JudikaturOGH

10ObS12/94 – OGH Entscheidung

Entscheidung
08. Februar 1994

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr.Elmar A.Peterlunger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Erich Reichelt (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Veronika H*****Hausbesorgerin, ***** vertreten durch Dr.Arno Tertschnig, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 17.September 1993, GZ 33 Rs 91/93-17, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 9.Dezember 1992, GZ 20 Cgs 24/92-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 5.12.1991 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin vom 26.7.1991 auf Invaliditätspension ab, weil sie nicht invalid iS des § 255 ASVG sei.

Das auf die abgelehnte Leistung ab Stichtag (1.8.1991) gerichtete Klagebegehren stützt sich darauf, daß die seit 1979 als Hausbesorgerin tätige Klägerin infolge ihres Gesundheitszustandes keiner geregelten Arbeit nachgehen könne.

Die Beklagte beantragte die Abweisung dieses Begehrens.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es stellte im wesentlichen fest, daß die am 23.3.1937 geborene Klägerin mit dem seit der Antragstellung bestehenden, näher beschriebenen Gesundheitszustand leichte und mittelschwere Arbeiten im Sitzen, Gehen und Stehen verrichten kann, die nicht in länger oder häufig gebückter Stellung durchzuführen sind und bei denen keine über 10 kg schweren Lasten gehoben und getragen werden müssen. Die Klägerin ist seit 1.1.1979 als Hausbesorgerin eines viergeschossigen Wiener Eckwohnhauses mit einem Stiegenhaus und teilweise verbautem Dachboden beschäftigt. Sie hat die Stiege zu kehren und einmal wöchentlich aufzuwaschen, zweimal jährlich den höchstens 150 m2 großen Dachboden und die Kellergänge zu kehren, dreimal jährlich die Gangfenster zu putzen und regelmäßig den Hof zu kehren. Im Winter ist eine 80 m2 große Fläche ohne elektrische Geräte vom Schnee zu befreien und zu bestreuen. Die festgestellte Leistungsfähigkeit reicht für alle bisher ausgeführten Hausbesorgerarbeiten mit Ausnahme der Schneeräumung aus.

Nach der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes gilt die Klägerin wegen der Verweisbarkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht als invalid iS des § 255 Abs 3 ASVG. Sie sei aber auch seit der Vollendung des 55. Lebensjahres nicht invalid iS des (damals noch nicht aufgehobenen) Abs 4 der zit Gesetzesstelle, weil sie ihre Hausbesorgertätigkeit weiter ausüben könne. Für die sehr seltene Schneeräumung könne sie sich einer Hilfskraft bedienen.

Das Berufungsgericht gab der inhaltlich nur wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der Klägerin nicht Folge.

Es teilte die rechtliche Beurteilung des ausreichend festgestellten Sachverhaltes durch das Erstgericht. Daß die Beiziehung einer Hilfskraft für die "derzeit" sehr selten erforderliche Schneeräumung das Hausbesorgerentgelt unter die Richtlinie des § 255 Abs 4 lit d ASVG schmälern würde, sei weder in der Berufung geltend gemacht worden, noch nach der allgemeinen Erfahrung anzunehmen.

In der Revision macht die Klägerin unrichtige rechtliche Beurteilung (der Sache) geltend und beantragt, das Berufungsurteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern oder es allenfalls aufzuheben.

Die Beklagte erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die nach § 46 Abs 3 ASGG zulässige Revision ist nicht berechtigt.

Daß die Klägerin vom durch die Antragstellung ausgelösten Stichtag 1.8.1991 bis zum 31.3.1992, dem Tag vor dem durch die Vollendung des 55. Lebensjahres ausgelösten weiteren Stichtag 1.4.1992, nicht als invalid iS des § 255 Abs 3 ASVG gilt, ist nicht mehr zu erörtern, weil die diesbezügliche Rechtsansicht des Erstgerichtes schon in der Berufung nicht bekämpft wurde. Die vom Berufungsgericht geteilte rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes, daß sich die Klägerin für die ihr nach § 4 Abs 1 Z 1 lit e Hausbesorgergesetz (HBG) im Rahmen der Reinigung des Gehsteiges obliegende fallweise Schneeräumung einer Hilfskraft bedienen kann, ist richtig. Sie ergibt sich durch einen Größenschluß aus § 17 Abs 1 leg cit, wonach der Hausbesorger, der (gänzlich) verhindert ist, seinen Obliegenheiten nachzukommen, auf seine Kosten für eine Vertretung durch eine andere geeignete Person zu sorgen hat, also diese Dienste nicht immer in eigener Person leisten muß (vgl § 1153 ABGB). Diese Rechtsansicht wurde schon vom Verwaltungsgerichtshof zur ähnlichen Rechtslage vor dem ASVG und zur Hausbesorgerordnung BGBl 1922/878 vertreten (8.11.1949 Slg 1076 A = SVSlg 1459 = ÖJZ 1950, 145 = JBl 1950, 45; 18. und 30.11.1953 SVSlg 3188 zur geltenden Rechtslage vgl VwGH 11.6.1981 DRdA 1982, 54). Die Revisionswerberin läßt diese Rechtsansicht übrigens ungerügt.

In der Revision werden lediglich Feststellungsmängel geltend gemacht, die sich auf den im vorliegenden Fall noch anzuwendenden, durch die

51. ASVGNov BGBl 1993/335 seit 1.7.1993 aufgehobenen Abs 4 des § 255 ASVG beziehen. Die Revisionswerberin vermißt insbesondere Feststellungen über die Höhe ihres Einkommens und des regelmäßigen Einkommens eines körperlich und geistig gesunden versicherten Hausbesorgers, die für die rechtliche Beurteilung der in der lit d dieses Absatzes genannten Voraussetzung wesentlich wären. Es fehlten aber auch Feststellungen über die von der Klägerin erworbenen Versicherungsmonate (lit b), über die Dauer ihrer Hausbesorgertätigkeit und über die Anzahl der erworbenen Beitragsmonate nach dem ASVG während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag sowie die Gleichartigkeit ihrer Tätigkeit während dieses Zeitraumes (lit c).

Nach dem hier noch anzuwendenden § 255 Abs 4 ASVG galt der Versicherte auch als invalid, wenn er d) infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes nicht mehr imstande war, durch diese - das heißt in mindestens der Hälfte der Beitragsmonate nach dem ASVG während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag ausgeübte gleiche oder gleichartige - Tätigkeit wenigstens die Hälfte des Entgeltes zu erwerben, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt.

Nach der zit Gesetzesstelle kommt es nicht auf die Höhe des von der Klägerin für ihre Hausbesorgertätigkeit erzielten Entgeltes an, sondern auf die Höhe des Entgeltes, das ein völlig gesunder Hausbesorger auf einem vergleichbaren Hausbesorgerposten zu erzielen pflegt.

Das richtet sich zunächst nach § 7 HBG. Danach hat der Hauseigentümer an den Hausbesorger für die nach den §§ 3 und 4 Abs 1 leg cit zu erbringenden Dienstleistungen, also für die Beaufsichtigung (§ 3) und für die Reinigung und Wartung des Hauses (§ 4) ein angemessenes Entgelt monatlich ... zu leisten (Abs 1). Der Landeshauptmann hat durch Verordnung die Höhe des Entgeltes gemäß Abs 1 für die Dienstleistungen gemäß den §§ 3 und 4 Abs 1 unter vergleichsweiser Heranziehung kollektivvertraglicher Lohnbestimmungen für im wesentlichen gleichartige Arbeitsverrichtungen zu regeln (Abs 4). In dieser Verordnung ist ua festzusetzen, welche Beträge (Entgeltanteile) a) für Wohnungen, b) für andere Räumlichkeiten, c) für das Reinigen der Gehsteige und deren Bestreuung bei Glatteis nach § 4 Abs 1 Z 1 lit e zu bezahlen sind (Abs 5). Die Entgeltanteile für Wohnungen und andere Räumlichkeiten sind nach deren Nutzflächenausmaß, der Entgeltanspruch für das Reinigen der Gehsteige und deren Bestreuung bei Glatteis ist pro m2 der zu reinigenden Flächen in monatlich gleicher Höhe festzusetzen (Abs 6).

Durch § 1 der Verordnung des Landeshauptmannes für Wien betreffend die Festsetzung des Entgeltes, des Materialkostenersatzes und des Sperrgeldes für Hausbesorger LGBl 1991/52 wurde das monatliche Entgelt für Hausbesorger für die zu erbringenden Dienstleistungen bei Wohnungen und anderen Räumlichkeiten je m2 Nutzfläche mit 1,85 S, für die Reinigung der Gehsteige und deren Bestreuung bei Glatteis je m2 Gehsteigfläche mit 3,34 S festgesetzt.

Aus den erstgerichtlichen Feststellungen und den zit Bestimmungen des HBG und der dazu ergangenen Verordnung des Ladeshauptmannes für Wien ergibt sich, daß dem Hausbesorger eines viergeschossigen Wiener Eckhauses mit einer jeweils etwa der Dachbodenfläche von höchstens 150 m2 entsprechenden Grundfläche der übrigen Geschosse (selbst dann, wenn das Keller- und das Dachgeschoß in den vier Geschossen eingeschlossen wären) für die Reinigungsarbeiten innerhalb des Hauses ein monatliches Entgelt gebührt, das (mit rund 1.110 S = 600 m2 x 1,85 S) höher ist als das Vierfache des für die Reinigung der Gehsteige und deren Bestreuung bei Glatteis zu bezahlenden monatlichen Entgeltes (von 267 S = 80 m2 x 3,34 S).

Unter diesen Umständen ist auszuschließen, daß die Klägerin für die Bezahlung einer Hilfskraft zur Schneeräumung der 80 m2 großen Gehsteigfläche mehr als die Hälfte des Entgeltes eines vergleichbaren gesunden Hausbesorgers aufwenden müßte. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Klägerin die Bestreuung der Gehsteige bei Glatteis selbst vornehmen kann und eine Hilfskraft daher nur für die eigentliche Schneeräumung in Anspruch nehmen muß. Diese wird im Wiener Stadtbereich erfahrungsgemäß nur selten erforderlich sein und wegen des verhältnismäßig kleinen Ausmaßes der zu räumenden Gehsteigfläche jeweils nur kurze Zeit in Anspruch nehmen.

Die vom Berufungsgericht geteilte Rechtsansicht des Erstgerichtes, daß die Klägerin auch nicht als invalid iS des § 255 Abs 4 ASVG aF gilt, weil die in dessen lit d genannte Voraussetzung fehlt, erweist sich daher bereits auf Grund der ausreichenden Feststellungen des Erstgerichtes als richtig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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