4Ob564/94 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Niederreiter, Dr.Redl und Dr.Griß als weitere Richter in der Rechtssache der widerklagenden Partei Alois W*****, vertreten durch Dr.Robert Kerschbaumer, Rechtsanwalt in Lienz, wider die widerbeklagte Partei Dr.Klaus V*****, wegen S 712.377,14 sA, infolge Revisionsrekurses des Klägers gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Rekursgericht vom 26.August 1994, 2 R 479/94-6, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Lienz vom 28.Juli 1994, 2 C 977/94f-3, bestätigt wurde, den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird aufgetragen, unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund das gesetzliche Verfahren über die Widerklage einzuleiten.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Der Kläger hat dem Beklagten am 12.8.1987 einen Alleinvermittlungsauftrag für den Verkauf der Liegenschaft EZ 143 KG T*****, Gerichtsbezirk L***** (= T*****, L*****straße 96) erteilt. Im November 1990 wurde mit Franz G***** und Brigitte O***** ein Kaufvertrag abgeschlossen. Franz G***** und Brigitte O***** klagten den Kläger zu 6 Cg 337/93g des Landesgerichtes Innsbruck auf Zuhaltung des Kaufvertrages. Diesem Verfahren trat der Beklagte zuerst auf Seiten des Klägers und Liegenschaftsverkäufers, dann auf Seiten der Liegenschaftskäufer als Nebenintervenient bei. Das Verfahren endete durch einen Vergleich, in dem die Kosten des Nebenintervenienten nicht berücksichtigt wurden.
Am 14.6.1994 brachte der Beklagte zu 2 C 784/94y des Bezirksgerichtes Lienz eine Klage gegen Franz G*****, Brigitte O***** und den Kläger ein. Er begehrt, die Beklagten zur ungeteilten Hand schuldig zu erkennen, ihn von einer Forderung der Rechtsanwälte Dr.Jakob O***** Dr.Johannes H***** zu befreien. Ein weiteres Befreiungsbegehren richtet sich gegen Franz G***** und Brigitte O***** zur ungeteilten Hand und ein drittes Begehren gegen den Kläger. Eventualiter begehrt der Beklagte die Zahlung jener Forderungsbeträge, welche Gegenstand der Befreiungsbegehren sind. Sämtliche Begehren betreffen Kosten, die dem Beklagten durch seine Nebenintervention im Verfahren 6 Cg 337/93g des Landesgerichtes Innsbruck entstanden sind.
Mit der vorliegenden am 21.7.1994 eingebrachten Widerklage begehrt der Kläger vom Beklagten S 712.377,14 sA. Er macht Schadenersatz- und Bereicherungsansprüche geltend. Der Beklagte habe als Immobilienmakler beim Verkauf seines Wohnhauses T*****, L*****straße 96 schuldhaft vollmachtslos gehandelt und den Kläger durch arglistige Irreführung dazu gebracht, ihm rechtsgrundlos eine Provision zu zahlen.
Das Erstgericht wies die Widerklage a limine zurück. Eine Widerklage sei (unter anderem) nur dann zulässig, wenn die Prozeßparteien mit denen des Vorprozesses, wenn auch mit vertauschten Parteirollen, identisch seien. Der Kläger sei nur einer der drei Beklagten des Vorprozesses; es fehle daher an der für die Widerklage notwendigen Parteienidentität. Aus anderen Zuständigkeitstatbeständen lasse sich die Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes nicht ableiten, weil der Streitwert S 100.000 übersteige.
Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes. Es sprach aus, daß der Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
Es fehle nicht nur an der notwendigen Parteienidentität, sondern auch an einem engen Sachzusammenhang mit dem Vorprozeß. Im vorliegenden Verfahren gehe es um den zwischen den Streitteilen zustande gekommenen Vermittlungsvertrag; Gegenstand des Vorverfahrens seien Prozeßverhalten und "Auftragserteilungen" der Liegenschaftskäufer und des Klägers gewesen, die zur Nebenintervention des Beklagten im Prozeß auf Zuhaltung des Kaufvertrages geführt hätten. Klage- und Widerklageanspruch seien auch nicht kompensabel. Das Hauptbegehren des Vorprozesses sei auf Befreiung von Forderungen gerichtet; mit der Widerklage begehre der Kläger Zahlung. Von Präjudizialität könne von vornherein keine Rede sein.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen diese Entscheidung erhobene außerordentliche Revisionsrekurs des Klägers ist zulässig und berechtigt.
Gemäß § 96 JN kann bei dem Gerichte der Klage eine Widerklage angebracht werden, wenn der mit letzterer geltend gemachte Anspruch mit dem Anspruch der Klage im Zusammenhang steht oder sich sonst zur Kompensation eignen würde, ferner wenn die Widerklage auf Feststellung eines im Laufe des Prozesses streitig gewordenen Rechtsverhältnisses oder Rechtes gerichtet ist, von dessen Bestehen oder Nichtbestehen die Entscheidung über das Klagebegehren ganz oder zum Teil abhängt. Zwischen Klage und Widerklage muß demnach ein enger Sachzusammenhang bestehen, wobei ein wirtschaftlicher Zusammenhang ausreicht (Fasching I 469; ders, Zivilprozeßrecht2 Rz 1304; JBl 1989, Mayr in Rechberger, Komm z ZPO 214; JBl 1989, 58); die Parteirollen sind gegenüber dem Vorprozeß vertauscht.
Eine Widerklage kann daher nur von und nur gegen Parteien eingebracht werden, die am Vorprozeß beteiligt sind (Fasching I 467; Rechberger/Simotta, Zivilprozeßrecht Rz 252). Daraus folgt aber noch nicht, daß die Widerklage in jedem Fall von sämtlichen Beklagten des Vorprozesses gegen sämtliche Kläger eingebracht werden muß:
Die Zivilprozeßordnung kennt zwei Formen der Streitgenossenschaft:
die einfache (formelle oder materielle) Streitgenossenschaft (§ 13 ZPO) und die einheitliche Streitpartei (§ 14 ZPO). Während bei der einfachen Streitgenossenschaft jeder Streitgenosse dem Gegner gegenüber selbständig ist, wirken die Prozeßhandlungen eines Streitgenossen einer einheitlichen Streitpartei auch für die anderen Streitgenossen. Bei der einfachen Streitgenossenschaft ist der Rechtsstreit grundsätzlich für jeden Streitgenossen selbständig zu betrachten; bei der einheitlichen Streitpartei liegen hingegen nicht mehrere Parallelprozesse vor, sondern es wird ein einheitlicher Prozeß geführt (Fasching, Zivilprozeßrecht2 RZ 378f). Während daher bei der einheitlichen Streitpartei nur dann von Parteienidentität gesprochen werden kann, wenn sämtliche Streitgenossen auch Parteien der Widerklage sind, genügt es bei bei der einfachen Streitgenossenschaft, wenn die Parteien der Widerklage Parteien eines der mehreren Rechtsstreite sind, die parallel laufen.
Der Kläger ist im Vorverfahren einer von drei Beklagten. Mit einem der Begehren wird er zur ungeteilten Hand mit den anderen beiden Beklagten in Anspruch genommen; eines der Begehren richtet sich gegen ihn allein. Die Wirkung des zu fällenden Urteils erstreckt sich weder kraft der Beschaffenheit des streitigen Rechtsverhältnisses (behauptete Auftragserteilung durch Aufforderung zur Nebenintervention) noch kraft gesetzlicher Vorschrift auf sämtliche Streitgenossen; die drei Beklagten des Vorverfahrens bilden daher keine einheitliche Streitpartei (§ 14 ZPO). Demnach wird gegen sie nicht ein einheitlicher Prozeß geführt, sondern es laufen drei Parallelverfahren, die miteinander verbunden sind. Vorprozeß der Widerklage ist daher auch ein Rechtsstreit zwischen dem Kläger und dem Beklagten allein, wenn auch mit vertauschten Parteirollen. Die für die Zulässigkeit der Widerklage erforderliche Parteienidentität ist somit ungeachtet dessen gewahrt, daß die Streitgenossen des Kläges aus dem Vorprozeß nicht auch als Kläger der Widerklage auftreten.
Auch der für die Zulässigkeit der Widerklage weiters notwendige enge Sachzusammenhang ist gegeben:
Der enge Sachzusammenhang kann in einem inhaltlichen Zusammenhang (Konnexität), in der Aufrechenbarkeit (Kompensabilität) oder - im hier nicht gegebenen Fall der Feststellungsklage - in der Präjudizialität bestehen (4 Ob 119/92, JUS EXTRA 1993/1254). Inhaltlicher Zusammenhang ist gegeben, wenn die Ansprüche wenigstens teilweise aus dem gleichen Tatsachenkomplex oder aus der gleichen Rechtsnorm abgeleitet werden (Fasching, Zivilprozeßrecht2 Rz 1304; Mayr in Rechberger aaO; EvBl 1973/160; EvBl 1979/138), wobei ein wirtschaftlicher Zusammenhang genügt (JBl 1989, 58); aufrechenbar sind (nur) gleichartige Ansprüche (§ 1438 ABGB). Die Begehren von Klage und Widerklage müssen daher gleichartige Ansprüche betreffen, um das Erfordernis der Kompensabilität erfüllen zu können.
Im vorliegenden Fall wird mit der Klage ein Anspruch auf Ersatz des Aufwandes geltend gemacht, der dem Beklagten durch die Nebenintervention im Verfahren auf Zuhaltung des Kaufvertrages entstanden ist; die Widerklage hat Schadenersatz- und Bereicherungsansprüche zum Gegenstand, die aus dem dem Beklagten erteilten Vermittlungsauftrag abgeleitet werden. Beide Verfahren gehen auf den Verkauf der Liegenschaft des Klägers zurück, den der Beklagte vermittelt hat. Ihnen liegt daher teilweise der gleiche Tatsachenkomplex zugrunde. Daß zur Begründung des Anspruches noch jeweils weitere Tatsachen vorgebracht werden, schadet nicht, weil eine teilweise Übereinstimmung der Tatsachengrundlage genügt, und es vor allem ausreicht, wenn ein wirtschaftlicher Zusammenhang besteht.
Der enge Sachzusammenhang zwischen beiden Klagen ist aber auch deshalb gegeben, weil die Ansprüche kompensabel sind. Das gilt zwar nicht, wenn dem Begehren der Widerklage das Hauptbegehren des Vorprozesses gegenübergestellt wird, wohl aber bei Berücksichtigung des Eventualbegehrens. Das Eventualbegehren ist, ebenso wie das Begehren der Widerklage, auf Zahlung gerichtet. Es ist mit der Klagezustellung streitanhängig geworden (Fasching III 91). Ist ein Begehren streitanhängig, so kann eine Widerklage eingebracht werden (Fasching III 95). Dem Beklagten ist ein Interesse zuzubilligen, sich auch gegen das Eventualbegehren zu verteidigen, muß er doch damit rechnen, daß das Hauptbegehren erfolglos bleibt und das Gericht sich mit dem Eventualbegehren befassen muß. Die Widerklage ist das stärkste aktive Verteidigungsmittel des Beklagten (Fasching, Zivilprozeßrecht2 Rz 1301). Es ist kein Grund ersichtlich, warum es dem Beklagten nur deshalb nicht zur Verfügung stehen soll, weil das Begehren eventualiter erhoben wird. Kompensabilität als Voraussetzung für die Zulässigkeit der Widerklage ist daher auch dann zu bejahen, wenn sie nur bei Berücksichtigung eines Eventualbegehrens gegeben ist.
Dem Revisionsrekurs war Folge zu geben; die Entscheidungen der Vorinstanzen waren aufzuheben und dem Erstgericht aufzutragen, unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund das gesetzliche Verfahren über die Widerklage einzuleiten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.