JudikaturOGH

4Ob6/94 – OGH Entscheidung

Entscheidung
11. Januar 1994

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Niederreiter, Dr.Redl und Dr.Gerstenecker als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F**********gmbH,***** vertreten durch Dr.Michael Graff und Mag.Werner Suppan, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei M***** ***** GmbH Co KG, *****vertreten durch Dr.Gottfried Korn, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert für das Provisorialverfahren S 450.000), infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht vom 9.September 1993, GZ 3 R 89/93-8, womit der Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom 20.April 1993, GZ 37 Cg 183/93b-2, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

1. Der Oberste Gerichtshof stellt gemäß Art 89 Abs. 2 B-VG (Art 140 B-VG) an den Verfassungsgerichtshof den Antrag, in § 9 a des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb 1984 BGBl 448, zuvor geändert durch das Wettbewerbs-DeregulierungsG BGBl 1992/147, nunmehr geändert durch die UWG-Novelle 1993 BGBl 227,

a) in Abs 1 Z 1 die Worte "oder Verbrauchern neben periodischen Druckwerken unentgeltliche Zugaben (Prämien) anbietet, ankündigt oder gewährt" und

b) in Abs 2 den Satz "Z 8 gilt nicht für Zugaben zu periodischen Druckwerken"

als verfassungswidrig aufzuheben.

2. Mit der Fortführung des Revisionsrekursverfahrens wird gemäß § 62 Abs 3 VfGG bis zur Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes innegehalten.

Text

Begründung:

Die Beklagte ist die Verlegerin der Tageszeitungen K***** und N*****-Zeitung.

In den Ausgaben der Tageszeitung N*****-Zeitung vom 4.4., 6.4., 7.4., 9.4., 13.4., 15.4., 16.4. und 19.4.1993 erschien unter dem Titel "Bub oder Mädel" ein Gewinnspiel, bei dem das Geschlecht eines abgebildeten Kleinkindes zu erraten war. Unter den Einsendern der richtigen Antwort wurden dabei jeweils zehn Mal S 10.000 und zehn Mal S 1.000 verlost. Der jeweils abgedruckte und zum Ausschneiden bestimmte "Antwortkupon" enthielt ua folgenden Text: "Alle Gewinner werden schriftlich verständigt und in der 'K*****' veröffentlicht. Sie können die richtige Lösung mit gleicher Gewinnchance auch auf eine Postkarte mit morgigem Poststempel schreiben". In der N*****-Zeitung vom 8.4., 10.4., 11.4., 14.4., 17.4. und 18.4.1993 wurden jeweils die richtige Lösung und die Gewinner der Geldpreise veröffentlicht. Einen Hinweis, daß das Gewinnspiel laufend wiederholt wird, enhielten die Einschaltungen der Beklagten nicht.

Zur Sicherung eines inhaltsgleichen, mit einer Widerklage geltend gemachten Unterlassungsanspruchs beantragt die klagende Mitbewerberin, der Beklagten mit einstweiliger Verfügung zu verbieten, unentgeltliche Zugaben in der Form zu gewähren, daß in der N*****Zeitung die Teilnahmemöglichkeit an einem Gewinnspiel, beispielsweise dem Gewinnspiel "Bub oder Mädel", bei dem das Geschlecht eines abgebildeten Babys zu erraten ist und zehn Mal S 10.000 und zehn Mal S 1.000 gewonnen werden können, eingeräumt wird, wenn durch die tägliche oder doch wiederkehrende Veröffentlichung des Gewinnspiels ein Anreiz zum Kauf der N*****-Zeitung ausgeübt wird, indem der Eindruck vermittelt wird, es würden auch in künftigen Ausgaben der N*****-Zeitung Gewinnspiele veröffentlicht. Die Beklagte habe das Gewinnspiel "Bub oder Mädel" ab 4.4.1993 praktisch täglich in der N*****-Zeitung veröffentlicht. Obwohl das Gewinnspiel sonst nicht durch Werbung angekündigt worden sei, habe das regelmäßige Veröffentlichen bei den Zeitungslesern den Eindruck erweckt, daß es auch in künftigen Ausgaben der Tageszeitung enthalten sein werde. Daher habe das Gewinnspiel "Bub oder Mädel" einen Anreiz zum Kauf dieser Tageszeitung ausgeübt. Das Gewinnspiel sei daher eine verbotene Zugabe zur Tageszeitung. Jene sei zwar nicht angekündigt, aber gewährt worden. Damit habe die Beklagte gegen § 9 a Abs 2 letzter Satz UWG idF UWG-Novelle 1993 BGBl 227 verstoßen.

Der für die Vorklage zuständige Einzelrichter des Handelsgerichtes Wien erließ - ohne Anhörung der Beklagten - die beantragte einstweilige Verfügung. In einer Zeitung angekündigte Preisausschreiben, Gewinnspiele und dergleichen seien dann keine Zugaben, wenn weder auf dem Titelblatt noch sonst in der Werbung darauf hingewiesen werde, und die Personen, welche die Zeitung erwerben, erst beim Durchlesen auf das Gewinnspiel stoßen und keinen Anlaß haben, im Hinblick auf die Teilnahmebedingungen weitere Exemplare dieser Zeitung zu kaufen. Die Beklagte habe das Gewinnspiel "Bub oder Mädel" zwar nicht auf der Titelseite der entsprechenden Zeitungsnummern angekündigt und auch sonst nicht dafür geworben; durch das regelmäßige Veröffentlichen dieses Spieles in ihrer auflagenstarken Tageszeitung habe sie jedoch beim Leserpublikum die Erwartung erweckt, daß es fortgesetzt werde, so daß es einen Anreiz zum Kauf späterer Ausgaben dieser Tageszeitung bilden habe können. Das Gewinnspiel sei nach der Rechtslage seit der UWG-Novelle 1993 eine verbotene Zugabe.

Das Rekursgericht änderte den Beschluß des Erstgerichtes im Sinne der Abweisung des Sicherungsantrages ab und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000 übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Die vorliegende Klage sei zwar im Verhältnis zu der auf einen (anderen) Wettbewerbsverstoß der Klägerin gestützten Vorklage keine Widerklage im Sinne des § 96 Abs 1 JN. Daß über den damit erhobenen Sicherungsantrag dennoch der für den Vorprozeß zuständige Einzelrichter des Handelsgerichtes Wien entschieden habe, begründe jedoch keine Nichtigkeit, weil die vorliegende Klage zum Zeitpunkt seiner Entscheidung in seiner Gerichtsabteilung anhängig gewesen sei. In der Sache selbst habe die Beklagte keinen Zugabenverstoß zu verantworten. Das vorliegende Gewinnspiel sei nur im Blattinneren veranstaltet worden, ohne daß den Lesern ein Anhaltspunkt für die Annahme geboten worden sei, daß es fortgesetzt werde. Daran ändere auch der Umstand nichts, daß das Gewinnspiel in einem Zeitraum von fünfzehn Tagen acht Mal veranstaltet worden sei. Da die Beklagte bekanntgegeben habe, daß auch bei Einsenden einer Postkarte die gleiche Gewinnchance gewahrt sei, und daß die Gewinner schriftlich verständigt werden, habe sie auch keinen psychischen Kaufzwang ausgeübt.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen von der Klägerin erhobene außerordentliche Revisionsrekurs ist zulässig im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO (iVm §§ 78, 402 EO), weil zur Frage, ob durch ein Gewinnspiel psychischer Kaufzwang (- der neben dem rechtlichen Kaufzwang für die Erfüllung des Tatbestandselements des Zusammenhanges zwischen Hauptware und Zugabe ausreicht [ÖBl 1993, 24] -) auch dann ausgeübt werden kann, wenn es zwar auf der Titelseite oder sonst in der Werbung einer Zeitung nicht angekündigt wurde, durch seine regelmäßige Veranstaltung aber doch geeignet ist, die Publikumserwartung zu erwecken, daß es fortgesetzt werde, nicht vorliegt. Aber auch die in der Folge dargestellten Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des durch die UWG-Novelle 1993 BGBl 227 geänderten Zugabetatbestandes (§ 9 a Abs 1 Z 1 zweiter Satzteil und Abs 2 letzter Satz UWG) begründen eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des Revisions-(Rekurs-)rechts.

Der erkennende Senat hat auf den ab 4.4.1993 verwirklichten, von der Klägerin als Zugabenverstoß qualifizierten Sachverhalt die durch die UWG-Novelle 1993 für periodische Druckwerke geschaffenen besonderen Bestimmungen anzuwenden. Gegen diese Neuregelung bestehen aus dem Grunde der Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes und des Grundrechtes auf Erwerbsausübungsfreiheit verfassungsmäßige Bedenken:

§ 9 a UWG trat an die Stelle des durch das Wettbewerbs-DeregulierungsG aufgehobenen ZugabenG. Nach § 9 a Abs 1 Z 1 UWG war es verboten, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs in öffentlichen Bekanntmachungen oder anderen Mitteilungen, die für einen größeren Personenkreis bestimmt sind, anzukündigen, daß Verbrauchern neben Waren oder Leistungen unentgeltliche Zugaben (Prämien) gewährt werden; gemäß § 9 a Abs 2 Z 8 UWG ist Abs 1 dieser Bestimmung nicht anzuwenden, wenn die Zugabe in der Einräumung einer Teilnahmemöglichkeit an einem Preisausschreiben (Gewinnspiel) besteht, bei dem der sich aus dem Gesamtwert der ausgespielten Preise im Verhältnis zur Zahl der ausgegebenen Teilnahmekarten (Lose) ergebende Wert der einzelnen Teilnahmekarte 5 S und der Gesamtwert der ausgespielten Preise 300.000 S nicht überschreitet. Gleichzeitig wurde das in § 28 UWG aF enthaltene Verbot aufgehoben, eine neben der Ware oder Leistung zu gewährende Zuwendung (Prämie) vom Ergebnis einer Verlosung oder eines anderen Zufalls abhängig zu machen. Eine derartige Vorgangsweise sollte damit dem Zugabenverbot dann nicht unterliegen, wenn die zu gewährende Zuwendung (Prämie) geringwertig ist (RV des Wettbewerbs-DeregulierungsG 1992, 338 BlgNR 18.GP).

Durch die UWG-Novelle 1993 BGBl 227 wurde dem § 9 a Abs 1 Z 1 UWG der Satz angefügt, daß es unzulässig ist, neben periodischen Druckwerken unentgeltliche Zugaben (Prämien) anzubieten, anzukündigen oder zu gewähren; weiters wurde dem Ausnahmekatalog im § 9 a Abs 2 UWG der Satz angefügt: "Z 8 gilt nicht für Zugaben zu periodischen Druckwerken." Die Gesetzesmaterialien begründen diese Änderung wie folgt:

"§ 9 a UWG schränkt die Zulässigkeit von Zugaben ein, nimmt hiebei aber nicht auf die bei periodischen Druckwerken bestehende Zugabenproblematik Bedacht, die zu einem für kleinere Zeitungs- und Zeitschriftenunternehmer ruinösen Wettbewerb führen könnte; eine solche Entwicklung würde aber die Medienvielfalt in Österreich beeinträchtigen" (RV 965 BlgNR 18.GP; HAB 980 BlgNR 18.GP); "um die Gefahr eines, insbesondere kleinere Zeitungs- und Zeitschriftenunternehmer treffenden, ruinösen Wettbewerbs auszuschließen, sieht der Entwurf bei periodischen Druckwerken eine Erweiterung des Zugabenverbotes auch auf die Fälle des Anbietens, Gewährens sowie auch auf Ankündigungen vor, die nicht in öffentlichen Bekanntmachungen oder in anderen, für einen größeren Personenkreis bestimmten Mitteilungen enthalten sind; als problematisch im Bereiche periodischer Druckwerke hat sich die im § 9 a Abs 2 Z 8 UWG enthaltene Ausnahmebestimmung herausgestellt; im Hinblick auf den relativ niedrigen Verkaufspreis periodischer Druckwerke, insbesondere von Tageszeitungen, besteht trotz der im § 9 a Abs 2 Z 8 UWG festgelegten Betragsgrenzen die Gefahr, daß der eingeräumten Gewinnchance größere Bedeutung für den Kaufentschluß zukommt als der Qualität des Druckwerkes und somit in den Warenvertrieb ein unsolides Element hineingetragen wird, indem das Bestreben, durch Zufall zu gewinnen, zum Antrieb für die Deckung des Bedarfs gemacht wird; der Entwurf nimmt daher Zugaben zu periodischen Druckwerken vom Geltungsbereich des § 9 a Abs 2 Z 8 aus" (965 BlgNR 18.GP).

Neben einem Individualantrag eines Zeitungsunternehmers liegen dem Verfassungsgerichtshof bereits Anträge des Oberlandesgerichtes Wien vor, im § 9 a UWG im Abs 1 Z 1 die Worte "oder Verbrauchern neben periodischen Druckwerken unentgeltliche Zugaben (Prämien) anbietet, ankündigt oder gewährt" und im § 9 a Abs 2 UWG den Satz "Z 8 gilt nicht für Zugaben in periodischen Druckwerken" als verfassungswidrig aufzuheben. Diese Anfechtungen wurden im wesentlichen damit begründet, daß trotz der Gesetzesmaterialien zur UWG-Novelle 1993 nicht erkennbar sei, warum Zugaben nur auf dem Zeitungsmarkt zu einem ruinösen Wettbewerb und damit zur Konzentration weniger großer Unternehmen führen, zumal Gewinnspiele auch in anderen Branchen, insbesondere im Lebensmittel- und Elektrowarenhandel, große Bedeutung hätten, so daß die Diskriminierung der periodischen Druckwerke durch den neuen Zugabentatbestand sachlich nicht gerechtfertigt sei. Eine sachliche Rechtfertigung fehle auch dafür, daß der unmittelbare Konkurrent der periodischen Druckwerke, nämlich der ORF, in das Glücksspielverbot nicht einbezogen worden sei. Die unterschiedliche Behandlung sei auch nicht damit sachlich zu rechtfertigen, daß Zeitungsunternehmen zum Ankündigen und Abwickeln von Glücksspielen kein weiteres Ankündigungsunternehmen benötigen. Auch reiche die amtliche Begründung, wonach die angeführten Gefahren im Bereich der periodischen Druckwerke bestehen könnten, nicht aus, weil der Gesetzgeber offensichtlich gar nicht der Meinung sei, daß das tatsächlich zutreffe; gesetzliche Diskriminierungen müßten aber aus entsprechenden Unterschieden im Tatsächlichen ableitbar sein. Mangels sachlicher Begründung verletze die angefochtene gesetzliche Regelung auch das Grundrecht auf Erwerbsausübungsfreiheit.

Wenngleich es gerechtfertigt erscheinen mag, im Interesse der Erhaltung der Meinungsvielfalt (vgl § 42 c KartG 1988) die Zeitungs- und Zeitschriftenbranche im Bereiche der Zugaben anders zu behandeln als die nicht vergleichbare Waren oder Leistungen vertreibenden übrigen Geschäftszweige, bestehen doch erhebliche Zweifel daran, daß die amtliche Begründung für die neue Regelung auf andere Waren oder Leistungen nicht zutrifft; auch fehlen darin Ausführungen, warum die Neuregelung im Sinne der vom Verfassungsgerichtshof zum Grundrecht der Freiheit der Erwerbsausübung entwickelten Rechtsprechung durch das öffentliche Interesse geboten, geeignet, zur Zielerreichung adäquat und auch sonst sachlich gerechtfertigt ist. Daher teilt der Oberste Gerichtshof die bereits von anderen Antragsteller geäußerten verfassungsmäßigen Bedenken gegen die angefochtene Regelung.

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