JudikaturOGH

9ObA349/93 – OGH Entscheidung

Entscheidung
06. April 1994

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dipl.Ing.Dr.Hans Peter Bobek und Erwin Macho als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Herbert R*****, Angestellter, *****vertreten durch Dr.Peter Zöllner, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei ***** Bank *****AG, *****vertreten durch Dr.Alfred Strommer ua Rechtsanwälte in Wien, wegen 476.625,60 S sA, infolge Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25.Juni 1993, GZ 33 Ra 52/93-13, womit infolge Berufung des Klägers das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 26.November 1992, GZ 14 Cga 533/92-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, der beklagten Partei die mit 18.387 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 3.064,50 S Umsatzsteuer) binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war seit dem Jahre 1963 bei der Rechtsvorgängerin der beklagten Partei, der ***** W*****, angestellt. Mit Ablauf seines befristeten Dienstverhältnisses zum 29.Februar 1964 wurde der Kläger in ein unbefristetes Dienstverhältnis übernommen und gleichzeitig gemäß § 14 der Dienstordnung der *****W***** definitiv gestellt. Ab diesem Zeitpunkt wurden von der Rechtsvorgängerin der beklagten Partei keine Beiträge aus dem Titel der Arbeitslosenversicherung für den Kläger geleistet. Nach Durchführung eines Disziplinarverfahrens - in dem wegen Untreue und Vertrauensunwürdigkeit des Klägers die Strafe der Dienstentlassung verhängt wurde - sprach die beklagte Partei mit Schreiben vom 6.November 1991 die Entlassung des Klägers aus. Der Kläger erhält seither lediglich auf Grund seiner bis zur Definitivstellung erworbenen Versicherungszeiten Arbeitslosengeld.

Der Kläger begehrt, die beklagte Partei zur Bezahlung von 83.160 S sA und eines monatlichen Betrages von 10.929,60 S bis zur Beendigung seiner Arbeitslosigkeit zu verpflichten. Die beklagte Partei sei im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht verpflichtet gewesen, eine entsprechende Vorsorge für den Fall der Arbeitslosigkeit des Klägers zu treffen. Der Kläger habe lediglich auf Grund seiner bis zur Definitivstellung erworbenen Versicherungszeiten Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung erhalten und sei für den Fall der Stattgebung der Klage verpflichtet, das bezogene Arbeitslosengeld zurückzuzahlen. Der Kläger mache gegen die beklagte Partei daher den gesamten sich bei entsprechender Versicherung ergebenden Anspruch auf Leistungen nach dem ALVG von 396 S täglich für dreißig Wochen und danach von 364,32 S täglich geltend.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Wegen zahlreicher fraudulöser Wertpapiertransaktionen sei von der Disziplinarkommission der beklagten Partei mit Disziplinarerkenntnis vom 6.September 1991 über den Kläger wegen Untreue und Vertrauensunwürdigkeit die Disziplinarstrafe der Dienstentlassung verhängt worden. Die Disziplinarberufungskommission der beklagten Partei habe dieses Disziplinarerkenntnis mit Erkenntnis vom 31. Oktober 1991 bestätigt. Daraufhin sei gemäß § 172 der Betriebsvereinbarung der ***** W***** mit Schreiben vom 6.November 1991 die Entlassung des Klägers ausgesprochen worden. Der zuständige Betriebsrat habe der Entlassung mit Schreiben vom 8.November 1991 ausdrücklich zugestimmt. Der Kläger sei als dauernd angestellter Dienstnehmer der beklagten Partei gemäß § 5 Abs. 1 Z 3 lit a ASVG von der Vollversicherung nach § 4 ASVG und somit von der Krankenversicherungspflicht ausgenommen gewesen, weil er aus seinem Dienstverhältnis die Anwartschaft auf Ruhe- und Versorgungsgenüsse, die den Leistungen der Unfall- und Pensionsversicherung gleichwertig seien, und im Erkrankungsfall darüber hinaus Anspruch auf Weiterzahlung seiner Bezüge durch zumindest sechs Monate gehabt habe. Da diese Bestimmung ausdrücklich zwischen den dauernd bei der beklagten Partei angestellten Dienstnehmern und Dienstnehmern unterscheide, die in einem unkündbaren Dienstverhältnis zu einem von einer Gebietskörperschaft verwalteten Betrieb stehen, sei die mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattete beklagte Partei nicht als von der Gemeinde Wien verwalteter Betrieb anzusehen, für den gemäß § 1 Abs. 1 Z 2 B-KUVG Krankenversicherungspflicht bestünde. Da der Kläger daher nicht in der Krankenversicherung pflichtversichert gewesen sei, sei sein Dienstverhältnis gemäß § 1 Abs. 1 ALVG auch von der Pflichtversicherung nach diesem Gesetz ausgenommen gewesen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Durch die Einräumung eines unkündbaren Dienstverhältnisses, das nach den Bestimmungen der Betriebsvereinbarung vom Dienstgeber nur nach einem Disziplinarverfahren gelöst werden konnte, sei der Dienstgeber seiner Fürsorgepflicht gegenüber dem Dienstnehmer in größtmöglichem Ausmaß nachgekommen. Die vorliegende Betriebsvereinbarung normiere in ihrem § 14 (Ausscheiden des Angestellten aus der gesetzlichen Vollversicherung) die Konsequenzen der Definitivstellung in gesetzlich zulässiger Weise und konform mit den gesetzlichen Bestimmungen über den Anwendungsbereich des ALVG.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Zutreffend habe die beklagte Partei darauf hingewiesen, daß ihre dauernd angestellten Dienstnehmer gemäß § 5 Abs. 1 Z 3 lit a ASVG von der Vollversicherung und damit auch von der Krankenversicherung ausgenommen seien; mangels gesetzlicher Krankenversicherungspflicht seien diese Dienstnehmer gemäß § 1 Abs. 1 ALVG auch nicht von der Arbeitslosenversicherung umfaßt. Eine den Dienstgeber treffende Verpflichtung, einen auf Grund dieser Bestimmungen nicht von der Arbeitslosenversicherung erfaßten Dienstnehmer für den Fall der Beendigung des Dienstverhältnisses durch Entlassung vor Nachteilen zu bewahren, die sich aus der mangelnden Arbeitslosenversicherungspflicht ergeben könnten, könne aus der Fürsorgepflicht nicht abgeleitet werden. Diese Dienstnehmer seien durch die Beschränkung des Kündigungsrechtes des Dienstgebers ausreichend geschützt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Da die Begründung des angefochtenen Urteils zutrifft, genügt es, auf ihre Richtigkeit hinzuweisen (§ 48 ASGG).

Ergänzend ist den Ausführungen des Revisionswerbers noch folgendes zu erwidern:

Soweit der Revisionswerber aus der Regelung des § 1 Abs. 2 lit c ALVG eine Ungleichbehandlung der gemäß § 1 Abs. 1 ALVG iVm § 5 Abs. 1 Z 3 lit a ASVG von der Arbeitslosenversicherung ausgenommenen Bediensteten der beklagten Partei gegenüber den in einem unkündbaren privatrechtlichen Dienstverhältnis beschäftigten Dienstnehmern einer Gebietskörperschaft oder der von einer Gebietskörperschaft verwalteten Betriebe, Unternehmungen, Anstalten, Stiftungen oder Fonds ableitet, ist er darauf hinzuweisen, daß diese die Versicherungspflicht betreffenden Bestimmungen im Rahmen eines Rechtsstreites über die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers nicht unmittelbar anzuwenden sind, sodaß der Kläger aus einer allfälligen Gleichheitswidrigkeit der Regelungen nichts für seinen Standpunkt gewinnen kann.

Zu Unrecht wirft der Kläger der beklagten Partei vor, sie habe ihre Fürsorgepflicht verletzt, weil sie den durch die Übernahme ins Definitivum weitestgehend gegen das Risiko der Arbeitslosigkeit abgesicherten Kläger nicht auch noch für den Fall gesichert habe, daß er seine Arbeitslosigkeit durch grobe Verstöße gegen die Interessen der beklagten Partei schuldhaft herbeiführen sollte. Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers ist das Gegenstück zur Treuepflicht des Arbeitnehmers. Selbst wenn man nicht so weit geht, diese neben Arbeitsleistung und Entgeltzahlung bestehenden Pflichten den Hauptleistungspflichten gleichzustellen und jeweils als zweite Hauptpflicht zu qualifizieren (siehe Mayer-Maly, Treue- und Fürsorgepflicht in rechtstheoretischer und rechtsdogmatischer Sicht, in Tomandl, Treue- und Fürsorgepflicht im Arbeitsrecht 71 ff [82 und 88]; derselbe in Mayer-Maly-Marhold Arbeitsrecht I 73; vgl auch Tomandl, Entwicklungstendenzen der Treue- und Fürsorgepflicht in Österreich, in Tomandl, aaO 1 ff [22 ff und 31 f]), sind sie im Hinblick auf den gemeinsamen Zweck - jeweils Wahrung der Interessen des Vertragspartners (siehe Mayer-Maly-Marhold aaO 106 und 135) - in ihrem Bestand und Umfang wohl nicht voneinander gänzlich unabhängig, wie dies insbesondere W.Schwarz vertritt (Gedanken zur Treue- und Fürsorgepflicht im Arbeitsverhältnis, DRdA 1958, 72; Schwarz-Holzer,

Die Treuepflicht des Arbeitnehmers und ihre künftige Gestaltung 41 ff; Dauerschuldverhältnis und Dogmatik arbeitsvertraglicher Treuepflicht, in Wilburg FS, 355 ff [364 ff]; Schwarz-Löschnigg Arbeitsrecht4 294 f). Es ist daher zumindest für jenen Bereich, in dem aus den Generalklauseln der §§ 1157 Abs. 1 ABGB und 18 Abs. 1 AngG über gesetzliche oder vertragliche Verpflichtungen hinausgehende Schutzpflichten des Arbeitgebers gefolgert werden, auf die korrespondierende Treuepflicht des Arbeitnehmers Bedacht zu nehmen. Auch Richardi, der eine gemeinsame Wurzel und damit auch die Verknüpfung von Fürsorge- und Treuepflicht verneint (Entwicklungstendenzen der Treue- und Fürsorgepflicht in Deutschland, in Tomandl, aaO 41 ff [64]; Münchner Handbuch zum Arbeitsrecht § 8 Rz 9), sieht immerhin das sich dann ergebende Problem der Grenzziehung zu nicht zumutbarer Inanspruchnahme des Arbeitgebers (in Entwicklungstendenzen, 67). Wird auf die Treuepflicht des Arbeitnehmers nur in diesem Rahmen Bedacht genommen, besteht auch nicht die von Kramer (Vermögensrechtliche Aspekte der Treue- und Fürsorgepflicht, in Tomandl, aaO 107 ff [117];

Arbeitsvertragsrechtliche Verbindlichkeiten neben Lohnzahlung und Dienstleistung [40]) ins Treffen geführte Gefahr, daß die dem Arbeitnehmer via Fürsorgepflicht neu zugestandenen Rechte und Schutzpositionen synallagmatisch via Treuepflicht mit neuen Pflichten gekoppelt werden, sodaß der Arbeitnehmer das auf der einen Seite Empfangene auf der anderen Seite wieder preisgeben müsse.

Nimmt man daher bei Ermittlung der Grenzen der Fürsorgepflicht auf die korrespondierende Treuepflicht des Dienstnehmers Bedacht, kann eine Verpflichtung des Dienstgebers, eine weder gesetzlich noch vertraglich vorgesehene Vorsorge für die negativen vermögensrechtlichen Folgen einer Treuepflichtverletzung des Dienstnehmers zu treffen, aus der ihm obliegenden generellen Fürsorgepflicht nicht abgeleitet werden.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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