JudikaturOGH

4Ob541/94 – OGH Entscheidung

Entscheidung
31. Mai 1994

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Niederreiter, Dr.Redl und Dr.Griß als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr.Bozena Maria F*****, vertreten durch Dr.Wolfgang Berger und andere Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Gottfried F*****, vertreten durch Mag.Dr.Otto Ranzenhofer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung und einstweiliger Verfügung, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes Korneuburg als Rekursgericht vom 24. August 1993, GZ 5 R 293/93-33, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Gänserndorf vom 15.Juni 1993, GZ 5 C 3/93t-28, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß die einstweilige Verfügung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Revisionsrekurses vorläufig selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Die Klägerin, welche die Scheidung ihrer Ehe aus dem alleinigen Verschulden des Beklagten begehrt, beantragt, dem Beklagten mit einstweiliger Verfügung aufzutragen, die eheliche Wohnung in O***** binnen 14 Tagen zu verlassen und für die Dauer des Scheidungsverfahrens nicht mehr zu betreten (S 35). Das Zusammenleben mit dem Beklagten sei für sie unerträglich. Für sie, ihre Kinder und die Kinderfrau bestehe keine andere Wohnmöglichkeit.

Der Beklagte bestritt das Vorbringen der Klägerin (ohne ausdrücklich die Abweisung des Sicherungsbegehrens zu beantragen).

Der Erstrichter gab dem Sicherungsantrag statt. Er nahm folgenden Sachverhalt als bescheinigt an:

Der Beklagte hat seit 1991 immer wieder in alkoholisiertem Zustand die Klägerin sowie die im gemeinsamen Haushalt lebende, als Haushaltshilfe und Kinderfrau beschäftigte Wladislawa O*****, bedroht und gewalttätig angegriffen. Schon im Frühjahr 1991 drohte er der Klägerin, er werde alle umbringen. Am 21.August 1991 zerschlug er von ihm gemalte Bilder und hinderte seine Gattin, die die Gendarmerie fernmündlich verständigen wolle, gewaltsam am Telefonieren. Am 11. September 1992 bedrohte er Wladislawa O***** mit dem Umbringen und fügte ihr eine leichte Verletzung zu. Deswegen wurde er mit Urteil des Landesgerichtes Korneuburg vom 13.Jänner 1993, 12e E Vr 803/92, Hv 528/92-10, wegen des Vergehens nach § 107 Abs 1 und § 83 Abs 2 StGB rechtskräftig verurteilt. In diesem Strafverfahren hatte die Klägerin ihre Ermächtigung zur Strafverfolgung des Beklagten wegen einer im Dezember 1991 begangenen gefährlichen Bedrohung - er hatte ihr mit dem Umbringen gedroht - zurückgezogen. Mitte Februar 1993 drohte der Beklagte der Klägerin, er werde sie in der Nacht erwürgen. Daraufhin verließ die Klägerin das eheliche Schlafzimmer fluchtartig und nächtigte anschließend stets, wenn der Beklagte anwesend war, im Kinderzimmer. Als der Beklagte am 6.März 1993 neuerlich gegen Wladislawa O***** und die Beklagte tätlich wurde, verständigte diese wieder die Gendarmerie.

Die Ehewohnung in O***** dient dem dringenden Wohnbedürfnis der Klägerin und der zwei aus der Ehe stammenden mj. Kinder, da eine andere Wohnmöglichkeit nicht besteht.

Rechtlich folgerte der Erstrichter daraus, daß der Beklagte der Klägerin das weitere Zusammenleben unerträglich gemacht, insbesondere sie erheblich körperlich bedroht habe. Da die Klägerin auch keine andere Wohnmöglichkeit habe, lägen die Voraussetzungen für eine einstweilige Verfügung nach § 382 Z 8 lit b EO vor.

Das Rekursgericht wies den Sicherungsantrag ab und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Entgegen der Meinung des Beklagten sei zwar gewiß anzunehmen, daß er sich übermäßigem Alkoholkonsum hingebe und im alkoholisierten Zustand unzumutbare aggressive Verhaltensweisen an den Tage lege. Daß diese im wesentlichen auf der Unzufriedenheit mit der Gesamtsituation, der angespannten Lage während des Scheidungsverfahrens und auf Spannungen mit der gegen den Willen des Beklagten im Familienverband lebenden "Tante" und Kinderfrau beruhenden Vorfälle bereits ein Ausmaß angenommen hätten, welches das weitere Zusammenleben nicht bloß unzumutbar, sondern wirklich geradezu unerträglich mache, könne das Rekursgericht allerdings nicht finden. Die strengen Voraussetzungen des § 382 Z 8 lit b EO seien daher nicht als bescheinigt anzusehen, wenngleich auch das Rekursgericht durchaus der Ansicht sei, daß der derzeitige Zustand - daß sich nämlich der Beklagte nicht mehr in der Ehewohnung aufhalte - wesentlich zur Entschärfung der Gesamtlage und zu einer einigermaßen reibungslosen Abwicklung des Scheidungsstreites beitragen werde.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluß erhobene außerordentliche Revisionsrekurs der Klägerin ist zulässig und berechtigt.

Nach § 382 Z 8 lit b EO kann im Zusammenhang mit einem Verfahren ua auf Scheidung der Auftrag an einen Ehegatten zum Verlassen der Wohnung, die der Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses des anderen Teiles dient, dann erlassen werden, wenn jener diesem das weitere Zusammenleben unerträglich macht, besonders ihn erheblich körperlich bedroht. Damit knüpft der Gesetzgeber - worauf schon das Rekursgericht im Einklang mit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zutreffend hingewiesen hat - die Ausweisung eines Ehegatten als schärfstes Mittel zur Sicherung der Befriedigung des Wohnbedürfnisses des anderen Ehegatten an sehr strenge Voraussetzungen: Das Zusammenleben mit dem Ehegatten muß unerträglich sein, bloße Unzumutbarkeit reicht nicht aus. Das Gesetz hebt die körperliche Bedrohung besonders hervor; sie muß, um die Ausweisung aus der Wohnung zu rechtfertigen, erheblich sein. Ob das Zusammenleben unerträglich ist, hängt von Ausmaß, Häufigkeit und Intensität der Beeinträchtigung des Ehegatten ab, der gefährdet zu sein behauptet; eine einmalige tätliche Entgleisung wird im allgemeinen nicht als Grundlage für eine Ausweisung reichen, hingegen gewiß wiederholte Mißhandlungen oder Drohungen mit schweren Verletzungen (Hopf in Ent-Hopf, Die Neuordnung der persönlichen Rechtswirkungen der Ehe 196 Anm 18; SZ 50/81; EFSlg 44.257). Ein Zustand ist für jemanden dann unerträglich, wenn er das Leben, die körperliche oder seelische Gesundheit, die Freiheit, die Ehre oder im größeren Ausmaß das Vermögen ernstlich bedroht und deshalb umgehend geändert werden muß (EFSlg 44.267; 7 Ob 554/93 ua).

Geht man von diesen - vom Rekursgericht ausführlich und zutreffend dargestellten - Grundsätzen aus, dann kann der Beurteilung des Sachverhaltes durch das Gericht zweiter Instanz, die Verfehlungen des Beklagten machten der Klägerin das Zusammenleben bloß "unzumutbar", nicht aber unerträglich, nicht gefolgt werden. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß das Zusammenleben mit einem Partner, der immer wieder im alkoholisierten Zustand mit dem "Umbringen" oder "Erwürgen" droht und auch tatsächlich zu Gewaltakten schreitet, unerträglich ist. Daß die Klägerin, die Drohung des Beklagten, er werde sie in der Nacht erwürgen, durchaus ernst genommen hat, zeigt die festgestellte Reaktion. So weit das Rekursgericht (auch) diese erst Mitte Februar 1993 ausgestoßene Drohung nicht als "erhebliche körperliche Bedrohung, welche das weitere Zusammenleben unerträglich macht" (§ 382 Z 8 lit b EO) gewertet hat, liegt eine krasse Fehleinschätzung vor, die der Oberste Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit (§§ 78, 402 Abs 4 EO, § 528 Abs 1 ZPO) wahrzunehmen und zu korrigeren hatte. Das Verhalten des Beklagten wird nicht dadurch "erträglicher", daß es allenfalls im Hinblick auf seinen psychischen Zustand und die äußeren Lebensumstände im milderem Licht gesehen, ja vielleicht sogar teilweise entschuldigt werden kann.

Daß der Beklagte in seinem Rekurs auch Feststellungen des Erstgerichts bekämpft hat, steht einer Wiederherstellung des Beschlusses erster Instanz nicht im Wege: Ganz abgesehen davon, daß die Überprüfung von Feststellungen, die der Erstrichter - wie hier - auf Grund persönlicher Vernehmung von Parteien und Zeugen gewonnen hat, dem Rekursgericht entzogen ist (verst. Senat EvBl 1994/53 = ecolex 1994, 159 [zust Graff, Wenn der Erstrichter der Frau glaubt ... ", aaO 237] = NRsp 1994/72), hat das Rekursgericht ohnehin die - ganz allgemein gehaltene - Beweisrüge, es fehlten objektiv nachvollziehbare Beweisergebnisse dafür, daß sich der Beklagte übermäßig dem Alkoholkonsum hingebe und in diesem Zustand aggressiv sei (S 131), für nicht berechtigt erkannt (S 143). Soweit der Beklagte die "Feststellung" bekämpft hat, die Klägerin verfüge über keine andere Wohnung, muß er daran scheitern, daß er in erster Instanz der entsprechenden Behauptung der Klägerin (S 35) nicht entgegengetreten ist; er hat damit dieses Vorbringen schlüssig zugestanden (§ 267 Abs 2 ZPO; SZ 55/116 ua). Eine Verletzung der Anleitungs- und Belehrungspflicht des Erstrichters (§ 432 ZPO) hat der Beklagte im Rechtsmittelverfahren nicht geltend gemacht.

Mittlerweile hat freilich das Erstgericht mit Urteil vom 6.12.1993, ON 38, die zwischen den Streitteilen geschlossene Ehe aus dem gleichteiligen Verschulden beider Parteien geschieden. Nur gegen den Verschuldensausspruch erhob die Klägerin Berufung (ON 42), über welche bisher noch nicht entschieden worden ist; die Scheidung selbst blieb unbekämpft.

Daß die Ehe sohin mittlerweile rechtskräftig geschieden ist (Fasching, LB2 Rz 2365; SZ 55/26; SZ 55/34 ua), hindert nicht die Wiederherstellung der einstweiligen Verfügung. Diese hatte die Klägerin "für die Dauer des Scheidungsverfahrens" beantragt. Das "Scheidungsverfahren" dauert aber noch an, gehört doch die Frage des Verschuldens jedenfalls zu diesem Verfahren. Auch der in § 382 Z 8 lit b EO geforderte Zusammenhang mit dem Scheidungsverfahren ist noch immer gegeben.

Aus diesen Erwägungen war in Stattgebung des Revisionsrekurses der Beschluß erster Instanz wiederherzustellen.

Der Ausspruch über die Kosten der Klägerin - der Beklagte hat sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt - gründet sich auf § 393 Abs 1 EO.

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