14Os73/94 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 21. Juni 1994 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Massauer, Dr. Ebner, Dr. E. Adamovic und Dr. Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Würzburger als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Bernhard K* wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 4 erster Fall StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 15. März 1994, GZ 9 U 930/93 13, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Hauptmann, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Beschluß des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 15. März 1994, GZ 9 U 930/93 13, verletzt das Gesetz in den Bestimmungen des § 6 Abs 1 und Abs 5 StPO.
Dieser Beschluß wird aufgehoben und dem Bezirksgericht Innsbruck die Einleitung des ordentlichen Verfahrens aufgetragen.
Text
Gründe:
In der oben bezeichneten Strafsache erließ das Bezirksgericht Innsbruck am 1.Februar 1994 gegen Bernhard K* eine Strafverfügung (ON 8), die dem Beschuldigten nach zwei vergeblichen Zustellversuchen durch postamtliche Hinterlegung am 10.Februar 1994 rite zugestellt worden ist (§ 17 Abs 3 ZustellG). Am 24.Februar 1994 langte beim Bezirksgericht im Wege der Telekopie ("Telefax") ein Schriftsatz des Beschuldigten ein, in welchem er erklärte, gegen die Strafverfügung Einspruch zu erheben; der Schriftsatz enthält auch den Hinweis: "Original folgt per Post" (S 33).
Die Bezirksrichterin akzeptierte diese Art der Einspruchserhebung als ordnungsgemäß und beraumte daher tags darauf die Hauptverhandlung gegen Bernhard K* für den 18.April 1994 an (S 3). Am 2.März 1994 langte das vom Beschuldigten angekündigte (am 1.März 1994 zur Post gegebene) Original des Einspruchsschreibens bei Gericht ein (siehe nach S 33).
Ungeachtet der bereits erfolgten Ausschreibung der Hauptverhandlung wurde nunmehr der Einspruch des Beschuldigten gegen die Strafverfügung mit Beschluß vom 15.März 1994 (ON 13) "abgewiesen" (gemeint: zurückgewiesen) und dies damit begründet, daß der Einspruch erst am 1.März 1994, sohin nach Ablauf der 14tägigen Einspruchsfrist, zur Post gegeben worden sei. Diese Frist habe mit der postamtlichen Hinterlegung am 10.Februar 1994 begonnen und bis 23.Februar 1994 gereicht.
Erst nach Rechtskraft dieses Beschlusses erkannte die Bezirksrichterin ihr Versehen, setzte die Hauptverhandlung ab und übermittelte die Akten der Staatsanwaltschaft mit der Anregung eines Vorgehens nach § 33 StPO (S 3).
Rechtliche Beurteilung
Der Beschluß des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 15.März 1994 verstößt wie der Generalprokurator in seiner deshalb zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt in zweifacher Hinsicht gegen das Gesetz:
Zunächst wurde bei Prüfung der Rechtzeitigkeit des Einspruchs auf den Zeitpunkt der Postaufgabe des Originals der Einspruchsschrift abgestellt und das (frühere) Einlangen der Telekopie vernachlässigt. Das Gesetz (§ 6 Abs 5 StPO) sieht zwar als alternative Form der Einbringung von schriftlichen Eingaben an das Gericht, insbesondere der Erhebung von Rechtsmitteln, nur den telegraphischen Weg vor. Diese Bestimmung läßt sich jedoch zwanglos auf die Übermittlung von Eingaben durch Telekopie ("Telefax") übertragen (vgl die moderne Regelung des § 13 AVG 1991; für das Abgabenverfahren § 86 a BAO iVm § 56 Abs 2 FinStrG siehe dazu Dorazil Harbich Anm 4 zu § 150 Abs 3 FinStrG; für den zivilprozessualen Bereich EvBl 1993/105; für das Strafverfahren zust Foregger Kodek StPO6 Erl II zu § 6), zumal eine Überprüfungsmöglichkeit von telekopierten Eingaben auf ihre Rechtzeitigkeit gleichermaßen wie bei telegraphischen Eingaben gewährleistet ist und diese Art des Schriftverkehrs zwischen Gerichten, Behörden und Parteien im gerichtlichen Alltag längst problemlos gehandhabt wird.
Darüberhinaus besteht bei einer Telekopie aber in der Regel auch die Möglichkeit, die Formgültigkeit und trotz des Mangels einer eigenhändigen Originalunterschrift die Echtheit der Eingabe anhand der Akten mit einer für die Erfordernisse der Praxis ausreichenden Verläßlichkeit zu überprüfen. Zur Befürchtung von Mißbräuchen besteht nach den gemachten Erfahrungen kein begründeter Anlaß, zumal die Möglichkeit von Manipulationen auch sonst nicht ausgeschlossen ist.
Nach der im Zusammenhang mit der Beseitigung von Formgebrechen geltenden Regel soll sich das Gericht bei der Beurteilung, ob eine Eingabe den Vorschriften des § 58 Geo oder anderen Formvorschriften genügt, von "Kleinlichkeit" fern und vor Augen halten, daß der Zweck dieser Vorschriften ist, den Dienstbetrieb zu erleichtern, nicht ihn zu erschweren (§ 59 Abs 2 Geo). Nach diesem Auslegungsgrundsatz und unter Bedachtnahme auf den Stand der Kommunikations und Bürotechnik, die Verfahrensrechtsentwicklung in anderen Rechtsbereichen (vgl insb § 13 Abs 4 AVG 1991) und im Interesse einer möglichsten Vereinfachung und Beschleunigung des Verkehrs zwischen Gerichten und Parteien (vgl die vom Justizausschuß des Nationalrates in 991 BlgNR 17.GP, 13 f zum Ausdruck gebrachte Erwartung) ist daher die Bestimmung des § 60 Geo über die nachträgliche schriftliche Bestätigung von (nicht unterschriebenen) telegraphischen Eingaben durch den Absender in bezug auf (im Original unterschriebene) telekopierte Eingaben nachgiebig dahin zu interpretieren, daß auf eine solche Verifizierung in Strafsachen dann verzichtet werden kann, wenn keine Zweifel darüber bestehen, daß die Telekopie vom angegebenen Absender stammt.
Das Bezirksgericht Innsbruck ging sohin zu Unrecht von einer Einspruchserhebung erst am 1.März 1994 (Datum der Postaufgabe des Originals) aus und gelangte solcherart zur Annahme einer Versäumung der Einspruchsfrist, als deren letzten Tag es überdies gleichfalls rechtsirrig den 23.Februar 1994 bezeichnete, obwohl nach dem zweiten Satz des § 6 Abs 1 StPO der erste Tag der Abholfrist (10.Februar 1994), von welchem an die 14tägige Einspruchsfrist zu laufen begann (§ 17 Abs 3 ZustellG), bei Berechnung der Frist nicht mitzuzählen war. Die Einspruchsfrist endete sohin am 24.Februar 1994, sodaß der an diesem Tage telekopierte Einspruch rechtzeitig erhoben wurde und auch keiner Bestätigung mehr bedurft hätte.
Der den Beschuldigten benachteiligende gesetzwidrige Zurückweisungsbeschluß war daher mit den daraus resultierenden prozessualen Konsequenzen (§ 462 Abs 1 StPO) zu kassieren (§ 292 letzter Satz StPO).