10ObS257/94 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Fritz Stejskal (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr.Ingrid Schwarzinger (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Rosa E*****, ohne Beschäftigung,***** vertreten durch Dr.Johannes Grund und Dr.Wolf D. Polte, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 6.September 1994, GZ 12 Rs 79/94-36, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 22.Juni 1994, GZ 4 Cgs 20/93i-29, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die am 12.6.1944 geborene Klägerin kann seit dem Stichtag (1.9.1992) leichte Arbeiten, hauptsächlich im Sitzen, das von kurzfristigem Stehen und Gehen unterbrochen werden kann, verrichten; kurzfristig kann sie bis zu 5 kg schwere Gegenstände tragen und bis zu 10 kg schwere Gegenstände heben. Nicht zumutbar sind Arbeiten in Kälte und Nässe, auf Leitern und Gerüsten sowie solche, die mit Treppensteigen, häufigem Bücken oder besonderem Streß (zB Fließband- oder Schichtarbeit, häufige Überstunden, belastende Kommunikation, hohe Anforderungen an die Entscheidungsfähigkeit, Eigeninitiative und Verantwortung) verbunden sind. Bei Arbeiten, die den vorgenannten Voraussetzungen entsprechen, sind keine zusätzlichen Arbeitspausen erforderlich. Trotz der schwere Arthrose des linken oberen Sprunggelenks ist der Klägerin durch eine gute orthopädische Versorgung und Ruhigstellung mit einem hohen Abrollfeststellschuh ein Fußweg von jeweils über 500 m zur oder von der Arbeitsstätte oder zur oder von der Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels, das sie ebenso benützen kann wie private Verkehrsmittel, zumutbar. Bei Überlastung und Überanstrengung kann eine mechanisch-entzündliche Aktivierung der erwähnten Arthrose auftreten. Eine solche macht die vorübergehende Ruhigstellung des betroffenen Gelenks und lokale sowie allgemeine antiphlogistische Maßnahmen (Umschläge, Eispackungen, Salbenapplikationen und die Einnahme entsprechender Medikamente) notwendig und bewirkt Krankenstände, die sich über zwei bis drei Wochen erstrecken können. Da die Frequenz derartiger mechanisch-entzündlicher Exacerbationen nicht vorausgesagt werden kann, ist es auch nicht möglich festzustellen, wie viele Krankenstände während eines Jahres auftreten werden. Die Arbeitsfähigkeit der Klägerin reicht für eine Tätigkeit im erlernten und zuletzt ausgeübten Beruf einer kaufmännischen Angestellten, zB als Buchhalterin für einfachere Buchhaltungstätigkeiten, Sachbearbeiterin im Ein- und Verkauf, Verwaltungstätigkeiten in Personalabteilungen und Liegenschaftsverwaltungen, aus.
Das Erstgericht wies das auf eine Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1.9.1992 gerichtete Klagebegehren ab, weil es die Klägerin nicht als berufsunfähig iS des § 273 Abs 1 ASVG erachtete.
Das Berufungsgericht gab der ua auch wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der Klägerin nicht Folge.
Es führte ua aus, daß die (beim Gehen) auftretenden Wackelbewegungen durch den orthopädischen Schuh nicht zur Gänze verhindert würden, weshalb durch diesen Behelf eine gänzliche Beschwerdefreiheit nicht erreichbar sei. Eine Gewöhnung an die Schmerzen könne jedoch so weit gehen, daß diese erst wieder bei einer Überlastung registriert würden. Es könnten auch schmerzstillende Medikamente eingenommen werden. Schmerzen könnten zwar nach ihrer Häufigkeit, Heftigkeit und Dauer sowie medikamentösen Beeinflußbarkeit für die Frage der Arbeitsfähigkeit von maßgeblicher Bedeutung sein und im Einzelfall sogar eine geregelte Arbeit überhaupt ausschließen. Das sei aber bei der Klägerin noch nicht der Fall, deren Schmerzen ihr weder die Wege zum und vom Arbeitsplatz noch eine ihrer (eingeschränkten) Arbeitsfähigkeit entsprechende Berufstätigkeit unzumutbar machen würden. Die Meinung der Berufswerberin, einem Versicherten, der Schmerzen verspüre, seien allgemein weder die Wege zum und vom Arbeitsplatz noch eine geregelte Arbeitstätigkeit zumutbar, sei unrichtig.
In der Revision wiederholt die Klägerin ihre Rechtsrüge und beantragt, die Urteile der Vorinstanzen im klagestattgebenden Sinn abzuändern oder sie allenfalls aufzuheben.
Die Beklagte erstattet keine Revisionsbeantwortung.
Rechtliche Beurteilung
Das Rechtsmittel ist nach § 46 Abs 3 ASGG zulässig; es ist aber nicht berechtigt.
Die rechtliche Beurteilung des festgestellten Sachverhaltes durch das Berufungsgericht ist richtig (§ 48 ASGG). Wie die Revisionswerberin selbst erkennt, sind ihr die Wege zur und von der Arbeitsstätte trotz dabei allenfalls auftretender (erträglicher) Schmerzen noch zumutbar. Solche Schmerzen können nach den Beweisergebnissen übrigens nicht nur im Zusammenhang mit der Berufsausübung, sondern ebenso im Privatleben auftreten. Auch die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Krankenstände erreichen nicht die Grenze, die nach der Rechtsprechung arbeitsunfähig macht. Unter diesen Umständen kann nicht gesagt werden, daß die Arbeitsfähigkeit der Klägerin infolge ihres Gesundheitszustandes auf weniger als die Hälfte derjenigen einer körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken wäre. Nach den rechtlich zu beurteilenden Feststellungen der Tatsacheninstanzen kann sie ihre Arbeitsstätte unter zumutbaren Bedingungen erreichen und ihrer eingeschränkten Arbeitsfähigkeit entsprechende Tätigkeiten, die zum Berufsfeld ihres erlernten und zuletzt ausgeübten Berufes als kaufmännische Angestellte gehören, ohne Einschränkungen ausüben. Es kann daher keine Rede davon sein, daß sie ihre Arbeitsfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr verwerten könnte und von diesem aus gesundheitlichen Gründen ausgeschlossen wäre. Deshalb gilt sie nicht als berufsunfähig iS des § 273 Abs 1 ASVG.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.