12Os150/93 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 27.Jänner 1994 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Horak als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Rzeszut, Dr.Schindler, Mag.Strieder und Dr.Adamovic als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Straßegger als Schriftführer, in der Strafsache gegen Ing.Matthias H***** wegen der Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 1 und Abs. 2 lit. a FinStrG über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Finanzamtes Neunkirchen als Schöffengericht vom 12.August 1993, GZ 10 Vr 309/93-13, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Der Angeklagte und das Finanzamt Neunkirchen werden mit ihren Berufungen auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Rechtliche Beurteilung
Der am 14.April 1940 geborene Baumeister Ing.Matthias H***** wurde der (realkonkurrierenden) Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 1 und Abs. 2 lit a FinStrG schuldig erkannt. Danach hat er im Bereich des Finanzamtes Neunkirchen
I. vorsätzlich unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflicht bewirkt, daß Abgaben, die bescheidmäßig festzusetzen waren, zu niedrig festgesetzt wurden, und zwar
1. am 30.April (richtig: 5.Juni) 1986 die Umsatzsteuer für 1984 um
844.140 S,
2. am 27.Mai (richtig: 9.Juni) 1988 die Umsatzsteuer für 1986 um
217.356 S,
3. am 1.Juni (richtig: 6.Juli) 1990 die Umsatzsteuer für 1988 um
336.737 S;
II. unter Verletzung der Verpflichtung zur Abgabe von dem § 21 des Umsatzsteuergesetzes 1972 entsprechenden Voranmeldungen eine Verkürzung von Umsatzsteuervorauszahlungen bewirkt, nämlich
1. am 10.November 1989 im Betrag von 362.220 S und
2. am 10.Dezember 1990 sowie am 10.Februar 1991 im Betrag von 38.335
S,
und dies nicht nur für möglich, sondern für gewiß gehalten.
Die vom Angeklagten dagegen aus § 281 Abs. 1 Z 9 lit. a StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde ist begründet.
Nach den wesentlichen erstgerichtlichen Urteilsannahmen zu den einzelnen Schuldspruchsfakten führte der Angeklagte seit 1978 das Bauvorhaben Wohnanlage G***** (I.1.) durch; zufolge Bauverzögerungen kam es zu einem Rechtsstreit, der am 29.November 1984 durch Vergleich beendet wurde; die Schlußrechnung wurde in der Buchhaltung nicht berücksichtigt und hievon auch keine Umsatzsteuer entrichtet. In gleicher Weise ging er bei einem 1979 begonnenen und spätestens im November 1986 durch Vergleich beendeten Bauvorhaben Dr. G***** in St.Ägiden (I.2.) vor. Auch für die 1988 mit undatierten Schlußrechnungen abgeschlossenen Bauvorhaben N*****, R***** V***** (I.3.) wurde keine Umsatzsteuer abgeführt. Des weiteren unterblieb die Verbuchung der am 29.September 1989 erfolgten Abrechnung des Bauvorhabens der H***** Consulting GesmbH (II.1.) und die Entrichtung der diesbezüglichen Umsatzsteuervorauszahlung. Am Bauvorhaben N*****-W***** (II.2.) wurden die Fassadenneuherstellung und der Terrassenneubau bis zum 19.Oktober 1990 beendet; die am 25.Oktober und 18.Dezember 1990 dafür entrichteten Zahlungen von insgesamt 230.000 S wurden bei der Umsatzsteuervoranmeldung nicht berücksichtigt. Zudem konstatierte das Erstgericht, daß die in den Selbstanzeigen angeführten Bauvorhaben (I.1.-3. und II.1.) "faktisch beendet" und somit in die Steuererklärungen aufzunehmen waren (US 7 2. Absatz 1.Satz).
In subjektiver Hinsicht nahm das Schöffengericht als erwiesen an, daß dem Angeklagten "bewußt war, daß er ..., die Schlußrechnungen hätte rechtzeitig legen müssen und daß er durch die Nichtverbuchung der Schlußrechnungen die (soll heißen: nach) Beendigung der Arbeiten Steuern hinterzogen hat" (US 6 1.Absatz) und an anderer Stelle (US 8 1. Absatz) "..., daß er sich der Unrechtmäßigkeit seines Verhaltens durchaus bewußt war und eben versuchte, durch Nichterklärung der beendeten Arbeiten einen Zahlungsaufschub dadurch zu erwirken, ..."
bzw. "... dem Angeklagten bekannt war, daß sein Verhalten strafbar ist".
Bei den hier in Betracht kommenden (vom Beschwerdeführer als Baumeister im Rahmen der Bauwirtschaft erbrachten) Leistungen handelte es sich umsatzsteuerrechtlich um (Werk )Lieferungen im Sinne des § 3 Abs. 1 und Abs. 4 UStG 1972, die das Verschaffen der Verfügungsmacht über den Gegenstand (der Lieferung bzw. Leistung) voraussetzen. Hiebei geht es primär um einen tatsächlichen Vorgang (vgl. Kolacny-Mayer UStG § 3 Anm. 2., 4. und 13.). Gemäß § 19 Abs. 2 Z 1 lit. a UStG 1972 entsteht (bei der hier aktuellen Sollbesteuerung) die Steuerschuld für Lieferungen und sonstige Leistungen mit Ablauf des Kalendermonates, in dem die Lieferungen oder sonstigen Leistungen ausgeführt worden sind; dieser Zeitpunkt verschiebt sich um einen Kalendermonat, wenn die Rechnungsausstellung erst nach Ablauf des Kalendermonates erfolgt, in dem die Lieferung oder sonstige Leistung erbracht worden ist. Demnach entsteht die Steuerschuld mit der Ausführung der Werklieferung, also in dem Zeitpunkt, in welchem dem Auftraggeber die Verfügungsmacht über das Werk verschafft wird (Kolacny-Mayer aaO § 19 Anm. 17. a), wobei ein Verschaffen der Verfügungsmacht bereits dann anzunehmen ist, wenn der Auftraggeber das Werk durch schlüssiges Verhalten (zB Benutzung) - ungeachtet einer allenfalls fehlenden Benützungsbewilligung oder der schon gelegten Schlußrechnung - abgenommen hat.
Unter diesen dargelegten rechtlichen Aspekten vermag das (wiedergegebene) Tatsachensubstrat in der Tat keine taugliche Grundlage für die (objektive) Annahme abzugeben, daß die in Rede stehenden Werklieferungen im Sinne des § 19 Abs. 2 Z 1 lit. a UStG 1972 bereits "ausgeführt" worden sind und demnach die Steuerschuld entstanden ist, weil "faktisch beendet" noch nicht zwangsläufig bedeutet, daß dem Auftraggeber (Besteller) auch die Verfügungsmacht darüber verschafft wurde. Zwar ist die Benutzung (Verwendung) des hergestellten Bauwerkes durch den Auftraggeber (Besteller) - wie dargelegt - ein wesentliches Indiz dafür, daß das Bauwerk von ihm auch übernommen und ihm sohin die Verfügungsgewalt darüber verschafft wurde, jedoch hat es das Erstgericht unterlassen, zumindest für die in den Schuldspruchsfakten I.1. und 2. genannten Bauvorhaben etwa aus der - diese Annahme indizierenden - Anzeige des Finanzamtes Neunkirchen (S 7 iVm TZ 14 und 15 des Berichtes gemäß § 150 BAO) eine derartige Feststellung zu treffen.
Das Finanzamt Neunkirchen vertritt in seiner (am 18.Jänner 1994 beim Obersten Gerichtshof eingelangten) Äußerung zur Stellungnahme der Generalprokuratur die Ansicht, daß bei den in den Punkten I.3. und II.1. des Urteils angeführten Leistungen, für die (nicht verbuchte) Schlußrechnungen gelegt worden seien, die Umsatzsteuer aber nicht gemeldet bzw. nicht entrichtet worden sei, auf das Problem der eingeräumten Verfügungsmacht nicht einzugehen sei, weil gemäß § 19 Abs. 3 iVm § 11 Abs. 12 UStG (nur) in jenen Fällen, in denen noch keine Schlußrechnung gelegt worden ist, zu überprüfen wäre, ob die Steuerpflicht bereits durch Verschaffung der Verfügungsmacht entstanden ist. Diesem Einwand ist - was das Erstgericht im erneuerten Verfahren allenfalls zu berücksichtigen haben wird - zu erwidern, daß die Urteilsfeststellungen auch insoweit keine verläßlichen Anhaltspunkte dafür hergeben, ob diesen Schlußrechnungen die im § 11 Abs. 1 bis 5 UStG normierte Qualität zukommt und ob sie tatsächlich Wirkungen entfaltet haben (vgl. hiezu Kolacny-Mayer aaO § 11 Anm. 1. ff).
Schon diese Urteilsnichtigkeit der aufgezeigte Feststellungsmangel zum objektiven Tatbestand macht, ohne daß es eines Eingehens auf das weitere Beschwerdevorbringen (zur subjektiven Tatseite) bedürfte, eine Verfahrenserneuerung in erster Instanz unumgänglich (§ 285 e StPO). Nur der Vollständigkeit halber sei gesagt, daß bloßes "Wissen" für die Begründung eines Schuldspruchs wegen der Abgabenverkürzung nach § 33 Abs. 2 lit. a FinStrG in subjektiver Hinsicht nicht hinreichen wird, der Täter vielmehr die Tatbestandsverwirklichung dieses Deliktes im Sinne des § 5 Abs. 3 StGB "für gewiß" halten muß (vgl. hiezu Dorazil-Harbich FinStrG § 33 E 36 a ff) und (gegebenenfalls) auch die sich aus den neuen Verfahrensergebnissen ableitbare differenzierte Vorsatzform für das Finanzvergehen nach § 33 Abs. 1 FinStrG festzustellen und zureichend zu begründen sein wird.
Der Angeklagte und das Finanzamt Neunkirchen waren mit ihren durch die Urteilsaufhebung gegenstandslos gewordenen Berufungen auf diese Entscheidung zu verweisen.