und nach der Begründung des IA 251 BlgNR 18. GP 2 ("für den erwähnten Zeitraum") im übrigen auch nicht beabsichtigt war, kann dieses Gesetz die Verfassungsgemäßheit einer Bestimmung für einen vor seinem Inkrafttreten gelegenen Zeitraum nicht bewirken. Hätte der Gesetzgeber dies gewollt, hätte er eine Rückwirkung ausdrücklich anordnen müssen.

Wegen dieser verfassungsrechtlichen Bedenken hat der Antrag des Obersten Gerichtshofes an den Verfassungsgerichtshof nach Art 89 Abs 3 B-VG die Entscheidung zu begehren, daß die Wortfolge "nach Vollendung des 60. Lebensjahres, die Versicherte" im § 131 a Abs 1 Satz 1 GSVG in der bereits außer Kraft getretenen Fassung der 10. GSVGNov BGBl 1986/112 bis 30.11.1991 verfassungswidrig war.

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