10ObS244/94 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Herbert Vesely (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Werner Fendrich (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Frieda R*****, Pensionistin, ***** vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr.Anton Paul Schaffer, Rechtsanwalt in Wien, wegen vorzeitiger Alterspension, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 7.Juli 1994, GZ 8 Rs 56/94-8, womit das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 22.Dezember 1993, GZ 33 Cgs 230/93g-4, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Die am 29.12.1936 geborene Klägerin bezog seit 1.1.1992 von der beklagten Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten eine vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer. Am 1.6.1992 nahm sie eine über die gesetzliche Geringfügigkeitsgrenze hinausgehende unselbständige Erwerbstätigkeit bei jenem Dienstgeber auf, bei dem sie diese Tätigkeit während der letzten sechs Monate vor dem Stichtag 1.1.1992 überwiegend ausgeübt hatte. Daraufhin entzog ihr die Beklagte mit Bescheid vom 15.6.1992 die vorzeitige Alterspension mit 1.6.1992. Am 2.6.1993 beantragte sie neuerlich die Leistung der vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer ab 1.7.1993. In dem daraufhin durchgeführten Erhebungsverfahren teilte der letzte Arbeitgeber der Klägerin der Beklagten mit, daß sie vom 1.6. bis 30.11.1992 bei ihm als Buchhalterin beschäftigt gewesen sei. Eine ebensolche Auskunft erhielt die Beklagte auch aus der zentralen Datenspeicherung des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger. Daraufhin erließ die Beklagte den nunmehr angefochtenen Bescheid vom 23.7.1993, mit dem sie den Anspruch der Klägerin auf vorzeitige Alterspension ab 1.12.1992 anerkannte und die Pensionshöhe mit S 5.783,20, ab 1.1.1993 mit S 6.014,50 festsetzte. Dabei wurden 446 Versicherungsmonate und eine Bemessungsgrundlage von S 7.913 zugrunde gelegt.
In ihrer rechtzeitig dagegen erhobenen Klage behauptet die Klägerin, sie habe den Pensionsantrag per 1.7.1993 gestellt; die Beklagte habe in dem Bescheid weder die besten 15 Versicherungsjahre bei der Bildung der Bemessungsgrundlage noch die Zeiten der Kindererziehung und den Versicherungsmonat Dezember 1992, in dem sie sozialversicherungspflichtig erwerbstätig gewesen sei, berücksichtigt.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Stichtag für die Ermittlung des Leistungsanspruches sei der 1.1.1992 gewesen, gleichgültig ob die Klägerin ihre nachfolgende Erwerbstätigkeit am 30.11. oder 31.12.1992 beendet habe. Zu diesem Stichtag seien weder nachfolgende Versicherungszeiten noch die besten 15 Versicherungsjahre oder Zeiten der Kindererziehung zu berücksichtigen gewesen.
Das Erstgericht sprach der Klägerin die bereits mit dem angefochtenen Bescheid zuerkannte Leistung neuerlich zu (also eine vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer ab 1.12.1992) und wies das darüber hinausgehende Mehrbegehren ab. Es stellte fest, daß die Klägerin vom 1.6. bis 31.12.1992 beschäftigt gewesen ist und führte in rechtlicher Hinsicht aus, daß die durch die 51.ASVG-Novelle getroffene Regelung nur für Personen mit Stichtag 1.1. bis 1.6.1993 gelte (§ 551 Abs 7 ASVG). Der Stichtag der Klägerin sei jedoch der 1.1.1992: Dies ergebe sich daraus, daß ihr erstmals ab diesem Zeitpunkt die vorzeitige Alterspension gewährt und lediglich vorübergehend (1.6. bis 30.11.1992) gemäß § 99 ASVG entzogen worden sei. Selbst wenn die Klägerin bis 31.12.1992 beschäftigt gewesen wäre, sei ihr die Alterspension ab 1.12.1992 zu gewähren, da ihr nicht eine schlechtere Leistung als im angefochtenen Bescheid zugesprochen werden dürfe.
Das Berufungsgericht gab der von der Klägerin erhobenen Berufung Folge; es hob das erstgerichtliche Urteil, das hinsichtlich des Zuspruches der Alterspension für Dezember 1992 als unbekämpft unberührt blieb, insoweit auf, als es der Klägerin eine Alterspension bei langer Versicherungsdauer ab 1.1.1993 zuerkannte. Insoweit verwies das Berufungsgericht die Sozialrechtssache an das Erstgericht zurück. Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof erklärte es für zulässig. In rechtlicher Hinsicht führte es aus:
Der Anspruch einer nach dem ASVG versicherten Person auf Leistung der vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer (damals noch Altersrente bei langer Versicherungsdauer) sei 1960 eingeführt worden (BGBl 1960/294). Der maßgebliche § 253b Abs 3 ASVG habe bestimmt, daß die Rente mit dem Tage wegfalle, an dem der Versicherte eine selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit aufnehme. Sei die Rente aus diesem Grund weggefallen und habe die Erwerbstätigkeit geendet, so habe die Rente auf die dem Träger der Pensionsversicherung erstattete Anzeige im früher gewährten Ausmaß wieder aufgelebt. In der Begründung des damaligen Initiativantrages (334 BlgNR 9.GP) sei erwähnt worden, daß die Rente wegfallen solle, wenn nach ihrem Anfall eine Erwerbstätigkeit aufgenommen werde. Im Gefolge der Aufhebung der Ruhensbestimmungen (§ 94 ASVG) durch den Verfassungsgerichtshof sei die Rechtslage auch hinsichtlich der vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer ab 1.4.1991 mit dem Sozialrechts-Änderungsgesetz 1991 grundlegend geändert worden. So sei unter anderem als weitere Anspruchsvoraussetzung normiert, daß der Versicherte innerhalb von sechs Monaten ab dem Stichtag keine die Pflichtversicherung begründende unselbständige Erwerbstätigkeit bei jenem Dienstgeber ausüben dürfe, bei dem diese Tätigkeit während der letzten sechs Monate vor dem Stichtag überwiegend ausgeübt worden war (§ 253 b Abs 1 lit e ASVG idF BGBl 1991/157). Die Aufnahme einer solchen Erwerbstätigkeit während des sechsmonatigen Zeitraumes nach dem Stichtag sei als besonderer Pensionsentziehungsgrund bestimmt worden (§ 99 Abs 3 Z 3 ASVG idF BGBl 1991/157; vgl SSV-NF 6/19), nach dessen Wegfall für die dann auf neuerlichen Antrag zu gewährende Alterspension bei langer Versicherungsdauer ein neuer Stichtag, und zwar der Zeitpunkt des Wegfalles des Entziehungsgrundes, wenn er auf einem Monatsersten gefallen war, sonst der dem Wegfall folgende Monatserste gelten sollte (§ 223 Abs 2 Satz 3 ASVG idF BGBl 1991/157). Der Wegfall und das - antragsfreie - Wiederaufleben der Pension wegen Aufnahme und Aufgabe einer sonstigen Erwerbstätigkeit sei von dieser speziellen Neuregelung insofern berührt worden, als die Aufnahme der Erwerbstätigkeit beim bisherigen Dienstgeber in den ersten sechs Monaten nach dem ursprünglichen Stichtag aus dem Anwendungsbereich dieser generellen Bestimmung herausgefallen sei und zur Entziehung der Pension und allenfalls zu einem neuen Stichtag geführt habe. Da als Entziehungsgrund ausdrücklich der Beginn der bestimmten Erwerbstätigkeit normiert worden sei, könne als Wegfall dieses Entziehungsgrundes nach der Wortbedeutung nur das Ende der bestimmten Erwerbstätigkeit und nicht etwa auch das Ende der sechsmonatigen "Sperrzeit" verstanden werden. Mit der insoweit ab 1.7.1993 wirksamen
51. ASVG-Novelle (BGBl 1993/335) seien die 1991 eingeführten §§ 99 Abs 3 Z 3, 223 Abs 2 dritter Satz und 253 b Abs 1 lit e ASVG wieder beseitigt worden. Das ganze Pensionsentziehungs- und Wiedergewährungsverfahren einschließlich der Festlegung eines neuen Stichtages sei weggefallen. Es sei zur Rechtslage vor dem SRÄG 1991 zurückgekehrt worden, wonach die Aufnahme jeder unselbständigen, die Geringfügigkeitsgrenze übersteigenden Erwerbstätigkeit die Alterspension bei langer Versicherungsdauer in Wegfall gebracht und das Ende dieser Erwerbstätigkeit die Pension im früher gewährten Ausmaß ohne Stichtagsänderung wieder aufleben lassen habe. Als Übergangsregelung sei dabei normiert worden, daß bei Personen mit Stichtag 1.1. bis 1.6.1993, bei denen Kindererziehungszeiten nach der ab 1.7.1993 geltenden Rechtslage für die Pension zu berücksichtigen gewesen wären, wenn diese Rechtslage bereits am 1.1.1993 in Kraft gestanden wäre, die Pension von Amts wegen aufgrund der am 1.7.1993 geltenden Rechtslage (gesamtes Bemessungsrecht) neu zu bemessen sei (§ 551 Abs 7 ASVG idF der 51.Novelle).
Im vorliegenden Fall sei die den Alterspensionsentziehungsgrund bildende unselbständige Erwerbstätigkeit der Klägerin mit 31.12.1992 weggefallen. Nach der damaligen Rechtslage sei ihr auf Antrag die Pension berechnet auf der Basis des neuen Stichtages 1.1.1993 wieder zu gewähren gewesen. Da die Klägerin aufgrund dieser Rechtslage nunmehr den Stichtag 1.1.1993 aufgewiesen habe, sei die Übergangsregelung des § 551 Abs 7 ASVG zum Tragen gekommen, weshalb ihre Pension nach der am 1.7.1993 geltenden Rechtslage neu bemessen werden hätte müssen. § 551 Abs 7 ASVG sei daher auf die Klägerin anzuwenden. Es stehe aber nicht fest, wieviel Kinder die Klägerin geboren und erzogen habe, ob sonst die gesetzlichen Voraussetzungen im Sinne der 51.Novelle gegeben seien und welcher Versicherungszeitraum zur Bildung der Bemessungsgrundlage heranzuziehen sei. Die Sache sei daher nicht spruchreif.
Gegen diesen Aufhebungsbeschluß richtet sich der Rekurs der beklagten Partei mit dem Antrag auf Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils.
Die Klägerin erstattete keine Rekursbeantwortung.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist nach § 47 Abs 2 ASGG zulässig. Er ist aber nicht berechtigt.
Die Rekurswerberin führt im wesentlichen aus, sie habe mit dem angefochtenen Bescheid der Klägerin zutreffend ab 1.12.1992 die vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer gewährt, weil die Klägerin eine Arbeitsbestätigung vorgelegt habe, nach welcher sie bis 30.11.1992 als Buchhalterin beschäftigt gewesen sei. Erst in der Klage habe sie angeführt, daß ihr Dienstverhältnis erst per 31.12.1992 geendet habe. Durch die Klage sei jedoch der Bescheid außer Kraft getreten; das Gericht habe nun über den von der Klägerin gestellten Antrag neu abzusprechen. Das Erstgericht habe der Klägerin die Pension ab 1.12.1992 zuerkannt. Das Berufungsgericht habe hingegen den neuen Stichtag 1.1.1993 festgelegt, obwohl es den Zuspruch der Pension für Dezember 1992 als unberührt geblieben bezeichnet habe. Der Zuspruch einer Pension mit 1.12.1992 und die Annahme eines Stichtages mit 1.1.1993 seien nicht miteinander vereinbar. Das Berufungsgericht hätte aber keinesfalls einen neuen Stichtag annehmen dürfen, da der Stichtag mit 1.12.1992 bereits feststehe und zwischenzeitlich auch kein neuer Antrag bei der Beklagten gestellt worden sei. In einem Versicherungsfall könne es nicht zwei Stichtage geben.
Diesen Ausführungen ist im Ergebnis nicht zu folgen. Das Berufungsgericht hat zutreffend dargelegt, daß es im Fall der Klägerin zu dem neuen Stichtag 1.1.1993 kam, weil nach den unbekämpften erstgerichtlichen Feststellungen die den Pensionsentziehungsgrund bildende unselbständige Erwerbstätigkeit nicht mit 30.11., sondern mit 31.12.1992 weggefallen ist. Nach der zu diesem Zeitpunkt geltenden Rechtslage (die Änderung dieser Rechtslage durch die 51.ASVG-Novelle wurde erst mit 1.7.1993 wirksam) war ihr auf Antrag die Alterspension bei langer Versicherungsdauer berechnet auf der Basis des neuen Stichtages 1.1.1993 wieder zu gewähren. Nach § 223 Abs 2 letzter Satz ASVG idF vor der 51.Novelle war Stichtag nach der Entziehung einer Leistung gemäß § 99 Abs 3 Z 2 bzw 3, unabhängig vom Zeitpunkt der Antragstellung, der Zeitpunkt des Wegfalls des Entziehungsgrundes, wenn er auf einen Monatsersten fiel, sonst der dem Wegfall folgende Monatserste. Da also der neue Stichtag vom Zeitpunkt des Antrages unabhängig ist, steht auch die hier vertretene Auffassung nicht mit dem Wesen der sukzessiven Kompetenz im Widerspruch. Es trifft zu, daß die Beklagte im Zeitpunkt der Bescheiderlassung vom Wegfall der Beschäftigung mit 30.11.1992 auszugehen und deshalb einen Stichtag mit 1.12.1992 anzunehmen hatte. Ausgehend von den unbekämpften Feststellungen war dieser Stichtag jedoch materiell unrichtig, da das Beschäftigungsverhältnis der Klägerin erst am 31.12.1992 endete. Entgegen den Rekursausführungen liegen daher auch nicht zwei neue Stichtage vor, sondern nur ein einziger, nämlich der 1.1.1993. Wohl trifft es zu, daß nach dieser Auffassung der Klägerin die vorzeitige Alterspension für den Monat Dezember 1992 nicht gebühren würde. Die Zuerkennung der Pension ab 1.12.1992 durch das Erstgericht erfolgte daher - materiell - zu Unrecht. Die Klägerin hatte mit ihrer Berufung das erstgerichtliche Urteil seinem gesamten Inhalte nach angefochten und die Abänderung dahin beantragt, ihr die Pension ab dem 1.1.1993 zu gewähren. Es kann nunmehr dahingestellt bleiben, ob die Auffassung des Berufungsgerichtes, das erstgerichtliche Urteil sei hinsichtlich des Zuspruches der Pension für Dezember 1992 als unbekämpft unberührt geblieben, tatsächlich zutrifft; zumindest im nunmehrigen Verfahrensstadium ist davon auszugehen, daß der Zuspruch der Pension für Dezember 1992 in Rechtskraft erwachsen ist. Die sich aus der prozessualen Dispositionsfreiheit der Parteien ergebende, wenn auch materiell unrichtige Zuerkennung des Pensionsanspruches für Dezember 1992 vermag nichts daran zu ändern, daß der aufgrund der Sach- und Rechtslage richtige Stichtag 1.1.1993 der nunmehrigen Pensionsberechnung zugrundezulegen ist.
Dem Rekurs der Beklagten war daher ein Erfolg zu versagen.