10ObS127/94 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Heinrich Matzke und Dr. Heinz Paul (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Katharina B*****, Landwirtin, *****, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Bauern, 1031 Wien, Ghegastraße 1, vertreten durch Dr. Herbert Macher, Rechtsanwalt in Wien, wegen Wochengeldes, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 31. März 1994, GZ 13 Rs 113/93-23, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 14. April 1993, GZ 19 Cgs 38/92i-19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Text
Entscheidungsgründe:
Die bei der beklagten Sozialversicherungsanstalt der Bauern krankenversicherte Klägerin gebar am 12.9.1989 einen Sohn. Erst am 15.11.1991 stellte sie bei der beklagten Partei einen Antrag auf Gewährung einer Leistung nach dem Betriebshilfegesetz. Sie hatte sich für den Zeitraum 8 Wochen vor bis 8 Wochen nach der Entbindung eine betriebsfremde Hilfskraft besorgt. Mit Bescheid vom 10.3.1992 lehnte die beklagte Partei den Antrag auf Gewährung einer Leistung der Betriebshilfe (des Wochengeldes) aus Anlaß der Entbindung vom 12.9.1989 mit der Begründung ab, daß der Leistungsanspruch wegen verspäteter Antragstellung verfallen sei. Der Anspruch auf das Wochengeld wäre ab 18.7.1989, nämlich 8 Wochen vor der Geburt des Kindes entstanden. Der Antrag hätte innerhalb zweier Jahre gestellt werden müssen.
Dagegen erhob die Klägerin fristgerecht Klage mit dem Begehren auf Gewährung des Wochengeldes im gesetzlichen Ausmaß für den Zeitraum von 8 Wochen vor bis 8 Wochen nach der am 12.9.1989 erfolgten Entbindung.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Sie stellte außer Streit, daß die Klägerin grundsätzlich Anspruch auf Wochengeld gehabt hätte. Dieser Anspruch sei aber wegen verspäteter Antragstellung verfallen. Nach dem BHG seien zur Durchführung dieses Gesetzes die für die Krankenversicherung geltenden Vorschriften des BSVG entsprechend anzuwenden. Nach § 66 Abs 1 BSVG in der ab 1.7.1990 geltenden Fassung sei der Anspruch auf Leistungen aus der Krankenversicherung mit Ausnahme eines Anspruches auf Kostenerstattung oder auf einen Kostenzuschuß vom Anspruchsberechtigtem bei sonstigem Verfall binnen zwei Jahren geltend zu machen. Beim Wochengeld handle es sich weder um eine Kostenerstattung noch um einen Kostenzuschuß. Kostenzuschüsse würden bei Fehlen vertraglicher Regelungen über die Vergütung der Leistungen der Vertragspartner gewährt und dürften den Betrag nicht übersteigen, der nach den zuletzt in Geltung gestandenen vertraglichen Bestimmungen über die Vergütung der Leistungen der Vertragspartner zu zahlen gewesen wäre. Ein Kostenzuschuß iS des § 80 BSVG bedinge die theoretische Möglichkeit einer Vertragsregelung, auch wenn sie faktisch nicht existiere. Dies bedeute, daß ein Kostenzuschuß in jenen Fällen nicht vorliegen könne, in denen eine Vertragspartnerregelung überhaupt nicht möglich wäre. Solche Regelungen seien nur mit den sogenannten Gesundheitsberufen möglich. Der Personenkreis der nach dem BHG eingesetzten Hilfskräfte sei nur durch das gemeinsame Merkmal "betriebsfremd" umschrieben; ansonsten könne jede beliebige Person als Hilfskraft herangezogen werden. In Ermangelung eines weiteren gemeinsamen Merkmals scheide auch eine theoretische Vertragspartnerregelung mit dieser Personengruppe aus, so daß in diesem Fall von einem Kostenzuschuß iS des § 80 iVm § 88 BSVG nicht gesprochen werden könne. Nach § 66 Abs 1 BSVG komme daher die zweijährige Verfallsfrist zur Anwendung.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Nach § 80 Abs 1 BSVG würden die Leistungen der Krankenversicherung als Sachleistungen oder als Geldleistungen durch Kostenerstattung oder durch Kostenzuschüsse erbracht. Es stehe außer Zweifel, daß die Klägerin keine Sachleistung in Anspruch genommen habe. Die Begriffe Geldleistung, Kostenerstattung und Kostenzuschuß in den §§ 80 und 88 BSVG stellten zwar auf eine andere als die hier bestehende Fallsituation ab, doch bedeute die Interpretation der beklagten Partei, daß die im § 3 Abs 3 BHG normierte Leistung im Leistungskatalog des § 80 GSVG überhaupt nicht enthalten wäre. Es sei nicht anzunehmen, daß der Gesetzgeber die streitgegenständliche Leistung nach dem BHG nicht als eine Leistungsart des § 80 BSVG ansehen wolle. Für den Verfall des Klagsanspruches sei daher die dreieinhalbjährige Frist des § 66 Abs 2 BSVG maßgebend; danach sei der Anspruch auf Kostenerstattung oder auf einen Kostenzuschuß vom Anspruchsberechtigten bei sonstigem Verlust binnen 42 Monaten nach Inanspruchnahme der Leistung geltend zu machen. Diese Frist habe die Klägerin eingehalten.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Nach § 6 Abs 3 BHG seien die Vorschriften des BSVG zur Durchführung der Bestimmungen des BHG nur entsprechend, also übertragen auf die Gegebenheiten des BHG anzuwenden. Die Leistung der Betriebshilfe könne entweder als Sachleistung oder nach § 3 Abs 3 BHG in Form eines täglich zu gewährenden Wochengeldes gewährt werden. Nach Abs 5 betrage das tägliche Wochengeld 250 S und sei - von hier nicht relevanten Ausnahmen abgesehen - jeweils nach Vorlage des Nachweises über den ständigen Einsatz der Hilfe auszuzahlen. Wenn also die Betriebshilfe nicht als Sachleistung durch tatsächliche Beistellung einer Hilfskraft, sondern durch Gewährung des Wochengeldes geleistet werde, sei das Wochengeld in seiner Funktion ein Kostenzuschuß in gesetzlich geregelter Höhe für die zur Entlastung der Wöchnerin eingesetzte betriebsfremde Hilfe. Bei entsprechender Anwendung der Bestimmungen des BSVG sei daher das Wochengeld nach § 3 Abs 3 BHG einem Kostenzuschuß gleichzuhalten, weshalb auf diesen Anspruch die Verfallsbestimmung nach § 66 Abs 2 BSVG anzuwenden sei. Die dort normierte Frist von 42 Monaten nach Inanspruchnahme der Leistung habe die Klägerin aber mit ihrem am 15.11.1991 gestellten Antrag eingehalten, so daß der Klagsanspruch nicht verfallen sei. Das Vorliegen der sonstigen Anspruchsvoraussetzungen sei nicht bestritten worden.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der beklagten Partei ist nicht berechtigt.
Unter Geltendmachung des Revisionsgrundes der unrichtigen rechtlichen Beurteilung führt die beklagte Partei aus, die Verfallsfrist von dreieinhalb Jahren stelle eine Sonderregelung gegenüber der Frist von zwei Jahren dar und sei wie alle Ausnahmen einschränkend auszulegen. Mit der 15. BSVG-Novelle sei die sozialversicherungsrechtliche Verfallsfrist an die zivilrechtliche angepaßt und im Gesetz eindeutig festgelegt worden. Dies sei im Hinblick auf die dreijährige zivilrechtliche Verjährungsfrist des ABGB zwischen dem behandelnden Vertragspartner und dem Versicherten sowie dem Umstand, daß auch die Rechnungslegung innerhalb dieser Frist erfolge, geschehen. Unter Bedachtnahme auf § 20 Abs 1 des Ärztegesamtvertrages, wonach die Honorarabrechnungen nach Abschluß der Behandlungen und sonst nach Tunlichkeit zum Kalenderhalbjahr erfolgen sollen, sei die Verfallsfrist um zusätzliche sechs Monate verlängert worden. Dem gegenüber sei die Leistung des Wochengeldes nach dem BHG von der Vorlage einer Rechnung unabhängig, die Leistungswerberin befinde sich nicht in der Situation, auf die Rechnung der Helferin warten zu müssen. Der Anspruch der Klägerin sei gemäß § 66 Abs 1 BSVG erloschen, weil er nicht innerhalb von zwei Jahren nach seinem Entstehen geltend gemacht worden sei.
Diesen Ausführungen ist im Ergebnis nicht zu folgen. Die hier maßgebliche Bestimmung des § 66 BSVG über den Verfall von Leistungsansprüchen infolge Zeitablaufes wurde durch die 15. BSVG-Novelle mit Wirkung ab 1.7.1990 geändert. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Bestimmung folgenden Wortlaut: "§ 66.(1) Der Anspruch auf Leistungen aus der Krankenversicherung ist bei sonstigem Verlust binnen zwei Jahren nach seinem Entstehen, bei nachträglicher Feststellung der Versicherungspflicht oder Versicherungsberechtigung binnen zwei Jahren nach Rechtskraft dieser Feststellung geltend zu machen. Bei Geldleistungen ist hiebei der Zeitraum zwischen dem Entstehen des Anspruches und dem Zeitpunkt, in dem die Leistung gemäß § 68 auszuzahlen ist, außer Betracht zu lassen. (2) Der Anspruch auf bereits fällig gewordene Raten zuerkannter Pensionen verfällt nach Ablauf eines Jahres seit der Fälligkeit."
Mangels einer entsprechenden Übergangsbestimmung ist die durch die 15. BSVG-Novelle geänderte Bestimmung des § 66 auf Versicherungsfälle, die vor dem 1.7.1990 eingetreten sind, nicht anzuwenden. Im vorliegenden Fall ist aber unstrittig, daß der Versicherungsfall der Mutterschaft bereits im Jahr 1989 eingetreten ist, also lange vor dem Inkrafttreten der 15. BSVG-Novelle. Für die Beurteilung des Verfalles der von der Klägerin geltend gemachten Leistung ist daher nicht wesentlich, ob es sich dabei um einen Anspruch auf Kostenerstattung oder auf Kostenzuschuß handelt, weil § 66 Abs 1 BSVG in der alten Fassung lediglich von dem Anspruch auf Leistungen aus der Krankenversicherung spricht, der bei sonstigem Verlust binnen zwei Jahren nach seinem Entstehen geltend zu machen ist. Nach dem 2. Satz dieser Bestimmung ist allerdings bei der Berechnung der zweijährigen Verfallsfrist für Geldleistungen der Zeitraum zwischen dem Entstehen des Anspruches und dem Zeitpunkt, in dem die Leistung gemäß § 68 BSVG auszuzahlen ist, außer Betracht zu lassen. Dazu bestimmt § 68 Abs 1 BSVG, daß die Geldleistungen aus der Krankenversicherung sowie einmalige Geldleistungen aus der Pensionsversicherung binnen zwei Wochen nach der Feststellung der Anspruchsberechtigung auszuzahlen sind. Infolge des in der Krankenversicherung herrschenden Antragsprinzips (§ 361 Abs 1 Z 1 ASVG) kann die Feststellung der Anspruchsberechtigung aber nur auf Antrag erfolgen. Diese Erwägung hat schon nach der früheren Rechtsprechung des Oberlandesgerichtes Wien zu der Auslegung geführt, daß die zweijährige Verfallsfrist des dem § 66 BSVG vergleichbaren § 102 ASVG vor Antragstellung überhaupt nicht zu laufen beginnen könne (SSV 24/126). Die zitierte Entscheidung wurde vom Bundesministeium für Arbeit und Soziales zum Anlaß genommen, bereits in den Ministerialentwürfen zur 41. ASVG-Novelle bzw. zu den entsprechenden Novellen zum B-KUVG, GSVG und BSVG klarstellende Gesetzesänderungen vorzuschlagen; diese Vorschläge wurden aber nicht in die Regierungsvorlagen übernommen. Erst durch die 49. ASVG-Novelle (15. BSVG-Novelle) wurde mit Rücksicht auf die aufgezeigten Auslegungsschwierigkeiten der 2. Satz des § 102 Abs 1 ASVG bzw. des § 66 Abs 1 BSVG ersatzlos gestrichen. Seither gilt bei laufenden Geldleistungen als Entstehen des Leistungsanspruches und somit als Beginn der Verfallsfrist der Eintritt des Versicherungsfalles (vgl. RV zur 49. ASVG-Novelle, 1277 BlgNR 17. GP 19, AB zur 15. BSVG-Novelle, 1322 BlgNR 17. GP 2).
Da die durch die 15. BSVG-Novelle geänderte Rechtslage auf den hier maßgeblichen Versicherungsfall der Mutterschaft noch nicht anwendbar ist, ergibt sich, daß ein Verfall des geltend gemachten Leistungsanspruches nach § 66 Abs 1 BSVG aF nicht eingetreten ist.
Der Revision war somit im Ergebnis ein Erfolg zu versagen.
Eine Kostenentscheidung entfiel, weil Kosten des Revisionsverfahrens nicht entstanden sind.