8Ob602/93 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag als Vorsitzenden sowie durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Jelinek, Dr.Rohrer und Dr.Adamovic als weitere Richter in der Pflegschaftssache der ***** mj.Yvonne R***** infolge Revisionsrekurses des Unterhaltssachwalters M*****, gegen den Beschluß des Landesgerichtes St.Pölten als Rekursgericht vom 12.Mai 1993, GZ R 266/93-53, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes St.Pölten vom 17.Dezember 1992, GZ 2 P 177/90-41 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 18.Februar 1993, GZ 2 P 177/90-46, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Der Vater ist auf Grund eines am 5.12.1989 geschlossenen Unterhaltsvergleiches verpflichtet, für sein am 4.11.1989 außerehelich geborenes Kind mj.Yvonne R***** einen monatlichen Unterhalt von S 1.500,- zu leisten.
Mit Beschluß vom 24.4.1992 bewilligte das Pflegschaftsgericht der Minderjährigen für die Zeit vom 1.4.1992 bis 31.3.1995 Unterhaltsvorschüsse gemäß § 3 UVG in Titelhöhe.
Am 15.9.1992 stellte der Vater den Antrag (ON 36), ihn im Hinblick auf die von ihm am 28.8.1992 angetretene Strafhaft "für die Dauer der Haft von der Unterhaltspflicht bis zum Haftende am 10.8.1993 zu befreien".
Mit Beschluß vom 17.12.1992, ON 41, berichtigt durch den Beschluß ON 46, sprach das Pflegschaftsgericht aus, daß der Vater mit Wirkung ab 1.9.1992 für die weitere Haftdauer von seiner Unterhaltspflicht enthoben werde. Am 18.2.1993 beschloß es, der Minderjährigen anstelle der bisherigen Unterhaltsvorschüsse für die Zeit ab 1.3.1993 Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Abs 3 UVG in monatlicher Höhe von S 1.161,- zu gewähren (ON 45).
Gegen den Enthebungsbeschluß ON 41 erhob der gemäß § 9 UVG zur Vertretung der Minderjährigen berufene Unterhaltssachwalter Rekurs mit dem Antrag auf teilweise Abänderung dahin, daß der Vater erst ab 1.3.1993 von seiner Unterhaltsverpflichtung enthoben werde.
Das Rekursgericht bestätigte den erstgerichtlichen Beschluß. Es erklärte den Revisionsrekurs für zulässig und führte in seiner Entscheidungsbegründung aus:
Im Sinne ständiger Rechtsprechung trete während der Haft eines Unterhaltspflichtigen das Ruhen seiner Unterhaltspflicht ein, soferne es sich nicht bloß um eine kurzfristige Haftdauer handle. Davon könne hier aber nicht die Rede sein, zumal sich der unterhaltspflichtige Vater wegen des Vollzuges einer neunmonatigen sowie weiters einer drei- und einer achtmonatigen Freiheitsstrafe (siehe ON 45), somit während insgesamt 20 Monaten, das ist voraussichtlich bis zum 6.5.1994, in Haft befinden werde. Nach dem Akteninhalt besitze er kein nennenswertes Vermögen. Das Erstgericht habe zutreffend auf die Entscheidung 1 Ob 560/92 = EvBl 1993/12, S 61, verwiesen, wonach das Gesetz die Verknüpfung von Unterhaltsanspruch und Vorschuß im Falle des einen längeren als einen ein Monat währenden Freiheitsentzug betreffenden § 4 Z 3 UVG überhaupt aufgegeben habe. Die Erläuterungen zur RV zu § 29 UVG lauteten: "Daß der Unterhaltsschuldner nicht allgemein zur Rückzahlung dieser Vorschüsse verhalten werden kann, folgt schon daraus, daß nach dem bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsrecht die Unterhaltspflicht während der Zeit der Haft im allgemeinen - mangels eines ausreichenden Einkommens oder Vermögens des Unterhaltsschuldners - ruht." Daran ändere nach Ansicht des Rekursgerichtes auch die Bestimmung des § 7 Abs 2 UVG nichts. Zu dieser Gesetzesstelle heiße es im Ausschußbericht, "daß es aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung geboten scheint, bei Freiheitsentziehungen die Vorschüsse für sechs Monate in der bisherigen Höhe durchlaufen zu lassen. Eine solche Regelung ist auch mit den bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsbestimmungen (s. §§ 140 ff ABGB) vereinbar. Bei einer Durchschnittsbetrachtung wird man im allgemeinen davon ausgehen können, daß der Unterhaltsschuldner doch einige Geldmittel angesammelt hat oder angesammelt haben sollte, die ihm für eine gewisse Zeit auch nach dem Entzug der Freiheit die Erfüllung seiner Unterhaltspflicht ermöglichen sollten. Auch aus diesem Grund - die titelmäßige Konkretisierung der Unterhaltspflicht entspricht ja am ehesten seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit - sollen die Vorschüsse nach dem Entzug der Freiheit nicht unbedingt sofort mit der sich aus § 6 Abs 2 UVG ergebenden Höhe festgesetzt werden." Diese Ausführungen ließen nach Ansicht des Rekursgerichtes deutlich erkennen, daß bei dieser Regelung Überlegungen der Praktikabilität (Verwaltungsvereinfachung) im Vordergrund stünden, die mit dem Unterhaltsrecht nicht völlig unvereinbar sondern rein allgemein - theoretischer Natur und nicht einzelfallbezogen seien. In diesem Sinne spreche Knoll (UVG in ÖA Rz 37 zu § 7) von einer "Konstruktion", die damit gerechtfertigt werde, daß im allgemeinen mit gewissen Geldreserven gerechnet werden könne. Nach den Ausführungen des Obersten Gerichtshofes in EvBl 1992/15 = ÖA 1992, 129, dürften "Titelvorschüsse" im Sinne der §§ 3, 4 Z 1 UVG nur dann nicht versagt werden, wenn der Unterhaltstitel trotz des Freiheitsentzuges fortbestehe; sie seien aber einzustellen, wenn der Unterhaltstitel weggefallen sei. Daraus folge umgekehrt, daß der Unterhaltstitel ungeachtet der Vorschrift des § 7 Abs 2 UVG dennoch wegfallen könne. Die Bestimmung des § 4 Z 3 UVG gehe grundsätzlich davon aus, daß der Unterhaltsschuldner während der länger als einen Monat dauernden Haft seine Unterhaltspflicht nicht erfüllen könne. Zwar habe er kein Recht im Sinne des § 7 Abs 2 UVG, einen Umwandlungsantrag zu stellen, doch bleibe es ihm unbenommen, die Enthebung von der Unterhaltspflicht zu erwirken. Entgegen der Ansicht des Unterhaltssachwalters könne hier auch nicht die Anspannungstheorie angewendet werden. Der Vater habe zwar vor seiner Verhaftung die Arbeitssuche Woche für Woche hinausgeschoben und sei nicht als stellensuchend gemeldet gewesen, es könne von ihm aber nicht verlangt werden, daß er für den Fall seiner Inhaftierung Rücklagen gebildet habe.
Gegen die rekursgerichtliche Entscheidung erhebt der Unterhaltssachwalter Revisionsrekurs mit dem Antrag auf Abänderung der vorinstanzlichen Beschlüsse dahin, daß der Enthebungsantrag des Vaters für die Zeit vom 1.9.1992 bis 28.2.1993 abgewiesen werde. Hiezu wird im wesentlichen ausgeführt, aus § 4 Z 3 UVG ergebe sich nicht zwingend, daß diesfalls der Unterhaltsanspruch nicht weiterbestehe. Die Bestimmung des § 29 UVG würde bei einer derartigen Auslegung überhaupt sinnlos. Es sei vielmehr auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen und im Sinne des § 7 Abs 2 UVG anzunehmen, daß für die "ersten sechs Monate einer Haft" die Unterhaltspflicht weiterbestehe und der Unterhaltspflichtige zur Unterhaltsleistung imstande sei. Hier wäre es dem Vater zumutbar gewesen, für diese Zeit Vorsorge zu treffen. Er habe sein Dienstverhältnis am 17.4.1992 gelöst und keine neue Stelle angenommen, obschon ihm dies als gelernter Bäcker gewiß möglich gewesen wäre. Gehe man von der Leitlinie einer "intakten Familie" aus so hätte der Vater einen zumutbarerweise vor seiner Verhaftung noch erzielbaren Lohn von mindestens S 10.000,- für seine Familie aufgewendet und mit diesem Betrag wäre daher für die ersten sechs Haftmonate der Unterhalt der Minderjährigen abgedeckt gewesen.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist gemäß § 14 Abs 1 AußStrG zulässig; er ist aber nicht gerechtfertigt. Nachdem das Erstgericht mit Beschluß vom 17.12.1992 (ON 41, 46) den Vater ab 1.9.1992 für die weitere Dauer seiner Haft von seiner Unterhaltspflicht enthoben hatte, faßte es in der Folge am 18.2.1993 dennoch den Beschluß ON 45, wonach erst ab 1.3.1993 an die Stelle der bisherigen, gemäß § 3 Z 1 UVG einen aufrechten und vollstreckbaren Exekutionstitel voraussetzenden "Titelvorschüsse" in der Höhe von monatlich S 1.500,- gemäß § 4 Z 3 UVG Haftvorschüsse in Höhe von (vorerst) monatlich S 1.161,- treten; der Vater wurde darauf hingewiesen, daß er verpflichtet sei, die Haftvorschüsse dem Bund gegebenenfalls nach Maßgabe des § 29 Abs 2 UVG zu ersetzen. Der Vater hat diese Entscheidung nicht bekämpft und sie ist in Rechtskraft erwachsen.
Damit wurden der Minderjährigen ohne Vorhandensein eines Unterhaltstitels im Sinne des § 7 Abs 2 UVG für die Dauer von sechs Monaten rechtskräftig weiterhin Titelvorschüsse und erst sodann Haftvorschüsse gewährt. Der Beschluß über die Enthebung des Vaters von der Unterhaltspflicht, der auf Grund der Anordnungen des § 3 Abs 1 iVm § 4 Abs 1 UVG dieser sechsmonatigen Weitergewährung der Titelvorschüsse entgegenstand, blieb daher für die Minderjährige insoweit ohne Auswirkung.
Dem Unterhaltssachwalter, der die Enthebung des Vaters von der Unterhaltspflicht nur hinsichtlich dieses sechsmonatigen Zeitraumes bekämpft, kommt aber dennoch ein Rechtsschutzinteresse an der vorliegenden Anfechtung zu, weil die Minderjährige durch den Wegfall des Unterhaltstitels jedenfalls beschwert ist.
Gemäß § 140 ABGB hat der Unterhaltspflichtige den geschuldeten Unterhalt nach Kräften zu leisten. Durch seine Inhaftierung geht die Unterhaltspflicht nicht unter. Der Freiheitsentzug bewirkt nur, daß in Ermangelung eines weiteren fortlaufenden Einkommens oder eines im Rahmen des Zumutbaren zur Erfüllung der Unterhaltspflicht heranzuziehenden Vermögens seine Leistungsfähigkeit für die Dauer dieses Freiheitsentzuges zur Gänze wegfallen kann. Damit erlischt zwar nicht seine grundsätzliche Unterhaltspflicht, mangels Leistungsfähigkeit sinkt die zu erbringende Unterhaltsleistung aber vorübergehend auf Null. In diesem Fall ist über Antrag auszusprechen, daß der Unterhaltsschuldner für die Dauer der Haft von der Unterhaltsleistung enthoben wird.
Im vorliegenden Falle hat das Rekursgericht auf Grund der Aktenlage festgestellt, daß der einkommenslose unterhaltspflichtige Vater während der Strafhaft auch kein für die Unterhaltsleistung heranziehbares Vermögen besitzt. Damit fehlt es auf Haftdauer an seiner Leistungsfähigkeit. Der Ausspruch, daß er für die Dauer seiner Haft der Minderjährigen keinen Unterhalt zu leisten hat, ist daher gerechtfertigt.
Dem stehen auch die Bestimmungen des UVG nicht entgegen. Aus den vom Rekursgericht zitierten Gesetzesmaterialien geht klar hervor, daß auch die Rückzahlungsregelungen auf einen als "Ruhen der Unterhaltspflicht" bezeichneten Wegfall der Unterhaltsleistung während der Haft Bedacht nehmen und auch in § 7 Abs 2 UVG nur grundsätzlich unterstellt wird, daß der Inhaftierte auf Grund schon "angesammelter Geldmittel" in der Lage sein sollte, für diese Zeit die Unterhaltsleistung weiter zu erbringen. Aus diesem Grunde "sollten die Vorschüsse nicht unbedingt sofort mit der sich aus § 6 Abs 2 UVG ergebenden Höhe festgesetzt werden." Entgegen der Ansicht des Rekurswerbers fällt somit bei einem durch den eingetretenen Freiheitsentzug gegebenen Mangel der Leistungsfähigkeit die Pflicht zur Unterhaltsleistung fort. Selbstverständlich folgt daraus eine entsprechende, aber unvermeidbare Einengung des Anwendungsbereiches des § 29 UVG.
Schließlich ist dem Rekursgericht auch darin zu folgen, daß der Vater nicht verpflichtet war, für die Zeit seiner bevorstehenden Strafhaft Rücklagen für weitere Unterhaltszahlungen zu schaffen. Nach der Anspannungstheorie ist der Unterhaltsschuldner gehalten, alle seine Kräfte anzuspannen, um den laufenden Unterhalt leisten zu können. Er hat aber nicht auch bereits für die Zukunft Vorsorge zu treffen.
Demgemäß war dem Rekurs ein Erfolg zu versagen.